DV-Inseln selbst als Interimslösung zu teuer

29.02.1980

Olaf Rauhof, Direktor EDV und Organisation Braun AG, Kronberg (IBM 370/138, DOS/VSE)

Für Insellösungen, die mehr oder weniger planlos nebeneinander gestellt werden und nach einiger Zeit ein Konglomerat von zusammenhanglosen Teillösungen bilden, kann ich keinerlei Sympathien entwickeln. Die Pionierzeiten der EDV, in denen eine solche Vorgehensweise teils wegen noch leistungsschwacher Technik, teils wegen mangelnder Erfahrung der Akteure, die akzeptierte Norm darstellte, sind lange vorbei.

Nun tauchen heute in der Diskussion um die Philosophie des Distributed Processing erneut dezentral orientierte Lösungsansätze auf, die sehr leicht als ein Rückfall in überwunden geglaubte Insellösungspraxis empfunden werden können. Ich halte dies für ein vorschnelles Urteil. Es gibt eine Reihe von Gründen, sich mit der Frage nach der Zweckmäßigkeit dezentraler Lösungen ernsthaft auseinanderzusetzen. Zwei dieser Gründe will ich hier kurz anreißen.

Es ist erstens an der Zeit, einmal etwas selbstkritisch über die Schwächen der großen, stark vernetzten Informationssysteme nachzudenken, die nach der "Insellösungsepoche" geschaffen wurden und in denen die konzeptionellen Einflüsse der MIS-Philosophie oft recht deutlich zu spüren sind. Hier muß die Frage gestattet sein, ob wir EDV-Organisatoren, im Bestreben kleinkarierte Lösungen zu vermeiden, nicht doch manchmal des Guten zuviel getan und Systeme von einer solchen Komplexität geschaffen haben, daß wir sie heute oft nur mit großer Mühe unter Kontrolle halten können. Die Liste der täglich zu verzeichnenden Unerfreulichkeiten ist groß, und dabei sollten wir uns darauf einstellen, daß im Zuge großer weltwirtschaftlicher Entwicklungen zukünftig viel größere und vor allem schnellere Anpassungen an sich ändernde Umweltbedingungen auch von Informmationssystemen und der EDV verlangt werden müssen. In diesem Licht wird zu prüfen sein, ob kleinere Systemeinheiten, die weniger fest miteinander verknüpft, aber natürlich gut aufeinander abgestimmt sind, in bezug auf schnelle Realisierbarkeit wie auch Anpassungsfähigkeit nicht weit weniger problematisch sind als die monolitischen Großsysteme. Was die Schnittstellenproblematik betrifft, so ist zu fragen, ob hier immer sozusagen um jeden Preis automatisierte Systemübergänge geschaffen werden müssen, oder ob nicht wieder häufiger auf manuelle Bindeglieder zurückgegriffen werden sollte. Wenn höchste Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit gestellt werden müssen, ist der Mensch dem Computer doch wohl eindeutig überlegen.

