IT in der Verwaltung/Kanton Bern setzt Maßstäbe

E-Government: Behörde nutzt E-DBMS für unterschiedliche Web-Anwendungen

06.10.2000
Die Anforderungen an den Informatikdienst einer Behörde sind im Grunde keine anderen als bei einem Wirtschaftsunternehmen. Daher sollten auch im Kanton Bern grundsätzlich alle Anwendungen über das Web verfügbar sein. Ob Handelsregisterauszug oder Hotelreservierung: E-Government soll zur Regel werden. Rolf Streb* schildert, welche Rolle dabei postrelationale Dantenbanktechnologie spielt.

Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion (JGK) ist eine von insgesamt sieben Direktionen im Berner Kanton. Die ihr angegliederte Informatikabteilung, aus Platzgründen vom Hauptort Bern ins nahe Schloss Laupen verlagert, steuert und unterstützt die verschiedenen lokalen Netze als Leitstelle. Die einzelnen Standorte der JGK sind über das bernische Weitbereichsnetzwerk Bewan miteinander verbunden.

Nun stellt sich die Direktion einer neuen Herausforderung: E-Government. Die Verwaltungswelt soll für E-Business zugänglich gemacht werden, das heißt, sämtliche Produkte und Dienstleistungen müssen Web-fähig werden - von der Gerichtswelt über die eigentliche Direktion bis zum Jugendamt, vom elektronischen Grundbuchamt über das Betreibungs- und Konkurswesen und vom elektronischen Handelsregister über die Wahlen und Abstimmungen bis hin zur Krankenversicherung.

Einen für all diese Vorhaben geeigneten Partner fanden die Laupener in dem amerikanischen Datenbankhersteller Inter Systems. Man wollte sich dessen postrelationale Datenbank genauer ansehen.

Schon vor etwa fünf Jahren fiel in Bern der Startschuss für den Einsatz relationaler Datenbanktechnologie (RDBMS), die die zentrale Verteilung aller Dokumente und Aufgaben übernehmen sollte. Doch bereits 1998 wollte die Berner Informatikabteilung so manche Schwäche des Systems nicht mehr tolerieren, die hauptsächlich in der Performance, Skalierbarkeit und Stabilität unter Windows NT lagen. Die Verarbeitung geschäftskritischer Daten verzögerte sich ebenso wie die aktuelle Verfügbarkeit von Auskünften. Neben der Lösung dieser Probleme betraf ein entscheidendes Kriterium für die Umrüstung der Datenbank die gewünschte Internet-Nutzung sämtlicher Anwendungen. Damit war auch in Bern der Gedanke an E-Government-Lösungen geboren.

Um das Leistungsvermögen der erst kurz vorher freigegebenen postrelationalen Datenbank "Caché" (E-DBMS) im Einsatz zu prüfen, wurde sie unter einer Geschäftskontrollanwendung für Gerichte - im Berner und in weiteren Kantonen ist das "Tribuna" - ab Anfang 1998 probeweise eingesetzt. Ergebnis: Unter dem neuen System lief die mit "Omnis 7" entwickelte Gerichtsapplikation, und zwar ohne dass der Anwendungscode geändert werden musste.

Heute umfasst die Anwendung alle Schritte der Verfahrensabläufe bis hin zur Rechnungsstellung. Seit neuestem laufen an 45 Standorten im Kanton verteilt etwa 1400 Workstations und rund 100 Server - über alles gerechnet sogar 20-mal schneller als bisher. Mit dem vorherigen System konnten an den großen Standorten die Daten, die in die Datenbank eingegeben wurden, nicht mehr alle an ein und demselben Tag verarbeitet werden.

Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion bewältigt mittlerweile bis zu einer halben Million Transaktionen pro Arbeitstag. Dies entspricht einer 100-prozentigen Steigerung, außerdem sind Kosten und Administrationsaufwand geringer.

Mit dem Einzug der Internet-Technologien gehören Browser-basierte Fachanwendungen heute schon zum Standard. Die Ausrichtung auf E-Business bedeutet gleichzeitig einen haushälterischen Umgang mit den eigenen Ressourcen. Also:

- keine aktiven Anwendungsmodule mehr auf der Client-Basis,

- nur noch eine Handhabungs-Grundausbildung für die Fachanwendungen,

- Zukunftsorientierung als Grunderfordernis für E-Goverment sowie

- geringer Support-Aufwand.

Sinnvolles E-Government bedeutet grundsätzlich die Öffnung von bisher internen Anwendungen für den direkten Zugriff auch von Seiten der Bürger. Anders als bei deren persönlichem Erscheinen auf dem Amt lassen sich die Besucherströme jetzt allerdings nicht lenken. Daraus ergibt sich die Bedingung, dass die Applikationen rund um die Uhr und auch bei höchster Frequentierung performant laufen müssen. Außerden steht eine effiziente Nutzung vorhandener Ressourcen ganz oben auf der Anforderungsliste.

Die integrierte multidimensionale Datenbank-Engine bietet im Vergleich zu konventionellen relationalen Datenbanken eine höhere Leistung und eignet sich besonders zum Verarbeiten komplexer Daten und Objekte. Zudem ist die von Haus aus mitgegebene Objektorientierung Basis für alle derzeit gängigen Web-Technologien wie Java, HTML, DHTML und XML. Diese Features überzeugten in Bern.

