Albertville: Planung der Langlaufroute mit CAD

DV bewältigt Massenansturm bei den olympischen Spielen

25.10.1991

Das kleine Alpenstädtchen Albertville wird als Austragungsort der olympischen Winterspiele im Februar 1992 das Zentrum eines Riesenspektakels. Auch der technische Aufwand ist gigantisch: Zwei 3090, zwei RS/6000, eine AS/400 und 1750 PS/2 unterstützen die Organisatoren.

An zehn Veranstaltungsorten werden rund 2500 Sportler aus 60 Ländern um die Medaillen kämpfen. 7000 Medienvertreter berichten über diese Ereignisse, dazu kommen 7000 freiwillige Helfer, 45 000 Funktionäre und zwischen 600 000 und einer Million Zuschauer. Um diesen Massenansturm zu bewältigen, mußte eine gewaltige Organisation aufgebaut werden. Drahtzieher dafür ist das Cojo (Comité d'Organisation des Jeux Olympiques) dem der Sponsor IBM in puncto DV kräftig unter die Arme greift. Über das IBM-Engagement gibt es keine offiziellen Zahlen, Schätzungen gehen von rund 35 Millionen Dollar aus.

Die Vorbereitungen für den Massenansturm waren nicht nur umfassend, sondern auch langwierig. Vier Jahre kämpfte Albertville darum, Austragungsort zu werden, weitere vier Jahre dauerten die konkreten organisatorischen Vorbereitungen. Das erste System, das für Cojo installiert wurde, war eine AS/400. Es unterstützt das olympische Team bei den finanziellen Kalkulationen, der Logistik und beim allgemeinen Management. Auf ihr traf das Organisationskomitee ab 1987 Vorbereitungen für die Spiele. Kernstück der gesamten DV-Installation sind zwei 3090/20J, die in Chambery, 68 Kilometer von Albertville entfernt, untergebracht sind.

"Für die Mainframes sind erhebliche Sicherheitsvorkehrungen vonnöten, die in Albertville selbst nicht zur Verfügung standen. Zudem hatte in Chambery eine Bank Interesse, die Großrechner nach den Spielen zu übernehmen", erklärt Philippe Verweer, DV-Verantwortlicher von Cojo. Auch beim Cojo-Gebäude wurde schon bei der Planung an die langfristige Nutzung gedacht, es soll nach den olympischen Spielen als Schule dienen.

Die Vorbereitungen der Spiele sind äußerst vielfältig: Gebäude und Tribünen mußten geplant und gebaut, Abfahrten und die Routen für die Langläufer ausgetüftelt werden. Hier spielte die DV-gestützte Konstruktion eine zentrale Rolle. Die Pläne der Zuschauertribünen und Pressezentren, die Anordnung der Sitzplätze sowie die Geländemodelle wurden mit Hilfe von CAD-Applikationen entworfen. Hauptsächlich kam das Produkt "Catia" des französischen Herstellers Dassault Systems zum Einsatz, zum ersten Mal auch im Bereich Architektur und Konstruktion.

Catia besitzt ein Modul, mit dem sich Geländeaufnahmen in dreidimensionale Modelle umwandeln lassen. Es wurde vor allem bei der Auswahl der Abfahrtsstrecken und bei der Routenplanung für den Langlauf genutzt. Das Cojo-Team hat die CAD-Modelle auch für die Organisation des Kartenverkaufs eingesetzt und dazu die Catia-Daten auf die PS/2-Rechner in ihrem Büro übertragen.

Von allen CAD-Aktivitäten bereitete die Digitalisierung von rund 600 konventionell erstellten Landkarten den meisten Ärger, ein Projekt, das fast ein Jahr in Anspruch nahm. "Wir konnten in diesem Fall keine Scanner benutzen, weil die Modelle dreidimensional waren. Sie kamen nur bei der Digitalisierung der Architekturpläne zum Einsatz", erzählt Claude Ponson, zuständig für CAD bei Cojo.

