Freunde, keine Feinde

E-Commerce und Einzelhandel

12.03.2015
Von Tobias Kollewe
Der stationäre Fachhandel hat nach wie vor eine Daseinsberechtigung – ja mehr noch: Pure Online-Player tun sich zunehmend schwerer.

Ein Leben ohne Internet und Onlineshopping ist heute nicht mehr denkbar. Innerhalb von zehn Jahren hat sich das Kauf- und Konsumverhalten stark verändert. Im deutschen Einzelhandel werden 2014 annähernd 40 Milliarden Euro im Internet umgesetzt. Je nach Produktkategorie entspricht das bis zu 30 Prozent des Gesamtumsatzes. Besonders stark vertreten sind hierbei Elektronik, Medien, Bücher, Spielwaren und Textilien - austauschbare Waren also, die wenig Beratungsbedarf mit sich bringen. Und der Trend setzt sich fort: Prognosen sagen ein Online-Wachstum von bis zu 20 Prozent im Jahr 2015 voraus; zulasten des stationären Handels.

Bei diesen Zahlen ist es nicht verwunderlich, dass manche Stimmen den Onlinehandel verteufeln und zum alleinigen Grund für Leerstände in den Innenstädten und Geschäftsaufgaben alt eingesessener Einzelhändler machen wollen.

Nüchtern betrachtet sind aber die wenigsten "Big Player" im Onlinehandel "Online Pure Player". Selbst auf Amazon.de, oft als Einzelhandelsfeind Nr. 1 betrachtet, werden mehr als die Hälfte der Umsätze nicht von Amazon selbst, sondern von Einzelhändlern generiert, die ihre Artikel via Amazon Marketplace verkaufen.

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Online Pure Player drängen in den Präsenzhandel

Wie wichtig der stationäre Handel ist, zeigen zahlreiche Beispiele, die den entgegengesetzten Weg einschlagen. Alt eingesessene Einzelhändler werden in den kommenden Jahren nicht nur mit der Konkurrenz im Internet leben müssen. Online Pure Player drängen immer öfter auch in die Innenstädte und entwickeln neue Konzepte für den Offlinehandel. Sogenannte "Popup-Stores", die nur für einen begrenzten Zeitraum und an unterschiedlichen Orten, oft sogar in 1a- oder 1b-Lage Geschäfte eröffnen, sind dabei nur der Anfang. Notebooksbilliger.de oder Fashion for home machen es vor und sind in Ballungszentren mit eigenen Ladenlokalen vertreten. Selbst eBay hat in Berlin einen "Kaufraum" eröffnet, Amazon plant gleiches als Test in New York.

Zahlreiche Studien belegen zudem den ROPO-Effekt. "Research Online, Purchase Offline". Mehr als 50 Prozent aller Einzelhandelsumsätze geht eine Information oder Suche im Internet voraus. Der Filialist Ernsting's Family hat in einer eigenen Studie einen noch stärkeren Effekt nachgewiesen. Demnach werden bis zu 80 Prozent aller Onlinebestellungen in der Filiale abgeholt. Der Kaufumsatz pro Kunde liegt dann im Schnitt jedoch 30 Prozent höher, als bei der initialen Onlinebestellung. Der Mehrumsatz wird also in der Filiale erzielt.

Das Problem des Einzelhandels ist nicht der Onlineshop, sondern der schnelle Wandel

Vorweg: Es gibt natürlich kein Allheilmittel, das es erlaubt, jedes Offline-Geschäftsmodell erfolgreich ins Internet zu übertragen. Ganz im Gegenteil. Es ist nicht damit getan, einen Onlineshop programmieren zu lassen. Wie auch im lokalen Einzelhandel hängt der Erfolg im E-Commerce von Marketing und Standort (Onlineshop, Verkaufsplattformen, etc.) ab. Schnelle Vergleichbarkeit im Internet und eine hohe Kundenloyalität machen es neuen Anbietern im E-Commerce zudem schwer, den Einstieg zu schaffen.

Viel wichtiger ist es, sich mit den neuen Gegebenheiten auseinander zu setzen und aktuelle Trends (und die der vergangenen zehn Jahre) nicht zu ignorieren.

Zahlreiche Beispiele, auch aus dem Aachener Raum, zeigen, wie sich Einzel- und Onlinehandel geschickt kombinieren lassen. Entweder werden dabei bestehende Einzelhandelskonzepte um den Onlinehandel erweitert oder es werden im E-Commerce gänzlich neue Geschäftsfelder etabliert.

Die Mayersche Buchhandlung erfreut sich trotz Amazon und damit einhergehender Abgesänge nach wie vor guter Umsatzzahlen. Neben einer ständigen Anpassung des Filialkonzepts auf sich verändernde Marktgegebenheiten wurde in den letzten Jahren immer wieder auf den Onlinetrend reagiert. Sei es mit der Neuentwicklung des eigenen Onlineshops oder dem Personalanbau im E-Commerce-Bereich. Bestellung online, Abholung in der Filiale, die "KultKarte" oder die eigene Online-Community "Was liest Du?" sind nur drei Beispiele für die gelungene Verschmelzung von On- und Offline. Der (ehemals) kleine Spezialist für Motorradbekleidung FC Moto (www.fc-moto.de) hat sein Geschäftsmodell aus dem Einzelhandel heraus auf den Onlinehandel adaptiert und gilt mit 3500 Quadratmetern Verkaufs- und Lagerfläche heute zu den erfolgreichsten Multi-Channel-Händlern in diesem Bereich. Rund 20 Mitarbeiter kümmern sich um den Verkauf im Würselener Ladenlokal und im Onlineshop.

