ECM fängt in den Köpfen an

10.10.2006
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Wolfgang Miedl arbeitet Autor und Berater mit Schwerpunkt IT und Business. Daneben publiziert er auf der Website Sharepoint360.de regelmäßig rund um Microsoft SharePoint, Office und Social Collaboration.
Um ein Scheitern zu vermeiden, sollte die Technik erst später kommen: Bei der August Koehler AG stand ein intensives Schulungsprogramm am Anfang eines Content-Management-Projekts.

In vielen Unternehmen wird das Enterprise Content Management (ECM) primär als technische Fragestellung aufgefasst. Doch damit wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht und der Projekterfolg schon in der Anfangsphase aufs Spiel gesetzt, erklärt Alexander Fischer, Leiter IT-Infrastruktur bei der August Koehler AG in Oberkirch: "ECM sollte zunächst als rein organisatorisches Thema angegangen werden, das man mit den strategischen Fragestellungen nach den Unternehmenszielen und den damit verbundenen Notwendigkeiten adressiert."

Fischer weiß, wovon er spricht, denn seine Organisation musste bereits beim ersten größeren ECM-Projekt - der Archivierung von Bestellbelegen - zwei Fehlversuche verschmerzen, ehe man ein unternehmensweites Konzept für eine effizientere Datenorganisation auf den Weg brachte. "Als IT-Organisation waren wir gefordert, eine Archivlösung für gefaxte Aufträge und Belege zu entwickeln, um auf diese auch langfristig über das Auftragserfassungssystem oder das Intranet-Portal zugreifen zu können. Allerdings sind wir das Thema am Anfang zu technikverliebt angegangen." Ausgangspunkt war ein traditioneller Bestellprozess, der bei der Koehler AG so organisiert war, dass gefaxte Bestellungen zunächst manuell als Auftrag ins ERP-System eingetippt wurden, bevor die Originalunterlagen in Ordnern ablegt wurden. Sobald zu einem späteren Zeitpunkt - beispielsweise bei einer Reklamation - eine Rückverfolgung vom ERP-Auftrag zur Ursprungsbestellung notwendig war, stellte die Suche auch erfahrene Mitarbeiter vor Herausforderungen.

Zu technikverliebt

Um diese Abläufe effizienter zu gestalten und gegen Personalwechsel gewappnet zu sein, verfolgte die IT-Abteilung in einem ersten Anlauf die Idee, Bestellfaxe mit einen Scanner einzulesen, per OCR-Texterkennung zu digitalisieren und dann sowohl das Image als auch den Text auf einem Sharepoint-Server zu speichern. In der Praxis erwies sich die Texterkennung jedoch als unzuverlässig, da sie nicht 100-prozentig fehlerfreie arbeitete. So bestand die Gefahr, dass wichtige Belege aufgrund einer falschen Zuordnung später nicht mehr wiedergefunden werden. Im zweiten Anlauf versuchte man es mit einer aufwendigen Fax-OCR-Software, die in Verbindung mit einem Exchange-Server das Archivierungsproblem lösen sollte. Die Theorie sah vor, dass dabei Faxe an eine bestimmte Nummer zu senden waren, um an einer Exchange/Fax-Schnittstelle digitalisiert und in einem öffentlichen Exchange-Ordner firmenweit zur Verfügung gestellt zu werden. Als Haken erwies sich auch hier wieder die Texterkennung: Bei englischen und deutschen Schriftstücken wäre sie laut Fischer noch akzeptabel gewesen, aber als weltweit agierender Papierhersteller erhält die Koehler AG auch Bestellungen aus Griechenland, Japan oder anderen Ländern mit nichtalphabetischen Schriftzeichen. Dass ein automatisierter Prozess unter solchen Umständen absolut zuverlässig Faxe einliest, konnte keiner der Projektbeteiligten garantieren.

Konventionelle Auftragsannahme

Nachdem sich auch EAI-Versuche mit automatisierten, elektronischen Bestellvorgängen als nicht praktikabel erwiesen hatten, mündeten diese ersten größeren ECM-Anstrengungen des badischen Papierherstellers in einer recht konventionellen, aber praxisgerechten Lösung, die sich an den bestehenden Prozessen im Unternehmen orientierte: Bestellungen gehen weiterhin per Fax ein, wobei jeder Einzelposten zunächst handschriftlich eine einmalige, fortlaufende Chargennummer erhält. Diese unterstützt unter anderem die Versandlogistik bei der Bestückung von Schiffscontainern. Jeder Posten wird dann inklusive Chargennummer als Auftrag ins SAP-System eingegeben, bevor das Fax abschließend als Image im Ixos-Archiv abgelegt wird. So muss man es nicht zig- oder hundertfach pro Bestellung mit den ERP-Aufträgen vervielfältigen, sondern kann es als Unikat im Archiv jederzeit über die Chargennummer wiederfinden.

