Forrester Research über Paradigmenwechsel in der Web-Wirtschaft

E-Business-Netze setzen interne IT unter Druck

28.04.2000
MÜNCHEN (ciw) - Glaubt man den Apologeten des Digital Business, unterscheidet sich die Internet-getriebene Ökonomie fundamental von der traditionellen Form des Wirtschaftens. Laut Bruce Temkin, Research Director bei Forrester Research, verändert das Netz die Beziehungen zwischen Geschäftspartnern (B-to-B) grundlegend.

Der auf der Konferenz "Winning in Europe´s Internet Economy" aufgezeigte Paradigmenwechsel führt laut Forrester zu einem Wandel, den noch niemand genau abschätzen könne. Dabei spielten sich die stärksten Umstrukturierungen im Business-to-Business-Sektor ab, der sich in den nächsten vier Jahren dramatisch ausweiten soll. Weltweit werde sich das Online-Handelsvolumen im Jahr 2004 auf rund 4000 Milliarden Euro belaufen, prognostizieren die Auguren; das Business-to-Consumer-Volumen soll mit "nur" 417 Milliarden Euro deutlich geringer ausfallen.

Dabei ist das Netz nicht einfach ein zusätzlicher Handelskanal: Es ist spontan, jeder kann mit jedem kommunizieren, stets verfügbar und last but not least standardisiert. "Im B-to-B-Segment geht es um Geschwindigkeit und die Vereinfachung von Prozessen", erklärt Temkin den Besuchern der Forrester-Konferenz den Unterschied zum Endkundengeschäft. Je weniger Zeit ein Unternehmen brauche, um online die wichtigsten Informationen zu bekommen, Waren zu bestellen oder eine Beschwerde loszuwerden, desto besser. Um das zu erreichen, müssten Organisationen allerdings ihre internen Prozesse, auf deren Management sie sich bisher konzentriert haben, über die eigene Firma hinaus vernetzen. Dabei entstehen E-Business-Networks, unabhängige Unternehmen, die in Echtzeit über das Netz miteinander verbunden sind.

Für diese Netze gelten drei fundamentale Regeln:

- Links sind frei.

- Informationen liegen für jeden offen.

- Die Aktiva "leben" im Netz.

Regel Nummer eins bedeutet laut Forrester vor allem, dass Partnerschaften häufig wechseln und ihre Bedingungen online ausgehandelt werden. Selbst die zugrunde liegenden Geschäftsprozesse liegen im Netz. Regel Nummer zwei: Nichts bleibt geheim, alles ist kopierbar. Unternehmen müssen laut Temkin "wie offene Bücher" sein - abgesehen vielleicht von einigen geschwärzten Seiten, auf denen echte Interna stehen. Außerdem, so postuliert der Forrester-Mann, seien künftig Marktdaten frei verfügbar und damit nur sehr kurzfristig wertvoll. "Ihren eigentlichen Wert gewinnen Daten oder Informationen erst dann, wenn daraus gewonnenes Wissen angewendet wird." Der letzte Punkt besagt, dass vernetzte Firmen leichter attraktive Partner gewinnen und so schneller Neuerungen einführen können als ihre nicht vernetzten Pendants.

Bei der Einrichtung derartiger E-Business-Netzwerke gerät die interne IT-Abteilung nach Ansicht von Forrester-Analyst Christopher Mines zunehmend ins Hintertreffen. Sie müssten Know-how im Projekt-Management aufbauen.

Der Grund, warum sie nicht länger der erste Ansprechpartner ist, liege vor allem in ihrer strukturellen Unfähigkeit, mit den raschen Veränderungen in der digitalen Wirtschaft Schritt zu halten. Außerdem fehle es an der Skalierbarkeit der existierenden Infrastruktur. So könne beispielsweise kaum eine interne IT-Abteilung mit unvorhersehbaren Belastungen fertig werden. Genau das ist aber im E-Business-Sektor an der Tagesordnung: Brechen beispielsweise die Aktienkurse am Neuen Markt oder der Nasdaq ein, können sich die Online-Broker vor Anfragen und Transaktionswünschen nicht retten. Selten seien dann die hausinternen Systeme flexibel genug, um die Spitzenbelastungen abfangen zu können, so Mines.

Im Gegensatz zur heutigen Infrastruktur müsse die Technik für die digitale Ökonomie vor allem vier Kriterien genügen:

- "Ubiquity". Damit sind insbesondere robuste Netzwerkverbindungen gemeint, die es zum Beispiel erlauben, schnell neue Lieferanten einzubinden.

- "Availability" beschreibt die ständige Verfügbarkeit auch bei nicht vorhersehbaren Belastungen.

- "Speed" bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem die Fähigkeit, Applikationen schnell (innerhalb von Tagen) einsatzbereit zu machen beziehungsweise auf den neuesten Stand zu bringen.

- Integration sowohl in die bestehenden Legacy-Systeme als auch in die E-Business-Applikationen der anderen Marktteilnehmer.

Nicht zuletzt aufgrund dieser veränderten Paradigmen, unter denen IT in einer vernetzten Wirtschaft agieren müsse, hält Mines das Pay-per-Use-Modell für einen geeigneten Ausweg. "Die Unternehmen werden sich ändern von Besitzern und Betreibern von Informationstechnologie zu Kunden von Systemen und Services. Der Trend geht von vertikaler zu virtueller Integration", prophezeit der Forrester-Experte.

Sein Kollege Temkin verglich die Auswirkungen des Internet mit der Erfindung des Automobils, die zuerst direkte und später indirekte Konsequenzen mit sich brachte. Dass Autos andere Straßen brauchen würden als Pferdedroschken, ließ sich noch ohne große Probleme vorhersagen. Dass sie aber auch die weiträumige Trennung von Arbeit und Wohnen ermöglichen würden und im Zuge der Massenmotorisierung die Vorstädte erblühen ließen, hätte sich seinerzeit Henry Ford wohl nicht träumen lassen. Analog dazu erwartet Temkin in der Digital Economy Geschäftsmodelle, die sich heute noch niemand vorstellen könne. "E-Commerce reicht nicht mehr aus, der nächste Schritt heißt E-Business. Dabei steht der Online-Gedanke im Mittelpunkt der Unternehmensstrategie, und daraus entstehen unter Umständen ganz neue Modelle".

"Beim E-Business dreht sich alles um Spezialisierung und Zusammenarbeit", so Temkin. In der digitalen Ökonomie könnten nur Firmen überleben, die in bestimmten Bereichen "Klassenbester" (best of breed) seien und die Aktivitäten außerhalb dieses Kerngeschäfts von Fall zu Fall wechselnden Partnern überlassen. Die derzeit allerorten wie Pilze aus dem Boden schießenden elektronischen Marktplätze weisen laut Temkin den Weg zu der neuen Art des Wirtschaftens, indem sie die Schwachstellen bisheriger Beschaffungsprozesse attackieren und gleichzeitig selbst ein gutes Beispiel für die Effizienz einer volldigitalisierten Ökonomie abgeben.

Abb.1: E-Business-Paradigmenwechsel

E-Business-Netzwerke bauen stark auf externer IT-Infrastruktur auf. Sie können dadurch flexibler auf Veränderungen reagieren. Quelle: Forrester Research

Abb.2: Marktplätze der Zukunft

Elektronische Marktplätze sind die Vorboten des Paradigmenwechsels in der digitalen Ökonomie. Sie stehen für hohe Effizienz. Quelle: Forrester Research