Und sowohl die Baum und Krone GmbH oder Mathes Design zeigen, wie sich exklusive Möbel entweder nur Online (www.skagerak-moebel-shop.de) oder aus einem etablierten Einzelhandelskonzept (www.design-bestseller.de) heraus verkaufen lassen.

Allen Beispielen gleich ist, dass sie sich auf den Wandel im Kaufverhalten optimal eingestellt und entsprechend investiert haben. Und dabei geht es nicht nur um die Erstellung eines Online-Shops, sondern auch um konkrete Marketingaktivitäten (auch jenseits von Google AdWords), um Mehrwerte für alle Käuferschichten und die Verinnerlichung eines neuen Zeitgeistes.

Umdenken bei Markenherstellern

Konkurrenz droht inzwischen selbst von Seiten der Lieferanten. Markenhersteller wie Casio, Deuter oder Asics haben den Vertrieb ihrer Produkte im Internet oder auf Vertriebsplattformen bisher erfolgreich zum Schutz des Einzelhandels unterbunden. Die aktuelle Rechtsprechung erklärt derartige Vertriebsbeschränkungen aber nach und nach für ungültig.

Im Ergebnis reagieren die Markenhersteller und erlauben nicht nur den Einzelhändlern den Einstieg in den Onlinehandel, sondern werden dort selbst aktiv. Der Kunde kauft lieber direkt beim Hersteller, weil er sich davon besseren Service und letztlich auch bessere Preise verspricht. Der Hersteller vermeidet mit einem eigenen E-Commerce-Konzept eine Verwässerung seiner Marke und Preispolitik und kann durch den Wegfall einer Vertriebsstufe letztlich sogar die Marge steigern. In manchen Segmenten wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis einzelne Marken aus dem Kaufhaus in Flagshipstores umziehen - online und offline.

Neue Ideen sind gefragt

Einzelhändler, die sich neuen Trends wie mobile Zahlungssysteme (z. B. Apple Pay), QR-Code-Shopping oder same-day-delivery verschließen, dürften es zukünftig noch schwerer haben, mit neuen Konzepten oder innovativen Geschäftsmodellen mitzuhalten. Zumal mitunter der Eindruck entsteht, dass ganze Offline-Branchen, wie zum Beispiel Apotheken nur noch wegen staatlicher Regulierung Bestand haben.

Wenn Online-Händler mit bequemer Zahlung, kostenfreier Lieferung und (zwangsweise) 14-tägigem Umtauschrecht punkten können, dann muss der Einzelhandel Konzepte entwickeln, die dem nicht entgegen stehen, sondern die Innovationen in die Fußgängerzonen holen.

Beispiel Textilien. Onlinehändler nutzen Kundenmeinungen, um die eigene Retourenquote zu senken. Käufer lassen sich gerne als Kundenberater instrumentalisieren und berichten freizügig über die Passform oder die Korrektheit der Größenangabe des Herstellers. Er wäre ein leichtes, die Erfahrung anderer Kunden oder auch die Produktbewertungen aus dem Onlineshop am Verkaufsregal zu projizieren.

Commerce - ohne "e"

Für den Einzelhandel wird es darum gehen, das bestehende Geschäftsmodell mit den (ehemals) neuen Vertriebskanälen "e" (electronic) und "m" (mobile) zu kombinieren. "Online" ist dabei kein eigenes Geschäftsfeld, sondern ein Vertriebskanal, der genauso in die bestehenden Geschäftsprozesse integriert werden muss, wie zum Beispiel eine zweite Filiale. Das fängt schon bei geschultem Personal an. Wenn die Ausbildung zum Kaufmann/-frau im Einzelhandel bis zu drei Jahre dauert, dann kann man nicht davon ausgehen, dass die gleiche Person Verkauf und Service im Internet innerhalb weniger Tage verinnerlicht hat. Und es endet nicht zuletzt bei der Verknüpfung und Automatisierung aller Prozesse: Lagerverwaltung und Bevorratung im Ladenlokal, elektronische Zahlungsabwicklung, Übernahme der Bestelldaten aus allen Vertriebskanälen (Multichannel) in die Buchhaltung.

Nicht zu vergessen: Der umgekehrte Weg. Einen Spezialisten für Onlinemarketing zu engagieren, wird sich langfristig nur dann auszahlen, wenn auch die Kollegen, die sich bisher um die klassische Werbung gekümmert haben, in eine einheitliche Marketingstrategie mit eingebunden werden

Der Einzelhandel wird letztlich von allen Seiten gezwungen, auf die sich ändernden Gegebenheiten zu reagieren. Tut er es nicht, bleibt ihm letztlich nicht viel anderes, als die Kapitulation. Nicht vor der Konkurrenz, sondern vor der eigenen Behäbigkeit. (rw)