DV-Chef scheiterte an progressiver Dezentralisierungsstrategie: MBB-Datenverarbeiter uneinig über DV-Konzept

20.08.1982

MÜNCHEN/OTTOBRUNN - Um die extrem hohen DV-Kosten seines Unternehmens einzudämmen, stützte sich der oberste Org/DV-Manager der Messerschmidt-Bölkow-Blohm GmbH (MBB), Hans Kober, auf eine für die heutige Zeit noch verwegene Strategie. Die rund 400 Mitarbeiter starke Ottobrunner Zentral-DV wollte er auf eine hochqualifizierte kleine Einheit reduzieren, die sich lediglich noch mit strategischen und planerischen Aufgaben befassen sollte. Anwendungsentwicklung und Programmierung wollte der DV-Boß vollends in die Fachbereiche verlagern. Kobers Konzept scheiterte jedoch am Wiederstand seiner eigenen Crew: Auf Drängen des Betriebsrates mußte er jetzt seinen Hut nehmen.

Das "Konzept der freiwilligen Entmachtung der DV-Abteilung", wie Kobers Vorhaben von seinen Widersachern häufig bezeichnet wurde, löste unter den MBB-Datenverarbeitern geradezu einen philosophischen Grundsatzstreit um Einfluß und Kompetenzen aus. Dabei hatte der von der Münchner Wacker-Chemie GmbH kommende DV-Chef nach eigenen Worten keineswegs vor, die Zentral-DV zu entmachten, sondern vielmehr eine Verteilung der Verantwortlichkeiten durchzuführen. Kobers Strategie sieht eine Trennung der Informationsverarbeitung in einen reinen Dienstleistungsteil, der in die Fachabteilungen übertragen werden sollte, und einen planerischen, kontrollierenden Bereich vor. Mit dieser These stieß der gelernte Diplomingenieur jedoch selbst bei progressiv denkenden DV-Kollegen teilweise auf Unverständnis. Dennoch klingt seine Theorie geradezu logisch: Bei sinkenden Hardwarekosten und zunehmender Benutzermündigkeit lasse sich das Zentralisierungsmonopol kaum noch aufrechterhalten. Die traditionellen Datenverarbeiter könnten sich heute nicht mehr den Benutzerwünschen verschließen, sondern müßten vielmehr die reine Servicefunktion, sowie die Verantwortung übertragen. Auch die Anwendungsentwicklung und die Programmierung gehören nach Kobers Ansicht in die Fachabteilung. Es gäbe genügend Beispiele aus der Industrie, daß von der Zentral-DV entwickelte Systeme nicht angenommen worden seien, weil sie den Anforderungen der Anwender nicht entsprochen hätten. Befinde sich der Entwickler indes vor Ort, könnten derartige Mißverständnisse durch den regelmäßigen Kontakt zum End-User umgangen werden. In diesem Zusammenhang räumt der Münchner DV-Experte allen Unternehmensbereichen die Freiheit ein, ihre Systeme nach eigenem Gusto auszusuchen und zu bedienen, wenn sie sich nur innerhalb der vorgegebenen Standards bewegten.

Revolutionäre Strategien

Hatte Kober mit seinem für den derzeitigen Stand der Informationsverarbeitung noch revolutionären Konzept anfangs noch die volle Rückendeckung seines Vorstandes, als er im Februar die Leitung der zentralen DV und Ablauforganisation bei MBB antrat, so gerieten seine Pläne schon bald ins Schlingern. Vor allem die traditionell eingestimmten DV-Mitarbeiter sahen Personalabbau und Kompetenzbeschneidungen auf sich zukommen und insistierten bei dem in Ottobrunn sehr aktiven und gewichtigen Betriebsrat. Bereits wenige Monate nach Kobers Debüt kursierten in den RZ-Gängen, die ersten Flugblätter, die in Form einer polemisch abgefaßten Todesanzeige das Scheitern des DV-Managers prophezeiten. Da der Wackeraner nie einen Hehl daraus machte, daß die Informationsverarbeitung in einer erweiterten Geschäftsführerfunktion, etwa als "Manager of Informations", verankert sein müsse, wurde ihm aus dieser Argumentation obendrein noch ein Strick gedreht, heißt es unter Kober-Vertrauten. Nach deren Angaben habe es Kober allerdings auch nicht fertiggebracht seine DV-Politik an die Mitarbeiter weiterzuvermitteln. Daraus hätten sich dann permanent Mißverständnisse ergeben. Diese hätten schließlich dazu geführt, daß die von dem MBB-DV-Chef angestrebte "Personalverteilung" den Ruch von hevorstehenden Massenentlassungen bekam. Personalversammlungen mündeten in heftige Auseinandersetzungen zwischen Kober und Gewerkschaftsvertretern, die dem Datenverarbeiter vorwarfen, er wolle mit seinem DV-Konzept lediglich Karriere auf den Schultern seiner Mitarbeiter machen.

