Schlüsselfaktoren: Organisation, Führung und Prozess-Management

E-Governance - wie Anwender den Wandel in den Griff bekommen

26.01.2001
Ist es besser, die E-Business-Aktivitäten in eine eigene Geschäftseinheit auszulagern, oder sollte das Thema in der bestehenden Organisation angesiedelt sein? Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn man sich den Unternehmenstyp genauer ansieht. Traditionsunternehmen mit ausgefeilten, zum Teil auch starren Prozessen empfiehlt sich ein externer Aufbau von E-Business-Strukturen. Jüngere und flexiblere Organisationen liegen oft mit einem integrativen Ansatz richtig.

Internet und E-Commerce haben bislang fundamentale Auswirkungen auf nahezu alle Branchen gezeigt. Sie werden die Märkte auch in Zukunft nachhaltig beeinflussen und in den nächsten Jahren von Grund auf verändern. Die "E"-Bewegung und die daraus resultierenden Geschäftsfelder sind zu einem der stärksten Wachstumsmotoren der Wirtschaft geworden. Durch E-Commerce, zu verstehen als das Betreiben von Geschäften zwischen Handelspartnern - Unternehmen, Lieferanten und Konsumenten, zwischen denen elektronisch Werte ausgetauscht werden - gelten neue Paradigmen, welche die Wettbewerbsintensität erheblich erhöhen.

Wettbewerbsbedingungen haben sich verändert

Die Käufermärkte im E-Zeitalter erfordern neue fokussierte Geschäftsmodelle mit hohem Kundennutzen. Geschäfte werden zu geringen Kosten "anywhere, anytime, anyhow" ermöglicht. Bisherige Wertschöpfungsketten fallen auseinander, althergebrachte Strukturen werden zunehmend überflüssig. Die ehemals bloße Konkurrenz um Kunden über Produkte und Services wird durch Wettbewerb um Kapital und Humanressourcen ergänzt.

Das Bewusstsein und der Wille zur Umgestaltung auf allen Geschäftsebenen sind bei den meisten Unternehmen vorhanden. Die Art und Weise jedoch, wie die Organisation im Unternehmen an die neuen Geschäftsprozesse angepasst werden sollte, ist vielfach noch unklar. Zum Aufbau und Vertrieb des E-Commerce-Business ist eine drastische Veränderung herkömmlicher Organisationsformen notwendig, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden.

Diejenigen Unternehmen, denen es gelingt, sich erfolgreich den neuen Herausforderungen zu stellen, werden von den Kapitalmärkten höher bewertet und genießen dadurch Wettbewerbsvorteile bei der Kapitalbeschaffung. Ebenso besitzen erfolgreiche, innovative Unternehmen einen Vorsprung in der Gunst von gut ausgebildeten Mitarbeitern, so dass die Knappheit an qualifizierten Fachkräften leichter bewältigt werden kann.

Noch zeigt die Unternehmenslandschaft aber ein anderes Bild: Die Ausrichtung der meisten Konzerne und Organisationen auf das E-Business erfolgt nur halbherzig, die getroffenen Maßnahmen sind überwiegend unzureichend.

Die etablierten Unternehmen - so genannte Incumbents - reagieren zwar mit zahlreichen E-Commerce-Initiativen, aber häufig sind folgende Fehler zu beobachten:

-zu viele, unkoordinierte, simultane Initiativen ("1000 wild flowers grow"), die häufig Mehrarbeit und Konfusion im eigenen Unternehmen auslösen;

-unklare E-Business-Rollen und Verantwortlichkeiten über IT, Marketing, Business-Units etc., mit langsamen, ineffizienten Entscheidungen als Folge;

-traditionelle Incentives, die nicht mit der Geschäftsrealität der E-Economy in Einklang stehen;

-unzureichender Aufbau interner Kompetenzen bezüglich E-Commerce und

-geringe Integration in das bestehende Geschäft (heritage business).

