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Ebay Deutschland im Gespräch

08.12.1999
Oliver Samwer über Pannen, Strategien, Recht und Träume

Mit Oliver Samwer, Europa-Geschäftsführer des Internet-Auktionsanbieters Ebay, sprachen die CW-Redakteure Peter Gruber und Wolfgang Terhörst über technische Pannen, Strategien, rechtsfreie Räume und persönliche Träume.

CW: Ebay Amerika mußte in der jüngsten Vergangenheit einige Systemausfälle verkraften. Was war da los?

SAMWER: Ebay ist so stark gewachsen, daß die Technologie irgendwann nicht mehr die erste Priorität einnahm.

CW: Das Marketing ist in den Vordergrund gerückt?

SAMWER: Ja. Das war für uns eine bittere Erkenntnis, weil der Ebay-Ausfall unter dem Aspekt des Imageverlustes durchaus mit dem von AOL vergleichbar ist, als 17 Stunden keine E-Mails verschickt und empfangen werden konnten.

CW: Warum begeht ein Unternehmen wie Ebay, das sich alles, nur keinen Systemstillstand leisten kann, einen solchen Fehler?

SAMWER: Diese Panne unterlief uns, weil wir den Nutzeransturm schlicht unterschätzt haben. Das war ein peinlicher Anfängerfehler.

CW: Wie haben Sie darauf reagiert?

SAMWER: Wir haben einen neuen CIO, Maynard Webb, davor CIO bei Gateway. Und wir haben Technikfachleute von IBM und Sun geholt. Absolute Priorität haben jetzt Stabilität und Skalierbarkeit. Das Problem war bisher immer die Datenbank. Wir haben jetzt ein Hot-Backup eingeführt. Da liegen wir zur Zeit noch eine Stunde zurück. Der Echtzeitabgleich ist ein Riesenproblem - ebenso die Hardware.

CW: Welche Technik setzen Sie ein?

SAMWER: Wir sind der weltweit zweitgrößte Kunde von Sun. Wir haben sechs "Enterprise-10 000"-Server im Einsatz und verlassen uns auf eine Oracle-8-Datenbank. Sun kann im Moment nicht soviel liefern, wie wir bräuchten. Die Auktionssoftware in den USA ist selbstgeschrieben, in Deutschland arbeiteten wir bislang mit Software von Living Systems aus Villingen-Schwenningen. Allerdings werden wir jetzt auf das US-System umsteigen.

CW: Warum?

SAMWER: Wir sind mit Living Systems sehr zufrieden. Aber wir wollen die Technologie jetzt vereinheitlichen. Skalierbarkeit spielt natürlich auch eine Rolle. Die Technologie wird zum kritischen Faktor - einige unserer Wettbewerber, darunter einer aus England und einer aus Deutschland, werden über kurz oder lang große Probleme bekommen.

CW: Sie meinen Ricardo.de und QXL?

SAMWER: Ja. Unsere Leute schauen sich die Systeme der Konkurrenten genau an. Eigentlich müssen die im Hinterstübchen sitzen und eine zweite Softwaregeneration schaffen. Mit den jetzigen Systemen können die nicht die Last bewältigen, die wir in Deutschland momentan tragen.

CW: Was hat sich Ebay für die nächste Zeit vorgenommen?

SAMWER: Was wir erreichen wollen, ist das "Ebay anywhere". Das Handy ist dafür prädestiniert. Wir bieten sowohl einen Service für die bestehende Gerätegeneration per SMS als auch seit kurzem einen ganz neuen Service auf Basis des Wireless Application Protocol (WAP). Mit Nokia und Mannesmann haben wir eine Lösung realisiert, über die Kunden via Handy mitbieten können.

CW: Wie groß ist hierzulande der Markt für solche mobilen Dienste?

SAMWER: Wir rechnen damit, daß in den ersten drei Monaten etwa 20 000 Nutzer den SMS-Dienst nutzen wollen und WAP vielleicht ein paar hundert. Das hat für uns natürlich auch einen Experimentiercharakter.

CW: Welche Rollen spielen hier die Handy-Hersteller?

SAMWER: Eine immense. Wir sprechen mit Nokia und Ericsson über Portale. Die konfigurieren die Geräte doch vor. Entscheidend ist, wer in den Bookmarks an erster Stelle steht - Amazon, Ebay oder Ricardo? Die Handy-Hersteller haben die Möglichkeit, beim mobilen Web-Zugang eine ähnlich dominierende Position wie AOL einzunehmen.

CW: Was haben Sie außer Mobilfunk noch vor?

