EU und Bundesregierung verschenken bei Fördermitteln viel Kredit

E-Commerce-Hilfe: Außer Spesen nichts gewesen?

05.02.1999
Elektronischer Handel ist sexy und verspricht allen Teilnehmern in den nächsten Jahren gewaltige Gewinne - darin sind sich die meisten Marktforscher einig. Kleinere und mittelständische Unternehmen trauen sich allerdings nach wie vor nicht so recht an das neue Medium heran. Europäische Kommission und Bundesregierung wollen ihnen daher mit Förderprogrammen auf die Sprünge helfen. Daß damit aber nicht alle Hürden beseitigt werden, beschreibt Johannes Fritsche.

Nach Ansicht der Europäischen Kommission könnte der Online-Handel gerade auch dem Mittelstand helfen, bei der zunehmenden Internationalisierung des Marktes wettbewerbsfähig zu bleiben. Mit Förderprogrammen und einer Informationsoffensive will sie Unternehmen zum Einstieg in den elektronischen Geschäftsverkehr ermuntern.

Kern der EU-Aktivitäten ist das im November 1998 verabschiedete "Fünfte Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung" (kurz: FTE-Rahmenprogramm; www.cordis.lu/fp5/). Mit einem Budget von 14,96 Milliarden Euro will die Kommission in den Jahren 1999 bis 2002 unter anderem innovative Electronic-Commerce-Projekte fördern (siehe das Interview mit Paul Timmers, Seite 26). Um das Geld an den Mann zu bringen, haben die Generaldirektionen III Industrie und XIII Telekommunikation der Europäischen Kommission das Information Society Project Office (Ispo) eingerichtet. Es soll Hilfestellung für den Einstieg in den elektronischen Handel und für die Entwicklung entsprechender Softwareprodukte und Serviceleistungen geben.

Der Ispo-Web-Server (www.ispo.cec.be) informiert ausführlich über Politik, Recht, Fördermittel, Technologie, Best-Practice-Beispiele sowie über nationale und internationale Initiativen zu Electronic Commerce und zur Informationsgesellschaft. Web-Master Daniel Drapkin will eine Vorbildfunktion erfüllen: "Unser Ispo-Server soll selbst ein Best-Practice-Beispiel sein." So hat er auf derWeb-Seite bereits einen Call-back-Button integriert, mit dem zu den normalen Bürozeiten ein Rückruf des Ispo-Call-Centers angefordert werden kann. EU-Mitarbeiter beantworten dann weitergehende Fragen oder lotsen Interessenten an die richtige Stelle im Web-Server. E-Commerce-Experte Wolfgang Semar vom Fachbereich Informationswissenschaft der Universität Konstanz wünscht sich allerdings beim Ispo-Server noch mehr Tiefe: "Die allgemeinen Definitionen sind alle da, aber beispielsweise ganz konkrete Hinweise zur Realisierung einer E-Commerce-Lösung vermisse ich".

Daß sich die Mittelständler mit dem Einstieg in den elektronischen Handel schwer tun, liegt nach Semars Erfahrungen nicht nur am Informationsdefizit oder fehlendem Bewußtsein des Unternehmers für die Chancen des neuen Geschäftskanals, sondern auch an einer "Beratungslücke". Interessierte Unternehmen finden nur schwer eine Anlaufstelle, die sie komplett beraten kann. "Die Leute hangeln sich von Kontakt zu Kontakt, die Beispiele werden wechselseitig hin- und herkopiert. So kommen die Interessenten vom Regen in die Traufe", klagt Semar. Er rät deshalb, zum Beispiel mit Hilfe der Industrie- und Handelskammer (IHK) oder eines Technologiezentrums eine erste Checkliste für die Auswahl eines qualifizierten Beraters und eine zweite modifizierte Liste für die Auswahl des richtigen Realisierers anzufertigen.

