EDI: Ueber Lean Management zur zeitgemaessen Lean Company

03.06.1994

Kostensenkung durch geringere Lagerbestaende, bessere Lieferinformationen, optimierte Materialverwaltung sowie reduzierter Management-Aufwand. So oder so aehnlich lautet das Standardrepertoire, wenn es darum geht, die "klassischen" Vorteile des Electronic Data Interchange (EDI) zu schildern. Thorsten Georg* haelt in seinem Beitrag ein geradezu leidenschaftliches Plaedoyer fuer diese Art der professionellen Datenkommunikation. Wann, wenn nicht jetzt, waere, so der Autor, die Zeit reif fuer den Einsatz einer Technik, die aufgrund ihrer Standardisierung und Anwendungsvielfalt schon laengst weltweit den Durchbruch haette erzielen muessen. EDI kann dabei aber mehr als nur der blosse Austausch von Handelsdaten sein: naemlich ein Wegweiser zum schlanken Unternehmen der Zukunft.

Mit der einsetzenden Rezession begann fuer viele Firmen der nackte Kampf ums wirtschaftliche Ueberleben. Viele der verantwortlichen Manager suchen - oftmals gezwungen durch Preisdiktate ihrer Grosskunden - fieberhaft nach Moeglichkeiten zur Kostenreduktion.

Nachdem in den vergangenen Jahren mit Blick auf Japan Produktionsmethoden wie Unternehmensorganisationen vielfach grundlegend revidiert (Lean Production beziehungsweise Lean Management) und einer Art Schlankheitskur unterzogen wurden, sollte die Forderung nach einer "schlanken Verwaltung" ebenfalls legitim sein. Dies um so mehr, als viele, vor allem kleine und mittlere Betriebe durch ihre oftmals marktstarken Kunden aufgefordert werden, Geschaeftsdokumente wie Bestellungen und Rechnungen zukuenftig elektronisch auszutauschen. Gleichzeitig erscheint jedoch vielen dieser Firmen der technische wie organisatorische Aufwand in puncto EDI mit Geschaeftspartnern unverhaeltnismaessig hoch.

"Schlanke Produktion" meint nun im Zusammenhang mit einer Verbesserung der Unternehmensorganisation den gesamten betrieblichen Wertschoepfungsprozess und fordert die Abkehr von der Massenfertigung standardisierter Produkte.

"Schlankes Management" bedeutet Dezentralisierung

Mit anderen Worten: Die Verbindung hoher Produktivitaet mit gleichzeitig hoher Qualitaet, was nur mittels Teamarbeit, Total- Quality-Control, Kundennaehe, Komplexitaetsreduktion, simultaneous Engineering sowie der fruehzeitigen Einbeziehung der Zulieferer moeglich ist.

"Schlankes Management" bedeutet in erster Linie Dezentralisierung, das heisst, Abschaffung der hierarchischen Weisungsstraenge. Mitarbeiter erhalten auf diese Weise mehr Eigenverantwortung und Kompetenzen, was zu einer verbesserten Kundenorientierung fuehrt. Das Prinzip der "Vermeidung von Verschwendung" unterscheidet nach notwendigen und nicht erforderlichen Aktivitaeten, wobei nur diejenigen Aktivitaeten, fuer die der Kunde zu zahlen bereit ist, als notwendig gelten.

Schlank sein assoziiert also Beweglichkeit, Beweglichkeit assoziiert Dynamik, und beide Eigenschaften sind Voraussetzungen fuer mehr Flexibilitaet. Wenn einerseits die industriellen Fertigungsprozesse den schnellebigen Marktanforderungen angepasst (Lean Production), ande- rerseits die Aufbauorganisationen der Unternehmen revidiert (Lean Management) und nicht zuletzt auch die physischen Warenfluesse optimiert werden, muss allerdings auch die Frage gestattet sein, warum die Verantwortlichen in den Unternehmen bei ihren Rationalisierungsmassnahmen bis dato vor der Verwaltung halt gemacht haben?

Unter dem Begriff Verwaltung sollten die Geschaeftsprozesse subsummiert werden, die einen Beitrag zur Abwicklung des Warenaustauschs leisten.

Diese Prozesse muessen in jedem Fall dokumentiert werden und sind in der Regel sehr personalintensiv. In letzter Konsequenz bedeutet das oft sogar, dass diese Vorgaenge den Lebenszyklus des betreffenden Produkts (beispielsweise der Nachweis einer ordnungsgemaessen Entsorgung von Chemieprodukten) ueberdauern. Hinzu kommt, dass der Anteil der Verwaltung in den Unternehmen in den vergangenen Jahren nicht zuletzt aufgrund der Fuelle neuer, im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt der EU verabschiedeter Gesetze und Verordnungen ueberproportional gestiegen ist.

