Selbst für den Compaq-Gründer Canion gab es kein Erbarmen

DV-Industrielle 1991: In den Chefetagen ging's gehörig rund

10.01.1992

In der DV-Branche drehte sich das Personenkarussell in den Vorstands-Etagen im vergangenen Jahr besonders schnell. Dabei blieben selbst Firmengründer von Rauswürfen nicht verschont, wie Compaq-Chef Rod Canion im Oktober am eigenen Leib erfahren mußte. Auch die IBM wollte nicht zurückstehen und degradierte vor wenigen Wochen Senior Vice-President Georges Conrades ins hintere Glied. Kurioses ereignete sich bei Digital Equipment: Im gleichen Monat warfen sowohl der amerikanische als auch der deutsche Finanzchef das Handtuch.

Aufstieg:

Der Aufsteiger des Jahres 1991 war ohne Zweifel Eckhard Pfeiffer. Als der langjährige Compaq-Europa-Chef Anfang Januar von Rod Canion ins sonnige Texas geholt und zum Executive Vice-President Chief Operating Officer ernannt wurde, rechnete der 50jährige wohl kaum damit, im Laufe des Jahres noch höhere Weihen zu erhalten. Doch die finanzielle Talfahrt des texanischen PC-Highflyers, die im dritten Quartal gar in die Verlustzone führte, vergrätzte Compaqs Verwaltungsratsvorsitzenden und Venture-Capitalist Ben Rosen so sehr, daß es für Rod Canion keine Zukunft mehr in dem von ihm mitgegründeten Unternehmen geben konnte. Marketing-Profi Pfeiffer, dem Zielstrebigkeit, Durchsetzungsvermögen und Hartnäckigkeit attestiert werden, durfte seinen Platz einnehmen, muß aber nun aufpassen, daß Canions Sessel nicht zum Schleudersitz wird. Die von ihm angekündigten Umstrukturierungsmaßnahmen sorgen für Unruhe im Kundenkreis. Die Angst geht um, daß Compaq nun zu einem reinen Clone-Anbieter verkommen könnte.

Abstieg:

Des einen Freud ist bekanntlich des anderen Leid. Niemand weiß, was der Absteiger des Jahres 1991, Joseph R. "Rod" Canion, mit seiner vielen freien Zeit macht, seit er Mitte Oktober von einem Tag auf den anderen gefeuert wurde. Das Angebot des Verwaltungsrates, dem Unternehmen weiterhin "beratend" zur Seite zu stehen, lehnte er ab - verständlich. Dennoch dürfte der langjährige Compaq-Chef mit 48 Jahren noch zu jung für das betuliche Pensionärsleben sein. Vielleicht aber gibt es noch das Café in Houston, in dem der ehemalige Texas Instruments-Ingenieur Canion zusammen mit seinen Kollegen Bill Murto und Jim Harris Anfang der achtziger Jahre den tragbaren und IBM-kompatiblen PC erfand - skizziert auf eine Serviette. Und möglicherweise stattet der Compaq-Mitbegründer diesem Café wieder einmal einen Besuch ab.

Einstieg:

Zurückgemeldet im operativen DV-Geschäft hat sich der italienische Großindustrielle Carlo De Benedetti. Kaum waren die Halbjahresverluste von Olivetti publik geworden, sah Don Carlo die Zeit gekommen, nun selbst wieder das Ruder in die Hand zu nehmen und den Ivrea-Konzern aus der Krise zu schippern. Vittorio Cassoni, dreieinhalb Jahre für die Geschicke des italienischen Informatikriesen verantwortlich, mußte ins zweite Glied zurück und darf sich jetzt nur noch um die internationalen Märkte kümmern. De Benedettis erste Maßnahme als neuerlicher Chef: Er schuf eine Konzernstruktur, in der alle wichtigen Informations- und Entwicklungslinien zentral über seinen Schreibtisch laufen.

Ausstieg:

Gewaltig krachte es Mitte des Jahres bei der Hamburger GMO AG: Vorstandsvorsitzender Niklaus Dobler mußte seinen Platz räumen und zog sich in seine Schweizer Heimat zurück. Der Ex-IBM-Mann hatte offensichtlich mit seiner Marschroute "Expansion durch Akquisition" zu hoch gepokert und sowohl die Kosten aus den Augen verloren als auch aus dem einst wohlstrukturierten Beratungsunternehmen ein verworrenes Firmengebilde gemacht. Hasso Wien, GMO-Gründer und jahrelang Doblers Gönner, zog schließlich die Notbremse und hievte Finanzvorstand Hans-Jürgen Burmeister auf den Chefsessel. Dieser hat nun dafür zu sorgen, die versprengten GMO-Schiffe zu einer Flotte zusammenzuführen. Dobler wiederum begnügt sich seitdem im schweizerischen Sankt Gallen mit Beratungs- und Software-Aktivitäten im Midrange-Bereich. Bevorzugte Klientel: Versicherungen.