SAMWER: Wir erstellen regionale Angebote. Ebay hat im Mai eine lokale Plattform für Los Angeles als Prototyp gestartet. Das hängt mit dem dritten Aspekt unserer Strategie zusammen, mehr höherwertigere Güter zu versteigern. Schließlich leben wir von den Provisionen. Und Waren wie Surfboards, Kühlschränke oder Fahrräder werden eigentlich nur lokal gehandelt. Die Leute wollen sich die Ware unter Umständen vorher ansehen. Wir werden noch bis Ende dieses Jahres Ebay-Berlin und Ebay-München starten. Das sind die Städte, wo wir die meisten Nutzer haben.

CW: Was haben Sie noch in der Tasche?

SAMWER: Wir arbeiten im Moment an einem Treuhand-Kontosystem, das eine Zug-um-Zug-Abwicklung vor allem von höherwertigen Auktionen möglich macht - und zwar integriert mit einer Bank und einem Logistikunternehmen. Das werden wir europaweit bis zum 15. Januar 2000 in Gang bringen. Bis 200 Mark haben Sie heute die Ebay-Garantie. Das heißt, wenn etwas schiefgeht, bekommen Sie das Geld von uns zurück. Das war nur möglich, weil wir unserem Versicherer nachweisen konnten, daß wir nicht mehr als 34 solcher Ausfälle aus 250 000 Vorgängen haben. Bei höherwertigen Gütern brauchen wir aber nun ähnlich wie im Versandhandel ein Konzept, das es den Nutzern erlaubt, die Ware vorher anzuschauen.

CW: Wie funktioniert das praktisch?

SAMWER: Sie bekommen beispielsweise eine E-Mail mit der Information, daß Sie ein teures Produkt ersteigert haben. Jetzt können Sie den Ebay-Treuhandservice zu nutzen, indem Sie einen Button anklicken. Daraufhin kommt der Logistiker zum Anbieter, holt das Produkt ab und bringt es zum Käufer. Bei der Übergabe an den Logistiker belastet die Bank das Konto des Käufers. Dieser hat nun 48 Stunden Zeit, sich die Ware anzuschauen. Kommt in dieser Zeit keine Reaktion, wird das Geld von der Bank an den Anbieter überwiesen. Ist er mit der Lieferung nicht einverstanden, bekommt er sein Geld zurück. Das einzige Risiko für den Verkäufer, die Transportkosten, übernimmt Ebay.

CW: Welche Rolle spielen bei Ebay künftig Auktionen auf Business-to-Business-(B2B-)Ebene?

SAMWER: Wir haben mit Ebay-Pro in Deutschland als erste Ebay-Niederlassung einen solchen Dienst eingeführt. In einer Umfrage haben acht Prozent unserer Kunden Interesse geäußert, Ebay auch für Beschaffungen im Unternehmen zu nutzen.

CW: Wie sieht es da mit der Glaubwürdigkeit aus? Sie haben doch eher den Flohmarkt-Anstrich.

SAMWER: Wir führen hier mit Verbänden Gespräche. Ganz wichtig ist die Authentifizierung. Im Kunstbereich arbeiten wir mit Sachverständigen zusammen. Eine der Kooperationen, die wir bald bekanntgeben werden, betrifft den TÜV. Auf Wunsch kommt dann ein TÜV-Mitarbeiter zum Verkäufer und verleiht ihm ein Zertifikat, mit dem er bei potentiellen Bietern werben kann. Wir schaffen derzeit Services rund um unser Kernangebot. Wegen unserer Transaktionsvolumina bekommen wir große Discounts bei den Service-Anbietern, die wir dann wieder an unsere Kunden weitergeben können.

CW: Wo erwarten Sie die preisliche Obergrenze für Auktionsangebote?

SAMWER: Wir sehen eine Spanne von etwa 5 000 bis 100 000 Mark für höherwertige Güter.

CW: Ist Ebay lediglich ein Marktplatz, oder wollen Sie mehr?

SAMWER: Es gibt zwei Modelle, die sich sehr ähnlich sind: Consumer-to-Consumer und Business-to-Business. Business-to-Consumer funktioniert ganz anders. Da habe ich ein Lager oder bin Kommissionär. Das ist ein ganz anderes Risiko.

CW: Und das wollen Sie nicht eingehen?

SAMWER: Richtig.

CW: Wie steht’s mit Neuwaren?

SAMWER: Kein Interesse, das sollen andere machen. Wir wollen wie im Consumer-Bereich nur gebrauchte Maschinen, gebrauchte Werkzeuge oder beispielsweise Restposten anbieten. Hier wollen wir Weltmarktführer sein. Bei uns soll sich der Münzsammler genauso wohl fühlen wie der Automobil-Einkäufer oder -Verkäufer.

CW: Haften Sie als virtuelle Mittler bei einer Auktion?

