Diebold Markt Forum '90

DV-Branche profitierte von den neuen Ländern

21.12.1990

FRANKFURT (hv) - Gerhard Adler, Geschäftsführer der Diebold Deutschland GmbH in Eschborn, mußte Abbitte leisten: Der im Vorjahr prognostizierte Abwärtstrend des deutschen DV-Marktes hat sich 1990 nicht bestätigt Ursache für ein anhaltend starkes Branchenwachstum von 7,5 Prozent ist die erfolgreiche Erschließung des ehemaligen DDR-Gebietes durch westliche Anbieter.

Die Erstausstattung der fünf neuen Bundesländer mit Informationstechnologie belebt nach Angaben Adlers derzeit das DV-Geschäft. Etwa ein bis zwei Prozent des gesamten Wachstums lasse sich auf den neuen Absatzmarkt in Ostdeutschland zurückführen. Der Ost-Boom werde auch im nächsten Jahr anhalten; im Bereich Standardsoftware sei die Nachfrage besonders groß.

Mit Vorhersagen für die Marktentwicklung in Ostdeutschland hält sich Adler zurück: "Jeder, der behauptet, er wüßte, was drüben passiert, der spekuliert."

Trotzdem wagt der Diebold-Manager einige vorsichtige Prognosen. So rechnet Adler für 1992/93 mit einer Phase der Stagnation am ostdeutschen DV-Markt, eventuell sogar mit einem Rückgang.

In diesen Jahren werde sich die fehlende Infrastruktur im Verkehrs- und Telekommunikations-Bereich besonders negativ auswirken. Eine Vielzahl von Anbietern wird laut Diebold-Prognose Probleme bekommen, die Aufträge zu erfüllen. Nach Einschätzung des Unternehmensberaters dürfte sich daher schon bald "die Anbieterlandschaft bereinigen". Die zu erwartenden Zahlungsschwierigkeiten vieler Kunden werden zu dieser Entwicklung beitragen.

Trotz dieser Widrigkeiten rechnet der Diebold-Chef ab 1994 mit einem schnellen Wachstum. Der Grund: Die Aufbauphase ist vorüber, Unternehmen investieren nicht mehr primär "in das Notwendigste", sondern erstmals in Effizienzsteigerung und Optimierung.

Beste Chancen haben in den östlichen Bundesländern Anbieter, die fertige Lösungen präsentieren können, sowie Unternehmen, die qualifizierte Beratung und Einführungsunterstützung bieten. Wettbewerbsfähige Unternehmen müssen laut Diebold eine vernünftige Finanzierungs- und Preispolitik anbieten und den Anwendern mit ihren Produkten einen DV-Einstieg mit Entwicklungsperspektiven offerieren können.

Was die einzelnen DV-Bereiche betrifft, so finden vor allem Hersteller von Standardsoftware - insbesondere von Buchhaltungs-, Abrechnungs- und Auftragsabwicklungspaketen in Ostdeutschland einen attraktiven Markt vor. Nachfrage besteht außerdem nach einer Unterstützung der Bereiche Organisation und Einführung von DV-Produkten. Laut Diebold dürfte sich auch das Geschäft mit Datenbank-Management-Systemen und Software-Entwicklungsumgebungen auszahlen.

Auf dem Hardwaresektor boomt in erster Linie der PC-Markt. Diebold-Chef Adler kritisiert die mangelhafte Informationspolitik vieler Anbieter, denen es nur darauf ankomme, die Geräte in den Markt hineinzudrücken, die aber kaum Beratungsleistungen böten. "Wir haben drüben Unternehmen gesehen, die mit einem PC die Lohn- und Gehaltsabrechnung für 2000 Mitarbeiter machen wollten", erläutert der Marktexperte. Grund für die Desinformation vieler Anwender sei die falsche und unzureichende Beratung.

Auch an kleinen und mittleren Systemen besteht in der ehemaligen DDR großer Bedarf. Favorisiert werden Rechner, die mit dem Betriebssystem Unix arbeiten - der Hersteller spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Aufgrund der in den ostdeutschen Ländern installierten Basis besteht laut Diebold auch Interesse an DEC/VAX-Rechnern mit dem proprietären Betriebssystem VMS.

Große Systeme, die in der Preisklasse zwischen 500 000 und zwei Millionen Mark liegen, haben gegenwärtig nur mittelmäßige Vermarktungschancen. Dieser Markt könnte davon profitieren, daß immer mehr Rechenzentren ihre alten Systeme mit zum Teil sehr alten Release-Ständen gegen neue Produkte austauschen. Auch der Bedarf an Workstations ist derzeit eher durchschnittlich - hier allerdings wird die Nachfrage in den nächsten Jahren noch deutlich ansteigen.

An sehr großen Systemen mit einem Kaufpreis von mehr als zwei Millionen Mark besteht laut Diebold zur Zeit nur wenig Interesse, aber auch hier rechnen die Marktforscher mit einer steigenden Nachfrage.

Gegenwärtig ist der Bereich Kommunikationsprodukte eines der wohl attraktivsten Marktsegmente. LANs, kleine und große Nebenstellenanlagen sowie Mobilkommunikation spielen hier ebenso eine Rolle wie Kopiergeräte und Fernkopierer.

Obwohl die meisten Unternehmen auf dem ehemaligen DDR-Gebiet derzeit vor immensen Investitionen stehen, geht Diebold-Geschäftsführer Adler davon aus, daß diese Anwenderunternehmen schon im Jahr 2000 geringere DV-Ausgaben haben als ihre Mitbewerber im Westen. Während sich in der ehemaligen Bundesrepublik die meisten Anwender mit dem Problem der Altlasten herumschlagen müßten, stünden Ost-Unternehmen vor einem DV-technischen Neuanfang und könnten sich auf moderne Konzepte stützen. Im Schnitt lasse sich der DV-Aufwand daher auf etwa 60 bis 80 Prozent der in den westlichen Bundesländern entstehenden Kosten reduzieren. Die schnellsten Ost-Geschäfte sind derzeit mit der öffentlichen Hand auf dem Dienstleistungssektor zu machen. Laut Diebold ist der Dienstleistungsbereich völlig unterentwickelt und bietet Westunternehmen gute Chancen. Die öffentliche Verwaltung muß vollkommen neu organisiert werden - ein sicheres Geschäft, weil der Staat die Finanzierung übernimmt. Langfristige Erfolge sind in den nächsten Jahren vor allem in der Fertigungsindustrie zu erzielen.