Umstieg:

Keinen Bock mehr auf die Datenbankbranche hatte zu Beginn des Jahres 1991 Frank Sempert, Geschäftsführer der Informix Software GmbH. Nach nur zwei Jahren an der Spitze der Ismaninger Niederlassung, bei der der begeisterte Sportflieger gleich zu Beginn schwere Turbulenzen zu meistern hatte, verleideten ihm Differenzen mit der US-Mutter über die zukünftige Geschäftsstrategie sein weiteres Engagement bei dem Datenbankenspezialisten. Mehr noch: Mit seiner Kündigung bei Informix nahm er gleichzeitig Abschied aus der DV-Anbieter-Szene. Sempert, der auch Gastspiele bei Olivetti und Wang Deutschland gegeben hatte, wechselte die Fronten und ging im Juni als Geschäftsführer für den zentraleuropäischen Raum (Deutschland, Schweiz, Österreich) zur Marktforschungsgesellschaft Gartner Group. Das mittlerweile in Frankfurt ansässige Unternehmen hatte sich just zuvor von ihrem bisherigen Geschäftsführer Frank-Michael Fischer getrennt. Semperts Nachfolger bei der deutschen Informix wurde Walter Königseder.

Krönung:

Wie in jedem Jahr kürte IDC Deutschland auch 1991 den "Computermann des Jahres". Das Kronberger Marktforschungsunternehmen entschied sich diesmal für Jochen Tschunke, Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender des Münchner DV-Distributors Computer 2000. Begründung: Der "rasante Aufsteiger" habe das Unternehmen mit Gespür und einer Portion Glück im sich rasch wandelnden DV-Markt zum Erfolg geführt. IDC hatte mit dieser Wahl den richtigen Riecher. Nur wenige Monate später übersprang der 47jährige Vorzeige-Unternehmer mit Computer 2000 die Umsatzmilliarde. Ob Tschunke mit der Auszeichnung glücklich wird, bleibt abzuwarten. Die Vorzeichen stehen nicht günstig. Gerade seine Vorgänger aus den ungeraden Jahren erleben mittlerweile nämlich weniger glorreiche Stunden. Arno Bohn, Ex-Vorstandsvize der ehemaligen Nixdorf Computer AG und Computermann des Jahres 1987, fährt als Porsche-Vorstandschef durch unwegsames Gelände, und der Computermann des Jahres 1989, Bernhard Schneider, Mitinhaber sowie Vorstandsmitglied der Schneider Rundfunkwerke AG, hat nach dem diesjährigen Debakel seines Unternehmens im PC-Geschäft das Handtuch geworfen. Kurz vor Weihnachten erklärte er seinen Rücktritt.

Versenkung:

Quasi über Nacht verschwand Karlheinz Rathgeber aus der deutschen DV-Szene. Vier Jahre lang stand er als Geschäftsführer der Bad Homburger Norsk Data GmbH vor, seit er 1987 die Nachfolge von Horst Enzelmüller angetreten hatte, der zu Wang Deutschland gewechselt war. 1989 wurde er gar zum Vizepräsidenten der Osloer Mutter ernannt. Und obwohl das norwegische Systemhaus schon seit Jahren überwiegend finanzielle Talfahrten erlebt, weil man viel zu spät auf den Zug der offenen Systeme aufsprang, war die deutsche Vertriebstochter unter Rathgebers Leitung stets eine der Stützen im Konzernverbund. Dennoch kam im Mai aus heiterem Himmel das Aus für den 54jährigen. Zwar verlautete von seiten des Unternehmens, man habe sich im gegenseitigen Einvernehmen getrennt, gemunkelt wurde jedoch, daß Rathgeber in strategischen Fragen mit den Skandinaviern überkreuz lag und die Differenzen nicht mehr zu überbrücken waren. Einen unmittelbaren Nachfolger gab es nicht. Übergangsweise sollte Tor Alfheim, Vorstandsmitglied der Norsk Data AS, die Geschicke der Bad Homburger leiten. Er tut es noch immer, hat aber mittlerweile Verstärkung bekommen. Wolfgang Welke und Udo König, zuvor Vertriebs- und Marketing-Leiter beziehungsweise Leiter Bereich Kundendienst, wurden im September neben Alfheim zu weiteren Geschäftsführer bestellt.

