IT-Anbieter machen sich Hoffnungen auf Geld vom Staat, brauchen aber einen langen Atem

E-Government ist ein schwieriges Geschäft

10.10.2003
MÜNCHEN (ajf) - Die IT-Anbieter haben sich in der Krise auf einen Hoffnungsträger besonnen: Kunden aus dem Bereich der öffentlichen Hand sollen mit ihren Aufträgen kompensieren, dass Privatunternehmen nicht mehr investieren. Doch der Public Sector ist kein leicht zu bestellendes Feld.

Nicht erst seit dem Maut-Desaster haftet dem Staat und seinen Institutionen der Makel an, in puncto Informationstechnologie kein glückliches Händchen zu haben. Bislang erfuhren die Bürger von IT-Projekten der öffentlichen Hand in aller Regel aus den Berichten der Rechnungshöfe und dem Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler. Allgemeiner Tenor: Alles dauert zu lange, ist viel zu teuer, und überhaupt funktionieren die DV-Systeme hinterher nicht so, wie sie sollten.

Generation Lochkarte

Was hingegen laut gängigen Vorurteilen in den IT-Abteilungen der Behörden funktioniert, ist zumeist älter als 30 Jahre, versteht sich gut mit Lochkarten und taugt damit nicht für moderne Anforderungen. E-Government - so viel zu den Rahmenbedingungen - spielt sich ab zwischen permanent leeren Kassen, einem latenten Drang zur Effizienzsteigerung, dem Beamtenarbeitsrecht sowie föderalen Entscheidungsstrukturen.

Doch die Zeiten ändern sich, wenn auch häufig mit der den Ämtern nachgesagten Gelassenheit. Forciert wird die Öffnung durch eine schleichende Veränderung der Verwaltung von Behörden zu Dienstleistern, aber vor allem durch den Zwang der IT-Anbieter, neue Kunden aufzuspüren. Hier wurde zuerst der Mittelstand entdeckt, zunehmend aber auch die öffentliche Hand. Es sei bezeichend für die aktuelle Situation der IT-Branche, dass Projekte des Bundes, der Länder und Gemeinden von Anbietern inzwischen als "interessant" bezeichnet werden, spöttelte August-Wilhelm Scheer bereits Anfang des Jahres: "Dabei ist der Staat nicht gerade als besonders guter Auftraggeber bekannt."

Jedoch wird der so genannte Public Sector zunehmend als werbewirksames Betätigungsfeld angesehen, als eine Art neutraler Referenzkunde mit integrierter Publizitätsgarantie. Gerade Microsoft und die Open-Source-Fraktion unter Führung von IBM vermarkten jeden kommunalen Deal, den sie dem Wettbewerber vor der Nase wegschnappen konnten - Hauptsache, der Fuß steht in der Tür der Behörde.

Aber auch personell tut sich viel: Für Microsoft soll der ehemalige Berliner Wirtschafts- und Technologiesenator Wolfgang Branoner Bundesaufträge einsammeln, Cisco hat einen Regierungsdirektor a.D. in der Hauptstadt als Berater engagiert, die Meta Group rief im August in Deutschland einen neuen Advisory-Service für E-Government ins Leben. Die GFT AG hat ihren Finanzchef Markus Kerber aus dem Vorstand entlassen, damit er künftig in Berlin "politische Beratungstätigkeiten" wahrnehmen kann.

Lobby-Arbeit zahlt sich aus

Auch die Linux-Company Red Hat verstärkte unlängst ihr Engagement im öffentlichen Sektor und stellte Daniel Riek, seit Jahren im Vorstand des Linux-Verbands Live, als Vertriebler für den Bereich ein. Ein Grund: "Die großen, proprietären Hersteller betreiben gegenwärtig eine massive Lobby-Arbeit im Public Sector", hat Riek festgestellt. Die öffentliche Hand hält auch er für ein "hochinteressantes" Segment, da Linux sich dort sinnvoll nutzen lasse. Hilfreich kommt hinzu, dass die Ausgaben der öffentlichen Hand in der letzten Zeit zwar unter Druck geraten, aber nicht wie in der Industrie zusammengebrochen sind. Im Gegensatz zu einem rückläufigen Gesamtmarkt stiegen die IT-Aufwendungen der Behörden laut Julia Reichhart, Beraterin bei Pierre Audoin Consultants (PAC), zuletzt sogar um einige Prozent an.

