DV-Berufe im Wandel: Vom Bit-Akrobaten zum Datenarchitekten

11.05.1984

Auch den traditionellen Datenverarbeitern geht es jetzt offensichtlich an den Kragen: Viele der derzeit ausgeübten Tätigkeiten haben keine Zukunft mehr. Die bevorstehenden Entwicklungen in den verschiedenen Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologie werden nach Ansicht von Günter Schorn, Geschäftsführer bei der Münchener Lloyd Datenverarbeitungs GmbH, gewaltige Umschichtungen in der Berufswelt mit sich bringen. War früher, so Rolf Dreier von der Schmidt-Agence AG, Basel, der exzellente Bit- und Byte-Akrobat ungekrönter König der DV-Landschaft, so ist es heute der strategisch denkende Informationsplaner und Datenarchitekt. Auch das Management kann vor dieser Entwicklung nicht länger die Augen verschließen. Die Tätigkeiten der DV-Verantwortlichen verlagern sich zunehmend, resümiert Dr. Burkhard Block, auf die Lösung zukunftsorientierter Aufgaben. kul

Peter Clotten, Prokurist, ADV-Leiter DV-Produktion, Wacker Chemie GmbH, München

Über die erforderliche Neuorientierung des DV-Management ist in letzter Zeit ausreichend nachgedacht und geschrieben worden. Die Notwendigkeit der Anpassung auf eine sich ständig entwickelnde Umwelt der Informationstechnologien ist unbestritten. Die Frage muß für die Datenverarbeiter beantwortet werden, die ich immer noch in die beiden großen und klassischen DV-Bereiche aufteilen möchte: Entwicklung und Produktion.

Viele Inhalte und Funktionen der DV-Berufe haben sich bereits trotz gleichgebliebener Bezeichnung verändert. Dazu nur zwei Beispiele: In der Anwendungsentwicklung befindet sich die Grenze zwischen Programmierer und Organisations-Programmierer in Auflösung. Die Programmierspezialisten werden sich mit wachsendem Einsatz neuer Tools und Sprachen anderen Aufgabengebieten zuwenden müssen. Die Systemprogrammierung - eine Funktionsbezeichnung, die schon sehr lange geändert werden sollte, da hier nichts mehr "programmiert" wird - hat viele ihrer Arbeitsinhalte bereits geändert. Kundenindividuelle Modifikationen im Betriebssystem oder betriebssystemnahen Softwareprodukten sind nicht mehr gefragt. Der schnelle Wechsel der Software-Versionen, die Innovationsfreudigkeit der Softwareproduzenten hat einen Standard erzwungen, der nur noch wenig Raum für Individualismus lassen darf. Diese Entwicklung, deren logische Konsequenz in der Auslieferung nicht mehr modifizierbarer System-Software zu finden ist, hat das Aufgabenprofil der Systemprogrammierer verändert. Diese beiden Beispiele zeigen die Veränderungen von DV-Funktionen.

Neue Berufsbilder wachsen mit neuen Anforderungen. Waren es vor einiger Zeit die TP-Koordinatoren, die DV-Methodenplaner, die Kapazitätsplaner und andere neue Berufsbezeichnungen, so sind es heute und für die nächste Zukunft beispielsweise Berater für individuelle Datenverarbeitung, IDV-Berater sowie Benutzerservice-Mitarbeiter den Wechsel in der DV-Berufswelt dokumentieren. Service haben wir eigentlich schon immer geleistet - mit unserem DV-Wissen. Die Benutzer-Service-Funktionen werden aber mit wachsendem Anspruch und wachsender DV-Erfahrung unserer "Kunden" wichtiger und anspruchsvoller als je zuvor. Hier darf und muß unser Spezialistentum einfließen.

Alle neuen Berufsbilder und Funktionen der Datenverarbeitung sind und werden aus Bestehendem wachsen. Wir haben gelernt, lernen zu müssen. Die Innovationsfreudigkeit der Hard- und Softwarehersteller hat uns schon immer dazu gezwungen. Eine Anpassung unserer Berufsbilder an diese Entwicklung ist permanent vorhanden - das macht unseren unverändert "jungen" Beruf aus. Ich möchte deshalb die Frage, welche DV-Berufe Überlebenschancen haben eher in die Frage ändern, welche DV-Berufsbilder wir in Zukunft sehen, denn das ist entscheidend für die Ausbildungsprogramme unseres DV-Nachwuchses. Wenn hier Universitäten, Technische Hochschulen und Fachschulen an der Realität vorbeigehen, kann ein so entstehendes "Ausbildungsloch" zu erheblichen Engpässen führen. Wir sollten uns unbedingt die Frage stellen: Welche DV-Berufe haben Zukunft?

