Mangelnde Benutzerakzeptanz macht den Unternehmen noch immer zu schaffen:

DV-Realität straft Hochglanz-Marketing Lügen

09.01.1987

MÜNCHEN - DV-Hersteller haben wenig Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken. "Mit ihren Hochglanzbroschüren haben sie viel Unheil angerichtet", lautet der Tenor der DV-Verantwortlichen. Oft führe die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Marketingaussagen zu Unstimmigkeiten zwischen Sachbearbeitern und DV-Managern.

Derzeit werden in den meisten Unternehmen erhebliche Chancen bei der Gewinnung der Akzeptanz ...ertan, stellt Detlev Müller-Böling, Dekan des Fachbereichs Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Dortmunder Hochschule, in einer Akzeptanz-Untersuchung fest. Obwohl es hinreichend bekannt sei, daß die frühzeitige Einbindung von Mitarbeitern in neue Projekte sich positiv auf die Akzeptanz auswirke, hätte nach wie vor nur ein geringer Prozentsatz der Benutzer die Möglichkeit, bei der Gestaltung mitzuwirken. Klagt Müller-Böling: "Die Situation hat sich eher verschlechtert als verbessert."

Neben mangelhaften Technik-Einführungen in den Anwender-Unternehmen prangert der Dortmunder Sozialwissenschaftler die Verkaufspolitik der Hersteller an: "Ergonomische Erkenntnisse bei der Hardware sind bis heute keineswegs realisiert, Systeme fallen nach wie vor aus - trotzdem erwecken die Anbieter bei den Benutzern unbeirrt Ansprüche, die nicht erfüllt werden können."

Müller-Böling bezweifelt allerdings, ob die Hersteller ihre Marketing-Politik überhaupt ändern wollen: "Der Gedanke, daß die Kunden sich wegen schlechter DV-Lösungen bei zukünftigen Investitionen zurückhalten könnten, belastet die DV-Produzenten offensichtlich nicht."

Schon heute warnt der Wissenschaftler die Anbieter vor dem vielzitierten Generationswechsel in der DV: "Diese jungen Leute werden in ihren Anforderungen an die DV-Systeme wesentlich anspruchsvoller sein als ihre Vorgänger, und Hersteller könnten zu reinen Lieferanten abgestempelt werden." Der Marktanalyst fürchtet, es wird der DV-Industrie ähnlich wie der chemischen Industrie ergehen: "Während die Chemie-Giganten noch vor kurzer Zeit ihre Probleme mit Hochglanzseiten in Publikumszeitungen zu kaschieren suchten, hatte sie die Wirklichkeit langst eingeholt."

Auch Joachim C. Ohlig, Schulungsleiter Automatisierte Informationssysteme bei der Deutschen Lufthansa in Frankfurt, geht mit den Herstellern hart ins Gericht: "Sie haben mit ihren Hochglanzbroschüren ziemlich viel Unheil angerichtet." So halt er zwar IBMs "Charly Chaplin" für einen guten Marketing-Gag, aber in der DV-Realität für den Reinfall des Jahres 1986. Mit dieser Werbung sei den Anwendern suggeriert worden, wie spielerisch einfach die PC-Bedienung ist. Ebenso wie Müller Böling glaubt auch Ohlig, daß die Anbieter nicht zu merken scheinen, wie kurzsichtig diese Art von Marketingpolitik ist.

Daß mangelnde Technik-Einführung noch immer gang und gäbe sind, weiß der Frankfurter DV-Profi aus seiner Erfahrung mit anderen Großunternehmen: "Kein DV-Verantwortlicher kann behaupten, alle Akzeptanzprobleme im Griff zu haben. Dazu sind sie viel zu dauerhaft." Hätte man einige der Schwierigkeiten vor fünf Jahren bewältigt, kämen genausoviel neue dazu. Der Vorteil gegenüber früher sei jedoch, daß die Widerstände der Benutzer jetzt als solche erkannt und nicht mehr verdrängt würden. Ohlig ist überzeugt, daß auf die Lösung der Probleme ständig Einfluß genommen werden muß, damit Akzeptanz entsteht und erhalten bleibt. Am besten ließe sich dies durch ausreichende Schulung bis hin zum "DV-Führerschein" erreichen. Neben der Ausbildung ist es seiner Ansicht nach genauso wichtig, die möglichen beruflichen Sorgen und die menschlichen Ängste der Betroffenen zu respektieren. Ohlig: "Nur wer seine Mitarbeiter wirklich ernst nimmt, kann in der Akzeptanzentwicklung Fortschritte erreichen."

Ähnliche Gedanken macht sich Werner Schneider vom Rechenzentrum der schwedischen Universität Uppsala: "Die Technik muß stärker dem Menschen angepaßt werden." Schließlich sei der Computer ein brauchbares Werkzeug, wenn man ihn nur richtig einsetze. Dazu müßten die DV-Systeme jedoch noch mehr "humanisiert" werden. Schneider wehrt sich dagegen, daß Kritik oft falsch verstanden wird: "Wer keine faulen Bananen mag, muß noch kein Verächter von Bananen sein. Wer gegen eine schlechte DV-Lösung im Büro kämpft, ist deshalb noch kein Computerfeind." Der DV-Experte sieht keineswegs pessimistisch in die Zukunft. Vielmehr hat er das Gefühl, daß in vielen Unternehmen inzwischen ein Prozeß des Umdenkens stattfindet.

