6. IT-Trainingskongress in Bonn

E-Learning: Der Weg in die Praxis ist dornenreich

24.11.2000
E-Learning scheint nicht mehr nur ein Trend zu sein, sondern ist auf dem Weg, sich flächendeckend durchzusetzen. Bester Beweis: Selbst das Handwerk und die Sparkassenorganisation - früher eher als konservativ eingeschätzt - setzen nun auf Online-Training. Die Hürden, die vor allem auf der organisatorischen Seite liegen, gilt es noch zu überwinden. Von Gabriele Müller*

Vor der Installation eines E-Learning-Systems sind oft schwierige Fragen zu beantworten: Wie lassen sich einzelne Teilnehmer mit der Gruppe und dem Trainer vernetzen? Wie werden WBT und CBT sinnvoll in ein klassisches Schulungskonzept integriert? Welcher Unterricht eignet sich überhaupt für das Web-Lernen? Und wie können Lern- und Motivationsprobleme früh genug erkannt und beseitigt werden? Solche Fragen haben in der Praxis schon manche schöne Vision von der bunten neuen Lernwelt als hübsches Märchen erscheinen lassen - ein Grund, warum Sabine Koch und Peter Walter von der Deutschen Sparkassenakademie ihren Vortrag auf dem Bonner Kongress teilweise in Märchenform kleideten. Sie schickten eine kleine Prinzessin auf die Suche nach neuen Lernwelten in der Sparkassenorganisation.

Auf ihrem Weg lernt sie "Mitwirkende" und "Betroffene" kennen: Mitarbeiter, Personalchefs und Betriebsräte, von denen jeder Anforderungen, Wünsche und Befürchtungen äußert. Lernen, wo immer, wann immer, wie immer der Nutzer es will, lässt sich gar nicht so einfach verwirklichen, lautet das Fazit der beiden Referenten.

Ein erstes Pilotprojekt, an dem rund 200 Mitarbeiter aus 14 Schulungsmaßnahmen teilgenommen haben, bestätigt diese Einschätzung. Oft genug macht der Alltag einen Strich durch die didaktische Rechnung. Denn der Anfangseuphorie der Lerner folgt schon bald eine gewisse "Abkühlung". Nach sechs bis acht Wochen Training lässt zum Beispiel die Intensität der Nutzung von Online-Angeboten deutlich nach.

Weitere Erkenntnis: Längst nicht alle Themen lassen sich elektronisch erarbeiten. Eher Kognitives wie "Finanzinnovationen", so die Erfahrung, wird wirksamer im Präsenztraining vermittelt. Grundsätzlich hat sich bei dem Projekt herausgestellt, dass es sehr wohl ein sinnvolles Miteinander beider Lernformen gibt.

Sabine Koch: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass nach einer Präsenzeinführung sehr gut ein netzbasiertes Aneignen von Wissen folgen kann, wenn sich danach zum Beispiel eine Übung im Präsenzunterricht anschließt." Ergänzung und Verstärkung oder Medienmix heißt hier das Rezept.

Für einige Überraschungen sorgte danach die Befragung der Teilnehmer und Trainer: Höhere Motivation bei Präsenzveranstaltungen, da sie sozialen Kontakt bieten, war zum Beispiel ein Ergebnis. Das Online-Lernen frustriert durch "Umständlichkeit" der Bedienung. Und obwohl der Lernerfolg mit dem netzbasierten Lernen messbar größer war, schätzen die Kursteilnehmer diese Art der Weiterbildung als weniger effizient ein. Die Sparkassenakademie sieht sich dennoch auf dem richtigen Kurs und bereitet zur Zeit nach dem Pilotprojekt auch den Regelbetrieb vor. Ab Januar 2001 stehen dann auch Kurse ganz ohne Präsenztraining auf dem Programm.

Karlheinz Geißler, Professor an der Universität der Bundeswehr in München, brachte es ironisch-launig auf den Punkt. Was das Beten für den mittelalterlichen Menschen war, ist das Lernen für seine modernen Nachkommen. Nicht mehr "ora et labora" heißt die Devise, sondern zeitgeistig "livelong Learning" oder "E-Learning". Denn immer mehr Unternehmen kommen zu der Überzeugung, dass der Schritt ins "E-Zeitalter" nicht ohne die dazugehörige ständige Weiterbildung zu schaffen ist. Was bietet sich also mehr an, als das Lernen mit der Hilfe des Mediums, dem viele Zeitgenossen zutrauen, die "Old Economy" aus den Angeln zu heben?