Günter Schorn, Geschäftsführer der Lloyd Datenverarbeitungs GmbH, Deutscher Lloyd Versicherungen, München

Aus berufenem Munde wird verkündet, daß die Halbwertzeit des Wissens in der Datenverarbeitung bei knapp vier Jahren liegt. Jeder, der sich der Datenverarbeitung zuwendet, muß deshalb damit rechnen, in seinem künftigen Berufsleben einige "Wechsel" zu vollziehen. Weiterbildung ist unerläßlich. In vielen Fällen wird sie dazu führen, daß das erworbene Wissen in grundlegend neue Arbeitsbereiche führt, die die Bezeichnung "Beruf" verdienen werden.

Obwohl Datenverarbeitung und Informationstechnik sehr junge Disziplinen sind, lassen sich auch hier bereits Tätigkeiten erkennen, die in der bisherigen Form aussterben könnten. Mancher dieser "Berufe" haben nie eine endgültige Ausformung erfahren, wie sie in anderen Arbeitsbereichen üblich ist. Der Programmierer beispielsweise weist bis heute keine Gesellenprüfung oder einen sonstigen, mit den klassischen Berufen vergleichbaren Abschluß nach. Und schon stirbt er aus? Die zunehmende Spezialisierung von der Breite in die Tiefe ist Ursache, den Programmierer, vormals Analytiker und Codierer zugleich, durch ein ganzes Spektrum neuer "Berufe" zu ersetzen: Systemanalytiker, DV-Koordinator, Methodiker, Verfahrenstechniker, Datenbankdesigner, Datenadministrator, Organisationsprogrammierer und DB-/DC-Programmierer. Die Abgrenzung ist zum Teil noch schwierig. Doch Stoßrichtungen sind klar erkennbar.

Was dem Programmierer im Bereich des Software Engineering widerfährt, erleiden andere im Berufsfeld der klassischen DV-Produktion. Die Datentypistin wird durch die Verlagerung von Datenerfassungsaufgaben in die dialogisierte Sachbearbeitung zunehmend selbst zur Sachbearbeiterin für Standardvorgänge. Der Archivar, der riesige Karten-, Band- und Plattenarchive betreut hat, ist durch effiziente Verwaltungstechnik ersetzbar. Operatoren werden durch Perfektionierung und Automatisierung, der riesige Karten-, Band- und Platenarchive betreut hat, ist durch effiziente Verwaltungstechnik ersetzbar. Operatoren werden durch Perfektionierung und Automatisierung der Maschinenbedienung Handlangern degradiert oder zum Betriebsingenieur des Rechenzentrums aufsteigen. Teile der Arbeitsvorbereitung lassen sich durch zunehmende Dialogisierung und die Mündigkeit der Anwender in deren Anwendungen verlagern, der klassische Arbeitsvorbereiter wird überflüssig. Dafür gewinnt die Betreuung und Beratung der Anwender an Bedeutung. Insbesondere die Gebiete Verfügbarkeit und Leistung, zum Beispiel Antwortzeiten, Produktgestaltung, Termintreue, Service, werden noch stärker in das Blickfeld rücken und entsprechende Reaktionen seitens des Rechenzentrums erforderlich machen.

Der Systemprogrammierer alter Schule wird ein ähnliches Schicksal wie der Programmierer erleiden. Betriebssystemspezialisten, Datenbankverwalter Datenfernverarbeitungsspezialisten, Installationsmanager, Tuner und Mikro-Experten werden den "Allroundmann" ersetzen.

Die bevorstehenden Entwicklungen im PC-Bereich, in der Bürotechnik und -kommunikation, im Medienbereich (beispielsweise Btx) in der Vernetzung innerhalb und außerhalb der Unternehmen werden gewaltige Umschichtungen in der Berufswelt der Datenverarbeitung und darüber hinaus zur Folge haben. Hier liegt die interessantere Frage - die nach der Zukunft. Es tun sich mehr neue Berufe in der Datenverarbeitung auf, als alte aussterben. Dies mag beruhigend erscheinen. Dafür werden in anderen Arbeitsbereichen ganze Berufszweige durch die Datenverarbeitung bedroht sein. Insgesamt vielleicht ein Ausgleich, im einzelnen aber schlimme Schicksale der Betroffenen, die oft genug nicht mehr umgeschult oder ausgebildet werden können. Wir Datenverarbeiter tragen eine hohe Verantwortung.