Allerdings fällt es schwer, den Public Sector konkret einzugrenzen. Neben dem Bund mit seinen vielen Ressorts wie Verteidigung oder Gesundheit sowie den 16 Bundesländern, bei denen es sich um vollkommen eigenständige Märkte handelt, gibt es rund 15000 Kommunen mit ihren jeweiligen Entscheidungsträgern: "Der öffentliche Bereich", sagt Rüdiger Meyer, Leiter Public Sector von Cap Gemini Ernst & Young (CGEY), "ist beleibe keine homogene Branche." Auch würden sich zunehmend die Grenzen zwischen der öffentlichen Hand und der privaten Wirtschaft vermischen, wie etwa im Gesundheitswesen.

Zudem finden sich unterschiedliche Definitionen bereits für das Schlagwort E-Government. Die Consultants von PAC etwa bezeichnen damit alle Prozesse der öffentlichen Hand, die auf dem Internet aufbauen. Dies betrifft gegenwärtig in erster Linie Informationsangebote für Bürger und Unternehmen. Folglich fallen die dort von den IT-Anbietern erwirtschafteten Umsätze relativ gering aus. Laut PAC-Beraterin Reichhart werden gegenwärtig mit E-Government-Projekten rund 13 Prozent des Software- und Servicevolumens im Public Sector umgesetzt. Im Jahr 2007 sollen es 24 Prozent sein, lautet die Prognose.

IT allein ist keine Lösung

Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom) hingegen dehnt den Begriff des E-Government von den Kommunikationsprozessen auf den gesamten Datenaustausch der Behörden aus. Generell sei das Marktvolumen "nur schwer zu quantifizieren", sagt Axel Rittershaus, E-Government-Berater und Vorsitzender des einschlägigen Bitkom-Arbeitskreises. So steht von den 1,65 Milliarden Euro für das Projekt "Bund Online 2005" nur ein gewisser Teil für die IT zur Verfügung. Rund ein Drittel fließe in die Umstrukturierung und Reorganisation, berichtet Rittershaus: "Das Problem von E-Government ist, dass es nicht mit einer IT-Lösung getan ist."

Vor allem IT-Berater versprechen sich daher viel vom Investitionspotenzial, auch wenn die Haushaltslage "nicht gerade prickelnd" ist, wie ein Consultant einräumt. Theoretisch ist die Verwaltung indes das gelobte Land: Rund fünf Millionen Menschen arbeiten im Public Sector, der Nachholbedarf an moderner IT ist gewaltig, Prozesse müssen verschlankt, IT-Strukturen standardisiert und flexibilisiert werden. Rund sechs bis acht Milliarden Euro wird allein die Modernisierung der kommunalen Kommunikationsprozesse kosten, schätzt Rittershaus.

Nachdem inzwischen fast jedes Amt eine eigene Website hat, haben die IT-Verantwortlichen begonnen, die Prozesse im Backend aufzuräumen. Dabei geht es nicht - wie häufig in der Industrie - in erster Linie darum, mittels der IT Personal abzubauen: "Die Altersstruktur in den Behörden wird in den nächsten Jahren zu einer großen Pensionierungswelle führen", sagt CGEY-Manager Meyer. Verwaltungen hätten dann schlicht nicht mehr die personellen Ressourcen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Also muss jetzt gehandelt werden.