Der Anwender im Fokus

Die wichtigste Lehre war für Fischer, dass bei ECM-Projekten niemals technische Features im Vordergrund stehen sollten: "Content Management ist ein organisatorisches Problem, kein technisches. Daher müssen stets die Arbeitsabläufe und die Bedürfnisse der Anwender im Vordergrund stehen." Diese Erkenntnis erwies sich für die weiteren ECM-Aktivitäten bei der Koehler AG als äußerst hilfreich, denn in der Zwischenzeit hatte auch der Konzernvorstand die Notwendigkeit einer unternehmensweiten Content-Strategie erkannt und die IT beauftragt, entsprechende Projekte zu initiieren.

Im Vorfeld galt es dabei zunächst, einige grundlegende Fragen zu klären, denn bei ECM beginnt man nie auf der grünen Wiese, wie Fischer erklärt: "In jedem Unternehmen existieren gewisse Ansätze von Content Management, sodass man praktisch immer auf eingefahrene Strukturen stößt, die man einbinden muss." Manche Firmen haben beispielsweise aufgrund von Speicherengpässen bereits eine E-Mail-Lösung implementiert, woanders archiviert man aus rechtlichen Gründen SAP-Belege, und ein weiterer typischer Einstieg in ECM ist der Bereich Office-Dokumente, wofür es vielfältige Portallösungen gibt. Als große Hindernisse gelten hier insbesondere gewohnte Arbeitsweisen und etablierte Prozesse - so etwas zu verändern tue immer weh.

Big Bang scheitert meist

Zur Vorsicht rät Fischer in Sachen Projektumfang - einen Big-Bang-Ansatz zur Integration aller Datenquellen im Unternehmen hält er für zu riskant, weil das jede IT-Organisation überfordern würde: "Egal wie groß ein Unternehmen auch ist, es wird niemals über so viele IT-Ressourcen verfügen, dass es ein Projekt dieser Größenordnung stemmen kann." Das zentrale Problem ist dabei nicht nur die technische Komplexität, sondern es sind insbesondere die organisatorischen und politischen Widrigkeiten. Ein Beispiel ist der bereichsübergreifende Charakter von Content Management: Bei einer unternehmensweiten ECM-Einführung müssen Gruppen zusammenarbeiten, die ansonsten wenige Berührungspunkte haben - beispielsweise das SAP-Team und das E-Mail-Team. Ein weiterer typischer Stolperstein ist die Einordnung als Softwareprojekt: "Es geht bei ECM um ein neues Paradigma, das vom Anwender eine völlig neue Arbeitsweise verlangt. Wenn man das schon am Anfang falsch vermittelt, wird es nicht funktionieren", erklärt Fischer.

Für den Einstieg in ein unternehmensweites ECM-Konzept bot sich bei der Koehler AG der Bereich unstrukturierter Daten an - also der gesamte Output rund um Office-Anwendungen. Traditionell wurde der gesamte Dateibestand auf lokalen Festplatten und auf Netzwerk-Shares gespeichert. Im Rahmen der neuen Strategie sollte dafür künftig eine Portallösung mit Volltextsuche zuständig sein. Anders als in der Branche üblich, schaute Fischer sich dabei zunächst nicht nach dem geeigneten Produkt um, sondern er machte sich als Erstes daran, ein geeignetes Schulungskonzept zu finden. Hierbei sollte es zunächst darum gehen, den Anwendern die Vorteile der Portaltechnologie gegenüber den simplen Netzwerkordnern zu vermitteln. "Man muss hier gute Argumente ins Feld führen, denn zu den typischen Gegenargumenten gehört beispielsweise, dass man seine Dateien und Mails auch ohne Suchmaschine findet", sagt Fischer. Als Erfolg versprechend erweist es sich in dieser Situation, wenn man sich zunächst strategisch denkende Mitarbeiter aus den Fachabteilungen sucht, die nicht zu sehr in Prozessen und Technologien verhaftet sind. Diesen Personenkreis muss man als Erstes von der ECM-Vision überzeugen, ohne dabei schon Produkte oder Technologien ins Spiel zu bringen. Zu den zentralen Fragen zählt dabei, welche Objekte archiviert werden sollen und welche müssen, welche Rolle hierbei eine Suchmaschine spielt und dergleichen. Geht man an dieser Stelle schon zu sehr in die Details, bestehe die Gefahr, so Fischer, dass anschließend in den Fachbereichen bereits über Vor- und Nachteile bestimmter Lösungen diskutiert wird, noch bevor sich die IT überhaupt Gedanken über das geeignete Portalsystem gemacht hat.

