Dual-Core-CPUs verteuern Software

06.05.2005
Bevor sich Anwender Rechner mit den neuen Dual-Core-Prozessoren von Intel und AMD kaufen, sollten sie ihre Softwarelieferanten nach den Folgen für die Lizenzkosten fragen. Die Preise könnten durch die Decke gehen.

Am 18. April hat Intel seinen ersten Prozessor mit zwei Rechenkernen vorgestellt, drei Tage später folgte AMD. Gleichzeitig kündigten Hersteller entsprechend ausgestattete Desktops und Server an. Es sollte keine Woche dauern, bis der Gartner-Analyst Martin Reynolds eine Warnung herausgab: "Stellen Sie sicher, dass zusätzliche Prozessor-Cores keine Lizenzrisiken mit sich bringen." In der Tat betrachten die Softwarehersteller die neuen CPUs alles andere als einheitlich. Die Sichtweise einiger Anbieter kann für die Anwender zu wesentlich höheren Nutzungskosten führen.

Für Aufsehen hat Oracle gesorgt: "Gegenwärtig behandelt Oracles prozessorbasierende Lizenzpolitik für Multi-Core-Chips einen Rechenkern als einen Prozessor", erklärt Jacqueline Woods, Vice President of Global Pricing and Licensing Strategy. Wer also ein Oracle-Produkt von einer Single- auf eine Dual-Core-Maschine überführt, braucht zwei Lizenzen und zahlt entsprechend mehr. Oracle bietet allerdings auch andere Optionen wie die Berechnung nach Anzahl der User oder Mitarbeiter an, die in diesem Fall günstiger sein könnten. Der Datenbankanbieter steckt in einer prekären Situation: Nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit den Kunden hat der Anbieter sein kompliziertes System zur Einstufung von Rechnern in Leistungsklassen fallen gelassen. Nun beschwört die CPU-Zählerei die nächsten Probleme herauf.

Eine ganz andere Beurteilung der neuen Chips vertritt Microsoft schon seit Herbst letzten Jahres. "Es ist für uns unerheblich, ob ein Prozessor einen oder zwei Cores hat", stellt Pressesprecher Frank Mihm-Gebauer fest. "Für uns ist es ein Prozessor, und der braucht nur eine Lizenz." Wenn aber die technische Entwicklung bei CPUs mit vier oder mehr Rechenkernen angekommen ist, könnte auch Microsoft veranlasst sein, das Lizenzmodell zu überdenken.

IBM folgt Microsoft-Beispiel

Eine Neuerung gibt es bei IBM. Bei Anwendern der Prozessoren Power 4, 4+ und 5 mit ihren doppelten Rechenkernen rechnet Big Blue seit jeher zwei Lizenzen ab. Kommen aber Intels und AMDs neue Chips zum Einsatz, bricht IBM mit der Tradition. "Hier wird ein Dual-Core wie eine CPU behandelt", stellt Pressesprecher Hans-Jürgen Rehm klar. "Der Grund ist einfach: Während die Kunden bei Power-Prozessoren Dual-Core tatsächlich die Leistung von zwei Prozessoren anwendungsseitig nutzen, ist dies bei der x86-Architektur noch nicht der Fall."

In der Tat hat AMD erklärt, seine Dual-Core-Opteron-Chips brächten je nach Anwendung einen Leistungsgewinn von 30 bis 70 Prozent. Warum sollte ein Anwender zwei Lizenzen nehmen müssen, wenn er nicht die doppelte Leistung erhält? Ein Oracle-Angestellter, der lieber nicht genannt werden möchte, gesteht ein, dass derlei kaum zu vermitteln ist. Oracle-Anwender seien besser beraten, sich einen Rechner mit zwei CPUs zu kaufen als ein System mit einem Dual-Core-Chip nach der x86-Architektur.