Die zweite große Baustelle der Behörden ist der Umstieg vom kameralistischen zum kaufmännischen Rechnungswesen. "Mit der Kameralistik können Sie keine Controlling-Programme füttern", beschreibt PAC-Beraterin Reichhart das Dilemma. Doch Finanzprogramme sind in Zeiten leerer Kassen zunehmend auch in Ämtern gefragt. Da sich die Einnahmen der öffentlichen Hand nicht beliebig steigern lassen, bleibt den Behörden nur die Möglichkeit, ihre Kosten zu kontrollieren. "Die Umstellung kommt jetzt in Gang", sagt Bitkom-Experte Rittershaus, der hier einen "lukrativen Markt" für Softwareanbieter und Berater erwartet.

Drittens geht es nach dem teilweise bewältigten elektronischen Anschluss der Bürger an das Amt nun um die technische Integration der Unternehmens- und Behörden-IT. Tritt der Bürger statistisch gesehen weniger als zweimal pro Jahr mit seiner Verwaltung in Kontakt, sind Firmen regelmäßige "Kunden" der Ämter. Es sei nur sinnvoll, einen Verwaltungsprozess elektronisch abzubilden, wenn auch ein entsprechendes Mengengerüst dahinter steht, argumentiert Rittershaus: "Unternehmen haben große Fallzahlen, das sorgt für große Hebel."

CGEY-Manager Meyer sieht das ähnlich. Dass die Bürger, die ja auch Wähler sind, zuerst an ihre Kommune angebunden wurden, sei nachvollziehbar. Doch das geschah zu Zeiten des Booms, und inzwischen schielt jeder Amtmann auf das Geld: "Die eigentlichen Einsparungen werden nur innerhalb der Verwaltung und zwischen der Verwaltung und den Unternehmen erzielt", argumentiert Meyer.

Illusionen, dass sich der "Kunde Staat" angesichts des Handlungsbedarfs leicht umgarnen lässt, gibt sich indes kaum noch ein Anbieter hin. "Die Investitionszyklen und Zeitspannen sind wesentlich länger als in der Industrie", berichtet Bitkom-Mann Rittershaus. Auch müssten die IT-Hersteller lernen, auf lange Sicht Verbindungen zu knüpfen, und damit beginnen, die Entscheidungsprozesse in der öffentlichen Hand zu verstehen. Der Vorteil der langwierigen Abläufe liegt laut Rittershaus nämlich auf der Hand: "Behörden sind nachhaltige Kunden." Das strategische Motto der IT-Lieferanten lautet somit "Langsam, aber sicher".

Ein Punkt muss den Anbietern aber klar sein: "Das Schlagwort E-Government ist tot und sollte in keiner Präsentation mehr auftauchen", warnt CGEY-Manager Meyer. Nach dem Hype des letzten Jahres ist wieder etwas Ruhe in die Szene eingekehrt. Somit vollzieht sich beim E-Government eine ähnliche Entwicklung, wie sie vor Jahren den einstigen Hype E-Business kennzeichnete: Nach einem steilen Aufstieg in den Medien folgte der Fall - nicht in die Bedeutungslosigkeit, sondern in die Implementierung "echter" Projekte. Irgendwann, so viel scheint sicher, spricht niemand mehr von E-Government - wie heute niemand mehr mit dem Begriff E-Business hausieren geht.

Im "Haifischbecken!

Die Zeiten, in denen Geschäfte mit der öffentlichen Hand eine gemütliche Angelegenheit waren, sind Geschichte - mittlerweile gleiche auch dieser Markt häufig einem "Haifischbecken", berichtet Bernd Felder, Projekt-Manager bei Mummert Consulting. Als IT-Trends der öffentlichen Hand bezeichnet er Projekte für das Dokumenten-Management sowie Systeme für die Vorgangsbearbeitung. Gefragt seien auch E-Government-Anwendungen mit einer "hohen Kosten-Nutzen-Relation", etwa für den Datenaustausch mit der Privatwirtschaft oder der Verwaltung untereinander. Gerade in letzterem Fall steht eine Harmonisierung der verschiedensten IT-Landschaften an. "Die Rahmenbedingungen sind etwas schwieriger als in der Wirtschaft", bilanziert Felder, "aber wenn man sie kennt, ist E-Government ein interessanter Markt."