Anbieter wittern das große Geschäft

E-Learning: Synonym für lebenslanges Lernen

05.01.2001
Die sechste internationale Weiterbildungskonferenz Online-Educa in Berlin weckte bei Anbietern von Web-basiertem Training große Hoffnungen. E-Learning wird zum Synonym für lebenslanges Lernen. Von Kathi Seefeld*

Mehr als 1000 Teilnehmer aus Wissenschaft und Wirtschaft lockte die nunmehr sechste Weiterbildungskonferenz Online-Educa Anfang Dezember nach Berlin. Nie war die E-Learning-Euphorie gerade unter den Schulungsanbietern auf der internationalen Konferenz für telematisch gestützte Aus- und Fortbildung größer. "Wir haben das Gefühl, immer mehr Unternehmen suchen Angebote, die es ihnen ermöglichen, Mitarbeiter zeitlich unabhängiger, zielgerichteter und individueller weiterzubilden", beobachtet Wolfgang Werner, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Sendler & Partner.

Der Wunsch nach arbeitsplatznahem Lernen mit einem weltweiten Zugriff auf standardisierte Schulungsangebote wächst. Arbeiten und Lernen sind nicht mehr voneinander zu trennen, ist der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Uwe Thomas, überzeugt. So eint das Interesse an qualitativ hochwertiger Weiterbildung beide Seiten: Unternehmensführung und Mitarbeiter. Für Mike Couzens, Vice President, Corporate Communications & Training vom Netzwerkpionier Cisco, stecken im Fernlernen gewaltige Wachstumspotenziale.

Aus Couzens Sicht ist das E-Learning-Tempo in Europa noch lange nicht so, wie es sein könnte. Noch immer schickten viele Unternehmen die Mitarbeiter zu Seminaren außerhalb der Firma. Dafür geben die Betriebe in Deutschland rund 40 Milliarden Mark jährlich aus. Neben den Kosten für die Lehrgänge kommt noch die Abwesenheit vom Arbeitsplatz dazu.

Das Bergisch-Gladbacher Weiterbildungsunternehmen Add Brain hatte nur wenige Tage vor der Online-Educa ein neues Geschäftsmodell präsentiert, das den Bedürfnissen von Unternehmen mit weniger als 1000 Mitarbeitern Rechnung trägt. Add Brain bietet, wie der Sprecher Rolf Schneidereit erklärte, die "Internet-Universität zum Mieten" an. Mit "Con" (Competence Operation Network), so der Name für das IT-gestützte System, könnten mittelständische Firmen bereits ab knapp 100 Mark pro Mitarbeiter und Jahr von der Internet-Weiterbildung profitieren.

Mit den Möglichkeiten, Daten künftig schneller und in größeren Mengen zu übertragen, steigen die Chancen für die Anbieter von E-Learning-Produkten. "Solange die technischen Voraussetzungen in den kleineren Unternehmen nicht gegeben sind", konstatierte Berater Werner, "sollten seriöse Anbieter darauf verzichten, aufwendige Videos oder andere Dinge anzubieten, die die ohnehin vorhandenen Vorurteile gegenüber dem ,Lehrer aus dem Off'' verstärken könnten." Schließlich dürfe nicht der Eindruck entstehen, E-Learning sei eine Frage der Technik und weniger eine Chance zur Entwicklung und Befriedigung menschlicher Bedürfnisse.

Bei großen Konzernen existieren kaum noch Bauchschmerzen, die volle Bandbreite des E-Learnings anzuwenden. IBM will bis 2003 alle zu IT-Themen anfallenden Weiterbildungen zu 50 Prozent online anbieten. Durch seine konzerneigene Universität hat der Computerriese eigenen Angaben zufolge jährlich rund 100 Millionen Dollar Reisekosten weniger zu verbuchen. Siemens will im Zuge seines Wandels zur "E-Company" weltweit rund 440000 Mitarbeiter vernetzen.

Ob Großkonzern oder Mittelstand - die Unternehmen stehen alle vor den gleichen Fragen: Welche Softwareplattform ist die richtige, sollen Online-Tutoren eingesetzt werden, welche Web-basierten Lerninhalte sind verfügbar und wie sind Lernprozesse zu strukturieren und zu organisieren. Für eine Web-basierte Lernplattform muss ein Unternehmen heute, wenn es etwa 15000 Mitarbeiter erreichen will, zwischen ein und zwei Millionen Mark investieren.

