DV-Weiterbildung noch im Dornröschenschlaf

29.04.1988

Hans-Dieter Siepmann, DV-Berater, Greven

Das Thema "Weiterbildung" beziehungsweise "Fortbildung" ist alt und doch aktuell. Viele Arbeitnehmer begreifen langsam, daß die vor Jahren erworbene berufliche Qualifikation heute oft bei weitem nicht mehr ausreicht. Ein Blick auf die Statistik zeigt, daß der Anteil der hochqualifizierten Arbeitslosen - gemessen am Gesamtpotential - eher gering ist. Die vom Staat für Fordermaßnahmen bereitgestellten Summen sind horrend. Sie waren bis vor kurzem elfstellig, bezogen auf die Zuschüsse eines Jahres.

Auch de Unternehmer werden langsam wach. Nach Ansicht von Erich Staudt, Lehrstuhlinhaber für Arbeitsökonomie an der Ruhr-Universität Bochum, muß es aber erst zu größeren Krisen kommen, ehe in Unternehmerkreisen "... die Dynamik der betrieblichen, regionalen und volkswirtschaftlichen Entwicklung in Abhängigkeit von den jeweils verfügbaren Qualifikationen..." gesehen und verstanden wird.

Die Einsicht also in die Notwendigkeit der Weiterbildung ist da, bei dem einen früher (durch den Verlust des Arbeitsplatzes), bei dem anderen später. Die meisten Unternehmen investieren indes zunächst einige Jahre in neue Technologien, ehe sie feststellen, daß die Qualität der Arbeitsergebnisse hochgradig abhängig ist von der Qualifikation der Mitarbeiter. Dies gilt vor allem dort, wo die DV ihren Einzug gehalten hat: im Verwaltungsbereich im weitesten Sinne und in der Produktion. Kaum ein Arbeitnehmer, der bei einem Einstellungsgespräch ohne Nachweis von DV-Kenntnissen eine Chance auf den begehrten Arbeitsplatz hätte.

Nun stellt sich aber die Frage, wo ein lernwilliger Arbeitnehmer die Kenntnisse vermittelt bekommt, die er an dem von ihm erwünschten Arbeitsplatz benötigt. Die Arbeitsämter behaupten, dies sei in ihrer Qualifizierungsoffensive der Fall. Wie kann das belegt werden? Durch das wunderbare Instrument der Statistik? Fest steht: Ein Arbeitsloser, der einen von den Arbeitsämtern finanzierten Weiterbildungslehrgang besucht, um so seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit auch einen zweiten oder dritten Kurs besuchen, als daß er einen Arbeitsplatz erhält.

Man kann inzwischen ruhig von einem Karussell sprechen. Rein in den Kurs - raus aus dem Kurs - keine Arbeitsstelle, rein in den Kurs. . . Es gibt genügend Belege dafür, daß die erhofften Erfolge dieser gigantischen Unternehmungen ausgeblieben sind. Woran liegt das? Bezogen auf DV-Maßnahmen kann man sagen: Die falschen Dozenten vermitteln die falschen Inhalte in die falschen Kursteilnehmer!

Die Dozenten auf diesem Gebiet sind in zwei große Gruppen aufzuteilen: Die eine ist die der sogenannten Experten, die so sehr in ihrem Fach "drin sind", daß sie keinen Zugang mehr zu den Computerlaien haben und schon deshalb nicht die Spur einer Chance besitzen, ihren Stoff zu vermitteln. Die zweite Gruppe sind die "Schmalspurdozenten", deren Wissen rudimentär ist und die auch nur Fragmente vermitteln können. Beide Gruppen haben eines gemeinsam: Sie sind unterbezahlt und deshalb meist zweitklassig, demotiviert und an echten, praxisbezogenen Lernerfolgen desinteressiert. Der ideelle Ansatz, der gerade in diesem Bereich so bitter nötig ist, fehlt völlig.

Die Forderung: DV-Dozenten können nur qualifizierte Fachleute mit Erfahrung in der Erwachsenenbildung sein, möglichst mit pädagogischer Ausbildung. Sie müssen lernzielorientierte Unterrichtspläne erstellen können und ihren fachlichen Level up-to-date halten, weil dieses Gebiet einem enormen Wandel unterliegt. Und sie müssen ordentlich für ihre Arbeit bezahlt werden.