Die Unzulänglichkeiten der Bemühungen hinterlassen schmerzhafte Spuren: Der Kapitalmarkt bewertet die Firmen niedrig, und folglich wird die Mittelbeschaffung teuer. Des Weiteren verhindert die fehlende Positionierung im Wettbewerb, dass die vorhandenen E-Commerce-Ressourcen aufrechterhalten oder gar auf- und ausgebaut werden. Die veralteten Vergütungsstrukturen tun ein Übriges. Hinzu kommt, dass das Geschäft durch neue, schnellere Wettbewerber mit günstigeren Kostenstrukturen kannibalisiert wird.

Doch es gibt auch Beispiele für ein gelungenes E-Government: Mit Yahoo oder Charles Schwab ist es einigen Unternehmen gelungen, die neuen Herausforderungen zu bewältigen. Firmen, die es geschafft haben, ihre gesamte Organisation so flexibel zu gestalten, dass sie innerhalb kürzester Zeit in der Lage sind, neue Geschäftsfelder zu bearbeiten oder Geschäftsausrichtungen zu verändern, können erfolgreich im neuen Wettbewerb bestehen.

Beispiel eins: Yahoo. Das Internet-Portal hat gezeigt, wie schnell sich Deals realisieren lassen. Yahoo ist in der Lage, zwei bis drei Deals - von der einfachen Kooperation bis zur komplexen Akquisition - pro Woche durchzuführen. Die Abkommen werden innerhalb von fünf bis zehn Stunden angebahnt, geschlossen und in die internen Abläufe integriert.

Beispiel zwei: das Bankhaus Charles Schwab. Es hat in insgesamt 14 Monaten die Transformation zu einem "E-Unternehmen" vollzogen. Zur Umsetzung wurde zunächst die externe Geschäftseinheit "E-Schwab" aufgebaut und daraufhin die neue Geschäftseinheit mit dem bestehenden Geschäft koordiniert. Abschließend fand die Re-Integration von E-Schwab in das Unternehmen statt und somit die Transformation des Gesamtunternehmens.

Derartige Vorgänge sind verbunden mit "Governance" im Unternehmen, mit der Fähigkeit also, gravierende Veränderungen im gesamten Unternehmen schnell und kontrolliert umzusetzen. Der Erfolg im Zeitalter von E-Business hängt ab von der Verwirklichung vollständig neuer "E-Governance"-Modelle und der Fertigkeit, diese flexibel an sich ständig verändernde Markt- sowie Wettbewerbsbedingungen anzupassen.

Erfolgsfaktor Organisation

E-Governance lässt sich durch zwei Eigenschaften charakterisieren: Reaktionsfähigkeit und Flexibilität. Die Anpassungsfähigkeit der Technologie und der Geschäftsprozesse hat dabei eine herausragende Bedeutung. Ist ein Unternehmen zum Beispiel nicht in der Lage, eine plötzlich steigende Nachfrage zu befriedigen, wird es Kunden an den Wettbewerb verlieren. Deswegen sind Methoden und Strategien notwendig, um den Erfolg zu festigen beziehungsweise Probleme schnell erkennen zu können und gegebenenfalls die Richtung zu ändern. Die Abläufe in der Organisation sind entsprechend vorzubereiten, um globale, komplexe und ständige Veränderungen zu bewirken.

Aus den Anforderungen an eine E-Governance lassen sich Designkriterien für eine optimale Struktur herleiten. Im Folgenden wird zunächst auf die Komponenten einer solchen Organisationsstruktur eingegangen. Organisationsmodelle lassen sich anhand verschiedener Designkriterien auf ihre Eignung für das jeweilige Unternehmen hin analysieren. Diese Analyse bietet wichtige Hinweise auf die geeignete Internet-Strategie und Organisationsform.

