DV-Kennzahlen ja - aber welche?

29.06.1979

Wolfgang Dernbach, Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung der Diebold Deutschland GmbH*

Mit DV-Kennzahlen scheint es sich häufig ähnlich zu verhalten wie mit der Feuerwehr: Nur in Notfällen wird Alarm geschlagen. Dann allerdings werden Wunder erwartet.

Glücklicherweise sind Feuersbrünste seltener als die Klagen aus den Chefetagen über hohe DV-Kosten. Gelingt es, solchen Vorwürfen mit DV-Kennzahlen entgegenzutreten, bereitet die Eindämmung des Brandes nur wenig Schwierigkeiten. Entweder liegt man nicht schlecht - will heißen nahe am Orientierungswert - oder man tröstet sich, daß im eigenen Unternehmen die Verhältnisse nun mal nicht mit anderen vergleichbar sind. Klingt das zu offen nach Ausrede, wird die Repräsentativität der Kennzahlen in Zweifel gezogen. Zwar bleibt ein Unbehagen, doch bis zur nächsten Attacke sind die Gemüter wieder einmal beruhigt.

Die Feuerwehrfunktion offenbart das Dilemma häufig zitierter DV-Kennzahlen: Ihre Aussagekraft reicht für Analysen über den Tellerrand des engeren DV-Bereichs nicht hinaus, als präventiver Feuerschutz sind sie denkbar schlecht geeignet. Welche Schlüsse lassen sich beispielsweise aus dem Paradepferd der DV-Kennzahlen ziehen, dem Verhältnis der DV-Kosten am Umsatz? Eine Größe, die je nach Zielsetzung beliebig interpretiert werden kann! Oder: Treffen im Zeitalter des Distributed Processings Aussagen zum Verhältnis zwischen Hardware und DV-Personalkosten oder zum Anteil der Wartungskosten an den gesamten DV-Entwicklungskosten wirklich den Kern des Problems? Kann eine Unternehmensleitung mit ihrer Hilfe die DV beurteilen oder Investitionsentscheidungen abstützen? Mitnichten, denn solche Kennzahlen sagen nichts über die Effektivität der DV aus.

Daß es hier mangelt, mag nicht zuletzt auf das noch immer weit verbreitete geozentrische Weltbild der DV (Bonmot eines Versicherungsmanagers über das eigene Unternehmen: "Rechenzentrum mit angeschlossener Versicherung") zurückzuführen sein. Orientierungsgrößen zur Effektivität der DV haben nämlich nur noch mittelbar etwas mit zentralen DV-Funktionen zu tun. Deshalb tut ein Richtungswechsel not. Nur solche Kennzahlen, die auch ohne Systemprogrammierer-Ausbildung von der Unternehmensleitung interpretiert werden können, schaffen Raum für eine präventive, abgesicherte Begründung der DV-Kosten.

Wo eine solche Neuorientierung ansetzen muß, ist bereits mit den Zielsetzungen angeschnitten: Zuerst einmal bei den Wirkungen, die der DV-Einsatz hervorruft, also bei den Aufgaben des Vertriebs, des Finanz- und Rechnungswesens, des Personalwesens etc. Wünschenswert sind demnach zum Beispiel Produktivitätskennzahlen, mit deren Hilfe sich Leistungsänderungen messen lassen, oder Richtgrößen, die über die Substitution von Personal- durch DV-Kosten Auskunft geben.

Erst solche Orientierungsgrößen lichten den Schleier. Dies sei am Beispiel des Personalwesens demonstriert. Über mehrere Jahre betrachtet, zeigt die Kennzahl "Anzahl Mitarbeiter, die von einem Personalsachbearbeiter betreut werden", ob ein Produktivitätszuwachs im Personalwesen erzielt wurde. Wie der DV-Einsatz diese Entwicklung beeinflußte, darüber gibt das Verhältnis administrative Personal- zu DV-Kosten Auskunft. Oder: Überbetriebliche Vergleiche mit Unternehmen der gleichen Branche und Unternehmensgröße beantworten die Frage, ob die Leistungen unter oder über dem Durchschnitt liegen, wertvolle Hinweise also auf potentielle Schwachstellen.

Daß mit diesem Schritt die drangvolle Enge der DV verlassen wird und DV-Kosten als Elemente der Fachbereichskosten erscheinen, ist mehr als wünschenswert. Zugleich erhält die Polarität zentrale-dezentrale DV zweitrangigen Charakter, denn im Rahmen dieser Kennzahlen ist es unerheblich, ob ein zentrales Rechenzentrum oder Bürocomputer Kosten verursachen. Viel wichtiger jedoch ist, daß eine betriebswirtschaftlich fundierte Entscheidungsbasis entsteht, die sowohl von der Unternehmensleitung als auch von allen anderen Nicht-DV-Fachleuten interpretiert werden kann. DV-Kennzahlen wachsen in den exklusiven Club betrieblicher Planungs- und Kontrollsysteme hinein.

