IT in der Verwaltung/Öffentliche Verwaltungen auf dem Weg zu Dienstleistungsunternehmen

E-Government: Klicken statt Hingehen

06.10.2000
"Bürgerbüros", wie sie vereinzelt schon anzutreffen sind, machen Mut zu mehr Dienstleistungsqualität in der öffentlichen Verwaltung. Doch nur wenn die etablierten Strukturen auf den Prüfstand kommen, ist mit einem grundlegenden Sinnes- und Technologiewandel zu rechnen. Uwe Hein* hat sich mit dem Hintergrund dieses Marktes und potenziellen Anwendungsschwerpunkten auseinander gesetzt.

Sie ziehen eine Nummer und stellen fest, dass Sie die 74 sind. Bedient wird gerade die 12. Hoffentlich haben Sie Ihre Zeitung mitgebracht. Nach langem Warten dringen Sie bis zum Sachbearbeiter vor, der Ihnen erklärt, dass Sie erst noch eine Bescheinigung von einer anderen Behörde benötigen. Die befindet sich aber in einem anderen Gebäude und hat heute sowieso nicht geöffnet. Anrufen? Wenn Sie Glück haben, kommen Sie zur Telefonzentrale durch. Dann kommen Sie wieder, ziehen eine neue Nummer und . . .

Auf der Skala der unliebsamen Aktivitäten nimmt der Behördengang immer noch einen der ersten Plätze ein. In einer Dienstleistungsgesellschaft ist es nur natürlich, dass die Bürger auch ihre Verwaltung entsprechend beurteilen. Wenn es möglich ist, abends noch einzukaufen oder eine Banküberweisung von zu Hause aus zu tätigen, warum soll man dann frühmorgens in die Stadt fahren müssen, um sich umzumelden oder einen Anwohnerparkausweis zu beantragen?

Verständlich also, dass sich die öffentlichen Verwaltungen seit Jahren intensiv mit den Themen Dienstleistungsqualität und Bürgernähe beschäftigen und einen konsequenten Veränderungsprozess anstreben, der die klassische, hoheitliche Verwaltung nach und nach in ein modernes, bürger- und kundenorientiertes Dienstleistungsunternehmen verwandelt. Konkrete und sehr erfolgreiche Beispiele lassen sich bereits heute in den "Bürgerbüros" finden, die viele Kommunalverwaltungen eingerichtet haben. Hier kann der Bürger in seiner Nähe alle einfachen Verwaltungsgeschäfte direkt abwickeln, ohne sich mit den internen Strukturen der Kommunalverwaltung befassen zu müssen. Ein wichtiges Prinzip moderner Dienstleistungsunternehmen - "One face to the customer" - ist hier bereits in weiten Teilen realisiert.

Eine Vielzahl von DefizitenTrotz der vielerorts zu beobachtenden Modernisierungsprojekte besteht bei den Verwaltungen in puncto Dienstleistung dennoch großer Handlungsbedarf. Betrachtet man die in vielen Kommunen faktisch praktizierte Dienstleistungsqualität, so lässt sich leicht eine Vielzahl von Defiziten aufzeigen: unverständliche Bescheide, umständliche Verfahren, schlechte Erreichbarkeit, unklare Zuständigkeiten, eingeschränkte Öffnungszeiten sind hierbei nur einige Beispiele.

Dienstleistungsqualität ist allerdings auch keine Konstante. Die Ansprüche der Bürger wachsen vielmehr mit der Zeit. Diskussionen, ob die Verwaltung auch am Donnerstagabend oder gar am Freitagnachmittag für den Bürger erreichbar sein soll, werden bald der Vergangenheit angehören. Künftig werden sich die Verwaltungen an folgenden Anforderungen orientieren müssen, wenn sie die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger gewinnen wollen:

- Verfügbarkeit rund um die Uhr,

- deutlich schnellere und einfachere Abwicklung von Verwaltungsgeschäften,

- an Lebenslagen orientierter Zugang,

- individualisierte Services,

- Übernahme der Koordinationsverantwortung durch die Verwaltung sowie

- Bereitstellung vielfältiger Kommunikationskanäle.

Gemessen an der derzeit gebotenen Dienstleistungsqualität liegt die Messlatte für viele Verwaltungen sehr hoch. Es ist auch offensichtlich, dass sich diese mit konventionellen organisatorischen Maßnahmen nicht erreichen und auch nicht finanzieren lässt.

