Akademische Vorbildung ebnet Vielen den Weg

DV-Umschüler zwischen Traumkarriere und Aushilfsjob

12.01.1990

Absolventen von DV-Schulen finden zu mehr als achtzig Prozent Arbeit. Hinter dieser positiven Zahl verbirgt sich eine zwiespältige Realität: Während sich die einen über lukrative Arbeitsplätze mit guten Aufstiegschancen freuen können, müssen sich andere mit schlechten Konditionen und Zeitverträgen abspeisen lassen.

"Vielleicht ein paar Grundkenntnisse in Cobol - aber sonst bringen die doch nichts mit", so das vernichtende Urteil eines norddeutschen DV-Leiters über die "Massenware Umschüler". Während in anderen Unternehmen Absolventen von DV-Schulen Spitzenfunktionen bekleiden, werden sie von ihm als "Aushilfen" mit Jahresverträgen abgefertigt.

"Wir stellen Siemens- und Control-Data-Schüler ein", so der DV-Chef, "damit sie kleinere DV-Probleme beseitigen." Er sehe nicht ein, Unternehmensberater für die Lösung relativ einfacher Probleme mit monatlich 20 000 Mark zu bezahlen, wenn er für dieses Geld eine Aushilfe länger als ein halbes Jahr beschäftigen könne. Um Probleme mit dem Betriebsrat zu vermeiden, besteht der Brancheninsider darauf, ungenannt zu bleiben.

Noten kein Maßstab; sie sind fast immer gut

Von weitaus besseren Erfahrungen, vor allem mit akademisch vorgebildeten Umschülern, berichtet dagegen Heiko Müller, Leiter der gesamten Informationsverarbeitung bei der Bayerischen Rückversicherungs AG. Schwierig, so der DV-Leiter, sei allerdings die Auswahl der Bewerber. Noten sind für ihn kein Maßstab, da sie bei Umschülern ohnehin fast immer gut ausfallen.

Für andere DV-Verantwortliche ist der Notenspiegel auf Abschlußzertifikaten der Anlaß für ein abgrundtiefes Mißtrauen: "Die Siemens-Schule hat den Ruf, daß sie nur Einser-Kandidaten in den Markt entläßt", moniert Peter Truels, Hauptabteilungsleiter der Datenverarbeitung beim deutschen Tabak-Konzern Brinkmann GmbH in Bremen. Nichts sei schädlicher für diese Schüler als dieser einseitige Zensurenspiegel. Auf Tagungen von DV-Leitern komme die Siemens-Schule deshalb regelmäßig schlecht weg.

"In den Bewerbungsgesprächen halten sie meistens nicht das, was sie aufgrund ihrer Unterlagen und ihrer Vorbildung versprechen. Ihre Kenntnisse enden oft schon da, wo es um Connectivity-Fragen zum Host geht", so der Bremer DV-Fachmann. Umschüler von Siemens, CDI oder Nixdorf werden von ihm nicht beschäftigt.

Anderen Unternehmen dagegen reichen die Fachkenntnisse von DV-Umschülern offensichtlich aus: Wer die Statistiken der DV-Schulen von Siemens, Control Data Institut (CDI) oder Nixdorf betrachtet, muß beeindruckt sein. Keines der Institute entläßt weniger als achtzig Prozent seiner Abgänger in den Arbeitsmarkt. Die Siemens-Schule verweist mit Stolz auf eine Vermittlungsquote von 91 Prozent.

Qualitativ unterscheiden sich die angebotenen Arbeitsplätze allerdings erheblich voneinander. Die Chancen der Absolventen richten sich nach den Kriterien Alter, Vorbildung und Persönlichkeit.

Wenig Schwierigkeiten, ein angemessenes Arbeitsfeld zu finden, haben grundsätzlich Akademiker. Besonders günstige Einstellungsvoraussetzungen sowie gute Karrierechancen bringen sie dann mit wenn sie ein mathematisch-naturwissenschaftlichen Studium vorweisen können.

"Ich bin zwar ausgebildet als Lehrer für Mathematik und Sport", erläutert Hartmut Beckmann, Systemprogrammierer bei Karstadt in Essen, "doch ich werde auf jeden Fall in meinem jetzigen Beruf bleiben, selbst wenn mir eine Stelle als Lehrer angeboten würde." Der CDI-Absolvent fühlt sich wohl in seinem Beruf und ist im großen und ganzen auch mit seiner Umschulung zufrieden, die ihm zumindest einen "gewissen Überblick" verschafft habe.