Gestern noch war es durchaus sinnvoll, Programmiersprachen wie Basic, Cobol oder Fortran zu unterrichten. Heute benötigt diesen Kenntnisstand nur noch ein kleiner Kreis von Programmierern. Der normale DV-Anwender braucht keine Programmiersprachenkenntnisse mehr. Ebenso ist es vielleicht interessant, den "Hexcode" entschlüsseln zu können oder mal etwas im Anwenderprogramm zu "patchen". Die Lehrinhalte von Weiterbildungsveranstaltungen unterliegen jedoch einer ständigen Anpassung an die Marktbedürfnisse. Der Staat kommt diesen Forderungen in der klassischen Schulausbildung nur mit einer Verspätung von mindestens zehn Jahren nach. Bei den Arbeitsamtsmaßnahmen ist ein ähnliches Trägheitsmoment zu beobachten. Wer von den Entscheidungsträgern weiß überhaupt, welche Anforderungen an den Arbeitnehmer der Markt nun wirklich stellt? Auf diesem Sektor kreisen Weiterbildungskonzepte, die für viel Geld gehandelt werden und fast alle eines gemeinsam haben: Sie taugen nichts.

Nur ständig an die tatsächlichen Marktbedürfnisse angepaßte Lehrinhalte, so lautet die Forderung, bieten eine Gewähr für den Erfolg einer Maßnahme.

Die Kursteilnehmer sind diejenigen, auf deren Buckel alles ausgebadet wird. Der Effekt ist häufig derselbe: Im ersten Kurs hat der Optimismus Vorrang, beim zweiten Kurs ist der Teilnehmer nur noch schwer zu motivieren. Hat ein Kursteilnehmer gar mehrjährige "Karussellerfahrung", wirkt er mit seinem grenzenlosen Pessimismus als Hemmschuh für die ganze Maßnahme.

Die Forderung: Die Kursteilnehmer einer Langzeitmaßnahme müssen sorgfältig ausgesucht, notfalls sogar vor Kursbeginn auf ihre Eignung hin getestet werden. Nur Teilnehmer mit annähernd gleichen Voraussetzungen können ein gemeinsames Lernpensum zusammen absolvieren.

Ein 48jähriger Langzeitarbeitsloser mit entsprechender Negativerfahrung wird nur sehr schwer mit einem 20jährigen Arbeitslosen zusammen lernen, der erst vor acht Wochen seine Ausbildung beendete und nicht übernommen wurde. Auch die sogenannten Problemfälle gehören in eigene Maßnahmen. Der Anteil der Alkoholiker und Medikamentenabhängigen ist bei den Arbeitslosen besonders hoch.

Warum bloß fallen diese Minimalforderungen immer wieder unter den Tisch? Mir ist kein Verantwortlicher bekannt, der bereit wäre, auch nur über dieses Thema zu reden, ganz zu schweigen von der Bereitschaft zu Investitionen, die eine gute Kursplanung erfordern würde. Liegt es am Gewinnstreben der kommerziellen Weiterbildungsträger (auch wenn sie sich gemeinnützig nennen)? Oder an der eventuellen Inkompetenz der Sachbearbeiter bei den Arbeitsämtern? Vorstöße bei Entscheidungsträgern haben bisher bestenfalls nur Erstaunen ausgelöst. Zumeist kam gar keine Reaktion. Vielleicht liegt es auch nur daran, daß man schlafende Hunde nicht wecken will. Mir sieht es eher wie ein Dornröschenschlaf aus.

Es gibt eine Institution, die schon von ihrer Philosophie her in der Lage wäre, hier eine positive Vorreiterrolle zu übernehmen - die Volkshochschulen. Trotz ihres zum Teil verheerenden Images verfügen sie über einen gravierenden Vorteil: Sie sind nicht gewinnorientiert und unterhalten zmeist gute Kontakte zu vielen Bereichen. Es gibt positive Beispiele dafür. Auch könnten die Kommunen das Problem der Langzeitarbeitslosen somit ihren eigenen Unterbehörden übertragen.

Der Markt (!) der Weiterbildungsträger ist, gerade im DV-Bereich, recht exotisch geworden. Neben den alten, ehrwürdigen Trägern (zum Beispiel aus dem Gewerkschaftsbereich) und den Kammern schießen sie wie die Pilze aus dem Boden. Es gibt inzwischen private Träger, die Arbeitsamtsmaßnahmen durchfuhren dazu gesellen sich auch gerne die DV-Hersteller, die allein schon über den Werbeeffekt entzückt sind. Viele Anbieter von Weiterbildung holen sich hierbei kein blaues Auge, sondern eine goldene Nase.

Seit neuester Zeit schreiben die Arbeitsämter ihre Maßnahmen zu einem großen Teil aus. Das heißt, in den Arbeitsämtern werden auch die Kursinhalte mit allem Drum und Dran festgelegt. Das wird ein Chaos werden! Welcher Arbeitsvermittler hat denn schon die Kompetenz, Vollzeitmaßnahmen mit weit über 1000 Stunden Unterricht detailliert zu planen, angefangen von den Kursinhalten über die Unterrichtsmittel bis hin zu Lernerfolgskontrollen. Geht die Weiterbildungsoffensive den Bach hinunter?