IT in der Medienbranche

E-Books: Kampf um Buchmarkt eröffnet

08.10.1999
Droht dem gedruckten Wort nach Jahrhunderten facettenreicher Buchkultur der Garaus? Im Herbst erscheinen erste elektronische Bücher auf dem deutschen Markt. Sie könnten den Lesetext revolutionieren. Doch sind neben den Stärken der digitalen Werke und ihrer Lesemaschinen die Schattenseiten der Technologie augenscheinlich: Konkurrenzprodukte machen bereits von sich reden. Michael Funk* berichtet.

In Amerika sind sie seit einigen Monaten auf dem Markt, hierzulande werden sie nach der Frankfurter Buchmesse erhältlich sein: digitale Lesemaschinen, auch E-Books beziehungsweise E-Book-Reader genannt. Im ersten Moment könnte man sie mit einem Notebook verwechseln, doch vergeblich wird man nach Eingabe- instrumenten, Laufwerkeinschüben oder Schnittstellen suchen. Lediglich eine Verbindung zur Telefondose gibt es. Hierüber holen sich die Geräte bei Bedarf ihren digitalen Lesestoff aus dem Internet, den der Anwender vom E-Book-Hersteller beziehungsweise von autorisierten Verlagen bezieht.

Doch wozu der Aufwand? Auch herkömmliche Bücher sind transportabel. Will man allerdings mehrere Folianten transportieren, kommen schnell einige Kilogramm zusammen. Anders bei den neuen Lesegeräten: Sie wiegen etwa ein Kilogramm, zum Teil auch viel weniger, und das preiswerteste Modell speichert 1500 Buchseiten (ohne optionalen Speicherausbau), was immerhin bereits drei bis vier durchschnittlichen Büchern entspricht. Die beiden teureren Modelle, die bereits erhältlich sind, bringen es auf 4000 bis zu immerhin 500000 Buchseiten. Die flachen Leichtgewichte sind zudem wesentlich platzsparender als die entsprechende Menge Bücher.

Einer der Hauptvorteile ist sicherlich auch die einfache Recherche in den Büchern. Mittels Suchfunktion sind im Handumdrehen die verschiedensten Textpassagen beziehungsweise Sachgebiete auffindbar. Die Hersteller werben vor allem damit, daß die Geräte kinderleicht zu bedienen seien. Glaubt man ihnen, so gibt es kein kompliziertes Betriebssystem, das gewartet werden muß, keine versteckten Software-Einstellungen, Systemabstürze, Viren oder rätselhafte Fehlermeldungen.

Doch wie so oft hängt an jeder scheinbar genialen Erfindung eine ganze Kette von Nachteilen, die vor allem durch wirtschaftliche Interessen entstehen. So kommen auf den Anwender neben den Anschaffungskosten für das Lesegerät von etwa 600 bis 3000 Mark noch einmal erhebliche Kosten für den digitalen Lesestoff hinzu. Das kopiergeschützte digitale Buch wird kaum preiswerter sein als die gedruckte Variante. Im Vergleich zum Taschenbuch muß der Anwender für das elektronische Druckwerk sogar wesentlich mehr investieren. Hinzu kommen die gern verschwiegenen Online-Kosten für den Datentransfer aus dem Netz.

Zudem ist die Auswahl an E-Büchern minimal, ganz zu schweigen von deutschsprachigen Versionen. So wird der Lesefreudige kaum das gewünschte Werk in digitaler Version finden, es sei denn, es handelt sich dabei um ein Nachschlagewerk, einen Klassiker oder einen typischen Bestseller aus der Belletristik oder Klatschszene. Monika Lewinskys Affäre beispielsweise war sofort in digitaler Buchform erhältlich.

Konzept geht am Kunden vorbei

Eine an effektiver Recherche und Mobilität interessierte Leserschaft ist jedoch eher an Fachbüchern zu speziellen Themen, Lehrbüchern (der Weiterbildungssektor blüht) und anspruchsvoller moderner Nischen-Literatur interessiert. Die Entwicklung geht also in die Richtung homogener Massenliteratur. Ob deren Leserschaft allerdings bereit ist, sich dafür ein teures E-Book zu kaufen, ist fraglich.