Telekom, Deutsche Bank und Hewlett-Packard setzen auf die Bildungsplattform der Learning-Online AG. Es zeigt sich, dass bei fast allen Unternehmen E-Learning zunächst in traditionelle Seminarangebote integriert wird. Jaan Netzow, Vorstand von Learning-Online, beschrieb dies am Beispiel eines Unix-Grundlagenkurses für Hewlett-Packard. Das Online-Seminar wurde in ein dreigeteiltes Schulsystem eingebunden; ergänzt von virtuellem Klassenzimmer und Live-Training. Netzow, der vor seiner Tätigkeit bei Learning-Online das Fernlernsystem der Deutschen Bank aufbaute, weiß, was den großen Unternehmen an der neuen Form der Weiterbildung gefällt: geringe Ausfallzeiten, preisgünstige Lernmodule, schnelle Produktentwicklungen, Lernen unabhängig von Zeit und Raum, größere Transparenz der Lernleistung, schneller Transfer zur Unternehmenspraxis sowie organisatorische Entlastung der Bildungs-Manager.

"Die Telekom hat unser hybrides Lernkonzept getestet", erzählt stolz Add-Brain-Sprecher Schneidereit. "Das Besondere war, dass klassische Präsenzseminare mittels E-Learning vor- und nachbereitet wurden. Die Seminarzeiten wurden verkürzt, die Erinnerung gestützt. "Das oft zitierte ,Viel geschult, nichts gelernt'' gehört damit der Vergangenheit an."

E-Learning-Angebote richten sich aber nicht nur an Mitarbeiter im eigenen Unternehmen. Mit "Skin", einem Projekt von Microsoft, Prokoda, Siemens Business Services und Deutscher Telekom, sollen über 1000 IT-Kräfte zu Systemspezialisten ausgebildet werden. Online-Learning über die Skin-Lernplattform gehört zur Qualifizierung ebenso dazu wie Workshops im virtuellen Klassenzimmer und die Betreuung durch einen Teletutor. Die Kosten liegen hier bei etwa 10000 Mark, ein vergleichbares Angebot mit herkömmlichen Dozenten würde mit gut 25000 Mark zu Buche schlagen. Auffallend auch: Der Anteil von Frauen, die diese Möglichkeit nutzen, um ein entsprechendes Zertifikat zu erwerben, ist vergleichsweise hoch.

Gute Erfolge, konstatiert Werner, brächten all jene Angebote, "die nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und alles wollen". Ein stufenweises Herangehen sei mit Blick auf alle Weiterbildungsbedürfnisse sinnvoll. "Es wird auch in den nächsten Jahren immer einen Bildungsmix geben", glaubt Schneidereit. "Bücher, Seminare und Neue Lernmedien werden sich ergänzen." Wichtig sei allein, dass der Lernende die für sich optimalen Medien und Inhalte findet.

Fast jeder Unternehmer kann inzwischen davon ausgehen, dass seine Mitarbeiter sich nicht nur am Arbeitsplatz weiterbilden, sondern auch als Privatperson. Wenn jemand ins Internet gehe, sei das nicht anders zu bewerten, als wenn er in eine Bibliothek mit Millionen von Büchern eintauchen würde, meint Cisco-Vice-President Couzens. Allerdings müsse man beim Besuch dieser Bibliothek keine Rücksicht auf Öffnungszeiten nehmen und könne beim Lernen jederzeit eine Zigarette rauchen.

Die Zahl speziell ausgewiesener virtueller Bildungsplattformen wie My-add. brain.com oder Erfolgswelt.de wächst. E-Learning wird zum Synonym für lebenslanges Lernen. Das bedeutet jedoch auch, so Couzens, dass Mitarbeiter schon in der Berufsausbildung oder während des Studiums, ja in der Schule, damit vertraut gemacht werden und die technischen Voraussetzungen vorhanden sein müssen. "Wer nicht über die nötige Ausrüstung und ein Minimum an technischem Verständnis verfügt, wird an Online-Schulungen wenig Freude haben", konstatiert Michael Vennemann, Leiter der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht in Köln. Hier, und das zeigte die Online-Educa vor allem, werden in den kommenden Jahren die Weichen gestellt. Wer in fünf Jahren nicht mit dem Computer umgehen könne, habe kaum noch eine Chance am Arbeitsmarkt.

*Kathi Seefeld ist freie Journalistin in Berlin.