E-Learning: Standardprodukte sind out

22.04.2005
Von Edgar Wang
Der weltgrößte E-Learning-Anbieter Skillsoft schließt sein Büro in Deutschland. Lernen und Arbeiten wachsen zusammen - dazu benötigen die Unternehmen keine Online-Lernprogramme von der Stange.

Die Büroschließung von Skillsoft erscheint im Vergleich zu anderen Betriebsstilllegungen als wenig dramatisch, zumal der in Köln ansässige Anbieter von E-Learning-Produkten zuletzt nur noch über neun Mitarbeiter verfügte - was vor ein paar Jahren noch ganz anders aussah (siehe Kasten "Die Prokoda-Geschichte"). In den USA und in Irland traf das Unternehmen wesentlich härtere Sparmaßnahmen - dort verloren jeweils 130 Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze.

Das Ende der deutschen Tochterfirma, das nicht auf einen plötzlichen Einnahmenrückgang oder eine drohende Insolvenz zurückzuführen ist, kam dennoch überraschend - und setzt die unendliche Geschichte der ehemaligen Prokoda AG um ein weiteres Kapitel fort. Der Gewinn der deutschen Niederlassung im vergangenen Jahr reichte der amerikanischen Muttergesellschaft nicht aus: "Die Schließung des Kölner Büros beruht auf Überlegungen, die sich an der Steigerung des Shareholder Value auf kurze Sicht orientieren und nicht an einer nachhaltigen Marktpositionierung. Unsere Erfolge, die wir trotz zahlreicher Restrukturierungsprogramme erzielen konnten, fielen dabei nicht ins Gewicht", erklärt Geschäftsführer Jürgen Theisen.

"Europäische Kunden bevorzugen europäische Produkte, die in der Regel deutlich weiter entwickelt sind", meint Volker Zimmermann, Vorstand des Saarbrücker E-Learning-Unternehmens Imc. Offensichtlich herrschen in Deutschland andere Qualitätsansprüche als im englischsprachigen Raum, und tatsächlich ist mit Thomson Netg nur ein US-amerikanischer E-Learning-Anbieter im deutschen Geschäft mit Online-Lerninhalten eine feste Größe.

Die mangelnde Attraktivität von US-amerikanischen Angeboten in Europa spielte aber wohl für die Auflösung der deutschen Skillsoft-Vertretung eine untergeordnete Rolle. Auch in den USA verfehlte die Firma ihre Geschäftsziele - und versucht sich nun in einer umfassenden Neuausrichtung des Unternehmens. Sie erscheint wie ein Reflex auf Umbrüche im E-Learning-Markt, so wie die Entwicklung des Unternehmens die Geschichte der E-Learning-Branche widerspiegelt.

Die Skillsoft-Geschichte - ein Spiegel der Branche

Skillsoft verkörpert die Erfolgsgeschichte und zugleich die Schwierigkeiten der Geschäftsmodelle, die mit dem Internet-basierenden Lernen zusammenhängen. 1983, als das Computer-based Training (CBT) entstand, steckte die Digitalisierung der Bildung noch in den Anfängen. "CBT" bildeten Name und Programm der Firma, die bis 1999 einen kometenhaften Aufstieg erlebte.

Dann fasste das Management angesichts der unaufhaltsamen Ausbreitung des Internets einen mutigen Entschluss: Der Schwerpunkt des Portfolios wurde auf Web-basierende Anwendungen (WBTs) gelegt, der Name in Smartforce umgeändert.

Die Rechnung schien aufzugehen: Zwei Jahre später entfielen auf den Absatz von CBTs nur noch 20 Prozent der Firmeneinnahmen, und Smartforce avancierte mit seinen standardisierten WBT-Angeboten zu einem der international größten Anbieter von IT-Trainings.

Mit dem Einbruch des Schulungsmarktes Ende 2001 stieß das Unternehmen CBT jedoch auf Wachstumsgrenzen und erlitt herbe Rückschläge. Ende 2002 erfolgte die Fusion mit dem erheblich kleineren, aber finanziell stabileren Anbieter Skillsoft, der sich auf WBTs zu Themen rund um Betriebswirtschaft und Sozialkompetenz spezialisiert hatte.

Heute nun steht das Unternehmen wieder vor einer Neuorientierung. Zwar schreibt es schwarze Zahlen, doch ist dies nicht auf vermehrte Einnahmen mit den standardisierten IT-Online-Kursen zurückzuführen, die einem anhaltenden Preisdruck unterliegen.

Die Ausgaben für die WBT-Produktion werden nun stark eingeschränkt. Auch die letzten noch verbliebenen Entwicklungsaktivitäten werden ausgelagert - vermutlich nach Indien. Im Unternehmen verbleiben nur die Qualitätssicherung und das Projekt-Management. Investitionen in neue Titel erfolgen vor allem zu neuen Themen etwa wie Compliance.

Misserfolg bei B-to-C-Angeboten

Auf die Einnahmenerosion im traditionellen Portfolio reagierte Skillsoft zunächst mit dem Versuch, IT-Kurse mit zertifizierten Abschlüssen auf dem freien Weiterbildungsmarkt zu vertreiben. Die Ergebnisse blieben weit unter den Erwartungen, und der mit Smart Certify benannte Geschäftszweig steht nun zum Verkauf.