Im Zeitalter des allseits propagierten farbigen Multimedia erscheinen die beiden günstigeren Modelle "Softbook" und "Rocket-E-Book" mit ihren Schwarzweiß-LCDs antiquiert. Selbst die preiswertesten Notebooks sind dagegen schon seit einigen Jahren nicht mehr als Monochromversionen erhältlich. Lediglich das "Every Book" mit zweiseitigem Farbdisplay wird diesem Anspruch gerecht und speichert seine 500000 Seiten auch farbig ab. Der Anschaffungspreis von zirka 3000 Mark für ein Nur-Lesegerät dürfte für die meisten Anwender jedoch eindeutig zu hoch sein.

Ein weiteres Problemthema der E-Books ist deren Inkompatibilität: Weder untereinander noch zum PC sind die Daten kompatibel. Das hat seinen Grund. Um Raubkopien zu verhindern, schützen die Hersteller ihre Software dadurch, daß diese sich zwar auf einem PC oder auf Server des Herstellers zwischenlagern, nicht aber lesen läßt. Vom Kopieren der Texte ganz zu schweigen. Das schafft aber einen weiteren Nachteil: So können die Bücher nicht editiert, interessante Textbausteine nicht ausgeschnitten und separat gespeichert werden. Nur Schriftgrößen- und Schrifttypänderungen, Anmerkungen, Lesezeichen und Hervorhebungen sind zum Teil möglich. Für den Anwender ein dicker Minuspunkt.

Um den Kopierschutz auch innerhalb der E-Book-Welt zu gewährleisten, codieren die Hersteller ihre Geräte. Beim Rocket-E-Book zum Beispiel muß der Anwender seine Wunschbücher per Internet auf den PC übertragen. Die nötige PC-Software mit Seriennummer wird mit dem Lesegerät geliefert. Bei der Bestellung muß die Identifikationsnummer des Lesegeräts mit angegeben werden. Bei nachfolgender Übertragung der Daten vom PC auf das Lesegerät wird automatisch geprüft, ob die bei der Bestellung angegebene Identifikationsnummer mit der im Lesegerät gespeicherten übereinstimmt. Erst dann wird der Text dechiffriert und damit lesbar. Der Nachteil für den Anwender: Während er "analoge" Bücher auch einmal leihen oder verleihen kann, sind digitale Versionen nur auf seinem Lesegerät lesbar. Dadurch wird auch die Anzahl der auf dem Markt verfügbaren Software-Bücher eingeschränkt, da jeder Hersteller sein eigenes spezifisches Sortiment aufbauen und vertreiben muß. Im übrigen ist hier von anwenderfreundlichem einfachem Handling kaum noch die Rede. Wer Daten zunächst mit seinem PC aus dem Internet holt und den Datentransfer zum Lesegerät schafft, kann mit Sicherheit auch mit einem Notebook umgehen. Hier scheinen sich die Hersteller tüchtig vergaloppiert zu haben. Den einen Schwachpunkt will ein Konsortium, bestehend aus Microsoft, Softbook Press, Bertelsmann, Harper Collins Publishers, Penguin Putnam, Simon & Schuster und Time-Warner Books, aus dem Weg räumen. Dort arbeitet man unter der Direktive von Microsoft an einem Standard namens Open-E-Book. Er soll elektronische Bücher unter Wahrung der Kopiersicherheit auf allen E-Book-Mo- dellen lesbar machen. Doch werden zunächst alle bereits digi- talisierten Bücher in das neue Format umgewandelt werden müssen.

Wer heute ein Lesegerät samt Software kauft, das nicht diesen Standard unterstützt - das gilt derzeit für alle Modelle -, schaut in naher Zukunft also in die Röhre, denn mit seiner Hardware kann er erstens nicht den Open-E-Book-Standard lesen, und zweitens wird er über kurz oder lang auch nicht mehr an die spezifischen Buchformate für sein E-Book herankommen, falls sich Open-E-Book durchsetzt.

De facto kauft der Anwender mit einem E-Book also derzeit ein einseitiges, nicht einmal einfach zu bedienendes Nur-Lesegerät,

-mit dem digitale Texte (abgesehen von Anmerkungen) ausschließlich gelesen werden können,

-dessen Format in Zukunft fragwürdig ist und

-für das es nur in sehr begrenztem Umfang digitale Buchtitel gibt, die teilweise fast den Preis eines gebundenen Werkes ausmachen und nur auf einem einzigen Gerät lesbar sind.

Es gibt aber auch attraktive Alternativen zum E-Book. Neben dem physischen Buch, das technologisch keinen Ärger macht und leicht zu bedienen ist, wären da das schon erwähnte, allerdings teure, Notebook und die preiswerten Minirechner, wie PDAs, Handhelds, CE-Rechner etc. zu nennen (siehe Kasten "Konkurrenz").