Einen zweiten guten Grund für kleine, isolierte Lösungen sehe ich in folgender Problematik, die meines Wissens bis heute noch viel zu wenig beachtet wird. Nachdem die großen, operativen Informationssysteme (ich verstehe darunter Systeme wie Auftragsabrechnung, Buchhaltungssysteme, Lohnabrechnung etc.) größtenteils auf Datenverarbeitung umgestellt sind, stoßen wir bei der weiteren Anwendung des Computers mehr und mehr in den Bereich der Planungssysteme vor. Und hier begeben wir uns, was die anzuwendenden Algorithmen betrifft, häufig auf unsicheres Terrain. Wie die Erfahrung immer wieder zeigt, sind die künftigen Systembenutzer oft nicht genug in der Lage, eine ausreichend weite Vorausschau über ihre Systemanforderungen zu geben. Der Systemplaner kommt damit vergleichsweise in die Situation eines Ingenieurs, der ein Produkt in Serie fertigen soll, von dem zwar sein Benutzungszweck, nicht aber die Details der technischen Realisierung bekannt sind. Es wird heute sehr viel über die Notwendigkeit gesprochen, die Systementwicklung und Programmierung auf das Niveau einer Ingenieurwissenschaft zu heben. Hier nun ist ein weiterer Ansatzpunkt dafür zu finden. Ein Ingenieur wird in der geschilderten Situation auch nicht sofort von der Produktidee in eine Serienfertigung springen, sondern sich über Prinzipmuster, Modelle und Prototypen zum Serienprodukt vorarbeiten. Diese Vorgehensweise könnte man so auf das EDV-Gebiet übertragen, daß man kleine, inselartige Lösungsansätze benutzt, um damit die Brauchbarkeit von bestimmten Algorithmen oder überhaupt die Auswirkung der Computerunterstützung für die Planungsqualität zu testen, bevor eventuell mit entsprechend hohem Aufwand ein "ausgewachsenes" Informationssystem auf EDV entwickelt wird. Für Minis und die immer leistungsfähiger werdenden programmierbaren Tischrechner ist hier in der Zukunft ein weites Feld zu sehen, wobei auch eine größere Eigenleistung der Benutzer bei der Systementwicklung möglich wird. Diese starke Selbstbeteiligung muß kommen, wenn die weitere Ausdehnung des EDV-Einsatzes durch Mangel an Fachkräften nicht blockiert werden soll. Nur muß diese Entwicklung so gesteuert werden, daß nicht am Ende lediglich eine Verlagerung des Spezialistentums aus der EDV in die Fachabteilung erfolgt. Damit wäre unseren Unternehmungen kaum gedient.

Die Entwicklung und Überwachung einer strategischen Gesamtkonzeption ist im übrigen unverzichtbar und bleibt notwendigerweise Verantwortung einer zentralen Organisationsleitung.

Walter Sigusch, EDV-Leiter, Sandvik GmbH, Düsseldorf (IBM 370-158, DOS/VSE)

Unter Insellösungen verstehe ich DV-Lösungen, die ohne jegliche zentrale Planung vorgenommen werden. Diese Art von DV-Lösungen sind abzulehnen. Dafür gibt es nun verschiedene Gründe und ich möchte nur vier hier nennen:

1. Kommt es zur obigen Lösung, dann gibt es sicher keine Abstimmung der Hardware und Betriebssoftware. Diese Tatsache führt über kurz oder lang zu einem Chaos.

2. Die Entwicklung oder der Kauf von Anwender-Software wird nur auf einen Bereich bezogen vorgenommen. Dies führt zu Doppelentwicklungen oder kurzfristig angelehnten Entwicklungen und damit zu hohen Kosten.

3. Zentrale Bedürfnisse werden vernachlässigt, was nur mit erheblichem Aufwand nachgeholt werden kann.

4. Auch Insellösungen erfordern DV-Personal, womit der Problemkreis vervielfältigt wird.

Ich bin der Meinung, daß jede Firma, die Insellösungen zugelassen hat, nach einer gewissen Zeit des DV-Betriebes diesen Vorgang beseitigen muß. Denn der Kostenaufwand wird je nach Größe der "Insel" relativ groß sein.

Auch die völlige Zentralisation kann sich als ein Fehler herausstellen, nämlich dann, wenn die Forderungen der Benutzer nicht mehr in angemessener Zeit bewältigt werden können. Aber auch hier gibt es wesentliche Unterschiede, denn alle genannten Fehlerpunkte könnten vermieden werden. Zusätzlich sind solche Dinge wie einheitliche Dokumentation oder Standards eingeführt worden. Trifft dies zu, so kann man die zentrale Überbelastung abbauen, indem eine genau geplante Dezentralisierung der Abwicklung beginnt, um den/die Zentralrechner zu entlasten.