Diese Überzeugung teilten auch die meisten der rund 450 Kongressteilnehmer und die 33 Aussteller, die die Veranstaltung zum regen Dialog nutzten. In den vier parallelen Workshop-Reihen waren Rat und Hilfe von Pionieren gefragt, die sich bereits mit dem Thema auseinander gesetzt haben - nicht immer, ohne dabei Federn gelassen zu haben.

Ob E-Learning, Telelearning, virtuelle Wissensvermittlung oder computergestütztes Lernen, der Markt der Anbieter, die den Unternehmen Lösungen anbieten, wächst beständig. So soll sich der E-Learning-Markt in Westeuropa nach IDC-Berechnungen von jetzt 320 Millionen Dollar auf 3,9 Milliarden Dollar im Jahre 2004 ausdehnen. Und der Konkurrenzkampf wird härter, spätestens seit sich auch der Mittelstand für das Thema interessiert: zum Beispiel das Handwerk - mit 830 000 Betrieben einer der größten Wirtschaftszweige in Deutschland und von jeher konservativ strukturiert.

"Dass wir mit diesem Image zu kämpfen haben, wissen wir." Aber solche Vorurteile schrecken Hermann Röder, Geschäftsführer der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk, nicht ab. Schließlich bezeichnet er die Bildungszentren der Handwerkskammern, die jedes Jahr 40 000 bis 50 0000 Meisterprüfungen abnehmen und 1,4 Milliarden Mark Umsatz erwirtschaften, als den größten Bildungsanbieter in Deutschland.

Immerhin rund die Hälfte der deutschen Handwerkskammern bietet heute schon Online-Qualifizierungen an, und rund 30 von ihnen mit den angeschlossenen Bildungszentren stellen ein umfangreiches Lernangebot ins Netz. Wichtiger Bestandteil des "Q-Online" genannten Konzepts: der europäische Computerführerschein, "European Computer Driving Licence" (ECDL). Daneben bieten die Kammern Module an, die dem Thema E-Commerce oder Fremdsprachen, kaufmännischem Basiswissen und nicht zuletzt der Vorbereitung auf die Meisterprüfung widmen.

An einem Grundsatz will Röder festhalten: "Es geht nicht ohne Telecoaches." Erster Schritt vor dem Start dieses Modells war deshalb die Ausbildung von 60 Trainern für diese neue Form der Wissensvermittlung. Damit soll eine Kombination von 30 bis 40 Prozent Präsenzlernphasen im Berufsbildungszentrum und zu 60 bis 70 Prozent dem Telelernen am Arbeitsplatz, Zuhause oder im Selbstlernzentrum geschaffen werden.

Virtuelles Lernen in der TestphaseGing es bei den Sparkassen märchenhaft zu, so drehte es sich bei "Cosiga" um eine computergestützte Simulation, mit deren Hilfe räumlich getrennte Mitglieder eines Teams gemeinsam lernen. "Im Zuge der Globalisierung sind immer mehr Firmen auf verschiedene Standorte verteilt", beschreibt Astrid Tietgens, Geschäftsführerin der MIT Friedrichsdorf und Entwicklerin des Programms, die Ausgangsüberlegung. "Dennoch müssen Mitarbeiter an gemeinsamen Zielen arbeiten und gemeinsam lernen."

Erprobt wurde die Simulation im Rahmen eines europäischen Projekts, um angehenden Ingenieuren das Prinzip des Concurrent Engineering zu vermitteln. Universitäten aus mehreren Ländern und verschiedene Firmen haben sich zu diesem Vorhaben zusammengetan, in dem es darum ging, eine fiktive Aufgabe zu bewältigen. In diesem Fall sollten die Studenten lernen, für einen Fahrzeughersteller einen LKW zu bauen. Ziele des Versuchs: Paralleles Arbeiten, kooperatives Handeln, Aufgabenbewältigung durch Mitarbeiter in verschiedenen Ländern, Überwindung nicht nur von Landesgrenzen, sondern auch von kulturellen Barrieren und Austausch von Informationen.

Lernen über Kontinente hinweg, gerade dann, wenn Wissen verfügbar und abrufbar sein muss und das alles noch zeit- und kostensparend, ist das die alltägliche Zukunft der Weiterbildung? Professor Geißler beendete seinen Vortrag jedenfalls skeptisch. Wir sollen die fürsorgliche Belagerung durch lebenslange Lernprozesse als einen Schritt zu größerer Freiheit erleben. Aber ist sie das wirklich? "Lernen, lernen, lernen - das klingt eigentlich nicht nach Freiheit, das klingt eher nach selbst gewähltem Arrest mit Hilfe einer pädagogischen Fußfessel."

*Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.