Marktforscher prognostizieren bessere Zeiten für Informations- und Kommunikationsanbieter:

DV-Industrie 1983: Aufstieg aus der Talsohle

07.01.1983

MÜNCHEN - Vorwiegend optimistisch sehen Deutschlands Marktforscher und Konjunkturauguren die Entwicklung der Informations- und Kommunikationsindustrie für 1983. Die Datenverarbeitung habe sich für die Unternehmen als Rationalisierungsinstrument und Problemloser in der noch anhaltenden Wirtschaftsflaute erwiesen. Investitionen, die bisher aus Unsicherheit noch zurückgehalten wurden, duldeten jetzt keinen Aufschub mehr. Positive Impulse erwarten Branchenapostel insbesondere von neuen Diensten wie Teletex und Bildschirmtext. Größte Sorge der DV-Anbieter: Der ungewisse Ausgang der bevorstehenden Bundestagswahl könne sich im Frühjahr als Investitionshemmnis erweisen.

Zeigte sich 1982 für die informationsverarbeitende Industrie als ein Krisenjahr mit abbröckelnden Umsätzen und ersten Firmenpleiten, so verlor die Branche dennoch nicht ihren, Nimbus als Wachstumsträger par Uellence. Verglichen mit anderen Wirtschaftszweigen waren die Zuwachsraten in einigen Bereichen geradezu phänomenal. Einer Analyse des Bundesverbandes der Vertriebsunternehmen für Büroorganisation (BVB) zufolge hatten die Anbieter vor allem im ersten Halbjahr mit starken Auftragseinbrüchen zu kämpfen. Die letzten Monate geben jedoch nach Ansicht von Verbandsgeschäftsführer Heinrich Stehman wieder Anlaß zu Optimismus. Zwar herrsche bei den im BVB organisierten Anbietern nach wie vor "gedämpfter Trommelschlag", dennoch gehe mit einer positiven Grundstimmung in das neue Jahr.

Zuversichtlich blickt auch Diebold-Chef Dr. Gerhard Adler in die Zukunft. Seine Marktforscher prognostizieren für 1983 eine durchschnittliche Wachstumsrate von etwa zehn Prozent. Adler sieht somit in 1983 ein Ende der Durststrecke, die durch die Investitionszurückhaltung der Benutzer entstanden sei. Die Planer hätten die "Atempause" genutzt, um über neue Projekte nachzudenken. Eine Vielzahl neuer Anwendungen sei inzwischen so weit vorbereitet und kalkuliert, daß ein Nutzen sichtbar werde. Orakelt der Diebold-Geschäftsführer: "Ein leichter Aufschwung der gesamtwirtschaftlichen Situation kann überdies dazu beitragen, daß der Startschuß für neue Projekte gegeben wird." Wachstumsschübe erwartet Adler jedoch zunächst bei Herstellern oder Softwarehäusern, die dem Anwender mit einer relativ kleinen "Grenzinvestition" (Beispiel: Mikrocomputer) einen schnellen und möglichst, risikolosen Rationalisierungserfolg verheißen.

Wie die Frankfurter Diebold-Crew rechnen auch die Münchner Infratest-Marktforscher mit einem "wertmäßigen Wachstum" von etwa zehn Prozent. Die Bayern beziehen sich bei ihrer Prognose auf eine kürzlich durchgeführte Erhebung bei rund 2000 DV-Benutzer. Zum ermittelten Ergebnis sagt die Geschäftsführerin der Infratest Kommunikationsforschung GmbH, Ursula Neugebauer, daß bei einem nach wie vor knappen Budget die Verwaltungs- und Fertigungsanwendungen stärker als bisher miteinander konkurrieren werden. Da sich im Fertigungsbereich Rationalisierungen leichter quantifizieren ließen und ein Nutzen schneller sichtbar werde, sei anzunehmen, daß die Unternehmen jetzt zunehmend in die "Factory of the Future" investierten. Zudem hätten die Produzenten die traditionellen Rationalisierungsmöglichkeiten bereits weitgehend ausgereizt, und der logische Schritt sei nun für viele Betreibe der Einstieg in die Datenverarbeitung.

In der Verwaltung gibt die Infratest-Chefin insbesondere der computerunterstützten Textverarbeitung überdurchschnittliche Wachstumschancen. Generell analysieren die, Münchner aber, daß die DV-Anwendungen bei großen Unternehmen verhältnismäßig schneller wachsen werden als bei den mittleren und kleineren Benutzern. Small-Business-Anwender würden - verunsichert durch die gesamtwirtschaftliche Situation - zunächst, noch gebremst investieren. Diese Meinung vertreten auch andere Marktbeobachter.

So meint Dr. Lothar Scholz, verantwortlich für den Bereich "Technologie" im Ifo-Institut, München, daß die Mittelständler vor dem Hintergrund der momentanen Marktunsicherheit noch "auf Nummer Sicher" gehen. Dennoch rechnet der Ifo-Forscher in diesem Jahr mit einer Investitionsbelebung. "Aus heutiger Sicht", bekräftigt Scholz, "ist zwar gesamtwirtschaftlich gesehen durchaus noch kein Anlaß zum Jubeln gegeben, aber die Weichen sind zumindest für die DV-Industrie auf Wachstum gestellt." Skeptisch betrachten indes andere Marktforscher das Ergebnis einer von Ifo und vier weiteren europäischen Instituten erstellten Prognose, nach der die Unternehmen der Informations- und Kommunikationsbranche bis 1985 mit einem durchschnittlichen Wachstum von 13 bis 15 Prozent jährlich rechnen könnten. Diese Werte, so heißt es, sein ein wenig zu optimistisch geschätzt..