Lean Administration arbeitet prozessorientiert

Lean Administration konzentriert sich nun auf eine prozessorientierte Betrachtungsweise - will heissen: Liegezeiten, Redundanzen, Doppelarbeiten, Schleifen und Iterationen muessen aus dem jeweiligen Verwaltungsprozess herausgefiltert werden, um die Durchlaufzeiten zu verkuerzen. Darueber hinaus gestatten flache Unternehmensstrukturen die Optimierung von Prozessen in der horizontalen Ebene. Folgende Ergebnisse sind dabei anzustreben: Mit Hilfe einer Minimierung von Schnittstellen und der vollen Ausrichtung auf den Kunden wird die Qualitaet der Verwaltung entscheidend verbessert - und sinkende Durchlaufzeiten fuehren zu einer Verbesserung des Kundennutzens. Insgesamt beinhaltet dies wiederum die Moeglichkeit, durch eine Standardisierung der Geschaeftsprozesse ein nicht unbedeutendes Kostensenkungspotential zu erschliessen.

Lean Administration setzt also eine prozessorientierte Denkweise voraus und fordert:

- das Denken in ganzheitlicher Bearbeitung;

- das Aufdecken institutioneller Redundanzen;

- eine ergebnisorientierte statt funktionale Arbeitsteilung;

- eine ganzheitliche beziehungsweise vergangenheitsorientierte Bearbeitung;

- eine fruehzeitige Beruecksichtigung von Wechselwirkungen und Abhaengigkeiten sowie

- die Beschleunigung der Entscheidungsprozesse durch eine Verkuerzung der Wertschoepfungskette.

Doch wie lassen sich Ablaeufe wie das Bestell- und Lieferwesen, die Fakturierung, die Zollabwicklung etc. in der Praxis in eine schlankere Form bringen? Um diese Frage zu beantworten, muessen zunaechst einmal die Charakteristika derartiger Geschaeftsprozesse untersucht werden. Viele Vorgaenge wie etwa eine Bestellung sind dadurch gekennzeichnet, dass zwei Geschaeftspartner auf einem Bestellformular Informationen austauschen: A bestellt bei Produzent B ein Stueck des Produkts X zum Termin Y, wobei der Transport durch das Unternehmen Z erfolgen soll.

Bereits an diesem Beispiel werden die den Geschaeftsablaeufen immanenten Eigenschaften deutlich: Sie sind unternehmensuebergreifend, staendig wiederkehrend, finden unter Beteiligung von zwei oder mehreren Geschaeftspartnern statt, sind zum Teil zeitkritisch und werden in der Regel rechnergestuetzt abgewickelt. Letzteres insbesondere in Folge der hohen Wiederholfrequenz und des damit verbundenen Routinecharakters. Aufgrund fehlender Standards im Hard- und Softwarebereich wurde jedoch die zunehmende Automatisierung in der Verwaltung - zumindest volkswirtschaftlich betrachtet - teuer erkauft. Jedenfalls war es im Hinblick auf die Heterogenitaet der eingesetzten Rechner und Anwendungsprogramme nur unter betraechtlichem Aufwand moeglich, den Produktionsfaktor Information mit den jeweiligen Geschaeftspartnern auf andere Weise als ueber Papier auszutauschen.

Obwohl Moeglichkeiten hinsichtlich Datentraegeraustausch und Datenfernuebertragung existieren, ist, seit die automatisierte DV ihren Siegeszug in den Unternehmen antrat, der Einsatz entsprechender Verfahren wegen ihres hohen Anpassungsaufwandes ausschliesslich bei sogenannten Massendaten und dann auch nur mit einigen wenigen Partnern sinnvoll. Nur so ist auch das Phaenomen zu erklaeren, dass hochtechnisierte Unternehmen die fuer die Geschaeftspartner bestimmten Dokumente (etwa Bestell-, Liefer- und Rechnungsdaten) ihren Anwendungsprogrammen "entnehmen", diese auf Formblaetter ausdrucken, kuvertieren, frankieren und per gelber Post zum Adressaten transportieren, der die Informationen wiederum an die richtige Abteilung weiterreicht, in der die Daten anschliessend manuell in der hauseigenen DV erfasst und weiterverarbeitet werden.