Verglichen mit Oracle treten IBM und Microsoft anwenderfreundlicher auf - aus gutem Grund: Beide haben für den Vertrieb ihrer Datenbanken DB2 und SQL Server ein erstklassiges Argument gegen Oracle zur Hand: Sie sind preisgünstiger. Und IBM benutzt die Ausrichtung der Lizenzpolitik an Prozessorsockeln auch, um Linux voranzubringen. So werden Linux-Server mit den leistungsschwächeren Open-Power-CPUs angeboten, die zwei Rechenkerne haben. Big Blue behandelt sie lizenztechnisch aber als Ein-Prozessor-Systeme. Linux-Förderung dürfte auch der Grund sein, warum Red Hat und Novell für ihre Linux-Distributionen Dual-Core-Chips als einen Prozessor betrachten.

Sun Microsystems begründet seine Position zur Softwarelizenzierung nach Anzahl der CPUs (es gibt auch viele andere Lizenzmodelle) anders. "Die technologische Entwicklung macht gerade im Bereich der Prozessoren rasante Fortschritte. Hier werden Leistungszuwächse durch höhere Taktfrequenzen genauso erzielt wie durch Aufteilung einer CPU in mehrere Cores", erklärt Thomas Heinze, zuständig für das Produkt-Marketing Software. "Sun sieht keine Notwendigkeit, Prozessoren anhand ihrer Leistungsfähigkeit zu unterscheiden. Das heißt, langsamere CPUs werden genauso gezählt wie schnellere, Prozessoren mit mehreren Cores werden gezählt wie CPUs mit einem Core."

Bei vielen Anwendungen spielt die Zahl der Prozessoren oder Cores überhaupt keine Rolle, weil die Lizenzen auf andere Messgrößen Bezug nehmen. Beispielsweise ist für Anwender von Autodesks "Autocad" lediglich die Zahl der User entscheidend. In anderen Fällen ist die Zahl der "Concurrent User" oder die Mitarbeiterzahl eines Unternehmens wichtig. Bei Beta Systems ist die Zahl der User relevant, aber auch die Zahl der Seiten, die das Dokumenten-Management-System des Anbieters beim Kunden verarbeitet. SAP lizenziert Net- weaver, R/3 und Mysap ebenfalls nicht nach CPUs. Lediglich "Netweaver Full Usage" hat eine prozessororientierte Lizenz. Hier werden, so Sprecherin Angelika Pfahler, "Dual-Core-CPUs nur als ein Prozessor gezählt".

Zwischen den lizenzpolitischen Extremen, nach Prozessorsockel oder Zahl der Cores abzurechnen, gibt es auch andere Positionen. Bea verlangt bei Verwendung der Dual-Core-Chips von Intel und AMD 25 Prozent höhere Lizenzgebühren, also weniger als der Leistungsgewinn bei diesen Prozessoren. Andere Unternehmen ordnen Rechner Leistungsklassen zu, und in manchen Fällen wird dieses Modell noch mit anderen Messgrößen kombiniert.

Rechnerleistung klassifiziert

Computer Associates (CA) hat ein eigenes Testverfahren für ein Benchmarking, nach dem Rechner in Leistungsklassen eingestuft werden, aus denen sich die Höhe der Lizenzgebühren ergibt. "Dabei spielt es keine Rolle, welche Art von Prozessor im System steckt. Wir bewerten die Leistung des Gesamtsystems", erläutert Georg Lauer, Regional Manager Technology Services. Die Liste der klassifizierten Rechner umfasst mehr als 150 Seiten.

Auch Hewlett-Packard lizenziert nach Leistungsklassen, hier aber ist die Zahl der Prozessoren eine wesentliche Größe. Ein Core zählt dabei wie ein Prozessor. Die unterste Leistungsklasse reicht bis zu vier CPUs. Wer nun einen Vier-Wege-Server mit Dual-Core-Prozessoren bestückt, wird in die nächsthöhere Leistungsklasse heraufgestuft. Die kommt allerdings nicht doppelt so teuer zu stehen.