Hieß die Vorgabe in Laupen zunächst, alle internen wie externen Anforderungen mit kommerziell verfügbarer Anwendungssoftware abzudecken, hat sich das Team für die angeschlossenen Ämter inzwischen zu einem umfassenden Informatikdienstleistungsanbieter entwickelt. Dabei werden spezielle Anwendungen, die so nicht schlüsselfertig erhältlich sind, heute durchaus auch im eigenen Hause entwickelt. Genau wie beim Datenbank-Hosting setzt man dabei auf die genannten Web-Komponenten. Caché automatisiert das mühsame Codieren von Sicherheits- und Zustandsaspekten, sodass sich die Entwickler auf das Look and Feel und den Anwendernutzen konzentrieren können.

Ein weiterer Vorteil ergibt sich daraus, dass jeder einzelne Projektbeteiligte seine individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten voll zur Geltung bringen kann: der (oft externe) Web-Designer konzentriert sich auf die Gestaltung der Seiten, die dem Benutzer später präsentiert werden, und der Anwendungsentwickler schreibt die Logik.

Im Rahmen der Umstellung sämtlicher Anwendungen auf Web-Technologie wurde von der JGK die Alternative diskutiert, diese bei einem externen Application-Service-Provider (ASP) zu hosten. Aus Kostengründen fiel die Entscheidung schließlich für ein Hosting der Applikationen aller angeschlossenen Dienststellen bei der Informatikabteilung in Laupen, wo die benötigte Infrastruktur bereits vorhanden war. Somit ist die Dienststelle heute zugleich Anwender kommerzieller Applikationen, Entwickler neuer Anwendungen und ASP.

Die Umstellung aller Anwendungen auf Thin-Client-Technologie und die Standardisierung auf Windows 2000 als Betriebssystem, Citrix Metaframe als Add-on und Caché als Datenbank ist in vollem Gang. Mit dem Abschluss dieses Großprojekts, der für Anfang 2001 geplant ist, wäre die JGK ihrer Vision von E-Government dann recht nahe gekommen.

*Rolf Streb ist Informatikkoordinator bei der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion (JGK) des Kantons Bern und Vorsteher der Informatikabteilung.

TechnologieMengengerüst:

- Rund 100 Server, verteilt auf 45 Standorte (vorwiegend Unisys ES6xxx);

- Etwa 1400 Workstations (Pentium II/III-Workstations);

- Acht vollamtliche Informatiker für den Betrieb und Support;

- Fünf externe Partner als Anwendungs- und Support-Lieferanten;

- Acht Fachanwendungen + MS-Office-Suite;

- Rund zehn Millionen Schweizer Franken jährliche Betriebskosten

Anwendungen"Tribuna-2000" ist eine mit "Omnis 7" von Delta Logic entwickelte Branchenlösung für Gerichte und ähnliche Ämter der öffentlichen Verwaltung. Sie ist grundsätzlich datenbankunabhängig und basiert auf Standard-SQL-Scripts und SQL-Commands. Im Einsatz in der JGK bei allen Gerichten (4 URA + 13 GK), der Direktion und den ihr unterstellten Ämtern (dem Jugendamt und dem Amt für Gemeinden und Raumordnung) mit dem E-DBMS Caché.

"Capitastra" ist eine durch die Bedag Informatik mit Enfin (Smalltalk) entwickelte Branchenlösung für Grundbuchämter. Dabei handelt es sich um eine objektorientierte und SQL-basierende Lösung, die zurzeit auf die neue DB portiert wird. Ergänzt wird Capitastra durch die Microsoft-Office-Suite. Im Einsatz bei der JGK in allen 13 Kreisgrundbuchämtern und deren vier Zweigstellen.

Die Geschäftskontrolllösung "Baka-97" von Simultan (früher CH-Soft) ist seit 1993 bei allen vier regionalen Betreibungs- und Konkursämtern und deren 27 Dienststellen im Einsatz. Alle regionalen Stellen sowie alle Dienststellen verfügen jeweils über einen eigenen Datenbank-Server.

"HR-Win" ist die von Power Neting (de Montmollin) in Zusammenarbeit mit Unisys entwickelte Branchenlösung für die elektronische Führung des Handelsregisters. Im Einsatz seit 1998 bei allen vier regionalen Handelsregisterämtern und einer Zweigstelle. Zurzeit ist die Datenersterfassung noch bei drei Handelsregisterämtern im Gange. Das Handelsregisteramt Bern-Mittelland ist bereits vollständig erfasst.

"Walo" ist eine unter Centura (vormalig Gupta) entwickelte Branchenlösung für die Erfassung und Auswertung aller im Kanton Bern verwendeten Verfahren für Wahlen und Abstimmungen. Im Einsatz bei allen 26 Regierungsstatthalterämtern (Bezirke) und bei der Staatskanzlei. Für die Regierungsstatthalterämter steht ein zentraler Datenbank-Server mit Caché beim kantonalen Rechenzentrum. Dieser Server wird auf einen Ersatz-Server bei der Informatikabteilung repliziert.

"Evok" ist die Anwendung für die Umsetzung des neuen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) mit folgenden Hauptaufgaben:

- Prämienverbilligung im Automatismusverfahren über die Krankenversicherer für finanziell minderbemittelte Personen,

- Vollzug des Krankenkassenobligatoriums,

- Bewirtschaftung der von den Krankenversicherern übernommenen Verlustscheine.

Evok ist eine Hybridlösung, die die Daten aus dem kantonseigenen IBM-Host bezieht und die Ermittlungsläufe ebenfalls auf dieser Maschine fährt, alle übrigen Prozesse werden hingegen auf dem amtseigenen Client-Server-System gefahren. Als Entwicklungs-Tool auf dem C/S-System wird "Visual Age" verwendet.