Rolf Dreier, Abteilungsleiter Org./DV Schmidt-Agence AG, Basel

Innerhalb des Arbeitskreises Mikrocomputer in Großunternehmen wurde unter anderem deutlich, in welchem Umfeld die DV von heute (und morgen) zu sehen ist. Es kam aber auch heraus, wie sich eine DV-Mannschaft einzurichten hat, um den Anschluß nicht zu verlieren und den immer breiter werdenden Informationsbedarf überhaupt befriedigen zu können.

Auch ohne die Entwicklung der Mikrocomputer in Richtung "Jedem seine eigene DV" ist das Aufgabengebiet der zentralen Datenverarbeitung ein grundlegend anderes geworden. Wenn früher, das heißt, noch bis vor rund fünf Jahren, der exzellente Bit- und Byte-Akrobat, der die letzten Hardware-Winkel optimal zu nutzen vermochte, der (un)gekrönte König in der DV-Landschaft war, so ist es heute der weitsichtig und umfassend denkende Informationsplaner und Datenarchitekt. Dieser Informationsmanager faßt die Informationsbedürfnisse des Unternehmens in strukturierte Blöcke zusammen, deren Ausmündungen in wohl komplexen, aber dennoch jederzeit nachvollziehbaren Datenstrukturen liegt. Data-Dictionaries können hier als ordnendes Element angesehen werden. Das Erreichen dieser Ziele setzt in erster Linie einen flexibel und ganzheitlich denkenden Geist voraus und nicht den Programmier-Profi alter Ausprägung. "Der Programmierer alter Schule ist tot", trifft fast zu - es sei denn, er ist gewillt und fähig, sich mit den Informationsproblemen von heute und morgen zu identifizieren. Diese Aktivitäten sind im Begriff Data-Modelling als Bindeglied zwischen dem eben skizzierten Informations-Center und der rein klassischen Datenverarbeitung zusammenzufassen.

Aber nicht nur die Hierarchie der Programmierer wird umdenken müssen. Vorrangig sind es die DV-Chefs, die sich selbst und ihre Abteilungen den neuen Informationsbedürfnissen und Möglichkeiten werden anpassen müssen. Ob in jedem Fall die uneingeschränkte Bereitschaft dazu vorhanden ist, den langjährig gepflegten DV-Zentralismus wenigstens teilweise nach außen zu öffnen, darf zumindest bezweifelt werden. Eine eher extrovertierte Einstellung des DV-Managers wird aber notwendig sein, um die Chancen der technologischen und softwarebezogenen Entwicklungen überhaupt nutzen zu können. Gerade die Softwarewerkzeuge der berühmten Vierten Generation (dBase II, Multiplan) lassen sich - sinnvoll genutzt und angewendet - in ein Konzept "DV dort, wo sie gebraucht wird" einbinden. Der Zentralrechner, unter anderem auch als komfortabler Datenverwalter, und der Mikrocomputer als dezentraler Datenauswerter ist eine auf die Zukunft ausgerichtete Lösungsvariante. Um diese konzeptionell aufzubauen und stufenweise einzusetzen, sind DV-Manager nötig, die motiviert und bereit sind, auch an "übermorgen" zu denken.

Diese immer "noch mehr benutzernahen" Anwendungen setzen eine weitere und auch neue Denkweise voraus. Was früher das Anwenderhandbuch war und gestern die selbsterklärende Dialog-Bildschirm-Maske, ist heute zusätzlich eine fachlich kompetente, menschliche, also nicht DV-technokratische Anwenderbetreuung. Dabei geht es nicht nur um die Definition der unterschiedlichen Lösungswege in der Fachabteilung oder um das Datenverhältnis "zentral: dezentral". Auch die gezielte Auswahl der Hard- und Softwaremittel im Sinne einer jederzeit überschaubaren Größe ist zu definieren und kontrolliert einzusetzen. Diese anwenderausgerichteten Informatiker werden notwendig sein, um einerseits die sich neu bietenden Datenverarbeitungsressourcen ausschöpfen zu können und andererseits die unterschiedlichen Interessen und Möglichkeiten hinsichtlich Hardware (Host-, Dezentral- und Mikrorechner) und Software (klassische Anwendungen, Tools der Vierten Generation) im Sinne einer sorgfältig erarbeiteten Unternehmensstrategie koordinieren zu können.

Ein Umdenk- und/oder Umlernprozeß in den DV-Berufen wird stattfinden (müssen). Die heute erkennbaren Entwicklungstendenzen müßten eigentlich für jedermann Anreiz genug sein, alles daran zu setzen, um sich in dieser lukrativen DV-Welt einen Fensterplatz zu sichern.