Lizenzen kombiniert

SAS Institute kombiniert zwei Messgrößen miteinander: Rechnerleistungsklassen und die Zahl der User. "Dual-Core bedeutet, dass ein System in Sachen Prozessorleistung in der Regel ein bis zwei Klassen höher bewertet wird. Das macht diese Maßeinheit meistens 20 Prozent teurer", erklärt Firmensprecher Thomas Maier. "Aber zusammen mit dem Faktor User-Zahl kommt man auf weniger als 20 Prozent Lizenzkostenerhöhung." Möglicherweise war das noch nicht das letzte Wort, denn Maier ergänzt: "Lizenzkosten sind ein sehr sensibles Thema, und man muss sehr genau in die Anwendergemeinde hereinhorchen."

Manche Anwender, die sich nun bei ihren Softwarelieferanten informieren wollen, werden feststellen, dass diese oft noch keine Position zum Problem der Dual-Core-Prozessoren bezogen haben. Bisher war die x86-Welt ja einfach: Ein Prozessor ist ein Prozessor und verlangt folglich eine Lizenz. Nun aber sah sich Adobe auf Anfrage der computerwoche nicht in der Lage, ad hoc eine Antwort zu geben. Und bei der EMC-Tochter VMware teilte Technical Marketing Manager Richard Garsthagen mit: "Wie VMware die Lizenzen für Multi-Core-Prozessoren handhabt, steht noch nicht fest. Eine Entscheidung darüber wird mit Verfügbarkeit der offiziellen Unterstützung dieser Prozessoren bekannt gegeben."

Diese Erklärung erstaunt umso mehr, als VMware Produkte anbietet, die eine Berechnung von Lizenzkosten besonders schwierig machen. Bei der Virtualisierung von Servern erhalten die Applikationen Leistung nach Bedarf, und das bedeutet zu verschiedenen Zeiten mehr oder weniger Prozessoren. Mit dem gleichen Ziel haben die Anbieter von Blade-Servern entsprechende Lastverteilungssysteme in ihre Administrations-Tools eingebaut. Die Anbieter werben für diese Virtualisierungsverfahren mit dem Argument, durch flexible Nutzung der Prozessorressourcen lasse sich die bisher schwache Auslastung eines Gesamtsystems deutlich verbessern.

IT-Anbieter zerstritten

Die Softwareanbieter aber wissen nicht, wie sie ihre Lizenzen in Rechnung stellen sollen, wenn die Programme ständig auf eine andere Zahl von Prozessoren zugreifen. Also stellen sich jene Anbieter, deren Lizenzmodelle in irgendeiner Weise auf die Zahl der CPUs oder auf die Systemleistung Bezug nehmen, gegen die Virtualisierung. SAS-Sprecher Maier: "Ein Blade, eine Lizenz. Es muss festgelegt werden, auf welchen Blades eine SAS-Applikation läuft." Damit wären die Anwendungen mit den Servern quasi fest verdrahtet. Das ist das genaue Gegenteil von Virtualisierung.

Auch Microsoft ist da knallhart. Wer nur einige Tage im Jahr acht CPUs für den SQL Server benötigt, zahlt ganzjährlich Lizenzen für acht Maschinen. Firmensprecher Mihm-Gebauer begründet das so: "Wenn ein Spediteur nur einmal im Monat einen 40-Tonner statt eines 30-Tonners braucht, kann er auch nicht vom LKW-Hersteller verlangen, einen geringeren Preis zahlen zu müssen."

Ob eine Anwendung den zweiten Core oder weitere Prozessoren - und in welchem Ausmaß - nutzt, ließe sich einfach feststellen. In der Mainframe-Welt gibt es Messverfahren, welche die Nutzung des Systems protokollieren. Die ließen sich auch auf die x86-Welt übertragen.

Karl-Heinz Schabo, Software-Manager bei HP, erklärt, warum das nicht geschieht: "Das ist eine Frage der Akzeptanz beim Kunden. Beim Metering sind unter Umständen die Softwarekosten für die Anwender nicht vorher auszumachen." Einem Anwender könnten beträchtliche Nachforderungen ins Haus flattern, weil eine Software unerwartet oft genutzt wurde. Die Budgetpläne der IT-Abteilungen wären vage Luftnummern. Die Anwender würden noch vorsichtiger investieren. Und daran haben auch die Anbieter bestimmt kein Interesse.