So ist klar, dass das Thema E-Government von den Verwaltungen mit großem Interesse verfolgt wird, schließlich verspricht es Lösungen, die zu deutlicher Leistungssteigerung und Verbesserung führen können. Vielleicht gehören unliebsame Behördengänge schon bald der Vergangenheit an und werden vom Behördenklick abgelöst. Visionen haben keine Grenzen.

Der Begriff Electronic-Government löst - ähnlich wie Electronic-Business - die unterschiedlichsten Assoziationen aus. Während in der Privatwirtschaft E-Business-Anwendungen jedoch bereits in größerem Umfang realisiert sind und es sogar eine Vielzahl von E-Business-Unternehmen gibt, befindet sich E-Government noch in den Startlöchern; das heißt, es gibt zwar zahlreiche Pilotprojekte, im Behördenalltag ist davon allerdings noch wenig zu spüren.

E-Government kann als Handlungsprogramm verstanden werden, das das Anliegen verfolgt, Verwaltungsprozesse und Verwaltungsstrukturen mit Hilfe neuer Interaktions- und Kommunikationsmedien zu optimieren. Ziele sind eine drastische Leistungssteigerung und Verbesserungen der Dienstleistungsqualität.

Das Thema "E-Government" macht ohne moderne Informations- und Kommunikationstechnik, insbesondere der Internet-Technologien, keinen Sinn. Ohne eine ganzheitliche Betrachtungs- und Vorgehensweise, in der Fragen der Organisation, Führung und Personalentwicklung adäquat berücksichtigt werden, lassen sich jedoch ebenfalls keine erfolgreichen Lösungen entwickeln und umsetzen.

Versteht man E-Government als Paradigma und als Handlungsprogramm für die Verwaltung der Zukunft, wird offensichtlich, dass es sich in einem Entwicklungsprozess realisieren lässt, der nicht nur aufgrund seiner Dauer, sondern vor allem wegen seiner Bedeutung für die Entwicklung der Gesamtorganisation als strategisch eingestuft werden muss. Gerade in dieser Beziehung zeigen sich heute noch in vielen Verwaltungen große und kaum zu überwindende Hemmnisse. Allzu oft fehlen die Akteure, die in der Lage sind, strategische Handlungsprogramme für Organisation und Informationstechnologie zu entwickeln und umzusetzen. Kaum eine Verwaltung hat den kompetenten Chief Information Officer (CIO), der Verwaltungs- und E-Government-Strategie in Einklang bringen kann.

Eindeutige ErfolgsfaktorenFür die langfristige Entwicklung entsprechender Konzepte gibt es jedoch eindeutige Erfolgsfaktoren. Je mehr es einer Ver-waltung gelingt, E-Government-Lösungen zur Unterstützung allgemeiner politischer Handlungsprogramme einzusetzen, mit anderen Optimierungsmaßnahmen zu koordinieren und zu integrieren und konsistente Strategien für die Entwicklung der Organisation sowie der Informationstechnologie zu formulieren und zu realisieren, desto erfolgreicher wird sich auch die Entwicklung zur Dienstleistungsverwaltung moderner Prägung vollziehen.

Kurzfristig kann es zwar ein Erfolg sein, als erste Verwaltung Personalausweise über das Internet auszustellen. Langfristig muss sich der Erfolg von E-Government jedoch an den gleichen Zielen messen lassen, die für Modernisierungsprojekte im öffentlichen Sektor allgemein gelten. Als da wären:

- Senkung von Verwaltungskosten,

- Verbesserung der Dienstleistungsqualität,

- mehr Bürgerbeteiligung sowie

- attraktivere Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiter - nicht zuletzt des DV-Personals.

Mehr Ansatzpunkte für BürgernäheDurch E-Government erschließen sich viele neue Ansatzpunkte für mehr Bürgernähe und mehr Dienstleistungsqualität. Neue Interaktionsmedien und -kanäle werden zur Verfügung gestellt, neue Geschäfts- und Kooperationsmodelle können entwickelt werden, virtuelle Organisationsstrukturen werden geschaffen, die sich an den Anforderungen der "Kunden" und nicht mehr an den Zweckmäßigkeiten der Verwaltung orientieren.

Der Bürger wird im Übrigen auch in Zukunft noch telefonieren, ein Beratungsgespräch vor Ort führen wollen und einen Brief per Post schicken. Er wählt das Medium, das ihm am ehesten liegt.

*Dr. Uwe Hein ist Chefberater E-Government bei der Exper Team AG in Frankfurt am Main.

Abb: Neue Medien und Service-Prozesse müssen aufeinander abgestimmt sein. Quelle: Hein