DV als Unternehmensrisiko Alternative zum Outsourcing: Einfache Geschaeftsprinzipien Von Christian Helfrich*

09.06.1995

Information ist einer der wichtigsten Produktionsfaktoren und Informatik eine neue, aufstrebende Wissenschaft, denn wir leben in einer Informationsgesellschaft. Datenautobahnen umspannen die Welt. Nach der kaufmaennisch und spaeter technisch orientierten Datenverarbeitung stossen wir jetzt in die multimediale Welt vor.

Alles ist moeglich: Bilder, Sprache, Erlebnisse. Cyberspace ersetzt die Wirklichkeit. "We just have startet ...!" Die EDV war Mythos und ist jetzt als multimediale Informationstechnik (IT) wieder zum Mythos geworden: Vielfach liegt sie jenseits rationaler Ueberlegungen und ersetzt in vielen Faellen sogar Glaube und Religion - soviel zur gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Die betriebliche Wirklichkeit indes sieht so aus: Der Grosscomputer und die Mannschaft um ihn herum arbeiten haeufig immer noch in einem geschuetzten Raum. Der DV-Mythos und die Klimaanlage schaffen die Distanz zum betrieblichen Alltag. Diese "Black Box" ist als Produktionsfaktor - entgegen zahlreichen Bekundungen - noch wenig durchleuchtet. Die bewaehrten Werkzeuge des Industrial Engineering greifen hier nicht: keine Taetigkeitsbeschreibungen, keine Zeitaufnahme, keine Ergonomie. Die Risikoanalyse fuer die betriebliche DV liegt in ganz anderen Bereichen. Es stellen sich folgende beiden Fragen: Sind die Kosten in Ordnung? Ist die Innovation ausreichend? Der laestige Sachzwang wird gern an die Fachleute delegiert. Man kann ja notfalls auch outsourcen, um ein Modewort zu gebrauchen.

Die Firmen erleben die DV als Kostentreiber und als eine dauernde Aufforderung, am Ball zu bleiben, das heisst, keine der vielen Moeglichkeiten auf dem Weg zur multimedialen Wirklichkeit zu versaeumen. Sie ist deswegen - trotz ihrer grossen Versprechungen fuer die Zukunft - nach wie vor ein Alltagsproblem in der betrieblichen Realitaet. Man wuenscht sich weniger Kosten, aber mehr Funktionalitaet und Innovation.

Herkoemmliche Problemloesung

Zur Problemloesung wird nach branchenueblichem Brauch in das System investiert. Da sind zum Beispiel Ist- und Risikoanalysen, Zugangskontrollen, Rechtsberatungen oder Investitionen wie Hardwarevergroesserung oder Verbilligung durch dezentrale Arbeitsstationen, Standardsoftware, Erfassungssysteme an der Schnittstelle Mensch-Computersystem, zum Beispiel maschinell lesbare Belege. Oder es wird, ganz zeitgemaess, trotz zentraler Datenhaltung in Netzwerke, die nach dem Client-Server-Prinzip arbeiten, investiert. Auf diese Weise wird der Handlungsdruck abgebaut und doch gleichzeitig - unbewusst - ein neuer erzeugt, naemlich das Inbetriebhalten des immer umfassenderen Systems. Boshaft ausgedrueckt: Die Datenfriedhoefe werden staendig groesser. Dabei ist konzeptionell nichts gewonnen. Denn Leitbild fuer diese Investitionen ist das Abbilden der Wirklichkeit im Computer.

Damit ist unausgesprochen eine ganz spezielle Art der Problemloesung gemeint. Denn mit dem Abbilden ist ein Totalsystem auf den Weg gebracht, das in jeden Winkel des betrieblichen Alltags hineinleuchtet, dort noch jede Ausnahme kennt und EDV- technisch loest. Es muessen zum Beispiel alle Belege fuer den Input und die Listen fuer den Output zusammen mit dem Mengengeruest erfasst werden. Es muessen die Verarbeitungsregeln klar sein, es werden alle Verantwortungen und Dokumentationen festgeschrieben. Der Ist- Zustand wird dadurch betoniert, und es entsteht - ganz entgegen dem Innovationsdruck - eine Verfestigung des Bestehenden. Wenn dann zum Beispiel vom Markt verlangte kleinere Losgroessen und kuerzere Durchlaufzeiten gefordert sind, koennen wir diesen Kundenwunsch nicht mehr befriedigen, und wir fuehlen uns nicht einmal schuldig dabei, denn: Die EDV laesst das ja nicht zu.