Der gescheiterte Vorstoß, den einzelnen Lernwilligen anzusprechen, war offenbar vom Boom der akademischen Online-Studiengänge inspiriert, der den allgemeinen Weiterbildungsmarkt in den USA seit Jahren prägt. Wer hier gute Geschäfte machen will, muss allerdings Bildungsinstitutionen als Partner gewinnen, das zeigt zum Beispiel die jüngst getroffene Vereinbarung zwischen Skillsoft und der University of Phoenix, die 1400 Skillsoft-Kurse in ihr Programm aufnahm. Für Skillsoft eröffnet sich damit ein Verkaufskanal zu Interessenten, die das Unternehmen auf sich allein gestellt nicht erreichen kann. Auch in Deutschland bieten Bildungsträger des Fernunterrichts immer mehr Online-Lehrgänge an. Hochpreisige Produkte dürften allerdings nur eine Chance haben, wenn sich eine nennenswerte akademisch orientierte Er-wachsenenbildung entwickelt - sie steckt aber noch in den Kinderschuhen.

Neue Schwerpunkte: Informelles Lernen und kollaborative Szenarien

Umsatzsteigerungen erzielte Skillsoft im vergangenen Jahr vor allem mit Produkten, die sowohl für Informations- als auch für Lernzwecke nutzbar sind. Dies gilt zum Beispiel für die "Books 24x7", elektronische Bücher, die sich im Volltext herunterladen und per Suchfunktion recherchieren lassen. In Deutschland werden sie etwa von Führungskräften der Deutschen Post World Net genutzt. Darüber hinaus will Skillsoft Kurse im virtuellen Klassenzimmer anbieten, wie es der große Konkurrent Thomson Netg bereits vorexerziert.

Breite Auffächerung der Content-Angebote

Mit der Betonung des informellen Lernens entspricht Skillsoft einem Trend der Zeit, der auch in Deutschland nicht zu übersehen ist. Auch hier wird die Verbindung von Arbeiten, Lernen und Informatiertsein immer deutlicher - aus unterschiedlichen Gründen. Da spielt nach wie vor die Reduzierung von Kosten eine Rolle, aber auch die Verlagerung von Personalaufgaben in die Fachabteilungen. Das Ausdünnen der zentralen Personalentwicklung wertet das Lernen am Arbeitsplatz auf und stellt es weitaus stärker in die Verantwortung der Betroffenen. Nicht zuletzt wirkt das pädagogische Argument, dass Learning by Doing jeder praxisfernen Unterweisung vorzuziehen sei.

Unternehmens- und arbeitsplatzspezifische Lerninhalte werden so immer wichtiger, der Bedarf an personalisierten Formen des Wissenserwerbs nimmt zu, die Grenzen von Lernen und Information verwischen, das Online-Lernangebot diversifiziert sich: Highend-WBTs koexistieren mit modularen Lernclips und einfachen Zusammenstellungen von Lernmaterialien, Informationsservices werden verstärkt in Anspruch genommen.

"Google ist mittlerweile die vertrauteste Web-Oberfläche für den Lerner. Darauf muss man sich einstellen, auch wenn es formales Lernen und das Abarbeiten von Lerninhalten nach wie vor geben wird", meint Theisen.

Rapid E-Learning - ideal für den Mittelstand?

Eine erhebliche Veränderung des Marktes für Online-Lerninhalte dürfte auch die Verbreitung von Rapid E-Learning bringen. Hier geht es um die einfache Produktion von Lerninhalten durch die bereits vorhandenen Dokumente wie Powerpoint-Folien, Screenshots, Audio- und Videoaufzeichnungen. Online-fähige Lehrmaterialien lassen sich leicht zusammenstellen und aufbereiten, daher ist die Resonanz unter Trainern und Dozenten groß.

Manch einem engagierten Content-Entwickler, der mit hohem didaktischem Anspruch und gestalterischem Können WBT-Drehbücher schreibt, sträuben sich bei dieser Vorstellung die Nackenhaare. Doch angesichts der geringen Kosten könnten Rapid-E-Learning-Angebote auch im Mittelstand attraktiv werden, wo WBTs bislang kaum Anwender gewonnen haben.

Imc-Vorstandssprecher, Wolfgang Kraemer, ist überzeugt: "In Verbindung mit ASP-Lösungen für das Lern-Management wird Rapid E-Learning zur Killerapplikation für den Mittelstand. Wir rechnen damit, dass in zwei bis drei Jahren bis zur Hälfte der in Unternehmen und Hochschulen verwendeten E-Learning-Inhalten mit diesen Lösungen erstellt werden."

Und noch ein Trend zeichnet sich ab: Anwender werden zu Autoren, wie die Entwicklung der Blogs und Wikis zeigt. Teure Programmentwicklung lässt sich schwer verkaufen, wenn Lernwillige informell Wissen tauschen oder sich mit wachsende Routine kostenlos zu guten Quellen durchklicken. (hk)