Welcher Stellenwert bisher weit verbreiteten Kennzahlen wie dem Verhältnis Hardware zu Personal- kosten oder CPU-Auslastung der DV-Anlage noch zukommt, wird dabei offenbar: Sie rangieren im zweiten Rang. Daß sie trotzdem wertvolle Hinweise zur Organisation der zentralen DV geben, ist unbestritten. Zumindest dann, wenn wenige, dafür aber praktikable, an den wichtigsten Kostenblöcken orientierte Kennzahlen verfügbar sind. Stellvertretend für solche sinnvollen Orientierungsgrößen sei hier der Automatisierungsgrad des Rechenzentrums genannt. Hierbei sind Branchengliederungen wie bei den Effektivitäts-Kennzahlen jedoch schädlich, da gerade Vergleiche von Rechenzentren gleicher Größenordnung, aber unterschiedlicher Branchen, den größten Erkenntniswert besitzen.

Die inhaltliche Neuorientierung ist eine Seite der Medaille. Sie genügt jedoch nicht, um Notfälle, die des Feuerwehreinsatzes bedürfen, zu überwinden. Sonst droht ein unrühmliches Schicksal. Wer kann nicht Beispiele sogenannter Management-Informationen nennen, mit denen niemand etwas anfangen kann? In welchem Unternehmen gibt es nicht den anerkannten Spezialisten, der fundierte Analysen erarbeitet, die jedoch als "Schrankware" vermodern?

Ein solches Los kann nur das Engagement aller betroffenen Bereiche, Controlling, Organisation, Fachbereiche und DV-Management, verhindern. Die kontinuierliche Analyse der zeitlichen Entwicklung und der Vergleich mit überbetrieblichen Größen muß mit dem Willen gepaart sein, Konsequenzen abzuleiten und durchzusetzen. Nur dann läßt sich die Defensivrolle umkehren. Dabei darf der Erkenntniswert von Kennzahlen nicht außer acht bleiben: Sie vermögen nicht mehr und nicht weniger als Hinweise zu geben, Hinweise, die durch sorgfältige Ursachenanalysen zu erhärten sind.

Es gibt kein Patentrezept, um diese Ziele zu verwirklichen. Doch Unternehmen, die solche DV-Kennzahlen als Bestandteil ihres periodischen Berichtswesens ansehen, sind dem Ziel ein wesentliches Stück näher.

Noch aus einem anderen Grunde geht es nicht ohne das Engagement von oben: Wer sich des Wertes von Kennzahlen bewußt ist, dem fehlt es auch nicht an der Bereitschaft, eigene Zahlen für überbetriebliche Vergleiche bereitzustellen. Jeder, der mit solchen Umfragen zu tun hat, kennt die noch immer weit verbreitete Trittbrettfahrermentalität: Gerne Zahlen anderer übernehmen, aber selbst nicht zum Zustandekommen von Ergebnissen beitragen. Gelingt es nicht, diese Einstellung abzubauen, wird es in Zukunft mit überbetrieblichen Kennzahlen schlecht bestellt sein.

Fassen wir kurz zusammen: DV-Kennzahlen sind kein Allheilmittel, um den Stellenwert der DV zu verbessern. Mit dem abschätzigen Urteil, nur Kosten zu verursachen, muß sich die DV abfinden. Um allerdings Klagen über zu hohe DV-Kosten von vornherein die Spitze zu nehmen, bedarf es der kontinuierlichen Analyse der Effektivität des DV-Einsatzes je Hauptfunktion sowie überbetrieblichen Vergleichen. DV-Kennzahlen werden damit Bestandteil allgemeiner betriebswirtschaftlicher Führungssysteme.

Gegenwärtig verschafft die Hochkonjunktur der DV-Abteilungen Luft vor Klagen über hohe DV-Kosten. Die nächste Kostensparwelle kommt jedoch bestimmt, angesichts der Energiekrise schon f bald. Noch ist es für Feuerschutzmaßnahmen nicht zu spät.

*Dernbach ist unter anderem verantwortlich für die kürzlich veröffentlichte Diebold-ADV-Budget-Analyse; Kennzahlen zum Einsatz der Datenverarbeitung und das Diebold-ADV-Kennzahlensystem (DKS).