IT im Gesundheitswesen/ Zahlreiche Hindernisse für Internet-Auftritte von Apotheken

E-Commerce im Pharmasektor: Hauptsache, den Fuß in der Tür

05.02.1999
Rund 350 deutsche Apotheken haben eine eigene Homepage -Tendenz steigend. Doch sind sie spät dran. Denn über das Internet agierende "mail order pharmacies" drohen, deutschen Apothekern die Gewinnspannen durch den lukrativen Versandhandel mit Medikamenten abspenstig zu machen. Stephan Eder hat sich dieses noch unausgereifte E-Commerce-Marktsegment angesehen.

"Der Internet-Auftritt gehört sicher zukünftig zum modernen Apothekenbetrieb, der auf Dienstleistung rund um die Gesundheit ausgerichtet ist", erläutert Frank Eickmann, Pressesprecher des baden-württembergischen Landesapothekerverbands, den Trend des letzten Jahres.

So ganz will dies auf den ersten Blick nicht einleuchten. Direkter Kundenkontakt, persönliche Beratung, ein regionales Einzugsfeld - dies sind die charakteristischen Merkmale und aus Kundensicht auch Vorteile einer Apotheke. Deshalb, so müßte man meinen, ist sie kein Fall für das Internet, dieses weltweite und anonyme Medium. Doch das Bild stimmt nicht mehr: Die deutschen Apotheken bekommen Druck von allen Seiten - und ein Ausweg ist das Internet.

Beispiel Kostendämpfung: Die Bundesvereinigung der Betriebskrankenkassen (BBK) ist der Meinung, mit fast 22 000 Apotheken wäre das Land "überversorgt", und fordert "eine kostensparende Modernisierung des Vertriebs" von Arzneimitteln. Das Beispiel ausländischer Versandapotheken, die via Internet alles für die Gesundheit im Online-Shop anbieten, meint die BKK zwar nicht, zumal hierzulande der Versandhandel mit apothekenpflichtigen Medikamenten, anders als in den USA, Großbritannien, der Schweiz und den Niederlanden, generell verboten ist. Dennoch betreibt so mancher Apotheker einen eigenen Online-Shop, beispielsweise mit Kosmetik - zur Einstimmung auf die kommenden Zeiten.

Beispiel EU: Hilfe aus Brüssel darf die deutsche Apothekerschaft nicht erwarten. Im Gegenteil: EU-Kommissar Martin Bangemann wirft den Apothekern Weltfremdheit vor. Sie hätten nicht erkannt, was Electronic Commerce über das Internet für sie und ihre Zukunft bedeute. Bangemann empfiehlt den Apothekern, nach ihren Chancen im Internet zu suchen. Es biete ein ideales Medium, um die Beratungsfunktion des Apothekers in vollem Umfang zur Geltung zubringen.

Beispiel neue Kundenansprüche: Hans-Joachim Splettstößer, Apotheker aus der Uckermark, sieht durchaus Bedarf für eine Gesundheitsberatung per Internet: "Mancher hätte es gerne etwas anonymer. Das betrifft etwa bestimmte Krankheiten." Wolfgang Sander, Apotheker aus Bremerhaven, hat die junge Kundschaft im Auge: "Die Jugend kennt die Apotheke als Service-Unternehmen gar nicht. Dafür ist das Internet eine ganz normale Sache für sie. Dieser Trend ist nicht aufzuhalten. Deswegen komme ich langfristig ohne Internet-Präsenz nicht aus, wenn ich meine Angebote darstellen möchte." Und in Großstädten wie Berlin dürften die Online-Abfrage des Notdienstkalenders oder eine Reise-Impfberatung per E-Mail mit Sicherheit ihre Kunden finden.

Vor ein paar Jahren noch wäre ein Internet-Auftritt von Apotheken ein Gesetzesverstoß gewesen. Erst 1996 machte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts den Weg zu dem neuen Medium frei. Aber die nunmehr erlaubte Werbung ist starken Einschränkungen unterworfen.

Doch der Trend zur eigenen Homepage ist unverkennbar. Ein Blick auf den "Apoindex" für Apotheken-Homepages (www. apo.de) von Ullrich Kindling und Till Ossenkop zeigt ein stetiges Wachstum (siehe Grafik). Die beiden promovierten Pharmazeuten arbeiten hauptberuflich als Apotheker, betreiben den Apotheken-Server seit 1997 nebenher und bieten über ihr Unternehmen Pharma-Networx(www.pharma-networx.de) außerdem Internet-Services für ihre Berufskollegen an. Sie richten Apotheken eigene Homepages ein, bauen sie auf und pflegen sie.