Fachbereiche vorbereiten

Nach dem Austausch mit den Multiplikatoren aus den Fachbereichen sollte ein Schulungskonzept entwickelt werden, das genau auf die Erwartungen der Mitarbeiter zugeschnitten ist und sie da abholt, wo sie stehen. Zur Diskussion stehen hier diverse Fragen, etwa warum heutige Arbeitsweisen nicht mehr richtig sind oder welche Probleme im Zusammenhang mit redundanten Datenbeständen und Arbeitsabläufen entstehen. Bei der Koehler AG beispielsweise hat man festgestellt, dass 30 Prozent der Office-Daten überflüssig gespeichert sind - teilweise unter anderem Namen in geänderten Versionen. Unkontrollierte Modifikationen können in diesem Bereich dazu führen, dass ein Ursprungsdokument, das entscheidungsrelevante Informationen enthält, sich mit der Zeit unbemerkt verändert und dann später in einer nicht autorisierten Version verwendet wird, ohne dass dem Benutzer die Abweichungen vom Original bewusst sind - mit möglicherweise fatalen Folgen für geschäftliche Vorgänge.

Bei der Initialschulung von 150 bis 200 Verwaltungsmitarbeitern hat Fischer bewusst überdurchschnittlich viel Aufwand betrieben - in Gruppen bis maximal zehn Leuten wurden zwei Mal zweieinhalb Stunden abgehalten. "In der ersten Sitzung wurde überhaupt nichts am PC gezeigt, sondern nur Konzepte wie Versionierung, DRM oder Zusammenarbeit vorgestellt, bevor wir dann konkrete Arbeitsschritte wie beispielsweise das portalbasierende Speichern von Dateien gezeigt haben", schildert Fischer.

Metadaten oder Volltext

Wichtig war vor allem das Verständnis für Metadaten und Bibliotheken, weil die Anwender in der Vergangenheit einfach nur Dateien gespeichert haben. Heute können sich Fachabteilungen auf der Grundlage der Portallösung entscheiden, ob sie Metadaten nutzen möchten oder nicht. Falls ja, dann geben die Mitarbeiter beim Speichern von Dateien die entsprechenden Schlagwörter mit. Viele Abteilungen arbeiten aber auch ausschließlich mit der Volltextsuche, was nicht zuletzt an der Konditionierung durch das Internet liegt, so Fischer: "Bei Schulungen wird ständig der Vergleich mit Google gezogen, und deshalb ist heute der Anspruch an eine ECM-Lösung ganz klar der, dass so ein System wie eine Suchmaschine funktionieren muss." Für die IT gilt es hier, eine Gratwanderung zu vollziehen: Während eine Volltextsuche à la Google vordergründig die Akzeptanz einer Content-Anwendung steigert, weichen die qualitativen Erwartungen an eine Unternehmenssuchmaschine deutlich von denen an eine Web-Suche ab. "Zweihunderttausend Treffer sind bei Google keine Seltenheit, im Unternehmen würde das aber kein Benutzer akzeptieren. Hier möchte man auf Anhieb genau das Dokument finden, das man sucht", so Fischer. Anderenfalls komme die IT in Argumentationsnöte, da Vergleiche zu den althergebrachten Ablagestrukturen gezogen werden.

Skeptiker umgestimmt

Nachdem die Mitarbeiter aufgrund der gut geplanten Vorbereitung auf das unternehmensweite Sharepoint-Portal eingestimmt wurden, konnte das Vorhaben letzten Endes erfolgreich in die Tat umgesetzt werden. Selbst anfängliche Portalskeptiker stimmte Fischer mit seinem Projekt zu zufriedenen Anwendern um, wie er mit Freude berichtet: "Der größte Gegner in unserem Unternehmen hat sich in der Zwischenzeit zum begeisterten Nutzer unseres Content-Portals gewandelt."

Wolfgang Miedl ist freier Journalist in Erding.