Mit dem trockenen Brot des "Dauer-Codierens" muß sich dagegen Helene Koschut, Absolventin des DV-Bildungszentrums - dem heutigen Control Data Institut - begnügen. Die Aussicht auf schnell verdientes Geld und eine feste Stelle haben sie direkt nach der Schule in die Datenverarbeitung gelockt. Auf Dauer fühlt sich die Verlagsangestellte in der reinen Programmierung unausgefüllt. Sie möchte gerne einmal organisatorisch an Projekten beteiligt sein und nicht immer nur als ausführende Kraft eingesetzt werden.

Als Konkurrenten zu akademisch ausgebildeten Informatikern sehen sich die meisten Umschüler nicht. Hans Arweg, Anwendungsentwickler bei der Bayerischen Rückversicherungsgesellschaft, hat von dieser These die Nase sogar gestrichen voll: Der Mythos vom Verdrängungswettbewerb sei "von Diebold und der Presse - vor allem auch der Computerwoche - konstruiert worden". Der einzige Effekt liege darin, den Umschülern zu schaden.

Seiner Meinung nach füllen Umschüler und Informatiker in den DV-Abteilungen grundsätzlich unterschiedliche Nischen aus. "Natürlich werden die Absolventen von DV-Schulen", so der gelernte Germanist, "in der Regel keine Systementwickler oder Hardwarespezialisten. Dieses Gebiet ist den Informatikern vorbehalten."

Umschüler mit akademischer Vorbildung finden, so der CDI-Absolvent, ihr Einsatzgebiet in den Bereichen Anwendungsentwicklung, Projektmanagement und Beratung. "Anwendungsentwicklung", so der Programmierer, ist ein konzeptioneller Prozeß; seine Fähigkeiten verdankt der Entwickler ebenso seinem Studium wie der Zusatzausbildung."

"Leute, die wir für geeignet halten, müssen keine Informatiker sein", meint auch Arwegs Chef Heiko Müller, Leiter der gesamten Informationsverarbeitung bei der Bayerischen Rück. "Wir nehmen auch Umschüler mit pädagogischem Studium."

Gute Erfahrungen hat auch Klaus Carnein, Leiter der Produktionsplanung und

-organisation bei Karstadt, gemacht: "Bei entsprechender Qualifikation und positiver Einstellung stehen Umschülern bei uns die gleichen Aufstiegschancen offen, wie Mitarbeitern aus anderen Ausbildungsgängen." Für besonders wichtig hält der DV-Fachmann die Bereitschaft von Schulabsolventen, Wissenslücken durch intensives "Nachlernen" zu schließen.

Auch ohne Studium zuversichtlich

Daß diese Zufriedenheit bei Umschülern und DV-Leitern nicht unbedingt selbstverständlich ist, zeigt eine Statistik der Siemens-Schule: Immerhin ein Drittel der ehemaligen Siemens-Schüler kehren demnach in ihren alten Beruf zurück, sofern sich ihnen eine Gelegenheit bietet oder spielen zumindest mit dem Gedanken. Viele von ihnen konnten die DV-Ausbildung auch mit ihrem erlernten Beruf kombinieren. Trotz der ungünstigeren eigenen Situation zeigen sich auch DV-Umschüler ohne Studium bei der großen Akademikerkonkurrenz zuversichtlich: "Es gibt genug offene Stellen in der Datenverarbeitung, und wenn ich in der Schule gute Leistungen bringe, werde ich später auch einen Arbeitsplatz bekommen", hofft Alfred Zitzelsberger, ehemaliger Zeitsoldat und derzeit CDI-Schüler. "Wenn die sehen, wir bringen was, werden die auch in uns investieren", stimmt sein Mitschüler Ulrich Baumann zu.

Wolfgang Partsch, der als Zeitsoldat zwölf Jahre bei der Bundeswehr verbracht hat und jetzt ebenfalls die CDI-Umschulung absolviert, sieht die Arbeitsmarktsituation nüchterner: "Die Tendenz ist negativ, aber wenn man den Statistiken folgt, gibt es noch Hoffnung." Er glaube nicht, daß er die Karriereleiter genauso problemlos erklimmen kann, wie ein "Diplomierter"; die ganze Personalplanung in den Betrieben hänge letztendlich doch von den eingereichten Zeugnissen und Abschlüssen ab. Seinen Vorteil sieht er in der praktischen Erfahrung, mit der er Universitätsabgängern einiges voraus zu haben glaubt.