Wechsel zur DV-Industrie eröffnet neue Karriere-Chancen:

DV-Leiter-Sitz kann zum Marterstuhl werden

06.02.1981

MÜNCHEN - Noch sind Datenverarbeiter gegenüber dem Top-Management nicht stark genug, zum Marsch auf Vorstandsbastionen zu blasen. Wenn überdies die Fachabteilungen mit immer neuen Forderungen drücken, kann der DV-Leiter-Sitz leicht zum Marterstuhl werden. Karrierebewußten bleibt so oft nur der Weg, durch einen Wechsel zur DV-Industrie aus der Gehaltsflaute zu kommen.

Mit 33 Jahren hat Uwe Schmietendorf als Hauptabteilungsleiter Org./ DV bei der Organon Chemie GmbH in München nach eigenen Worten die oberste Stufe seiner DV-Karriereleiter erklommen. Zum 1. April dieses Jahres wechselt er für ein um mehr als zwanzig Prozent höheres Gehalt in ein Beratungsunternehmen - Provisionenkommen noch hinzu. Um ein gleich hohes Einkommen zu erzielen, hätte er, wie er sagt, bei Organon noch mindestens vier bis fünf Jahre ausharren. "Noch ist das Verständnis für die Informationstechnologie beim Management nicht so weit ausgeprägt, einen DV-Leiter in den Vorstand zu hieven", ärgert sich Schmietendorf.

Auf Abteilungsleiter-Ebene erhielten Fachbereichs-Kollegen inzwischen das gleiche Gehalt, konnten aber bereits täglich um 16.00 Uhr "den Griffel wegwerfen", während in der DV-Abteilung noch am späten Abend "die Lichter brennen".

Die einzige Möglichkeit, als DV-Verantwortlicher weiterzukommen, ohne in die DV-Industrie zu wechseln, sieht der 31jährige DV-Chef Reinhard Böhm (Equity & Law Versicherungs GmbH, Wiesbaden) darin, seine Abteilung mit mehr Personal und größeren Systemen auszubauen. Da er sich derzeit in einer Aufbauphase befinde, sei der Job für ihn vorläufig noch interessant. Der Reiz, zum Hersteller zu wechseln, sei jedoch latent vorhanden - zumal, wenn man sich vor Augen führe, "mit wie wenig Know-how die Vertriebsbeauftragten viel Geld verdienen".

Honeywell Bull-Sprecher Heinz-Günther Klaus konstatiert: "Wenn ein DV-Leiter sein Karriere-Ziel beim Anwender bereits erreicht hat, tritt nicht nur eine Gehaltsflaute, sondern auch eine Wissensverengung ein." Ein Weiterkommen in beiderlei Hinsicht sei somit nur beim Hersteller möglich. Besonders hoch wird bei Honeywell neben der praktischen Erfahrung eines DV-Leiters vor allem das Branchenwissen eingeschätzt. Meist habe ein Praktiker, so Klaus, bei seinem vorherigen Arbeitgeber ein Branchen-Programm entwickelt, das auch in anderen Unternehmen eingesetzt werden könne.

Die Situation im Dreier-Verhältnis Management-Datenverarbeitung-Fachbereich hat sich nach Ansicht von Fritz R. Müller, Mitglied der Diebold-Geschäftsleitung in Frankfurt, in letzter Zeit gravierend geändert. Bisher sei die Position des DV-Leiters im Unternehmen "tabu" und somit unangreifbar gewesen. "Ausgelöst durch die DV-Müdigkeit der Endbenutzer und die damit verbundene kritische Haltung gegenüber der Datenverarbeitung, fliegen jetzt manchmal die Fetzen", schildert Müller. Insbesondere bei DV-Leitern zwischen 30 und 35 sei in letzter Zeit verstärkt die Tendenz erkennbar, einen besser bezahlten Job beim Hersteller, Softwarehaus oder Unternehmensberater anzunehmen.

"Nachdem man die DV-Leiter jahrelang auf Händen getragen hat", bestätigt der Stuttgarter Personalberater Dieter Steinbach die Aussagen Müllers , "ist jetzt ein klarer Trendwechsel erkennbar." Häufig käme es in den Unternehmen bereits zu Reibereien, wenn der DV-Chef eine Gehaltserhöhung beantrage. "Die DV-Leute werden dem Management heute einfach zu teuer", erklärt Steinbach. Im Vergleich zu anderen Positionen in der DV sei daher beim DV-Leiter inzwischen eine wesentlich höhere Wechselbereitschaft vorhanden. "Es ist heute schwieriger, einen normalen Programmierer zu finden als einen Qualifizierten DV-Leiter", sagt Steinbach.

Auf eine Stellenanzeige "Programmierer" erhalte er lediglich fünf Anfragen, während sich um den DV-Leiter-Job zwischen fünfzig und achtzig Personen bewerben. Die meisten dieser "Aspiranten" seien jedoch seinen Auftraggebern zu teuer. Bei Gehaltsvorstellungen von über 100 000 Mark bliebe vielen DV-Chefs somit nur noch der Weg in die DV-Industrie offen.

In einer Sackgasse seiner Laufbahn befindet sich nach eigener Erkenntnis der knapp 50jährige DV-Leiter einer süddeutschen Papierfabrik. Trotzdem könne er nur über seine jüngeren DV-Kollegen schmunzeln, die geradezu vom Ehrgeiz geplagt würden und für höhere Gehälter in die DV-Wirtschaft wechselten. Die meisten seien sich dabei nicht bewußt, mit welch hohem Verschleiß ein Job beim Hersteller verbunden ist. Traurig stimmt indessen den Routinier die Erkenntnis, daß er in seiner 20jährigen DV-Praxis nicht einen einzigen Kollegen kennengelernt hat, der den Sprung ins Firmen-Management schaffte.

Den Grund für die Mauertaktik des Top-Managements sieht der Frankfurter DV-Chef Ludwig in der Angst vor der "Allwissenheit" der Datenverarbeiter: "Ein DV-Leiter, der ins Management aufrückt, hat direkten Zugriff auf alle betrieblichen Informationen und stellt damit eine indirekte Gefahr für die anderen Vorstandsmitglieder dar." Bewußt lasse man deswegen einen Datenverarbeiter gar nicht erst "groß werden".

Frank hat seine "sichere Position" zum 30. Juni gekündigt und will sich als Unternehmensberater selbständig machen. Vielen jüngeren Kollegen ginge es so wie ihm, daß sie, karrieremäßig mit dem Kopf oben anstoßen" und früher oder später den Ehrgeiz entwickelten, "das große Geld" zu machen.