Indes war Kobers Strategie keineswegs eine Eigenerfindung, sondern orientierte sich an den Studien international anerkannter DV-Experten. So gab sich in den drei Dienstjahren des Mangers die Crème de la Crème der DV-Branche in Ottobrunn tatsächlich die Türklinke in die Hand. Kober ließ den "US-Manager des Jahres 1981", John Diebold, höchstpersönlich einfliegen, diskutierte mit Top-Beratern des renommierten Technologischen Institutes von Massachusets (MIT) und arbeitete Hand in Hand mit dem schweizerischen Softwarepapst Dr. Reinhold Thurner. Hinzu kamen Studien der Frankfurter Diebold-Debendance und von Deutschlands größter Unternehmensberatung SCS in Hamburg. Allein im letzten Jahr habe Kober für externe Dienstleistungen rund 1,25 Millionen Mark hinblättern müssen, sickerte durch.

Mitarbeitermotivation versäumt

Honorige Namen wie Diebold & Co. stießen freilich auch im MBB-Vorstand auf positve Resonanz. Wie Kober versichert, waren alle strategischen Maßnahmen mit seinen Vorgesetzten abgestimmt. Beeindruckt schienen die MBB-Bosse vor allem, von der Berater-Botschaft, daß es in den USA zahlreiche Unternehmen gebe (Beispiel: Exxon), die bei einem Milliardenumsatz mit weniger als hundert Spezialisten in der DV-Zentrale auskämen und damit ihre Kosten immens reduzieren konnten.

Selbst Befürworter des Dezentralisierungskonzeptes bemängeln an Kober, daß er zwar stets versucht habe, seine Politik gegenüber dem Vorstand zu verkaufen, es aber versäumte, zunächst seine eigenen Mitarbeiter zu überzeugen. Insbesondere werfen sie ihm vor, er habe es nicht fertiggebracht, einen kooperativen Führungsstil zu verwirklichen, so daß ständig Streit aufgekeimt sei. Diese Situation hätten sich wiederum die MBB-Gewerkschafter zunutze gemacht, um gegen den unliebsamen DV-Chef vorzugehen. Konstatiert der Ottobrunner Betriebsratsvorsitzende Werner Kitzig: "Kober hat es zu keinem Zeitpunkt verstanden, eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen sich und seinen Mitarbeitern aufzubauen." Er habe sich als Patriarch empfunden und stets kompromißlos seine Entscheidung als die einzig wahre dargestellt. Kitzig bemerkt, daß der Betriebsrat ununterbrochen mit Beschwerden aus allen Hierarchien der DV-Abteilung über Kober konfrontiert worden sei.

Polemik aus der Werkspresse

In der firmeninternen Gewerkschaftszeitung "MBB-Forum", die von einer DAG/AIN-Betriebsgruppe herausgegeben wird, wurde der DV. Chef denn auch wiederholt in polemisch abgefaßten Karikaturen an den Pranger gestellt. Angeschossen wurde er auch von der DV-Verantwortlichen der ausgelagerten MBB-Werke, vor allem in Hamburg und Augsburg. Diese hatten bisher eine eigenstädige Datenverarbeitung vor Ort betrieben.