DSL: Die Formel 1 für den Internet-Zugang?

09.04.2002
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Datenübertragung. Die verschiedenen DSL-Varianten scheinen Standleitungen oder Verfahren wie Frame Relay endgültig abzulösen.

Auslöser der DSL-Euphorie auf Seiten der Hardwarehersteller war die Telekom, die zum 1. Januar 2002 mit UR-2 einen nationalen Standard aus der Taufe hob, der die internationale Norm Annex B, diese spezifiziert die Realisierung von DSL über ISDN, ergänzt. Das Problem mit der bisherigen Annex-B-Spezifikation war, dass sie zu viele Spielräume für Interpretationen zuließ. In der Praxis hatte dies zur Konsequenz , dass das DSL-Modem beim Endanwender und das Equipment in der Vermittlungsstelle ein proprietäres Gespann bildeten.

Seit die Telekom diesen Misstand mit UR-2 beendete, herrscht Goldgräberstimmung. Egal ob Hermstedt, AVM, Eicon Networks, Bintech oder andere - kaum ein Hardwarehersteller, der nicht entsprechende Geräte anbietet. Das gleiche Bild zeigt sich auf Seiten der Internet-Service-Provider und Carrier: DSL-Angebote gehören heute zum guten Ton. Das breite Bekenntnis zu DSL markiert einen vorläufigen Höhepunkt des Booms.

Innerhalb von nur zwei Jahren entwickelte sich die Technologie, die dem von vielen bereits abgeschriebenen Kupferkabel zu einem zweiten Frühling verhalf, zum Millionenseller. So besitzen heute etwa zwei Prozent der deutschen Haushalte DSL, auch als "Standleitung des kleinen Mannes" bekannt. Dieser Anteil soll bis 2005 auf rund 17 Prozent steigen. Mit nochmals zwei Millionen DSL-Kunden rechnet in den nächsten zwölf bis 18 Monaten etwa Jörg Hermstedt, Gründer und CEO der Hermstedt AG. Die Telekom selbst hat mittelfristig das ambitionierte Ziel von etwa acht Millionen DSL-Anschlüssen ins Auge gefasst. Über das Privatkundensegment hinaus eroberte sich DSL zudem einen festen Platz in der Unternehmensinfrastruktur als schnellere und kostengünstigere Alternative zu Standleitungen oder etwa Frame Relay.

In Kombination mit Virtual Private Networks (VPNs) hat sich das Verfahren seinen Platz bei der Standortvernetzung von Unternehmenszentralen mit Zweigstellen erobert. Den besonderen Charme dieser Technologie, die in Konkurrenz zu anderen Zugangsverfahren wie Powerline, Cable-TV oder Wireless Local Loop (WLL) steht, macht die Tatsache aus, dass hier das alte Kupfer-Telefonkabel weiterverwendet wird. In den Vermittlungstellen sind lediglich DSLAMs (Digital Subscriber Line Access Multiplexer) und Access-Konzentratoren notwendig, um den Datenstrom vom Telefonverkehr zu trennen.

Auf der Anwenderseite erfordert das Verfahren einen Splitter zum Trennen von Telefonsignalen und Datenverkehr sowie ein DSL-Modem. Deutschland auf Platz zwei Die Erfolgsstory DSL, je nach Quellenlage gilt Deutschland mittlerweile als der weltweit zweitgrößte DSL-Markt, ist vor allem dem Beharrungsvermögen der Telekom zu verdanken. Hätte der Bonner Konzern, wie von seinem Online-Konkurrenten AOL mit wenig Weitblick gefordert, in den Ausbau der Ortsvermittlungsstellen investiert, um eine Flatrate für Internet-Surfer mit ISDN und Analogmodem zu realisieren, so wäre Deutschland wahrscheinlich im Internet heute noch schmalbandig unterwegs.

Der Bonner Konzern setzte stattdessen - nicht ohne Eigenutz - gleich auf das zukunftsträchtigere DSL-Verfahren und ersparte sich den Ausbau der Telefonvermittlungen. Ein Weitblick, welcher der Telekom mit einem Marktanteil von 95 Prozent denn auch die Marktführerschaft in Sachen DSL bescherte. Lediglich die Kölner QSC mit rund 40000 Kunden sowie Arcor mit um die 15000 DSL-Benutzern konnten sich ein nennenswertes Stück am DSL-Kuchen sichern.

Telekom-Wettbewerber sind ISPs Ein Kuchen, der zudem durch eine weitere Besonderheit geprägt ist: Das Gros der DSL-Angebote - vor allem für Privatkunden - basiert auf dem T-DSL-Dienst der Telekom. Wer beispielsweise das DSL-Angebot von AOL oder 1&1 wählt, bezieht den physikalischen Anschluss von der Telekom, während der Anbieter lediglich als ISP fundiert. Dieses Geschäftsmodell birgt speziell bei Flatrates ein hohes Risiko: Während der Benutzer einen Pauschalpreis bezahlt, rechnet die Telekom mit dem Anbieter das übertragene Datenvolumen ab.