Risikoanalyse fuer EDV ist das aktuelle, interessante Stichwort dazu, mit dem man Seminare fuellen kann, oder mit anderen Worten und genauer: "Die konventionelle, starre EDV als Risiko" ist eine unerwartete Wendung des Titelthemas. Der kritische Kommentator bemerkt beim Management die Konzentration auf das DV-System und nicht auf den Markterfolg und die dazu erforderlichen Prozesse. Die Lehren des Business Re-Engineering treten in den Hintergrund. Statt dessen wird ueber zentrale Datenhaltung, Programmanpassungen und Netzwerkkomponenten und aehnliche Systembestandteile diskutiert. Niemand hat vorher untersucht, ob man diesen ganzen Aufwand ueberhaupt benoetigt. Denn in der altmodischen und jetzt wieder ganz modernen, neuen Sichtweise fuer unternehmerischen Erfolg, ausgedrueckt in den Leitbildern des Business Re- Engineering, sind diese Diskussionen ueberfluessige Zeit- und Ressourcenverschwendung.

Am Beispiel der Auftragsabwicklung

Herkoemmlich sieht das so aus: Die Auftragsabwicklung ist eine sehr einfache betriebliche Funktion, die zur Wertschoepfung keinen wesentlichen Beitrag leistet. Untergliedert in Auftragserfassung, -eingabe, Finanzierung, Lagerbestandskontrolle, Einkauf, Montage, Qualitaetssicherung, Versand, Schreiben des Lieferscheins, Installation und Fakturierung. Fuer jede einzelne Funktion gibt es einen oder mehrere Spezialisten in der nach der jeweiligen Funktion benannten Abteilung. Die Auftragsdurchlaufzeit ist hoch und betraegt wegen der Schnittstellen sechs bis zehn Wochen. Deshalb muss ein kleines PPS-System zur Auftragskontrolle installiert werden. Die Terminvorgabe und das Rueckmelden der Ist- Termine gehoeren zu den normalen Pflichten der Mitarbeiter. Die Ausnahmen der Provisionierung, der Varianten, der Rechnungsstellung und aehnliches nehmen einen wesentlichen Teil der Management-Kapazitaet in Anspruch. Natuerlich wird in einer Ist- Analyse dieser Zustand penibel erfasst und in einer umstaendlichen Evaluierungsphase die bestgeeignete kuenftige Standardsoftware gesucht und gefunden. Der Vertrag fuer die ersten Schritte der Anpassung liegt unterschriftsreif vor. Neu: Die funktionsuebergreifende Gruppenbildung nach Maerkten ueberwindet elegant die ueblichen Schnittstellen. Dadurch sinkt die Auftragsdurchlaufzeit auf Stunden oder einige Tage. Die Ausnahmen werden Fall fuer Fall beschnitten. Am Ende steht ein sauberer, marktbezogener Prozess, der kein PPS-System erfordert.

Es wird deswegen nicht in ein neues DV-System investiert, sondern das alte, vereinfachte System fuer Auftragserfassung und Fakturierung auf PC-Basis bleibt im Einsatz. Markterfolg und Produktivitaet sind damit sogar ueber Erwarten gestiegen. Die frei gewordenen Summen fuer die DV-Investitionen werden in neue Maerkte und Produkte investiert.

Nicht die Flucht in das System, sondern das Besinnen auf die einfachen Prinzipien des Geschaeftslebens vermindern das Risiko der DV. Die kuenftige DV-Systemunterstuetzung wird hier aus diesem Grund in einem Netz dezentraler Workstations liegen, die jeweils ihre individuellen, sehr einfachen Programme zur Problemloesung haben werden. MS-Excel und -Access spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Die Risikoanalyse fuer DV ergibt keinen Bedarf mehr fuer eine weiterfuehrende DV-Diskussion. Die Firma ist durch die Offenheit des Netzwerks, durch dessen angebotene Schnittstellen und die Einfachheit des eigenen Systems geruestet fuer einen weiteren Markterfolg - auch in der multimedialen Geschaeftswelt der Zukunft.

*Professor Diplomingenieur Christian Helfrich lehrt an der Fachhochschule Muenchen im Fachbereich Wirtschaftsingenieure.