Kosten der DV/Kostenkalkulation ohne Unbekannte

E-Business: Die Integration ist das Fundament

28.09.2001
Dotcom-Sterben, Torschlusspanik am Neuen Markt - nicht alles liegt am Börsenklima. Viele Flops sind hausgemacht. Auch etablierte Unternehmen haben bei ihrem Einstieg ins E-Business fundamentale Management-Fehler hinsichtlich der IT-Infrastruktur begangen: Die mangelhafte Integration von IT-Komponenten und sträflich vernachlässigte Kostenaspekte hinterlassen nun ihre Spuren. Von Volkhard Wolf*

Pleite-Meldungen in rasanter Folge - das Gros der mittlerweile wie vom Erdboden verschluckten Firmen machen dabei laut Webmergers.com mit 47 Prozent die E-Commerce-Unternehmen aus. "Wer jetzt noch am Markt ist, hat wahrscheinlich nur überlebt, weil er seine Ausgaben radikal gekürzt hat", so das ernüchternde Resümee von Webmergers-Chef Tim Miller.

Dass es bei zahlreichen der ruinierten Dotcoms nicht unbedingt so weit hätte kommen müssen, belegt das Marktforschungsinstitut Gartner Group mit einer These: Allzu viele der einstigen Highflyer der New Economy kümmerten sich von Anfang an kaum um den Aspekt Integration. Aber genau diese Einbindung unterschiedlichster Applikationen und Systeme wird auch in den kommenden fünf Jahren laut Gartner zum überlebensnotwendigen Kriterium für jegliche E-Business-Konzepte.

Ursache der mangelhaft beachteten Integration ist zweifelsohne der anhaltende Trend zu Standardsoftware, sprich: "buy not build". Allzu oft scheuen Unternehmen die Einbindung vorhandener und neuer Software beziehungsweise die Zusammenführung diverser Rechner- und Systemumgebungen und schreiben stattdessen die erforderlichen Anwendungen neu. Das für den Bereich E-Business überlebensnotwendige Konzept Enterprise Application Integration (EAI) lässt sich allerdings nur umsetzen, wenn die sichere Kommunikation zwischen sämtlichen Business-Systemen hundertprozentig gewährleistet ist. Dazu gehört unter anderem auch die Einbindung von Web-Seiten in die existierende IT-Infrastruktur.

Verantwortlich für so manche Dotcom-Pleite zeichnet häufig eine falsch kalkulierte Kostenrechnung: Während nämlich der sichtbare Teil einer E-Business-Lösung, wie etwa der Shop im Internet, mit Einführungskosten von durchschnittlich 200000 Mark zu Buche schlägt, kostet seine dazugehörige Integration in das Backend sowie mit den Analyse- und CRM-Systemen nicht selten mehr als das Zehnfache - ein Faktor, der häufig nicht ins Kalkül gezogen wird.

Mühsame Schnittstellenpflege

Ähnliches gilt für die Entwicklung der Interfaces: Weil der Druck angesichts der globalen Wettbewerbssituation stetig steigt und die zugekauften und bestehenden Anwendungen effektiver miteinander integriert werden müssen, beschäftigt sich häufig die Hälfte der IT-Mitarbeiter eines Unternehmens mit der mühsamen Pflege von Schnittstellen. Ebenso müssen mitunter die über Jahre gewachsenen und mit hohen Investitionen erstellten Legacy-Systeme in die DV-Landschaft eingebunden werden. Soll aber jede Anwendung mit jeder Applikation miteinander kommunizieren können, dann gerät das Thema API-Entwicklung und -Verwaltung schnell zur Herkulesarbeit für die gesamte IT-Abteilung. Schon heute entfallen rund 35 Prozent der laufenden Kosten auf diese Wartungsarbeiten. Das liegt daran, dass traditionell Anwendungen im Punkt-zu-Punkt-Verfahren verbunden werden, das heißt, jede Applikation kommuniziert direkt mit jeder Anwendung.