Mehr Planungssicherheit für DV-Benutzer

Kritisch geht Dr. Gerhard Reckl mit den DV-Anbietern ins Gericht. Der Geschäftsführer des Fachverbandes Datenverarbeitung im Zentralverband der Elektrotechnische e. V. (ZVEI) ist der Auffassung, daß die Hersteller erst dann wieder zu akzeptablen Umsätzen kämen, wenn, sie den Benutzern mehr Planungssicherheit gäben. Die DV-Verantwortlichen seien durch die unterschiedlichen Produktphilosophien und Technologien verunsichert und scheuten sich, in die Zukunft zu investieren. Konstatiert Reckl: "Erst wenn es den Anbietern gelingt, den Benutzer zu überzeugen, daß sich der Kauf von weiterem Equipment später nicht als Flop erweisen kann, können sie wieder auf Wachstumskurs gehen."

Aussicht auf klingelnde Kassen gibt Reckl vorrangig den Vertreibern von CAD/CAM-Produkten. Auch die Akzeptanz von Teletex könne das DV-Busineß erneut beleben. Den von einigen Herstellern stark forcierten Inhouse-Netzen gibt der ZVEI-Leader in diesem Jahr noch keine Chance.

Ebenso denkt Professor Dr. Klaus Peter Bullinger, Leiter des Fraunhofer Institutes für Arbeitswirtschaft und Organisation in Frankfurt und Ethernet-Pilot, über Local Area Networks (LAN). Zwar gehe der Trend in die Richtung, doch mit einem Durchbruch dieser Technologie sei 1983 noch nicht zu rechnen. Lediglich einige weitere Testinstallationen konnten die Netzwerkanbieter in den kommenden zwölf Monaten auf ihrem Konto verbuchen. Daß es aber wieder bergauf gehe mit der bundesrepublikanischen DV-Industrie, will auch Bullinger wissen. Bei bevorstehenden Hardwareanschaffungen würden Investitionen vor allem mit Blick auf die neuen Medien erfolgen. Equipment, das nicht über Schnittstellen zu Teletex oder Bildschirmtext verfüge, sei nur schwer abzusetzen. Bullingers Optimismus ist jedoch eher verhalten: "Der Anwendungsstau wird sich in 1983 noch nicht als platzender Knoten erweisen."

Positive Tendenzen will aber die PM Portfolio Management Gesellschaft, mbH für Wertpapierberatung an den Finanzmärkten ausgemacht haben. An der derzeitigen Wertpapierentwicklung, so erklärt Portfolio-Börsianer Walter Heinemann, sei deutlich erkennbar, daß die Informations- und Kommunikationsanbieter mit einem Aufschwung rechnen könnten.

Als Wachstumsmärkte sieht der stellvertretende Vorsitzende der Nixdorf Computer AG in Paderborn, Klaus Luft, insbesondere die Bereiche "kleine Computersysteme" (Mikros), verteilte Datenverarbeitung, digitale Nebenstellenanlagen und computerunterstützte Textverarbeitung. Hier werde es sich jetzt aber stärker denn je zeigen, daß es seitens der Hersteller nicht nur darauf ankomme, Technologien zu schaffen, sondern sie zum Anwender zu bringen. Diese Umsetzung habe sich laut Luft in letzter Zeit für viele Anbieter als Problem erwiesen.

Wachstumschancen gesteht der Paderborner Manager primär Unternehmen zu, die sich im Markt verstärkt anwendungsorientiert verhalten. Wie einige andere Markt-Watcher ist auch Luft überzeugt, daß sich neue Medien wie Bildschirmtext und Teletex als "Spritze" für die Computerindustrie erweisen werden. Zu weiteren Anwender-Investitionen werde es vornehmlich dort kommen, wo es um qualitative Veränderungen gehe. "Rezessive Auswirkungen" sieht er nach wie vor bei Anbietern, die im "Mengengeschäft" tätig sind.

Da es heute kein Problem mehr darstelle, Hardware preisgünstig zu produzieren, werde sich hier der Wettbewerb weiterhin verschärfen.

Als "High-flyer" der DV-Zunft sieht auch IDC-Deutschland-Chef Erik Hargesheimer den Mikrocomputer. Wachstumsraten von bis zu 15 Prozent seien bei den Anbietern der Rechnerzwerge keine Seltenheit. Der Verkaufserfolg dieser Systeme werde jedoch nach Ansicht des Wiesbadener Marktforschers in zunehmendem Maße davon abhängen, ob es den Anbietern gelinge, Händlernetze aufzubauen. Zur allgemeinen Lage der DV-Industrie meint der IDC-Boß, daß die Anwender zunächst noch den Ausgang der Bundestagswahlen am 6. März abwarteten und es danach einen Bestellschub geben werde. Diese Ansicht Hergesheimers wird von einem Großteil der Markt- und Meinungsforscher sowie von einigen Managern aus dem Herstellerlager geteilt.

"Politische Klarheit" wichtig für Markterfolg

"Wenn die Wahl nicht zu einer politischen Katastrophe wird, wie etwa eine Pattsituation der fahrenden Parteien, wird es zu einer generellen wirtschaftlichen Aufwärtsbewegung kommen, die sich positiv auf die DV-Industrie auswirken wird", sagt Dr. Tom Sommerlatte von der Wiesbadener Arthur D. Little Inc. Beim Ergebnis am 6. März sei weitgehend egal, welche der fahrenden Parteien das Rennen mache. Wichtig für die Investoren sei vielmehr, daß "politische Klarheit" herrsche.

Wie BVB-Geschäftsführer Heinrich Stehmann machen auch andere Industrievertreter keinen Hehl aus ihrer Einstellung, daß es nur zu einem Aufwind kommen könne, wenn "eine Partei ans Ruder komme, die die Interessen der Arbeitgeber vertritt".