Für Anwender, die zirka 3000 Mark aufbringen können, bietet das klassische Notebook die attraktivsten Leistungen: Selbst eine Standardfestplatte von 4 GB speichert, vernachlässigt man den nötigen Speicherplatz für die Textverarbeitungssoftware und das Betriebssystem, eine Million unkomprimierte DIN-A4-Dokumentseiten im Word-Format, was etwa zwei Millionen Buchseiten entspricht. Selbst das etwa 3000 Mark teure Lesegerät Everybook speichert "nur" 500000 Buchseiten.

Dabei lassen sich Notebooks mittlerweile mit zweimal 18 GByte Speicherplatz ausrüsten, die etwa 18 Millionen formatierte Buchseiten fassen könnten. Gleichzeitig läßt sich der Text mit dem Notebook in jeder beliebigen Form editieren, durchsuchen und übertragen. Das Laden von elektronischen Büchern aus dem Internet ist ebenfalls kein Problem, da viele Geräte mittlerweile ein Modem integriert haben oder nachrüstbar sind.

Außerdem ist das Notebook kein bloßes Lesegerät, sondern steht mit seiner Vielseitigkeit einem leistungsfähigen Arbeitsplatz-PC in nichts nach. Selbst in puncto Gewicht und Größe können moderne Notebooks mit dem Every Book konkurrieren. Auf die bequeme Touchscreen-Bedienung eines Lesegeräts muß der Notebook-Anwender allerdings verzichten. Außerdem ist die Betriebszeit auf durchschnittlich zwei bis drei Stunden beschränkt, während Nuvo Media die maximale Betriebszeit seines Rocket-E-Book mit bis zu 17 Stunden angibt.

Zum Lesen digitaler Bücher benötigt der Anwender übrigens nicht unbedingt ein Lesegerät oder ein Notebook. Spielt Mobilität eine untergeordnete Rolle, lassen sich an jedem lokalen Heim- oder Büro-PC (beziehungsweise Mac-Rechner) mit Modem per Internet spezielle E-Bücher im PC- oder Mac-Format laden und danach editieren, kopieren, recherchieren etc.

Das Angebot an E-Büchern für Arbeitsplatz-PCs ist nicht geringer als das der E-Book-Spezialisten, allerdings bedeutet es für den Anwender etwas Sucherei im Internet, bis er die zum Teil sogar kostenlosen digitalen Schriften laden kann. Im übrigen können hier bereits einige Dutzend elektronische Zeitschriften abonniert werden. Darüber hinaus ist auch auf CD-ROM eine wachsende Zahl von Buchtiteln und Nachschlagewerken verfügbar, die zudem immer auch multimedial mit Animationen, Bildern, Sound und Sprachausgabe aufgearbeitet sind.

Für Notebooks und PCs ergibt sich darüber hinaus die Möglichkeit, selbst Bücher einzuscannen und dann jederzeit recherchieren zu können. Scanner sind heute für 100 Mark erhältlich. Ansonsten fallen nur der Preis für das Buch und die allerdings beträchtliche Arbeit beim Einscannen, Umwandeln (OCR= Optical Character Recognition) und Nachkorrigieren an.

Konkurrenz

Trotz eines zweifelhaften Konzepts bisheriger E-Books: Das elektronische Buch wird kommen - aus umweltpolitischen Gründen und aufgrund der zunehmenden Datenflut. Potentielle Konkurrenten sind alle Hersteller von Minirechnern, denn diese Geräte lassen sich wesentlich breiter einsetzen als Lesegeräte. Zulieferer für die notwendigen Buchdaten sind ebenfalls bereits auf dem Plan. Librius.com Inc. bietet zum Beispiel digitale Bücher für PCs, Mac-Rechner, Handhelds, PDAs, Windows-CE-Rechner und Palm Pilots an. Ein weiterer Spezialist ist Glassbook. Hier gibt es digitale Bücher und einen Reader für PC-, Mac-, Windows-CE- und Handheld-Rechner. Interessant ist auch der Electronic Book Exchange Standard (EBX TM), für den sich Glassbook einsetzt. Das EBX-System ermöglicht das Ausleihen von E-Books und unterstützt sowohl das PDF-Format (Portable Document Format) von Adobe als auch den Open-E-Book-Standard von Microsoft. Infos unter http://www.ebxwg.com.

*Michael Funk ist freier Journalist in Monheim.