Die mühsame Arbeit bei der Digitalisierung hat sich gelohnt. Größter Vorteil der digitalen Pläne: Einmal angefertigt, lassen sie sich relativ einfach modifizieren - eine große Erleichterung, da bei der Planung viele Gremien mit verschiedenen Vorstellungen mitarbeiteten und deshalb viele Änderungen nötig wurden. Die beiden 3090 in Chambery dienen unter anderem als Archiv der Mastermodelle, von denen die meisten einige MB Speicher in Anspruch nehmen und deshalb in kleinere Untermodelle aufgeteilt wurden. Antwortzeiten und Datenübertragung hätten sonst die Zeitvorstellungen gesprengt.

In Albertville installierte Cojo Anfang 1989 drei 6150-Workstations, die zunächst mit einer Transferrate von 128 Kbits/s und später von 256 Kbits/s mit den Mainframes kommunizierten. Mitte 1989 kamen zwei RS/6000-Rechner hinzu, deren Performance zehnmal größer ist als die der 6150. Catia und die Ticketingsoftware wurden auf die neuen Systeme portiert. Die leistungsschwächeren 6150 setzt Cojo immer noch ein. "Die Workstations sind zwar veraltet, aber sie funktionieren, und als wir sie installiert haben, gab es die RS/6000 noch nicht", meint Verweer.

Die Abteilung von Cojo, die sich um Sicherheit, Ausrüstung und Wartung kümmert, arbeitet mit IBMs CAD-Programm, das auf PS/2 Modell 70 und 80 läuft. Sie hat dabei Zugriff auf die mit Catia erstellten Pläne. Zwei Jahre dauerte die Entwicklung des Transferprogramms, das den Datenaustausch zwischen IBM-CAD und Catia ermöglicht.

Überbelegung, doppelt verkaufte Karten oder Phantomsitze sind Horrorvisionen des Cojo-Teams. Deshalb das erklärte Ziel: Für jeden Sitzplatz darf es nur ein Ticket geben. "Das hört sich zwar recht einfach an, aber es ist höchst kompliziert. Wir planen den Kartenverkauf schon, bevor die Tribünen überhaupt fertiggestellt sind", meint ein Cojo-Sprecher. Auch die verschiedenen Einsichtwinkel müßten berücksichtigt werden. Über perspektivische CAD-Darstellungen läßt sich beispielsweise feststellen, auf welchen Plätzen die Sicht durch eine Kamera oder Pfeiler versperrt wird.

Die Wettkämpfe finden an zehn Austragungsorten statt, wobei die größte Distanz zwischen zwei Orten rund 120 Kilometer beträgt. Deshalb legte das Cojo-Team großen Wert auf gute Kommunikationsmöglichkeiten. Alcatel hat für die olympischen Spiele eines der größten privaten Telekommunikationssysteme mit 10 000 Terminals, 1700 Walkie-Talkies und 2000 mobilen Telefonen entworfen.

Im Februar 1992 werden 7000 freiwillige Helfer die Organisation in den Bereichen Sicherheit, Betreuung und Medien unterstützen. Um sie über ihre Aufgaben zu informieren, setzte das Veranstaltungsteam hierzu Computer Based Training (CBT) ein.

Das von IBM entwickelte Programm läuft auf PS/2-Rechnern, die mit einem Touchscreen ausgestattet sind, und enthält die Module Geschichte der olympischen Spiele, Wettkämpfe, Aufgabenbereiche und Überblick. Für das Durcharbeiten des gesamten Programms veranschlagt die IBM rund fünf Stunden.

Bis jetzt hat Cojo gute Erfahrungen mit CBT gemacht. "Gerade dann, wenn sehr viele Helfer sehr schnell geschult werden, ist DV-gestütztes Lernen eine gute Methode", erklärt ein Cojo-Sprecher.