IT in der Automobilindustrie

E-Markets liefern sich heiße Rennen

01.09.2000
Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind - auch im Internet. Unzählige Web-Auftritte belegen das Interesse von Herstellern und Händlern, Versicherern und Vermietern, untereinander oder mit dem Endverbraucher Geschäfte zu machen. Doch ist der Kunde noch längst nicht König. Niemand bietet ihm, was er will: den Rundum-Service, vom Autokauf bis zum Verkehrsanwalt. Gerda von Radetzky* steuerte einige Auto-Plattformen an.

Auto-Fanatiker finden alles im Netz, bis zum Michael-Schumacher-Bildschirmschoner. Den bietet nicht Ferrari, sondern die HVsued aus Karlsfeld, die damit CD-Käufer locken will (www.michaelschumachercd.de). Denkbar ist weit mehr: Wir schreiben das Jahr 2010. Lieschen Müller entwirft am PC ihr Familienauto: Sie nimmt eine Audi-Karosserie, setzt darauf ein Mercedes-Hardtop, das auf Knopfdruck versinkt, baut einen Honda-Motor ein, eine Bose-Musikanlage, das neueste GPS, wählt das Ferrari-Rot und ordert das Auto vor die Garagentür. Noch ist dies nicht Wirklichkeit, doch Produktion nach Angaben des Kunden Just-in-Time, in der PC-Branche Realität, wird auch die Automobilisten erfassen.

Einige Hersteller lassen schon jetzt das Wunschauto zusammenstellen, jedoch nur mit vorgegebenen Teilen. Bei BMW soll der Käufer in Zukunft alle Vorbereitungen zum Kauf eines Autos, Motorrads oder Mini online abwickeln können. Der "Car Configurator" zur Zusammenstellung des Wunschfahrzeugs wird jetzt schon "sehr häufig" genutzt. Die neue Plattform wird seit Juli in den dreizehn wichtigsten BMW-Märkten, beginnend mit Frankreich und Südafrika, implementiert, auf der deutschen Site noch fehlende Features sollen in einem Jahr abrufbar sein.

Das Lieschen-Müller-Szenario birgt Chancen für die Hersteller und Gefahren für die Zulieferer. Denn es impliziert Standardisierungen, möglicherweise das Diktat einiger weniger Großer. Denn die Produzenten wollen Kosten senken: Vom Autobau über den Launch eines neuen Modells bis hin zum Druck bunter Broschüren. Im Februar kündigten die Konkurrenten Ford, General Motors (GM) und Daimler-Chrysler an, über Covisint (www.covisint.com) fortan gemeinsam einkaufen zu wollen. Zwei Monate später stieß der Konzern Nissan/Renault hinzu. Nach jüngsten Informationen will Fiat mitmachen, hat allerdings Probleme, da sich die Italiener bereits stark engagieren bei Fast Buyer, einem Online-Händler, dessen Angebote sich teilweise mit Covisint kreuzen. Aus den Häusern BMW und Volkswagen ist zu hören, man wolle die eigenen Handelsbeziehungen selbst ausweiten.

Nach eigenen Angaben bezahlen Daimler-Chrysler, Ford und GM pro Jahr 200 Milliarden US-Dollar für Zulieferteile. Investmentbanker Goldman Sachs geht davon aus, dass über gebündelten Teileeinkauf pro Auto 500 bis 1000 Dollar gespart werden könnten, was bis zu fünf Prozent der Herstellungskosten entspricht. GM hatte bereits Ende 1999 mit dem Softwarehersteller Commerce One ein Portal aufgebaut und Ford mit Oracle. Die beiden Partner blieben. Starten soll der Marktplatz im Herbst, viersprachig, sofern die US-amerikanische Federal Trade Comission grünes Licht gibt. Inzwischen hat auch das Bundeskartellamt eine Vorprüfung eingeleitet, denn mit einem gebündelten Einkauf könnte Marktbeherrschung entstehen. Die hochlöblichen Qualitäten des Internet - freie Information und Transparenz - können leicht zu Preisabsprachen führen. Es steht zu befürchten, dass nicht jeder Zulieferer mitmachen darf und der Druck vor allem auf Mittelständler zu Zusammenschlüssen zwingt.