Mikros bauen Ängste ab

Eine Besserung der Akzeptanzprobleme erwartet auch Edmund Laux, Org./DV-Leiter bei der Fleischerei-Berufsgenossenschaft: "Früher sprachen die Sachbearbeiter mit den DV-Mannen nur dann, wenn es unbedingt nötig war. Für die Gestaltung von Arbeitsabläufen mit Hilfe der Technik hatten sie nur ein geringes oder gar kein Verständnis." Deshalb reagierten viele Benutzer bei der Einführung neuer Technik-Lösungen mit aktivem Widerstand. "Durch den verstärkten PC-Einsatz werden die Ängste jedoch mehr und mehr abgebaut", freut sich der Mainzer DV-Profi. Die Hersteller fordert Laux auf, durch bessere Aufklärung, mehr Akzeptanzforschung und ehrlichere Marketingpolitik ihren Teil dazu beizusteuern.

Neben den übertriebenen Werbeaussagen der Hersteller gibt es noch einen Hemmschuh für die Technik-Akzeptanz in den Unternehmen: Die Führungskräfte wollen mit dem "neuen Zeug" so wenig wie möglich zu tun haben. Fazit von Akzeptanz-Untersuchungen: Topmanager glauben offenbar, ihre Art der Kommunikation sei so speziell, daß sie nur persönlich oder allenfalls durch die technische Unterstützung des Telefons ablaufen kann. Bernd Litke, Geschäftsführer einer Telekommunikations-Beratung in Dreieich, zitiert eine Studie, die von Kienbaum und der Gesamthochschule Kassel GhK durchgeführt wurde. Litke: "Es ist erschreckend, wie wenig die befragten Führungskräfte über die gängigsten Dinge, wie Telefax, Teletex oder Bildschirmtext wissen". Immerhin sei ihm jetzt schon eher klar, warum DV-Entscheidern die Genehmigung für neue Technik-Investitionen vom Vorstand häufig nicht erteilt würde. Wettert Litke: "Es wird Zeit, daß eine technikfreundlichere Generation ans Ruder kommt."

Auch Müller-Böling fordert die deutschen Führungskräfte auf, endlich einzusehen, daß Akzeptanz nicht nur das Problem von Sachbearbeitern, Fachkräften oder Kunden ist. Nur dann könne sich die Wettbewerbsfähigkeit, die zu einem wesentlichen Teil auf dem Produktionsfaktor Information beruhe, deutlich erhöhen. Noch einen Schritt weiter geht der Regierungsbeauftragte für Technologietransfer in Baden-Württemberg Johann Löhn: "Die Vollkasko-Mentalität deutscher Unternehmer wird immer mehr zum Hemmschuh."

Zusätzlich zu den "normalen" Akzeptanzproblemen beobachten die Marktforscher jedoch seit geraumer Zeit eine neue Dimension von Technik-Skepsis. Sie taucht immer dann auf, wenn sich die befragten Computer-Benutzer nicht mit der DV an sich auseinandersetzen, sondern vielmehr mit den Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, wie Datenschutz-, Energie-, Umwelt-, Rüstungsproblematik. So will denn auch Wolfgang Otter, DV-Leiter im Krankenhaus Spandau, seine Besorgnis gegenüber der Technik nicht als Kritik am Computer verstanden wissen: Er fürchtet vielmehr negative gesellschaftliche Auswirkungen durch die fortschreitende Rationalisierung. Otter: "Es ist einfach nicht richtig zu behaupten, der Rationalisierung durch DV-Technik steht auch Arbeitsplatzgewinn gegenüber. Tatsache ist, der Arbeitskuchen wird insgesamt kleiner." Deshalb müsse sich die Gesellschaft schon jetzt Gedanken darüber machen, wie die verbleibende Arbeit zukünftig verteilt wird.

"Die Ängste etlicher Datenverarbeiter haben sich inzwischen verlagert", gibt auch Klaus Böhle, DV-Verantwortlicher in der Mineralölbranche, zu. Er hält es für nur natürlich, das gerade die DV-Manager sich in puncto Datenschutz betroffen fühlen. Der Kasseler DV-Profi: "Schließlich wissen wir doch am besten, welcher Mißbrauch im Umgang im Daten möglich ist." Wie sein Kollege Otter fordert Böhle: "Beim Datenschutz muß ein Kompromiß zwischen dem Nutzen und dem Schutz der Bürger gesucht werden." Die beiden DV-Verantwortlichen sind überzeugt, daß nur absolute Offenheit und ein in der Öffentlichkeit geführter Dialog zwischen allen Beteiligten diese neue Art von Ängsten abbauen kann: sowohl bei den Datenverarbeitern als auch bei der Bevölkerung.

DV-Experten nehmen zu Akzeptanzproblemen Stellung:

Die Einstellung des Bundesbürger (einschließlich DV-Anwender) gegenüber der Technik wurde in der CW Nr. 50 vom 12. Dezember 1986 "DV bringt Marktforscher in die Klemme" näher beleuchtet. Auffallend bei den Ergebnissen der Analysten war, daß die DV-Benutzer selbst noch immer mit Akzeptanzproblemen unterschiedlicher Art kämpfen. DV-Manager, Schulungsleiter, DV- und Bürokommunikations-Berater nehmen die in den Untersuchungen am häufigsten genannten Probleme und Befürchtungen unter die Lupe:

- Systeme entsprechen nicht den ergonomischen Anforderungen.

- Mangelhafte Technik-Einführung in den Unternehmen.

- Die Technik wird zuwenig dem Menschen angepaßt.

- Hersteller entwickeln an den Problemen des Anwenders vorbei.

- Angst vor computerisierter Gesellschaft und vor Rationalisierung.