E-Learning allein macht nicht glücklich

26.01.2005
Von Bernhard Karrasch
Lernen am Bildschirm wird die Weiterbildungsprobleme nicht lösen, wenn die Angebote nicht mit anderen Lernmethoden integriert werden.

Wohin entwickeln sich das Lernen und die Bildung in Deutschland, und was kann durch E-Learning verbessert und erreicht werden? Lernen und Weiterbildung werden in Deutschland immer weniger als Selbstzweck nach dem Humboldtschen Bildungsideal gesehen, sondern werden zunehmend in ziel- und zweckgerichteten Qualifizierungen stattfinden. Es muss schnell gehen sowie effektiv und wirtschaftlich sein. Reines E-Learning ist nur in besonderen Anwendungen nützlich. Durchweg Vorteile bringt die Technik aber, wenn sie in andere Bildungssphären integriert wird. Blended Learning steht für diese Intention, allerdings hat sich gezeigt, dass es mit "einfachem Einbinden", durch bloßes Hinzufügen also, nicht getan ist. Vielmehr sind die Angebote dann zu restrukturieren beziehungsweise neu zu strukturieren - daran fehlt es am Markt noch.

Der Trend geht hin zu regionalen Netzwerken, häufig sogar unter dem Dach von Verbänden und Kammern organisiert. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ein gemeinsames Vorgehen ermöglicht Beratung, größere Bandbreite an Angeboten und unter Umständen eine höhere Qualität der Lernprogramme. Über ein zentrales Lern-Management-System (LMS) lassen sich die verschiedensten Lernorte miteinander verbinden. Ein Beispiel hierfür ist die Gewerbeakademie Konstanz, die mit dem Projekt "KMU-Online" kleinen und mittleren Unternehmen in der Bodenseeregion zu einem Internet-Auftritt und netzgestützter Weiterbildung verhilft. Analog nutzen Anbieterverbünde Synergieeffekte wie die "E-Learning-Werkstatt Niedersachsen".

Jede Abteilung und jeder Mitarbeiter im Unternehmen hat ein anderes Weiterbildungsbedürfnis. Um Seminare erfolgreich umzusetzen - und nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen - , schulen Betriebe zunehmend individuell dort, wo ein konkreter Bedarf zur Arbeitsverbesserung vorhanden ist. Hier hilft es nicht weiter, für den Mitarbeiter ein mehrtägiges Seminar zu buchen und dann zu hoffen, dass der Transfer des Gehörten in die tägliche Praxis von alleine gelingt. Vielmehr muss die Weiterbildung prozessnah stattfinden, am besten direkt wenn eine Frage ansteht. Für dieses individuelle Lernen eignet sich mit oder ohne Präsenzschulung E-Learning.

Es ist zu beobachten, dass Firmen über ihr Lern-Management-System hinaus nach Lösungen suchen, mit denen sie ihre gesamte Online- und Präsenzweiterbildung strategisch gestalten wollen. Solche Systemlösungen umfassen von standardisierten Profiling-Verfahren, mit denen individuelle Defizite einfach und rational ermittelt werden können, über die Kursverwaltung bis hin zur Seminarbuchung und dem Bildungs-Controlling alle Aspekte für ein umfassendes Bildungs-Management. Für jeden Teilnehmer können sodann eine eigene "Bildungsbiografie" entwickelt und Lerneinheiten aufeinander abgestimmt werden.

Infolge der Pisa- und OECD-Bildungsstudien ist nicht nur die allgemeine schulische, sondern auch die berufliche Ausbildung unter Druck geraten, und das, obwohl das deutsch duale Ausbildungssystem international angesehen ist. Das System beruht auf der Kombination von Praxisphasen im Betrieb und Theoriephasen in der Berufsschule, die gut aufeinander abgestimmt und miteinander synchronisiert werden müssen. Die Studie "Berufsausbildung in Deutschland: Duale Alternativen als Perspektiven", die ETS zusammen mit der SRH Learnlife AG organisiert hat, ergab, dass dies immer weniger gelingt. Dies verwundert nicht, bei 16 verschiedenen Landeslehrplänen, ständig zwischen Betrieb und Berufsschule wechselndem Lernort und den unterschiedlichsten Arbeitsprozessen in den Betrieben selbst. E-Learning-Elemente sollen nun helfen, das System zu vereinfachen und effektiver zu gestalten. Der Grundgedanke des dualen Systems lässt sich so neu beleben und ein völlig differenziertes Angebot entwickeln.

Die Lehre an den Berufschulen könnte trotz knapper finanzieller und personeller Ressourcen sehr viel näher an die individuellen Gegebenheiten in den Betrieben angepasst werden. Dass Unternehmen neuen technologiegestützten Ansätzen in der Ausbildung durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen, ergab die genannte Studie. Zudem können die an das Internet gewöhnten Jugendlichen auf ihr gewohntes Kommunikationsverhalten zurückgreifen.

Es ist wichtig, Inhalte schnell und einfach Web-gerecht aufzubereiten - das ist aber lediglich eine Frage der Technik, und die ist längst gelöst. Rapid Learning sollte dort eingesetzt werden, wo einzelne kompakte Informationen schnell an räumlich verteilt arbeitende Mitarbeiter weiterzugeben sind, so zum Beispiel an Vertriebsmitarbeiter, wenn ein Produkt neue Funktionen erhält. Dennoch lässt sich die notwendige Didaktik - gerade wenn von komplexeren Lerninhalten gesprochen wird - so ganz "rapid" nicht abbilden. Mit der aus dem Zusammenhang gerissenen Bereitstellung von Wissenseinheiten ist bei schwierigen Sachverhalten wenig gewonnen, denn einen Kompetenzzuwachs, in zehn Minuten vor dem Rechner auf die Schnelle erlangt, wird es trotz modernster Technologie nicht geben.

Neue Chancen für die Branchen

Mittlerweile lassen sich mit Hilfe der neuen Technologien fast alle Lebenssituationen für informelles, aber auch für formelles Lernen nutzen. Subsumiert man das informelle Beschaffen von Informationen, den Austausch über Chats, die Teilnahme an Abstimmungen über SMS sowie das gezielt organisierte mediengestützte Selbstlernen unter E-Learning, so ist diese Methode bereits deutlich weiter verbreitet als gemeinhin wahrgenommen. Mobile Systeme wie das Handy werden aufgrund der steigenden technischen Möglichkeiten immer auch eine gewisse Rolle spielen - und sei es nur für oben genannte Zwecke. Auch in der Bildung gilt es von der Unterhaltungsindustrie zu lernen und die Zielgruppen über die Medien zu fesseln, die sie ohnehin schon nutzen.

Die reine Präsenzschulung wird allein schon aufgrund wirtschaftlicher Gründe weiter zurückgehen. E-Learning wird immer stärker als eine Methode neben anderen Lernformen eine gleichberechtigte Rolle spielen - als Integrationsbaustein sogar die entscheidende - , und das nicht nur in der beruflichen und privaten, sondern vor allem auch in der institutionellen Bildung. Hieraus können sich neue Chancen für die Branche und die Bildung in Deutschland ergeben. (hk)