SAMWER: Es gab schon einen Prozeß in dieser Angelegenheit. Das Ergebnis: Ebay haftet nicht. In unseren Geschäftsbedingungen steht eindeutig, daß es sich um einen Marktplatz handelt. Anders als bei einer richtigen Auktion entscheidet nicht das Höchstgebot, sondern der Zeitpunkt des Abschlusses. Das heißt, das Ende der Auktion ist eindeutig terminiert. Deshalb sind wir eher mit einer Börse vergleichbar. Sollte das System einmal eine Stunde ausfallen, wird die Auktion entsprechend verlängert.

CW: Gibt es für den Consumer-to-Consumer-Handel im Web eine eindeutige Rechtsprechung?

SAMWER: Nein, aber es gibt auch keinen Gesetzestext, in dem explizit steht, daß Privat-zu-Privat-Auktionen von gebrauchten Artikeln nicht rechtens wären. In Deutschland ist noch kein Fall bekannt, in dem Consumer-zu-Consumer-Auktionen im Web in irgendeiner Form rechtlich belangt worden wären. Das erklärt sich dadurch, daß wegen der Gebrauchtgüter - und nichts anderes wird bei Ebay gehandelt - keine Haftung sowie keine Ankündigungspflicht durch einen offiziellen Auktionator besteht. Anders verhält es sich bei Auktionen mit neuen Produkten.

CW: Unterscheidet sich die deutsche Gesetzgebung in dieser Frage von anderen Ländern?

SAMWER: In anderen Ländern sind auch Neuwaren für Online-Auktionen zugelassen. Außerdem sehen es die Richter in anderen Ländern pragmatischer. Vereinfacht gesagt, betrachten sie Versteigerungen im Web als eine Form von Internet-Sales. Es kann uns also passieren, daß wir das Wort Auktionen streichen müssen. Damit hätten wir aber das geringste Problem, weil wir uns ja als Trading Community verstehen. Unser Ziel ist es, Marktplatz zu sein für alles Gebrauchte in dieser Welt. Die Auktion ist dabei nur der Preisfindungsmechanismus.

CW: Mit Ihrem breiten Ansatz, der die Versteigerung aller Güter vorsieht, könnten Sie sich verzetteln. Haben Spezialanbieter langfristig nicht die besseren Karten?

SAMWER: Die sind fast alle gescheitert, weil die Menschen eben nicht nur ein Interesse haben. Selbst der Hardcore-Ebay-Kunde verbringt nicht mehr als sechzig Prozent seiner Zeit in einer Kategorie.

CW: Wie gut kennen Sie Ihre Kunden?

SAMWER: Wir haben sehr viele Informationen über die Wünsche der Kunden, weil wir den Customer-Support nie ausgelagert haben. Wir werten genau aus, wie gesucht wird, wie gesurft wird - das ist für jedes Land nachvollziehbar, und außerdem läßt natürlich die E-Mail-Adresse Rückschlüsse zu.

CW: Haben Sie keine datenschutzrechtlichen Bedenken?

SAMWER: Innerhalb der Company dürfen wir das nutzen. Wir erheben ja keine personenspezifischen Daten, sondern wissen lediglich, daß zum Beispiel 4000 Kunden aus Schweden kommen.

CW: Wann macht Ebay Deutschland Gewinn?

SAMWER: Ich kann sicher sagen, daß wir im ersten Halbjahr des kommenden Jahres profitabel sind.

CW: Herr Samwer, Sie sind jetzt 26 Jahre alt und verfügen als Europa-Geschäftsführer eines der größten Internet-Unternehmen über ein komfortables Bankkonto. Haben Sie noch Träume?

SAMWER: Im Moment bin ich sehr zufrieden und sehr beschäftigt - wir haben noch viel vor mit Ebay. Allerdings träume ich schon davon, vielleicht mit dem ehemaligen Alando-Team zusammen, einmal eine Geschäftsidee umzusetzen, bei der wir dann weltweit die ersten wären.

CW: Im Bereich Mobilfunk und Internet?

SAMWER: Wer weiß.

HINTERGRUND: EBAY IN ZAHLEN

Das weltweit größte Internet-Auktionshaus Ebay wurde 1995 in den USA von Pierre Omidyar gegründet. Ebay Deutschland entstammt der im Mai 1999 vollzogenen Fusion mit der von den drei Brüdern Marc, Oliver und Alexander Samwer und ihren Freunden Max Finger, Karel Dörner und Jörg Rheinboldt Anfang 1999 ins Leben gerufenen Alando.de AG. Nach Aussage von Oliver Samwer hat Ebay in Amerika derzeit knapp zehn Millionen Mitglieder, in Deutschland sind es 350 000. Das Unternehmen wächst hierzulande täglich um 3500 Mitglieder, in den USA um 30 000. In den letzten zwölf Monaten wurden über Ebay Waren im Wert von 2,8 Milliarden Dollar umgesetzt. Über Ebay.com werden jede Sekunde über 11 000 Transaktionen abgewickelt. Für Samwer ist das Angebot daher mit einem Börsensystem vergleichbar.