Dass sich der Business-to-Business-Markt mit zunehmender Vernetzung ausweitet, ist unbestritten. Einen besonderen Weg hat die Dekra Holding eingeschlagen.

Über das Dekra-Schadennetz (www.dsn.dekra.de) (DSN) werden Werkstatt, Gutachter und Versicherer an einen Tisch gebracht und damit Zeit und Kosten erheblich reduziert. Die Werkstatt braucht nichts als einen Internet-Anschluss, legt für ein beschädigtes Auto eine virtuelle Akte an, der Gutachter erhält eine SMS auf sein Handy, dass er kommen soll, vervollständigt die Akte per Laptop und Kamera, die Akte wandert zum Versicherer, spätestens nach 24 Stunden soll das O.K. zur Reparatur in der Werkstatt sein.

Fehlt nur noch die SMS an den Geschädigten. Eine echte Win/ Win-Situation: Der Geschädigte ärgert sich nicht mit seiner Versicherung herum, die Werkstatt weiß, dass sie ihr Geld bekommt, Reparatur-Betrug wird eliminiert.

Udo Litz, Leiter des DSN, will "Mehrwert für alle Geschäftspartner schaffen. Wenn uns das gelingt, geht für alle Beteiligten das Modell auf." Er ist überzeugt, dass in Zukunft nur der gewinnt, der Old und New Economy verbindet zur One-Economy. Das Netzwerk soll nicht auf Dekra-Kunden und nicht auf Autoschäden beschränkt bleiben. Schon wird an eine Erweiterung gedacht, denn das DSN-Prinzip, die Verknüpfung aller Beteiligten über eine einzige virtuelle Akte, kann auf Sachschäden aller Art übertragen werden.

Revolution der Dienstleistung ist das Stichwort. Forit Internet Business Research (www.forit.de) kommt in ihrer neuesten Studie "Internet-Services rund ums Auto" denn auch zu einem eindeutigen Fazit: "Wir gehen davon aus, dass der Autoservicesmarkt im Gegensatz zum Automarkt im Internet deutlich höhere Gewinne verspricht und damit auch attraktiver wird." Die Frankfurter schätzen, dass der Markt bis 2005 auf knapp dreizehn Milliarden Euro wächst, wobei die klassischen Dienste wie Versicherung, Finanzierung und Leasing den Löwenanteil verbuchen dürften. Multimedialen Diensten werden noch wenig Chancen eingeräumt, da die Anschaffungen zu teuer und die technischen Plattformen erst "frühestens in drei Jahren" stehen. Ein zweiter Aspekt: "Bisherige randständige Player haben Chancen - Tankstellen, Medienunternehmen oder Autoclubs - neue Marktanteile im profitablen Geschäft mit Auto-nahen Services zu gewinnen."

Aber auch neue Anbieter gibt es, wie den virtuellen Neuwagen-Händler Getyourcar (www.getyourcar.de), der bisher 150 Händler auf seiner Plattform vereint. Seit Ende März am Netz, hofft Gründer Philip Harland bis Ende des Jahres 1500 Autos im Wert von durchschnittlich 40000 Mark zugelassen und vollgetankt vor eine Haustür gestellt zu haben, bar bezahlt, finanziert oder geleast. Bis Ende des Jahres sollen eine eigene Finanzierungsgesellschaft stehen, Probefahrten angeboten und Flottenmanagement betrieben werden. Harland beobachtet eine Verhaltensänderung des Käufers: "Wenn ein Fahrzeug besonders preisgünstig ist, nimmt der Kunde auch einen vorgefertigten Wagen, selbst wenn der nicht 100prozentig seiner Vorstellung entspricht." Und er unterstreicht ein Forit-Ergebnis: "Die Markenaffinität sinkt."