Dieser Anachronismus sowie der steigende Bedarf an elektronischer Kommunikation zwischen den Unternehmen fuehrten in den letzten Jahren zur Entwicklung der bekannten EDI-Technologie - eine Kommunikationsform, die es gestattet, kommerzielle und technische Daten nach standardisierten Formaten strukturiert zwischen Computern beziehungsweise Applikationen verschiedener Firmen auszutauschen - mit der Moeglichkeit offener elektronischer Kommunikationsverfahren inklusive Weiterverarbeitung ohne Medienbruch.

Aufgrund der Verwendung standardisierter Datenformate koennen dabei sowohl die bei den Kommunikationspartnern eingesetzten Softwareloesungen als auch die Hardwareplattformen von unterschiedlichen Herstellern stammen. Da die Daten ausschliesslich in standardisiertem Formaten ausgetauscht werden, muss jedes Unternehmen lediglich einmal sein Inhouse-Format in das verwendete Standarddatenformat (beispielsweise Edifact, Sedas, VDA) abbilden, dass heisst, eine Art Uebersetzungsprozess vollziehen. Mit Edifact (Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport) liegt zudem seit 1987 eine weltweit gueltige, branchenuebergreifende Norm fuer den Austausch von Geschaeftsdokumenten vor.

Stabile Standards fuer die Datenuebertragung

Gleichzeitig existieren mit X.25 als Norm fuer paketvermittelte Netze und mit X.400 als Message Handling System global verabschiedete, stabile Standards fuer die Uebertragung beziehungsweise Verteilung von Daten. Zudem bieten private wie oeffentliche TK-Dienstleister sogenannte Verteil- oder Clearing- Services als Kommunikations-Drehscheiben an. All dies ist im uebrigen nicht erst seit gestern bekannt - der Grundstein ist also gelegt; nun wird es Zeit, diese Technologie zu nutzen.

Mit dem Einsatz von EDI ist es nicht nur moeglich, die Voraussetzungen fuer eine Kostenreduktion (kuerzere Prozesszyklen) oder einen verbesserten Kundenservice (Unterstuetzung von Just-in- time-Konzepten) zu schaffen, sondern gleichzeitig auch die Etablierung strategischer Geschaeftspartnerschaften (aufgrund ineinandergreifender Prozesse) einzuleiten sowie die langfristige Wettbewerbsfaehigkeit (durch strategische Differenzierung) zu sichern. Hinzu kommt die Chance der Optimierung interner Geschaeftsablaeuefe.

Da jedes Unternehmen in der Regel EDI auf ganz individuelle Weise implementieren wird, kommt es neben den genannten Vorteilen zur Erschliessung eines zusaetzlichen Nutzenpotentials, dessen Umfang und Auswirkungen von der Art und dem Ausmass des jeweiligen EDI- Einsatzes abhaengt. Einer EDI-Implementierung geht also immer eine strategische Entscheidung voraus. Die Unternehmensfuehrung muss dabei zunaechst sowohl das zu erreichende EDI-Niveau als auch den EDI-Durchdringungsgrad definieren, dass heisst, entscheiden, wie und in welcher Form EDI im Unternehmen einzusetzen ist (EDI-Niveau) und welche der Funktionsbereiche oder Abteilungen des Betriebs involviert werden sollen (EDI-Durchdringung).

EDI-Engagement in drei Stufen moeglich

Hinsichtlich des EDI-Niveaus sind drei Einsatzformen zu unterscheiden: Stand-alone-EDI, Integrated EDI und Full-EDI. Bei Stand-alone-EDI handelt es sich um ein Verfahren, mit dessen Hilfe ein Unternehmen sehr rasch die "EDI-Faehigkeit" erlangen und die Einfuehrung einer entsprechenden Technik mit vergleichsweise geringem finanziellen, technischen und organisatorischen Aufwand bewaeltigen kann.

Integrated EDI bedeutet hingegen die Verzahnung von Anwendungsprogrammen und Arbeitsprozessen mit denen der jeweiligen Geschaeftspartner, wobei die Qualitaet der Geschaeftsbeziehungen aufgrund der gegenseitigen Offenlegung von Schnittstellen in der Regel deutlich verbessert wird.