Die Konsequenz: In den Unternehmen wird zusammengeschustert, was irgendwie zusammengehört. Doch schon die Dokumentation solcher "natürlich gewachsener" Landschaften fällt schwer. Diese prekäre Situation wird noch problematischer, sobald neue Anwendungen hinzukommen. Angenommen, es werden in einem Unternehmen 16 Anwendungen gleichzeitig betrieben, wie das etwa in der Finanzbranche typisch ist: Soll jede Applikation mit jeder anderen Daten austauschen, müssen 120 Verbindungen (n(n-1)/2) hergestellt werden. Dabei handelt es sich um festcodierte Verbindungen, die nach Schätzungen der Gartner Group etwa 30 Prozent der Kosten verschlingen, sobald eine neue Anwendung fällig wird.

E-Business wird auf der Basis einer solchen Infrastruktur zum Drahtseilakt: Ein Web-Auftritt mit entsprechenden E-Commerce-Funktionen wie Shop und Verfügbarkeitsprüfung muss mit Anwendungen - oft kommt hier SAP R/3 zum Einsatz - integriert werden, die auf Unix-Systemen, NT-Netzen und an unterschiedlichen Standorten laufen. Auch die Einbindung bestehender Mainframe-Applikationen sowie verschiedener Datenbanken gehört dazu. Ohne ein durchdachtes EAI-Konzept geht hier gar nichts. Basis für die erfolgreiche Anbindung ist ein Adapter für die Kopplung gängiger Softwareprodukte und Datenbanken, eine Workflow-Steuerung sowie die Möglichkeit, neue Geschäftsprozesse per Mausklick zu gestalten.

Dominierende Standards: XML und HTTP

Anwender müssen sich auch darüber im Klaren sein, dass EAI andere Middleware-Technologie nicht überflüssig macht. Vielmehr wird nun eine bequemere und schnellere High-Level-Integration auf Anwendungsebene möglich. Darunter kommen jedoch weiterhin Basistechnologien wie Corba, MOM, TP-Monitor, ODBC, JDBC oder COM zum Einsatz.

Enorme Bedeutung für die Zukunft von EAI kommt zudem der Verwendung der Extensible Markup Language (XML) in den einzelnen Produkten zu. XML hat sich, darüber herrscht Konsens unter nahezu sämtlichen Herstellern, als die Grundlage für Industriestandards für den geschäftlichen Datenaustausch sowie für den Aufbau elektronischer Marktplätze bewährt. Gerade dieser Aspekt verdeutlicht zugleich einen Trend, den viele der derzeit angebotenen EAI-Lösungen nicht berücksichtigen: die Ausdehnung der Geschäftsprozesse und die lose Anwendungsintegration über das Internet. In einem solchen Szenario nehmen XML und das Hypertext Transfer Protocol (HTTP) als dominierende Standards für die Systemkommunikation und den Datenaustausch zwischen Unternehmen und Kunden entscheidende Funktionen ein. Etliche Hersteller, wie etwa IBM, Sun oder auch Microsoft, haben dies bereits erkannt und sich hinter das XML-HTTP-basierende Simple Object Application Protocol (Soap) gestellt. Ein neuer Überbegriff macht indes bereits die Runde: "Internet Application Integration" (IAI).

Das sind Faktoren, an welche die meisten der gescheiterten E-Business-Unternehmen nicht oder zu spät gedacht haben. Häufig wurden Prozesse nicht einmal intern durchgängig gestaltet, wie es Fachleute Mitte der neunziger Jahre immer wieder gepredigt hatten. Die Sünden der Vergangenheit holen die Betriebe nun wieder ein, denn: Wer Department-to-Department nicht beherrscht, lernt B-to-B oder B-to-C auch nicht mehr.

*Volkhard Wolf ist E-Business Marketing Manager bei IBM und Autor des Buches "Baustelle E-Business".