DV-Fachleute als Rationalisierungsopfer noch nicht erkannt

04.08.1989

Auf 200 000 bis 250 000 wird die Zahl der in der Bundesrepublik tätigen DV-Spezialisten geschätzt. Die "individualistische Grundhaltung", die der kleinen aber feinen Gruppe der "High-Tech-Angestellten" zu eigen ist, macht den Gewerkschaften zu schaffen. Gutverdienende Softwerker und Systemtechniker etwa scherten sich nicht um eine Interessenvertretung, wie sie von Betriebsräten angeboten werde. Dabei seien auch die DV-Leute zunehmend von dem Problem der "Abqualifizierung bei mangelnder Weiterbildung" betroffen. "Als Rationalisierungstäter sind die DV-Beschäftigten oft im Visier; als Rationalisierungsopfer werden sie noch nicht erkannt", sagt Ulla Lötzer, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende in einem Software-Unternehmen. In einem vom Deutschen Gewerkschaftsbund veranstalteten Workshop über "berufliche und soziale Belange von technischnaturwissenschaftlich qualifizierten Fachkräften in den EDV-Bereichen von Industrie und Dienstleistung" haben sich Gewerkschaftsmitglieder und Hochschul-Experten mit den Themen "Arbeitsbedingungen im DV-Bereich" sowie "Formen der Interessenvertretung von und mit DV-Fachkräften" auseinandergesetzt. Die "COMPUTERWOCHE" zitiert aus dem Tagungsprotokoll, das vom DGB herausgegeben wurde.

Jürgen Friedrich

Hochschullehrer für Informatik an der Universität Bremen

Die bisher geschilderten Arbeitssituationen und die sich dabei abzeichnenden Entwicklungen entsprechen in wesentlichen Teilen unseren Forschungsergebnissen: Man kann wohl davon sprechen, daß eine Angleichung der Beschäftigungssituation qualifizierter Informatiker an die "normalen" Arbeitsbedingungen erfolgt.

lm Zusammenhang mit der hier schon mehrfach erwähnten Softwarekrise bestehen auch personelle Engpässe; es gibt noch zu wenig Informatiker, die die Anwenderbedürfnisse erfüllen können; das wirkt sich auf die Bezahlung, auf die Arbeitszeit (Überstunden) etc. aus. Bisher wurde für die Softwarearbeit viel Kreativität benötigt, aber allmählich wird die "Kunst des Programmierens" durch ingenieurmäßige Methoden abgelöst. Die Informatiker seIbst sind dabei, zeitliche und inhaltliche Zerlegungsmethoden zu entwickeln: Zeitlich wird der Gesamtprogrammierungsprozeß in einzelne Phasen (zum Beispiel Spezifikation, Entwurf, Implementierung, Test, Wartung etc.) zerlegt. Die Durchführung der einzelnen Phasen wird dabei häufig unterschiedlichen Beschäftigungsgruppen übertragen (Systemanalytikern, Programmierern, Codierern etc.). Dieses arbeitsteilige Vorgehen ist - wie die Praxis in vielen Betrieben zeigt - von der Sache her nicht erforderlich, erhöht aber das Rationalisierungs- und Kontrollpotential des Managements: Geringere Entlohnung in den weniger qualifizierten Phasen und höhere Transparenz des Arbeitsfortschritts durch präzise Definition der Schnittstellen zwischen den Phasen reduziert die Abhängigkeit des Unternehmens von den Softwarespezialisten und zugleich die Qualifikation dieser Beschäftigtengruppe. Die "besondere Stellung" der EDV-Spezialisten wird damit abgebaut und es findet eine zunehmende Angleichung an die Struktur der Gesamtbelegschaft statt.

Joachim Denkinger

SOFI Göttingen

Die Nicht-Erreichung von Zielen wird so lange einem individuellen Versagen zugerechnet, wie keine obiektivierbaren - oder auch nur innerhalb des Betriebes konsensfähigen - Kriterien für Normalleistung für Tätigkeiten von hochqualifizierten Angestellten existieren. So scheint die bisherige Praxis des "E x-post-Stundenzählens" den neuen Arbeitsorganisationsformen und Managementstrategien immer weniger angemessen, und die Betriebsräte werden sich stärker mit "Exante-Zeitbedarfsrechnungen" und Kriterien für Zielvorgaben auseinandersetzen müssen.

Diese Notwendigkeit stellt sich auch bei der Lösung des Uberstundenproblems, das gerade für DV-Berufe dramatische Ausmaße angenommen hat. Zu knappe Zeitvorgaben sind der wesentliche Grund für Überstunden, die von Mitarbeitern oft auch am Betriebsrat und an den Vorgesetzten vorbei geleistet werden. Gegenstrategien der lnteressenvertretungen greifen oft nicht weil in vielen Fällen Transparenz und Kontrolle nicht gewährleistet werden können, aber auch, weil die Interessen der Mitarbeiter in der Arbeitszeitfrage allgemein sehr heterogen zu sein scheinen. So nimmt es nicht wunder, daß sich das Arbeitszeitproblem besonders scharf in den (oft nicht tariffgebundenen) Software-Entwicklungsbetrieben stellt, die mit jungen Angestellten-Belegschaften projektorientiert arbeiten. Hier scheinen die Grenzen des Arbeitstages oft gänzlich zu zerfließen.

Wolfgang R.

Physiker, Metallwirtschaft

Mich interessiert, ob es trotz aller Unterschiede verallgemeinbare Tendenzen für Unternehmensstrategien und die Situation der DV-Beschäftigten gibt.