Trotz der Erfolge von Getyourcar dürfte im Privatgeschäft der Neuwagenhandel genau so schwierig sein wie der mit Gebrauchten. Denn alle Sinne kaufen mit: Der Fan will das Aufheulen des Motors hören, das Leder riechen, die Reifen berühren und das Metallicblau mit den Augen seiner Angebetenen vergleichen. Ob die BMW-Rechnung aufgeht, den Kauf total online abzuschließen, dürfte zumindest bei der deutschen Mentalität fraglich bleiben.

Peugeot-Händler Klaus Scheefeld betrachtet das Internet bei Neuwagen denn auch als Informationsdrehscheibe, die zwar nicht mehr wegzudenken ist, aber über die so schnell niemand kauft, selbst wenn demnächst die digitale Signatur rechtlich wirksame Abschlüsse ermöglicht. Bei Gebrauchtwagen ändert sich die Richtung. Der Bremer stellt seine Autos bei Auto Scout (www.autoscout24.de), Faircar (www.faircar.de) und Mobile (www.mobile.de) ein. Einer der Vorteile: Wenn ein Kunde einen neuen Peugeot haben und gleichzeitig den gebrauchten Golf verkaufen will, erreicht der Händler über die Internet-Börsen wesentlich billiger als über Zeitungsanzeigen und wesentlich mehr Nutzer, die nicht davon ausgehen können, dass der gesuchte Golf bei ihm steht.

Vor allem kurbeln die Börsen das Geschäft unter Händlern an, etwa 70 Prozent sind professionelle Zugriffe. Bei Scheefeld holen sich schon ein Drittel aller Händler die Informationen vorher über das Netz, fast zwei Drittel davon kommen über Auto Scout. Dies führt Scheefeld auf den Bekanntheitsgrad der Site zurück. Europaweit machen bei Auto Scout rund 3500 Händler mit, Scheefeld verkauft inzwischen bis nach Malaga. Aber ohne Telefon und Fax geht gar nichts: Feilschen lässt sich am besten mit der Stimme, und Wertgutachten werden - noch - per Fax versandt.

Als wesentlichen Vorteil von Auto Scout bezeichnet Scheefeld die Transparenz. Aus einer "Hit-Liste" kann er entnehmen, welcher Typ heiß begehrt ist, welcher überhaupt nicht läuft, wie viele eines bestimmten Typs angeboten werden, zu welchem Preis, ob sein Preis richtig angesetzt ist. Oder ob vielleicht nur das Foto des Konkurrenten verkaufsfördernder ist als seines.

Die 25 deutschen Peugeot-Händler sind laut Scheefeld längst noch nicht alle intern so verknüpft, dass sie das Netz nutzen können. Die Site www.peugeot.de soll alle vereinen, sie wird zur Zeit verfeinert. Auch hier wird es Links auf die Autobörsen geben.

Und dazu gehört auch Faircar, eine gemessen an Mobile mit mehr als 300000 und Auto Scout mit mehr als 250000 Angeboten kleine Börse mit rund 105000 Gebrauchten. Hier handelt es sich nicht um eine New Economy, eine rein virtuelle Plattform, sondern um eine Internet-Firma, die je zur Hälfte der Dekra Holding und dem Medienkonzern Gruner + Jahr gehört.

Es lassen sich exotische Ausstattungen findenGegenüber allen anderen Gebrauchtbörsen hat sie einen Vorteil: eine Suchmaschine, mit der sich auch exotischste Ausstattungen finden lassen, sofern sie von den mehr als 2600 Händlern, zu 90 Prozent Markenhändler, angeboten werden. In puncto Aktualität zieht die Autobörse (www.autoboerse.de) mit: Automatisch wird nach vierzehn Tagen eine Anzeige gelöscht, der Händler wird unterrichtet und kann ein nicht verkauftes Auto sofort wieder einstellen. Das erklärt vielleicht auch so manche Differenz in den Stückzahlen, mit denen die Börsen werben.