Bewertungsgegenstände sind dabei im Einzelnen:

1. Transformation/Ausrichtung

- Kompetenzaufbau in den Sparten

- Kosteneffizienz

- Konsistenz über die Gesamtorganisation

- Re-Integrierbarkeit

- Image-/Brand-Transfer in die virtuelle Welt

2. Talent/Humanressourcen

- Ausnutzung vorhandener Ressourcen

- Attraktivität für E-Commerce-Ressourcen

3. Geschwindigkeit

- Time-to-Market

- Flexibilität

- Geringe Komplexität

4. Kapital / Marktbewertung

- Günstige Kapitalbeschaffung

- Steigerung des Shareholder Value

Viele Großunternehmen haben inzwischen eigene Abteilungen für E-Commerce gegründet, die zwar häufig als Stabsabteilung direkt dem Vorstand unterstellt sind, aber dennoch meist in Auseinandersetzungen mit anderen Abteilungen des Unternehmens verstrickt werden. Prinzipiell lassen sich zwei Organisationsformen unterscheiden. Die erste ist die "Dot-Corp.-Organisation". Dabei wird das Internet in die bestehenden Geschäftsprozesse integriert.

Die "Dotcom-Organisation" als zweite Organisationsform verfolgt die schnelle Auslagerung des E-Commerce-Geschäfts als externe Organisationseinheit beziehungsweise neues Unternehmen. Die Auslagerung des Internet-Geschäftes wird häufig vorgenommen, um Konflikte zu vermeiden und freier agieren zu können.

Bei den integrierten Organisationsmodellen (Dotcorp.-Organisation) lassen sich drei Varianten unterscheiden (siehe Abbildung 2). Die erste Variante ist die "Integration in Sparten". Hier sind die E-Initiativen innerhalb der existierenden Spalten angeordnet und in einzelnen Unternehmensbereichen verankert. Die Umgestaltungsprozesse werden auf Geschäftsebene vorangetrieben. In Ergänzung dazu besteht bei der zweiten Variante "Integration mit zentraler Koordination" eine zentrale Koordinationseinheit (manchmal als "Soft E-Center" bezeichnet). In der dritten internen Organisationsvariante "Integriert mit E-Center" erfolgen die E-Initiativen zwar innerhalb der existierenden Sparten, jedoch mit zentraler E-Infrastruktur ("Hard E-Center").

Modelle der Auslagerung des E-Commerce

Wie bei den integrierten können auch bei den ausgelagerten Organisationsmodellen (Dotcom-Organisation) drei Varianten unterschieden werden. Eine Möglichkeit besteht in Aufbau und Betrieb der E-Initiativen in einer "neuen Sparte". Bei der zweiten Variante - dem "Spin-off" - werden die E-Initiativen nicht nur einer neuen Organisationseinheit angeordnet, sondern separat in einem neuen, ausgelagerten Unternehmen. Dieses Unternehmen kann auch in Konkurrenz zu den bestehenden Absatzkanälen stehen. Die dritte Form des externen Organisationsmodells ist das Portfolio- oder Incubator-Modell. Hier erfolgt die Anordnung in einem externen Incubator oder in einem Portfolio von Investitionen.

Bei der Auswahl der verschiedenen Varianten sind die Strategie des Unternehmens, seine derzeitigen Fähigkeiten und der bestehende wie der zu erwartende Wettbewerb entscheidende Determinanten, wenn es um den Umbau geht. Dabei zeigen die verschiedenen Varianten unterschiedliche Implikationen auf die Bewertungskriterien Transformation, Talente, Geschwindigkeit und Kapital.

Das am häufigsten verwendete Modell für Unternehmen, die im E-Commerce beginnen, ist das Modell der separaten Organisationseinheit. Es bietet wie auch die anderen externen Organisationsmodelle den Vorteil, dass schnell neue Internet-Geschäfte aufgebaut werden können, mit besonderem Fokus auf die Bedürfnisse des E-Business. Die externe Variante wird oft gewählt, um mögliche Konflikte innerhalb des Unternehmens zu vermeiden.

Externe E-Governance-Modelle eignen sich vor allem für dezentral organisierte Unternehmen mit relativ starren Strukturen und Limitationen in den Dimensionen Kapital, Fähigkeiten und Kultur. Mit der Auslagerung des Themas können sie den zeitaufwändigen internen Aufbau der Kompetenzen vermeiden. Marktführern und Unternehmen mit entsprechenden Erfahrungen im E-Commerce-Bereich ist hingegen durchaus die Integration anzuraten. Erst dadurch lassen sich Prozessoptimierung und Kostensenkungspotenziale vollständig ausschöpfen.