Anwender und Anbieter von Electronic-Commerce-Lösungen, die für den Einstieg in den elektronischen Handel oder die Entwicklung neuer Softwareprodukte Fördermittel aus dem FTE-Rahmenprogramm der EU beantragen wollen, dürfen allerdings nicht zuviel erwarten und brauchen Geduld. Indem das Budget auf 15 Mitgliedstaaten und vier Jahre Laufzeit verteilt wird, relativiert sich die Zahl von knapp 15 Milliarden Euro. Außerdem ist das Antragsverfahren noch immer sehr aufwendig und ohne externes Know-how nur schwer zu überwinden. Ferner gestaltet sich die Verwaltung der Projektmittel zu bürokratisch, berichtet Wirtschafts- und Fördermittelberater Klaus Lockemann aus Bad Aibling: "Wenn Mittelständler die Antragsformulare in die Hand bekommen, werfen die ersten schon das Handtuch." Was Antragsteller beachten sollten, um nicht zu verzweifeln, erläutert Hans-Hermann Jürgensmann, Fördermittelexperte des Deutschen Industrie- und Handelstags (DIHT), im Gespräch mit der CW (siehe Kasten "Wege durch den Antrags-Dschungel").

Allerdings macht es die Bundesregierung deutschen Unternehmern ebenfalls nicht gerade leicht. Wegen leerer Kassen konzentrierte sich das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI; www.bmwi.de) am Endeder letzten Legislaturperiode ebenfalls mehr auf die Information, weniger auf gezielte, kostenträchtigere E-Commerce-Förderprogramme. Immerhin baute das Ministerium ein Netz regionaler Kompetenzzentren auf, die mit Informations-, Beratungs- und Qualifizierungsaktivitäten "kleine und mittlere Unternehmen bei der Einführung von elektronischen Formen des Geschäftsverkehrs unterstützen sollen".

Hoher Informationsbedarf beim Mittelstand

Nach der Bildung der neuen Bundesregierung sind die Konturen einer zukünftigen E-Commerce-Politik bislang nicht erkennbar.

Offenbar reicht auch dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) mit den angeschlossenen Industrie- und Handelskammern (IHK) das Engagement der Politik nicht aus. Mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen, darunter eine Anzeigenkampagne und regionale Veranstaltungen, wollen sie deshalb ihre mittelständischen Mitglieder für das neue Medium sensibilisieren und zum Einstieg ermuntern. Organisiert werden diese Aktivitäten durch die eigens dafür gegründete Mediamit Promotionsgesellschaft für multimediale Anwendungen mbH (www.cpskrohn.de/mediamit), eine Tochter des DIHT. Der Informationsbedarf ist hoch, bestätigt Mediamit-Prokurist Bernd Marenbach. Skeptische Unternehmer wollen immer wieder wissen: "Was bringt es, was kostet es, und was muß ich machen?" Fragen, auf die trotz lobenswerter Initiativen offenbar weder die Europäische Kommission noch die Bundesregierung befriedigende Antworten geben können.

Wege durch den Antrags-Dschungel

Hans-Hermann Jürgensmann, Fördermittelexperte des DeutschenIndustrie- und Handelstags (DIHT), kritisiert die Praxis der Europäischen Union bei E-Commerce-Projekten im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE scharf. Vielfach erwecke die Kommission falsche Eindrücke. Auf den ersten Blick groß wirkende Fördervolumina in Milliardenhöhe seien in der Regel Mittel, die sich auf 15 Länder und fünf Jahre verteilen. Für den einzelnen Unternehmer bleibe wenig übrig. Außerdem versickere ein großer Verwaltungsanteil bei der Kommission selbst. Von 100 Mark kommen nach Einschätzung des DIHT-Manns vielleicht 70 Mark an. Viele Projekte seien zudem unklar formuliert und sprächen dadurch die falsche Zielgruppe an.

Der Fördermittelexperte empfiehlt interessierten Unternehmen folgende Vorgehensweise: Erst wenn es auf Landes- oder Bundesebene keine passenden Hilfen gibt, sollten sie sich um EU-Förderprogramme bemühen. Wichtige Ansprechpartner im Land seien die entsprechenden Ministerien und die Industrie- und Handelskammern. Kleine und mittelständische Firmen sollten auf keinen Fall selbst mit dem Fördermittelgeber verhandeln, sondern mit erfahrenen Vermittlern zusammenarbeiten. Die Kammern könnten bei allgemeinen Programmen helfen und für spezielle Projekte die richtigen Ansprechpartner benennen. Oft träten auch Institutionen wie die Fraunhofer-Gesellschaft als Projektträger auf. Jürgensmann rät Firmen, die in den elektronischen Handel einsteigen wollen, sich nicht abschrecken zu lassen, plädiert aber nachhaltig für eine Straffung der entsprechenden Förderprogramme.

Johannes Fritsche ist freier Autor in Bonn und Brüssel.