Die Autobörse, eine Schwester der zur Wehrhahn-Gruppe gehörenden AKB-Bank, lässt auch privat anbieten. Die AKB, nach eigenen Aussagen mit 60 Prozent aller rund 24000 deutschen Markenhändler als Zweitbank im Geschäft, führt wie die Dekra das Know-how aus der Old Economy über Internet-Technologie zu neuen Diensten, wobei die Auto-Plattform gleichzeitig als Test für den E-Commerce der Gruppe dient. In das Marketing der Site werden zehn Millionen Mark gesteckt. Bisher verscherbeln rund 3400 Händler Gebrauchte mit Durchschnittspreisen von rund 16000 Mark; ab Herbst sollen ein Online-Kalkulator für die Finanzierung und ein Lieferservice das Angebot komplettieren: Der Interessierte zahlt 300 Mark, fährt Probe - will er das Auto, wird die Anzahlung verrechnet.

Über den Transport will auch Dekra-Konkurrent TÜV-Süd zusammen mit dem Süddeutschen Verlag Kunden über eine gerade entstehende Autobörse ködern. Der TÜV prüft den Gebrauchten und sorgt für dessen Transport. Audi hingegen setzt auf Selbstabholer und lässt über Travel 24 ein Ausflugspaket nach Ingolstadt online buchen. Den Transport unter Händlern, den bisher der Käufer organisiert, nimmt Auto Scout inzwischen über www.transportscout24.de dem Händler ab.

Noch ist nicht entschieden, wer wen überholt. Sönke Roggenbuck, Marketing-Koordinator der Autobörse, schätzt, dass "in zwei Jahren allerhöchstens fünf Börsen" übrig bleiben. Laut Forit wird selbst den Großen das Online-Geschäft nur gelingen, wenn sie die "wichtigste Hürde" entfernen: das Fehlen des Ansprechpartners. Der Kunde wird König, nicht die Technik.

* Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.

Kfz-Werkstätten im Web abgezocktGünter Freiherr von Gravenreuth - immer wieder durch Abmahnungen im Gespräch - hat Konkurrenz bekommen. Seit dem Frühjahr schicken die Kanzleien Werts & Rijsberger, Tübingen, und Nägelein & Kollegen, Wendelstein, Abmahnungen an im Web auftretende Kfz-Werkstätten, mit der Begründung, die Servicebetriebe hätten mit "komplette Unfallabwicklung", "Unfallkomplettservice" oder "Schadensabwicklung" und damit mit unzulässiger Rechtsberatung geworben. Für jede Abmahnung kassieren sie tausend Mark. Wie allerdings eine Kfz-Werkstatt in Kiel einem oberpfälzischen Anwalt die Mandanten streitig machen soll, ist schleierhaft.

Es ist zu vermuten, dass die meisten zahlten, nur um die Sache vom Tisch zu haben. In der Branche spricht man von mehreren hundert Fällen.

Aber die Richter blicken durch. Das Amtsgericht Fürth stellte in einem Urteil vom 7. Juni 2000 (AZ 330C 1192/00) ausdrücklich fest: "Das Gericht vermag nicht mehr nachzuvollziehen, dass dem Kläger (RA Nägelein, die Red.) wirklich an der Wahrung lauteren Wettbewerbs und nicht vorrangig an seinem Gebühreninteresse gelegen ist, wenn er so vorgeht wie hier."

Das Landgericht Tübingen lehnte am 20. Juni 2000(AZ 2 KfHO 87/2000) eine Klage der Kanzlei Werts & Rijsberger gegen ein Autohaus ab: "Falls die Beklagte mit ihrer Homepage lediglich den Anschein erweckt hat, rechtsberatend tätig zu sein, dies aber in Wahrheit nicht ist, genügt dies nicht für die Klagebefugnis".

Der Zentralverband Karosserie- und Fahrzeugtechnik lässt zur Zeit über die Münchner Kanzlei Dr. Frank, Dr. Schäfer & Kollegen die Rechtslage prüfen, um das Abmahnwesen möglichst schnell zu stoppen. Werkstätten, die behelligt worden sind, können sich dort melden (E-Mail: fsrb.rechtsanwaelte@t-online.de). GvR

Abb: Auto-nahe Services lassen sich nach Ort und Zeitpunkt der Nutzung unterscheiden. Quelle: Forit