Besteht die Überbelastung darin, daß zuviel Personalkapazität in die Wartung der Systeme investiert werden muß und die Entwicklung zu kurz kommt, dann ist das Problem sicher schwieriger zu lösen. Aber auch in diesem Fall ist es leichter zu dezentralisieren als umgekehrt, zum Beispiel durch den Einsatz neuer Software, die die Benutzer in die Lage versetzt, ohne Programmierung zu Output zu kommen.

Jedes Unternehmen, das heute mit DV beginnen will, auch wenn es noch so klein ist, muß sich vorher die Frage stellen: Was wird in fünf Jahren sein? Das heißt, es muß eine zentrale Planung geben, ehe die Entscheidung für dezentrale DV fällt.

Diese Aussage gilt im besonderen für die 80er Jahre, da die Möglichkeiten für dezentrale DV enorm zunehmen werden. Die Organisation des Ganzen wird jedoch eine Sache der zentralen DV-Abteilung bleiben.

Wilhelm van Thiel, Leiter Org./DV, UNION Deutsche Lebensmittelwerke GmbH, Zweigniederlassung Mannheim (IBM 370/135, DOS/VS)

Insellösungen definiere ich als den Einsatz von Hard- und Software zur Lösung spezifischer Einzelaufgaben ohne Verbindung zu anderen Datenverarbeitungssystemen des Unternehmens.

In der Regel sind integrierte Systeme solchen autonomen Lösungen überlegen. Informationen des einen Unternehmensbereiches nützen auch anderen Sparten. Unverzichtbar ist die Verknüpfung dieser Daten zu einem Informationssystem, welches dem Management die Planung, Steuerung und Kontrolle des Unternehmens erleichtert. Eine vergleichbare Datenqualität erreichen "Insellösungen" nicht. Das nachträgliche Zusammenführen der Daten ist aufwendig und beeinträchtigt auf jeden Fall deren Aktualität. Weitere Nachteile von "Insellösungen" sind beispielsweise die meist notwendige redundante Datenspeicherung und -pflege und oft reduzierte Möglichkeiten der Plausibilierung und Bedienerführung.

Es gibt jedoch auch Situationen, die eine "Insellösung" durchaus rechtfertigen, zum Beispiel als Übergangslösung. Wesentliches Kriterium ist hierbei der Organisationsgrad des betroffenen Unternehmens. Beispielsweise sollte eine bislang rein manuelle Organisation nicht ohne Zwischenstufen auf ein voll integriertes Datenverarbeitungssystem umgestellt werden. Systementwickler und -anwender würden an der Komplexität solcher Aufgaben scheitern. Auch die Notwendigkeit einer schnellen Problemlösung kann zunächst zu einer "Insellösung" führen, da hier eine Realisierungsdauer meist geringer ist. Daneben sind Insellösungen immer sinnvoll, wenn andere Bereiche hiervon völlig unberührt bleiben. Dies ist etwa bei Steuerungen im Produktionsprozeß durch Mikroprozessoren der Fall, wenn die anfallenden Daten keine Relevanz für andere Systeme haben.

In der öffentlichen Diskussion wird der Ruf nach dem "Abteilungscomputer" oft mit der Unabhängigkeit vom Rechenzentrum und der Möglichkeit maßgeschneiderter Systeme für den Fachbereich begründet. Die daraus abgeleitete Flexibilität und uneingeschränkte Systemverfügbarkeit und der Hinweis auf die gesunkenen Hardware-Kosten überzeugen den oft durch Organisation und Datenverarbeitung in der Vergangenheit vernachläßigten Fachbereich schnell. Hier gilt es unter Nutzung neuer Möglichkeiten der Systemarchitektur, Datenspeicherung, Datenkommunikation und Datenfernverarbeitung die Computerleistung optimal an den Arbeitsplatz zu bringen, ohne die notwendige Datenverknüpfung zu einem ressortüberschreitenden Managementinformationssystem in Frage zu stellen. Die Nachteile anonymer "Datenfabriken" dürfen nicht durch ein neues Extrem unkoordinierter "Insellösungen" abgelöst werden.