Rechnung:

Es war, als hätten sie sich abgesprochen: Gleich zwei Finanzchefs kehrten Digital Equipment im September den Rücken. James Osterhoff sagte dem DEC Konzern in den USA und Hans-Joachim Nowak der Münchner GmbH ade - beide aus "persönlichen Gründen", so die offiziellen Versionen. Parallelen gibt es noch mehr. Sowohl Osterhoff als auch Nowak kamen 1985 zu dem Minicomputer-Spezialisten, wobei mit dem Amerikaner erstmals ein Externer bei DEC in eine solch hoch angesiedelte Position berufen wurde. Beide Finanzprofis gingen - so die inoffizielle Version - wegen Meinungsverschiedenheiten in Sachen Geschäftspolitik. Im Fall Osterhoff spekulierten US-Analysten, er sei mit seinem Hang zum Sparen bei DEC-Gründer Kenneth Olsen nicht länger auf Gegenliebe gestoßen. Bei Nowak munkelten hiesige Insider, er habe regelrecht das Handtuch geworfen, weil er angesichts der Geschäftspolitik, die der Konzern betreibe, eine weitere finanzielle Talfahrt auf das Unternehmen zukommen sehe.

Verwandlung:

Ein bewegtes Jahr hat Jürgen Tepper, bekannt als langjähriger Europa-Chef von PC-Hersteller Tandon, hinter sich. Am 1. Januar 1991 meldete er sich nach knapp neunmonatiger Branchen-Abstinenz als AT&T-Top-Manager in der DV-Szene mit dem Vorhaben zurück, für den amerikanischen Telecom-Riesen ein europäisches Computergeschäft aufzubauen. Doch Teppers Freude, nach zweimaliger Tätigkeit für Start-up-Companies nun einmal in einem "etablierten" Unternehmen wirken zu können, währte nicht lange. Im Mai schluckte AT&T den amerikanischen Computerhersteller NCR - und für Tepper blieb nichts mehr zu tun. So beendete er sein kurzes Gastspiel bei dem Telefonriesen und trat von einem Tag auf den anderen als Europa-Manager in die Dienste des kalifornischen Newcomers Momenta, der im Oktober mit der Vorstellung des Pentop, einer PC-Variante, die Notebook-Computer und Pen-Technologie vereint, sowohl in den USA als auch in Deutschland für Furore sorgte. Für Momenta und den Pentop soll Tepper nun von Frankfurt aus ein europäisches Land nach dem anderen erschließen, jeweils eigene Niederlassungen aufbauen. Damit dürfte er fürs erste keine Zeit für Bäumchen-wechsel-dich-Spiele haben.

Degradierung:

Viel Schelte mußten im zurückliegenden Jahr die IBM-Manager von ihrem Chairman John F. Akers einstecken. Denkwürdige Umsatz- und Gewinneinbrüche beim Armonker Computergiganten brachten Big Blues Boß derart in Rage, daß er seinen Mitarbeitern Mitte des Jahres unmißverständlich klar machte, daß jeder seinen Job riskiert, der nicht mehr Leistung an den Tag legt. Als die deutlichen Worte jedoch in den nachfolgenden Monaten keine Früchte trugen, versuchte es Akers mit anderen Mitteln: Ende November enthob er Senior Vice-President Georges Conrades von seinem Posten als General Manager USA und versetzte ihn ins hintere Glied. Als Senior Vice-President Corporate Marketing und Services ist er nunmehr Michael Armstrong weisungsgebunden. Damit hatte Conrades nicht nur für den mißlungenen Turn-around des US-Geschäftsbereiches seinen Kopf hinzuhalten, sondern er sollte auch der gesamten IBM-Belegschaft als Warnung dienen, daß selbst hochrangige Manager nicht von Entlassungen und Degradierungen verschont bleiben, wenn sie nicht die erwarteten Leistungen erbringen. Auf Conrades' Stuhl hat Robert J. LaBant Platz genommen. Er war zuvor für die Application Business Systems zuständig.

Beratung:

Nichts mehr zu sagen hatten sich im März Ulrich Dickamp, bis dato Geschäftsführer der ECS Deutschland GmbH, und die Pariser Muttergesellschaft unter Leitung von Gilles Tugendhat. Der 47jährige ging Knall auf Fall mit der Begründung, daß sein Zeitvertrag mit der französischen Leasing-, Service- und Vertriebsgesellschaft abgelaufen sei. Hartnäckig hielten sich indes die Gerüchte, daß zwischen dem Deutschen und den Franzosen unterschiedliche Vorstellungen über die Art der Geschäftsführung bestanden hätten. Dickamp versucht sich seitdem als Unternehmensberater, und neuer ECS Deutschland-Geschäftsführer wurde Michel Picot.