Sind nun unter den Kunden des Anbieters zahlreiche Power-Surfer, die viele Daten etwa über die populären P2P-Tauschbörsen austauschen, geht die Kalkulation nicht auf, wie die jüngsten Insolvenzen sowie die Einstellung etlicher Flatrate-Angebote zeigen. Einen technischen Mittelweg beschreiten Unternehmen wie QSC. Diese beziehen nicht den kompletten DSL-Dienst von der Telekom als Vorleistung, sondern nutzen nur im Line-Sharing-Verfahren das blanke, unbeschaltete Kupferkabel der Telekom. Die technische Realisierung von DSL, also der Betrieb des Equipment (DSLAM etc.) in der Vermittlungsstelle, liegt dabei in der Verantwortung der Telekom-Konkurrenten.

Für die Betreiber hat dies den Vorteil, dass sie mit den festgeschriebenen Mietgebühren für die Anschlussleitung eine verlässliche Kalkulationsgrundlage für ihre Angebote haben. Die Benutzer haben jedoch einen anderen Nachteil: Sie unterhalten nun Geschäftsbeziehungen zu zwei Anbietern, den Lieferanten der Telefonservices und der Datendienste. Anwender, die jedoch eine Lösung aus einer Hand suchen und dabei der Telekom den Rücken kehren wollen, haben nur wenig Auswahl.

Arcor ist einer der wenigen Telekom-Konkurrenten, der das Bundle aus ISDN und DSL in 50 deutschen Großstädten einigermaßen flächendeckend vermarktet. Die restlichen Anbieter von Komplettpakten sind die regional begrenzt agierenden City-Carrier wie etwa Colt, Versatel, Hansenet, EWE-Tel oder Mnet. Diese Stadtnetzbetreiber bieten in der Regel ISDN, DSL sowie einen Internet-Pauschaltarif an und adressieren sowohl Privat- als auch Geschäftskunden. Eine Sonderstellung nehmen Unternehmen wie KKFnet ein. Bei ihnen steht nicht die Vermarktung von DSL im Vordergrund. Vielmehr wird hier DSL in Verbindung mit höherwertigen Datendiensten wie Backup-Lösungen verwendet.

Diese Marktverteilung mit der dominanten Stellung der Telekom als Anbieter von DSL beziehungsweise den hierzu notwendigen Vorprodukten rief prompt den VATM, die Lobbyistenvereinigung der Telekom-Konkurrenten, auf den Plan. Der VATM hatte nämlich mit Blick auf die Marktverhältnisse bei der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation ein Preisdumping-Verfahren gegen die Telekom angestrengt. Der Vorwurf des Verbandes: Die Telekom vermarkte T-DSL unter den eigenen Kosten und subventioniere den Dienst mit Einnahmen aus der Sprachtelefonie. Damit mehr Wettbewerb entstehe, der zu günstigeren DSL-Angeboten führe, so die Logik des VATM, müsse die Telekom ihr Angebot verteuern.

Eine Entscheidung des Regulierers wartete die Telekom nicht ab: Sie erhöhte als Reaktion auf das drohende Verfahren die Tarife um durchschnittlich 30 Prozent. Mehr Angebote für Privatkunden Die bittere Pille der höheren Preise versüßt die Telekom den Privatkunden mit einer Ausweitung des Angebots: Auf der CeBIT stellte der Konzern erstmals ein DSL-Angebot für Privatkunden mit Download-Raten von bis zu 1,5 Mbit/s und Upload-Geschwindigkeiten von bis zu 192 Kbit/s in Aussicht. Ein Vorstoß in eine Geschwindigkeitsregion, die einige der Telekom-Konkurrenten mit Angeboten von über einem Mbit/s im Download bereits seit längerem erreicht haben.

Bei den DSL-Angeboten der Telekom fällt zudem auf, dass es sich lediglich um asymmetrische Verfahren handelt, also die Geschwindigkeit von der Vermittlungsstelle zum Anwender höher ist als in umgekehrter Richtung. Für Benutzer, die im Internet surfen oder häufig Dateien herunterladen sowie E-Mails empfangen, ist dieser Geschwindigkeitsmix in der Praxis durchaus adäquat, zumal die Telekom unter der Bezeichnung T-Interconnect eine Download-Rate von bis zu 6 Mbit/s ermöglicht. Symmetrische Varianten Unternehmen, die allerdings häufiger große Datenmengen versenden, dürften an den asymmetrischen DSL-Varianten wenig Freude haben.

Diese Kundschaft verweist der Bonner Carrier im Rahmen von Business Online und T-Interconnect auf seine klassischen Datendienste, die Bandbreiten von 64 Kbit/s bis 155 Mbit/s zur Verfügung stellen. Ein Schritt, der jedoch nicht unbedingt sein muss, da die DSL-Konkurrenten der Telekom bereits heute teilweise symmetrische Varianten im Programm haben. Nachbessern in Sachen symmetrische DSL-Technologie will auch die Telekom. Auf Basis dieses Verfahrens plant der Konzern für das vierte Quartal 2002 die Einführung breitbandiger Dienste für Geschäftskunden.