Ich will das mal an drei Stufen meines Arbeitslebens verdeutlichen:

Zunächst arbeitete ich in einer Hardwarefabrik im Ingenieurbereich. Die Produktion war schon durchrationalisiert worden; dann kam der Ingenieurbereich dran: Jeder Vierte bis Fünfte wurde als "überflüssig" erklärt. Eine durchgeführte Gemeinkosten-Wertanalyse hat dann "objektiv" genau die gewollte Einsparung als notwendig bewiesen; für die verbliebenen Beschäftigten wurde die Arbeit intensiviert.

Ich habe dann später in einem Rechenzentrum mit zirka 200 Beschäftigten gearbeitet. Das Rechenzentrum beschäftigte zum Teil schon jahrelang Fremdprogrammierer. Bei der Entwicklung der übertariflichen Gehaltsbestandteile konnte man feststellen, daß sich das Gesamtniveau über mehrere "Beschäftigtengenerationen" hinweg gesenkt hatte. Neuerdings werden die Rechenzentren der verschiedenen Konzernbetriebe unter einer einheitlichen Leitung zusammengefaßt, Doppelarbeit soll vermieden werden. Der Einspareffekt ist bei 2000 Betroffenen um die 150 Kolleginnen und Kollegen.

Ich arbeite jetzt in der Software-Entwicklung; wir führen unter anderem Qualitätskontrollen im Software-Entwicklungsbereich durch. Wir arbeiten eng mit anderen Softwarehäusern zusammen und können den Arbeitsdruck von uns an sie weitergeben, da wir wissen, daß sie "alles machen", quasi zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Ich will mit diesen kurzen Beispielen meine These belegen, daß die Linie der Arbeitsqualität und Beschäftigungssicherheit auch in unseren Berufen kräftig nach unten geht. Das scheinen auch die Beschäftigten zu merken. Eine alle zwei Jahre bei IBM durchgeführte Umfrage über die Arbeitszufriedenheit hat eine hohe Unzufriedenheit der IBM-Beschäftigten deutlich gemacht: Waren früher über 70 Prozent zufrieden, sind heute 50 Prozent vor allem wegen der Einkommensentwicklung und der Arbeitsbedingungen (Überstunden) unzufrieden.

Robert Sadowsky

IGM-Arbeitskreis

Nach unserer Erfahrung ist es nicht so, daß die Arbeit der technischen Angestellten generell zunehmend taylorisiert wird, daß sich daraus geringere Möglichkeiten der Identifikation der eigenen Arbeit ergeben und daß daraus eine größere Aufgeschlossenheit und Ansprechbarkeit für die sozialen Dimensionen von Technik und Rationalisierung

entstehen könnte. Mehrheitlich beschreiben die technischen Angestellten ihre Arbeit als "technisch anspruchsvoll und mit relativ (großen Handlungsfreiheiten ausgestattet". Allerdings zeigt sich, daß die anspruchsvollen Arbeitselemente verdichtet werden.

Bei dieser Gruppe besteht weiterhin eine hohe Identifikation mit der eigenen Arbeit. Würden sie als "Rationalisierungsverlierer" angesprochen, würde ihr gegenüber Gewerkschaften sowieso bestehendes Vorurteil, diese seien "Technikfeinde" noch verstärkt. Der bei vielen höchstqualifizierten technischen Angestellten bestehende Wunsch, in der Arbeit Selbstverwirklichung zu finden, macht eine Ansprache jenseits des individuellen Schutzgedankens erforderlich.

Ulla Lötzer

Gewerkschaft Handel,

Banken, Versicherungen

Stärker noch als in der Auseinandersetzung um die Gehälter drückt sich die zunehmende Konkurrenz in den Auseinandersetzungen um den ständigen Erhalt oder die Weiterentwicklung der Qualifikation aus. Kraß läßt sich diese Entwicklung vielleicht auf folgenden Nenner bringen: Wurde vor Jahren ein Mitarbeiter bereits eingestellt, wenn er wußte, wie man EDV schreibt, ist heute in einem Beratungsunternehmen der Mitarbeiter mit Breitenwissen, erworben durch langjährige Erfahrung, bei gleichzeitigen Spezialistenkenntnissen gesucht. Da der aber noch die Ausnahme darstellt, werden oft Hochschul-Absolventen eingestellt und mit einer Grundausbildung einsetzbar gemacht. Sobald der Umsatz läuft, ist die Frage der Weiterbildung eine ständige Quelle von Ärgernissen. Bei einer von der HBV durchgeführten Untersuchung wurde festgestellt, daß nur in drei von 14 Betrieben feste Einarbeitungspläne existieren, in sechs von 13 Betrieben gab es keine fachbezogene Weiterbildung. Nach einer zweiten Umfrage äußerten sich 69 Prozent der Beschäftigten in der DV-lndustrie mit den Möglichkeiten der Fortbildung unzufrieden.

So klar aber zumindest die Forderung nach Verbesserung und Absicherung der Weiterbildung ist, so unklar sind die Forderungen zur Rationalisierung in der Branche. Als "Rationalisierungstäter" sind die Beschäftigten oft im Visier, als "Rationalisierungsopfer" werden sie noch nicht erkannt. Die Suche nach qualifizierten Spezialisten ist ja nur die eine Seite der Entwicklung der Arbeitsteilung in dieser Branche. Für viele insbesondere in der Programmierung Beschäftigte hat sie zu Dequalifizierung bis hin zur Drohung mit Arbeitsplatzverlust geführt.