Zusammenfassend möchte ich folgendes feststellen:

Die Entscheidung über den Integrationsgrad von Datenverarbeitungs- und Informationssystemen sollte der jeweiligen Aufgabe entsprechend nach Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten erfolgen. Das kann in Ausnahmefällen auch zu Insellösungen führen. Meistens sind jedoch integrierte Systeme qualitativ besser und wirtschaftlicher. In allen Fällen muß aber die fachliche Verantwortung des Organisationsbereiches für die Gesamtheit der Datenverarbeitungs- und Informationssysteme gewährleistet sein.

Wolfgang Rittmann, Leiter Organisation und EDV, Brown Boveri (BBC), Heidelberg (IBM 370/135, DOS)

Der Begriff "Insellösungen" wurde in dem Maße zum Reizthema, wie die Verselbständigung von Betriebsbereichen in Sachen "Kommerzielle EDV", praktiziert mit Stand-alone-Systemen, unter Hardwarekosten-Gesichtspunkten in vertretbare Größenordnungen geriet. Es klang zunächst auch recht plausibel: Wenn schon Vorverlagerung der Intelligenz, dann auch konsequente Dezentralisierung! Vieles schien für eine solche Neuverteilung der DV-Welt zu sprechen.

Wo noch vor zwei oder drei Jahren unter dem Eindruck hautnah empfundene Nachteile von unflexiblen und teueren Großlösungen, vielfach nur mit sehr aufwendiger Maintenance, hastig zu einer Insellösung auf passendem Kleinrechner gegriffen wurde, hat heute möglicherweise schon die Korrekturphase begonnen.

Man vergegenwärtige sich folgenden Verlauf: Für den Betriebsbereich A wurde aus Gründen der Besonderheit und Dringlichkeit eine so geartete Sonderlösung beschlossen und realisiert. Der Betriebsteil B, strukturell nach wie vor anders gelagert, war bisher zusammen mit A und C vom zentralen DV-Service recht und schlecht versorgt worden. Betriebsteil D erhält nun gleichfalls s e i n e Insellösung für dasselbe Anwendungsgebiet. Teil C, aus welchen Gründen auch immer, bleibt weiterhin Klient der Zentral-EDV.

Spätestens, wenn in aller Konsequenz deutlich wird, daß nunmehr für drei statt wie zuvor für ein Verfahren der Änderungsdienst sicherzustellen ist, beginnen sich auch - und gerade für die Fachstellung - die ursprünglichen Vorteile der "Adhoc-Lösungen" als empfindliche Störfaktoren zu erweisen.

Bleibende Vorteile sind nach meiner Auffassung nicht durch solche "Fallösungen" zu erreichen. Eine klare Konzeption der Dezentralisierung durch Arbeitsteilung, zwischen zentraler DV und funktional oder regional verteilter Intelligenz wäre anzustreben. Dabei ist es zwar nicht unwichtig, aber zweitrangig - und auf jeden Fall anwendungs- und standardbedingt -, nach welcher Modalität die Kommunikation der Systeme untereinander erfolgt. Auch der mobile Datenträger, beispielsweise die Kassette oder Diskette, kann die Übertragungsfunktion optimal übernehmen.

Im Prinzip also eine Absage an die Insellösung; doch pure Dogmatik soll nicht betrieben werden. Es kann durchaus rechtfertigende Gründe für eine isolierte Lösung geben, sofern diese planvoll betrieben wurde. Wir glauben in unserem Bereich für die Steuerung des Betriebsmittels- und Vorrichtungsbaues in der Tat die beste Lösung mit einem Stand-alone-System auf einem 72 KB Nixdorf-Rechner 8870 (12 Megabyte-Plattenkapazität und zwei Bildschirmstationen) erreicht zu haben.