Integriertes EDI erschliesst bereits einen Grossteil des EDI- Benefits, fuehrt aber nicht automatisch zur erstrebten schlanken Verwaltung. Bedenkt man jedoch, dass die Unternehmensleitung bei der Einfuehrung von EDI gezwungen ist, einzelne Geschaeftsprozesse hinsichtlich ihres Beitrags zum strategischen Unternehmensziel kritisch unter die Lupe zu nehmen, liegt genau in diesem Umstand die grosse Chance begruendet, die sich dem EDI-Anwender bietet: Erst EDI in Kombination mit einer Revision gewohnter betrieblicher Ablaeufe laesst das schlanke Buero letztendlich Wirklichkeit werden.

Full-EDI ist aber erst der eigentliche Schlankmacher fuer das Jahr 2000 und bedeutet innovativen EDI-Einsatz mit dem Ziel, von entsprechend entstehenden strategischen Effekten zu profitieren, die in Form von Kostensenkungen durch geringere Lagerbestaende, bessere Lieferinformationen, optimiertes Materialmanagement und Reduzierung des Management-Aufwandes zutage treten.

Darueber hinaus generiert die firmenuebergreifende Integration von Wertschoepfungsprozessen zusaetzlichen Nutzen.

Full-EDI geht letztlich aber noch einen Schritt weiter: Standen beim Stand-alone-EDI wie beim Integrierten EDI noch die Beziehungen zum Geschaeftspartner im Vordergrund, geht es jetzt auch um die kritische Beurteilung interner Ablaeufe. Full-EDI ist mithin die "hohe Schule" von EDI und damit ein entscheidender Baustein der "Lean administration Philosopie" - naemlich die Revision tradierter Geschaeftsablaeufe im Unternehmen, die darauf abzielt, laengst ueberholte, ineffiziente Ablaeufe zu erkennen und zu optimieren sowie ueberfluessige Taetigkeiten zu eliminieren.

Bei dieser Gelegenheit ist vor allem den Bereichen und Produktionsablaeufen erhoehte Aufmerksamkeit zu widmen, deren Beitrag zum Unternehmensziel nicht transparent ist und moeglicherweise lediglich deshalb stattfinden, weil "das immer so gemacht wurde". Analog zu einem die Beschaffungs-, Produktions- und Absatzprozesse steuernden Logistikkonzept muessen aber auch die Vorgaenge in der Verwaltung den Anforderungen einer Informationslogistik genuegen. Hauptziel muss es dabei sein, diese Ablaeufe zu reorganisieren, um sie auf diesem Weg mit den bereits durchrationalisierten Produktions- und Distributionsprozessen zu synchronisieren.

EDI ist somit Mittel zum Zweck beziehungsweise Anlass fuer den Beginn einer Schlankheitskur, gerade im Bereich der Administration. Ein Unternehmen, dem es gelingt, unter Einsatz von Full-EDI ueberfluessigen Ballast im Verwaltungsbereich abzuwerfen, befindet sich auf dem direktem Weg zur "Lean Company" und stellt langfristig die Weichen in eine erfolgreiche unternehmerische Zukunft. Dies wird um so wichtiger, als - wie konkrete Beispiele aus der juengsten Vergangenheit deutlich machen - einseitige Preisdiktate durch Grossabnehmer anstelle bilateraler Preisverhandlungen in Industrie und Wirtschaft ueberhandnehmen. Diese bis dato in Deutschland unbekannte Umgangsform wird mit dem verschaerften internationalen Wettbewerb begruendet, der bei vergleichbarer Produktqualitaet nun hauptsaechlich ueber den Preis ausgetragen wird.

Elektronische Partnerschaft mit den Prozesskunden

Gerade kleine und mittelstaendische Produzenten, die gezwungen sind, auf die preislichen Forderungen ihrer oftmals marktstarken Kunden einzugehen, sind daher gut beraten, durch die Implementierung von EDI eine elektronische Partnerschaft zu ihren Grosskunden aufzubauen und die daraus resultierenden Effekte wie die Intensivierung der Kontakt- und Beziehungspflege und den gezielten Aufbau eines Vertrauensverhaeltnisses zur Konsolidierung oder gar zum Ausbau der Geschaeftsbeziehungen zu nutzen. Beruecksichtigt man darueber hinaus das Rationalisierungspotential von EDI innerhalb der unternehmensinternen Verwaltung und den hohen Beitrag dieser Technik fuer das Kosten-Management, dann wird die ganze Bedeutung jenes Postulats auch denen klar, die bis vor wenigen Jahren hierueber noch gelaechelt haben: Make EDI or die!

Dr. Thorsten Georg ist Geschaeftsfuehrer der Strat-Edi Gesellschaft fuer Kommunikationsloesungen mbH in Schwelm.