Dr. Burkhard Block, Mitglied der Geschäftsleitung der Ernst H. Dahlke & Partner GmbH, Düsseldorf

Die steigende Benutzerfreundlichkeit sowie die höhere Akzeptanz des Computers als Hilfsmittel führen zu einem immer stärkeren Einsatz im Unternehmen. Dabei werden sowohl kaufmännische als auch technische Gesamtlösungen angestrebt. Die Berufsbilder und Einsatzmöglichkeiten von Mitarbeitern sind einer sehr schnellen Entwicklung auf dem EDV-Sektor unterworfen. Im Einzelnen zeichnet sich eine Reihe von Tendenzen ab:

- Der Bedarf an Technikern wird insbesondere im Bereich der Hardware eine Stagnation, wenn nicht sogar einen empfindlichen Rückgang zu verzeichnen haben. Die Hardware zeigt nämlich als Produktionsfaktor einen kostenmäßig degressiven Verlauf und verliert als Entscheidungsgrundlage für eine DV-Anlage an Bedeutung. Bei Instandhaltungsmaßnahmen oder Wartungsarbeiten lassen sich ganze Baueinheiten austauschen. Wegen des hohen Spezialisierungsgrades wird der Benutzer kaum technische Spezialisten beschäftigen. Diese finden vornehmlich bei Serviceunternehmen beziehungsweise Computerherstellern ihr Tätigkeitsfeld.

Der Bedarf an Systemprogrammierern weist kurz bis mittelfristig eine positive Tendenz auf. Langfristig ergibt sich eine Stagnation auf erhöhtem Niveau. Diese Entwicklung resultiert aus dem immer noch notwendigen Ausrichten der DV auf die unternehmensspezifischen Belange. Allerdings zeichnet sich langfristig der Trend zur Standardlösung ab. Damit wird auch die Nachfrage nach Systemprogrammierern eingeschränkt.

Die Nachfrage nach Anwendungsprogrammierern wird auf mittlere Sicht ansteigen und ebenfalls auf erhöhtem Niveau stagnieren. Der Einsatz der Computer in den Unternehmen nimmt zwar zu, aber die Einführung der Endbenutzersprache gewinnt ebenso breiten Raum. Der schon heute hohe Anteil der Pflege und Wartung der Programmsysteme macht für den Anwendungsprogrammierer in Zukunft einen noch größeren Bestandteil seiner Tätigkeit aus. Damit liegt der Bereich der Neuentwicklungen künftig schwerpunktmäßig beim Systemprogrammierer.

Die Zukunftsaussichten für Mitarbeiter, die die betriebsspezifischen Probleme verstehen und direkt DV-gerecht umsetzen können, sind äußerst positiv. Denn die Problemlösungen werden von der zentralen DV-Abteilung eher zu den Anwendungsspezialisten der einzelnen Fachabteilungen verlagert. Dementsprechend steigt die Benutzung der Mikrocomputer ebenso stark an.

Die hohe Nachfrage nach den reinen Dienstleistungsunternehmen auf dem Softwaregebiet wird wegen der Spezialisierungstendenzen und dem zunehmenden Einsatz der DV in mittelständischen und kleineren Unternehmen anhalten. Dabei kommt der Beratungsfunktion wegen der hohen Investitionskosten eine große Bedeutung zu. Denn die falsche Auslegung eines das ganze Unternehmen betreffenden DV-Systems kann die Existenzgefährdung bedeuten.

Die Nachfrage nach Mitarbeitern, die mit CAD und CAM Systemen umgehen können, ist bereits jetzt hoch und wird mit zunehmender Reife dieser Systeme steigen. Dabei bleibt zu hoffen, daß diese Entwicklung zu einer Erhöhung der leider zu geringen Zahl entsprechender Ausbildungsstätten führt.

Die Prognose für den Einsatz von Kommunikations- und Informationsmanagern als Mitglied der oberen Managementebene ist äußerst positiv. Wichtigste Aufgaben sind neben dem Aufbau einer Informations-Infrastruktur die betriebliche Informationsverarbeitung und -gestaltung. Als Verantwortlicher für das gesamte Netzwerk des Unternehmens muß er Datenverarbeitungs-, Nachrichten- und Textverarbeitungssysteme effizient planen, steuern, koordinieren und optimal ausnutzen. Dazu gehören neben der Beschaffungsfunktion, der Entscheidung über die richtige Investition und der technischen Wartung der Systeme auch die interne und externe Kommunikation, die durch alle Bereiche des Unternehmens geht.

Generell verlagern sich die Tätigkeiten des Managements in den Unternehmen eher auf die Lösung komplexer und innovativer Aufgaben. Routinetätigkeiten werden abnehmen und lassen sich wegen der schnelleren Kommunikationszeit in immer kürzerer Zeit erledigen.