Datenverarbeitung im Handel:

EAN für Lebensmitteleinzelhandel zu teuer

03.06.1977

Der Arbeitgeberverband des Groß- und Außenhandels hat recherchiert, daß 71 Prozent der Großhändler überzeugte EDV-Anwender seien. Je größer das Unternehmen, desto notwendiger der EDV-Einsatz. So steigt die Zahl der Anwender von 64 Prozent bei Firmen mit bis 10 Millionen Umsatz bis auf 90 Prozent bei Firmen mit über 50 Millionen Umsatz. Schon diese Zahlen zeigen den hohen EDV-Anwendungsgrad im Handel auf, sind doch in diesem Bereich die unterschiedlichsten Handelsarten zusammengefaßt. Zumindest braucht sich der Handel sowohl in der Anwendungshäufigkeit wie auch in der Anwendungskomplexität nicht vor der EDV-Integration in anderen Wirtschafts- und Verwaltungsbereichen zu vestecken.

Schon immer war es ein Problem, die Warenwirtschaft eines größeren Handelsunternehmens im Griff zu haben. Beim Großhandel gibt es schon längere Zeit eine qualitativ immer besser werdende, fast vollkommene Kette vom Wareneingang bis zum Warenausgang. Anders sieht es beim Einzelhandel aus. Erst seit es POS-Kassensysteme gibt, besteht hier die technische Möglichkeit zur qualitativen Verbesserung.

POS-Kassensysteme haben aber auch heute noch einen sehr großen Nachteil: sie sind speziell für den Lebensmitteleinzelhandel und andere kleine Betriebsformen des Einzelhandels viel zu teuer. Man muß sogar die Gefahr sehen, daß der Einsatz von POS-Kassensystemen mit Scanner und Filialrechner für Großbetriebe Kostenvorteile gegenüber der kleinen Konkurrenz verstärkt und sogar über die Ebene der "Tante-Emma-Läden" hinaus das Sterben auf eine höhere Stufe hebt, so daß kleine, räumlich relativ verbrauchernahe Filialen verschwinden. Dies gilt für den selbständigen Lebensmittelhändler mit kleinem Supermarkt selbst dann, wenn er einer Kette angeschlossen ist.

Kommen wir zu einem weiteren Problem des Handels, vor allem des Lebensmittelhandels: die Europäische Artikelnummer (EAN). Bringt diese den entscheidenden Rationalisierungsdurchbruch? Als Voraussetzung für die maschinelle Artikelidentifizierung, die etwa im UPC-Strichcode vom Hersteller auf die Warenverpackung aufgebracht wird, hat EAN die entscheidende Bedeutung. Leider aber wieder nur für größere Betriebe und nicht für den kleinen Supermarkt an der Ecke, der sich kein Scannersystem leisten kann. Für die manuelle Erfassung ist die EAN unmöglich. Man sollte die Hoffnung aber nicht aufgeben, daß auch bei Kassensystemen eine schnelle Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses eintreten wird. Überhaupt sollten solche Systeme nicht in erster Linie dem Verbessern des Kassenvorganges dienen, sondern - viel wichtiger - die durch artikelmäßiges Erfassen des Verkaufs ermöglichte qualitative Verbesserung des Warenwirtschaftssystems. Hoffen wir nur, daß die EAN eine schnellere und vor allem weitere Verbreitung findet als seinerzeit die ban-L-Nummern, die primär dem zwischenbetrieblichen Informationsaustausch dienen sollte.

In diesem Zusammenhang sei noch ein letztes Problem angeschnitten: Das Streckengeschäft (bei dem die Ware an den Einzelhändler bzw. an die Filiale geliefert, aber an den Großhändler bzw. an die Filialzentrale berechnet wird), das besondere Anforderungen an die Datenerfassung und -verarbeitung stellt und sich in idealer Weise für eine Kooperation zwischen Industrie und Handel anbietet. Von der Centrale für Coorganisation in Köln sind Lösungsvorschläge erarbeitet worden, die aber noch nicht voll durchsetzbar sind. Gegen den Datenträgeraustausch spricht der Erfahrungswert einer Kettengroßhändlerorganisation, die auf eine Fehlerquote von 0,23 Prozent vom Umsatz bei Rechnungen der Industrie hinweist (nur falsche Preise und Mengen, ohne Berücksichtigung sonstiger Fehler). Kann ein kleiner Einzelhändler, der im Konkurrenzkampf gegen die großen der Branche steht, ungeprüft Angaben des Lieferanten übernehmen? Wenn er aber ohnehin alles noch einmal abhaken muß, kann er auch artikelmäßig die Streckenlieferungen erfassen und versuchen, nach einer Selbstbelastung diese "Pro-forma-Rechnung" maschinell mit der Rechnung des Lieferanten abzugleichen. Diese Erfassung der Streckenlieferungen bringt allerdings einige Schwierigkeiten, denn noch sind Belege sowohl von Format, Schreibqualität und Aufbau her sehr verschieden, so daß auch Mikroverfilmung fast unmöglich wird. Die zweite Schwierigkeit liegt in den verschiedenen Artikelnummern, die in den betroffenen Unternehmen Verwendung finden. Die ban-L-Nummer war ein erster Ansatz, der jetzt durch die EAN ersetzt werden soll, die durch die größere Stellenzahl zu einem Umbau der vorhandenen EDV-Organisation führt. Bei guter Planung könnte die EAN aber eine Erleichterung bringen. Denn die Länder Flag (2stellig) und die 5stellige bbn (bundeseinheitliche Betriebsnummer) braucht man nur einmal je Lieferschein zu erfassen, so daß je Position nur noch die 5stellige Hersteller-individuelle Artikelnummer zum Erfassen übrigbleibt. Dazu käme dann noch die Prüfziffer, zu deren neuen Berechnung das Länderkennzeichen und die bbn jeweils vom Erfassungsprogramm vorgesetzt werden muß. Dadurch wird auch die schwache Sicherheitsgewichtung der EAN-Prüfziffer etwas reduziert.

Vielleicht kommt eine Datenaustausch-Clearingstelle für den Verkehr zwischen Industrie und Handel?

* DV-Leiter der Firma Schulze, Kiel