Ebenso denkbar ist eine Kombination von externen und internen Organisationsmodellen, mit der nicht nur ein Vorsprung im E-Commerce ausgebaut werden, sondern auch eine Übertragung des Wettbewerbsvorteils auf andere Märkte stattfinden kann.

Erfolgsfaktor Führung

Neben der richtigen Organisationsform ist auch eine effektive Leadership-Struktur im Unternehmen zu etablieren, die den Vorstand wie externe Experten mit einbezieht und alle internen und externen Initiativen überblickt. Durch eine stärkere Auseinandersetzung des Vorstandes mit E-Business-Themen werden Know-how aufgebaut und der Transformationsprozess unterstützt. Mit Hilfe eines "E-Business Committee" hat man alle internen E-Initiativen und externen neuen Wettbewerber im Überblick, so dass die Organisation optimal gesteuert werden kann.

Erfolgsfaktor Prozess-Management

Die dritte E-Governance-Säule besteht in der Ausrichtung des Prozess-Managements. Mit neuen Designkriterien für Organisationen sind auch neue Prozesskategorien erforderlich. Dabei bedeutet die Ausrichtung der Kernprozesse - inklusive Finanzierung, Technologie und Marketing - nicht nur eine Herausforderung für "Incumbents", die eine Verbindung schaffen müssen zwischen bestehenden Prozessen in der Organisation und den neuen Geschäftsprozessen des E-Business. Für die reinen Dotcoms besteht zudem die Herausforderung im Handling und der Koordination der hausinternen und ausgegliederten Prozesse.

Durch die zielgerichtete Umsetzung der drei Säulen ist der Anspruch einer effektiven E-Governance erfüllt. Eine effektive Führungsstruktur ermöglicht eine klare Unternehmensstrategie und eine Organisationsstruktur, die sicherstellt, dass optimal ausgerichtete Prozesse den Erfordernissen und dem inhärenten Wettbewerbsdruck vom E-Business-Geschäft auf die eigene Organisation wie auf Allianzpartner gerecht werden.

Über die Organisationsform von Unternehmen hinaus kann im Rahmen von E-Governance auch der Abgleich der Unternehmensstrategie und der E-Governance vorgenommen werden. Der Abgleich muss nicht nur möglichst schnell umgesetzt, sondern vor allem häufig angepasst werden - denn in der New Economy ist die Strategie von heute nicht unbedingt auch die von morgen. Je nach Fokus der E-Business-Strategie sind die Ausprägungen der drei Säulen unterschiedlich zu handhaben.

Eine weitere Betrachtungsdimension von E-Governance bezieht sich auf die Flexibilität für das sich entfaltende E-Business. Dabei ist das E-Governance-Modell den Bedürfnissen der Unternehmung entlang des Lebenszyklus anzupassen. Besonders für Internet-Startups ergeben sich je nach Unternehmensphase (Start-, Wachstums- und Reifungsstadium) sehr unterschiedliche Erfordernisse, die durch eine Veränderung des E-Governance-Modells berücksichtigt werden müssen.

Vollzieht man die mit E-Governance zusammenhängenden Aufgaben nach, lässt sich anhand der beschriebenen Kriterien eine Analyse und Bewertung hinsichtlich der optimalen E-Governance-Strukur vornehmen. Zumindest können Hinweise für die Wahl der richtigen Internet-Strategie und Organisation abgeleitet werden. Die Konsequenzen fehlender oder falscher E-Governance können sehr weitreichend sein. Der Erfolg in der New Economy hängt jedoch maßgeblich davon ab, diesen Anforderungen richtig zu begegnen.

*Dr. Michael Rundshagen ist Partner bei Accenture (bis 31.Dezember 2000: Andersen Consulting) im Bereich Financial Services. Holger Schulte ist Consultant, ebenfalls für Financial Services.