Auch nach ihrer Einschätzung gibt es gute Gründe, warum gerade bei Apothekern in letzter Zeit das Internet-Geschäft boomt. So hätten Apotheken in den letzten Jahren einen relativ hohen DV-Standard erreicht, was dazu geführt habe, daß sie für weitere Entwicklungen auf diesem Gebiet nun sehr aufgeschlossen seien.

Die Öffnung des EU-Pharmamarkts für einen Versandhandel per Internet ist, so Kindling und Ossenkop, eine weitere treibende Kraft, die dafür sorgt, daß die Kollegen ins WWW drängen. So hatDirk Düvel aus Marschacht vor kurzem ein Internet-Versandgeschäft mit Hilfsmitteln, Kosmetik und nicht apothekenpflichtigen Arzneimitteln auf seiner Homepage präsentiert. "Wenn irgendwann einmal die Hoheit für den Arzneihandel an die EU übergehen sollte, wird es eine schlagartige Änderung der Bedingungen für den Versandhandel geben", schätzt er die Lage ein. "Ich habe bis dahin aber meine eigene Domain, Erfahrung mit dem Versandgeschäft und überregionale Kontakte."

Düvels Zukunftseinschätzung ist realistisch. In der "Mitteilung der Kommission über den Binnenmarkt für Arzneimittel" vom 25. November 1998 heißt es: "Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, daß neue Systeme für die Abgabe von Arzneimitteln an den Verbraucher - insbesondere angesichts der wachsenden Möglichkeiten des elektronischen Handels - die Regulierungsbehörden veranlassen, Überlegungen darüber anzustellen, welche Einsparungen sich an ihren Arzneimittelausgaben vornehmen lassen."

Vor diesem Hintergrund versuchen DV-Anbieter, Großhandel und Pharmahersteller, Apotheken die Einrichtung einer eigenen Homepage (Domain, Webspace, Layout) als Serviceleistung anzudienen. So präsentierte Pharma Daig & Lauer, führender Anbieter von Software im Apothekenbereich, im Herbst 1998 ein Rundum-Service-Paket für den Internet-Auftritt von Apotheken (www.ihreapotheke.de). DerPharmagroßhändler Gehe aus Stuttgart stellt mit seinem Web-Angebotwww-apotheke.com interessierten Apothekern eine Internet-Plattform in Modulbauweise zur Verfügung. Und auch der Pharmahersteller Hexal bietet einen solchen Dienst kostenlos an. Die 22 000 deutschen Apotheken sind also durchaus heiß umworben, was ihre Internet-Präsenz angeht. Die Motive der Anbieter dürften Profilierung als Antwort auf den steigenden Konkurrenzdruck und der Versuch einer langfristigen Kundenbindung sein.

Der Drang deutscher Apotheken zur eigenen Homepage ruft auch andere Dienstleister auf den Plan. "Beratende Unternehmen sehen im Anbieten von Internet-Diensten eine neue Servicemöglichkeit", so Kindling und Ossenkop. Doch sie beobachten, daß in dieser Branche eine gewisse Unsicherheit herrscht. Kindling und Ossenkop selbst haben bereits eine Aufforderung auf dem Tisch liegen, die Internet-Auftritte derjenigen Apotheken, die durch ein Beratungsunternehmen betreut werden, auf fachliche Kompetenz und juristische Ausgestaltung zu prüfen. Die besonderen "Fußangeln" der ständischen Berufsordnung und die nationale Gesetzgebung erlaubten es nicht, Internet-Seiten für Apotheken nach dem Strickmuster anderer Branchen zu erstellen.

Angeklickt

Es gibt gute Gründe, warum die Apotheke um die Ecke im Internet eine Homepage hat. Die Apotheker müssen zwar dabei zwischen Werbebeschränkungen und Versandhandelsverbot lavieren. Doch langfristig dürften sie der Konkurrenz einen Schritt voraus sein.

Stephan Eder ist freier Journalist in Bonn.

Bewußt wurden weder die URL noch die Namen der Apotheken mit Internet-Auftritten genannt. Es ist nicht auszuschließen, daß in diesem Fall die betreffenden Apotheken wegen unerlaubter Werbung von den Apothekerkammern verwarnt worden wären.