DSAG kritisiert ERP-Komplexität und Wartungsmodelle

01.09.2009
Die computerwoche hat den Vorstand der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) zum Gespräch gebeten. Einfachere Software und flexibler Support stehen auf der Wunschliste ganz weit oben.

Wie alle Unternehmen haben auch die SAP-Anwender mit den wirtschaftlichen Turbulenzen zu kämpfen. Mehr denn je achten die Firmen darauf, dass Softwareprojekte – und seien es nur einfache Release-Wechsel – einen Wertbeitrag liefern. Was die SAP-Kunden außerdem bewegt, erfuhr die Computerwoche im Rahmen einer Diskussion mit dem Führungsgremium der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG).

Release-Wechsel von R/3 auf ERP 6.0

Rund die Hälfte der SAP-Anwender nutzt nach Angaben der DSAG noch ein R/3-System in Version 4.6C oder 4.7. In nächster Zeit dürften jedoch weitere Firmen auf das aktuelle Release ERP 6.0 umsteigen. Wie viele, hängt von deren wirtschaftlicher Situation, aber auch von der SAP-Wartungsstrategie ab. Der Wartungsplan für R/3 4.7 wurde auf 2013, der für R/3 4.6C auf 2010 ausgedehnt. Somit können Firmen noch eine Weile das Altprodukt nutzen. Im Augenblick haben viele von ihnen andere Probleme, als sich um SAP-Upgrades zu kümmern. Und selbst wenn sie sich zu einem Umstieg durchringen können, müssen die SAP-Verantwortlichen in den Unternehmen nachweisen, welchen Vorteil der Release-Wechsel bringt. "Früher konnten IT-Leiter Upgrades aus ihrem Budget bestreiten, heute müssen sie dafür einen Business Case vorlegen können", so Otto Schell, der als DSAG-Vorstandsmitglied den Bereich Branchen verantwortet. "Zusätzlich benötigen sie einheitliche und verlässliche Informationen über die langfristige SAP-Produktstrategie, um Entscheidungen zu treffen."

Kommt es dann zum Release-Wechsel, bleiben Neuerungen in Geschäftsprozessen oft außen vor. Statt zusätzliche Funktionen in Betrieb zu nehmen, vollziehen die Anwender einen rein technischen Umstieg. Neue Funktionen und Abläufe in SAP etablieren sich daher nur schwer. "Manche Firmen arbeiten mit der ERP-Software so, als hätten sie noch das Release R/3 4.5, obwohl die Software bereits auf dem Versionsstand ERP 6.0 ist", so der DSAG-Vorstandsvorsitzende Karl Liebstückel. Andere Anwender wiederum aktualisieren die Software wegen einzelner Funktionen, die sie dann auch einführen.

Die Vorteile anderer Weiterentwicklungen der SAP-Welt bleiben ungenutzt. Offenbar sind vielen Anwendern die neuen Funktionen, die ERP 6.0 gegenüber R/3 bietet, nicht bekannt. In Zusammenarbeit mit der DSAG hat SAP den "Solution Browser" bereitgestellt, der Softwarekunden aufzeigt, was ERP 6.0 gegenüber dem Altprodukt leisten kann. Künftig soll dieser um weitere Funktionen ergänzt werden beziehungsweise soll es weitere Hilfen geben. Sie sollen den SAP-Verantwortlichen im Unternehmen in die Lage versetzen, seiner Geschäftsführung den Nutzen einer Migration weg von R/3 plausibel zu machen.

ERP-Systeme ausmisten

Allerdings sind neue Funktionen dabei nur ein Argument für ERP 6.0: Ein Release-Wechsel bietet immer die Chance, selbst entwickelte Reports oder Workarounds, sofern wirtschaftlich sinnvoll, durch Standardfunktionen zu ersetzen. Dadurch sinkt der Pflegeaufwand. Es geht dabei gar nicht in erster Linie darum, neue oder bessere Features einzuführen.

Die Weiterentwicklung der SAP-Software will die DSAG gezielter als bisher beeinflussen. Im Rahmen der "Customer Engagement Initiative" hat SAP zugesagt, Anwender frühzeitiger als bisher in die Entwicklung einzubinden. Nach Angaben der Anwendervereinigung erfahren Softwarekunden so, welche Schwerpunkte SAP setzt, und können dann an deren Ausgestaltung mitarbeiten. Diese Nähe zum Kunden habe das Softwarehaus in den letzten Jahren vermissen lassen, so die DSAG. Offensichtlich hat die heftige Auseinandersetzung wegen der unerwarteten Erhöhung der Wartungsgebühren so manche Tür geöffnet. Umgekehrt profitiert natürlich auch der ERP-Anbieter von der Zusammenarbeit: SAP erfährt rechtzeitig, was Firmen wünschen beziehungsweise kaufen wollen.

Mehrwert des Enterprise Support?

Nach Überzeugung der DSAG hat der Streit über SAPs Enterprise Support dem Konzern deutlich gemacht, dass er sensibler mit den Kunden umzugehen hat. Grundsätzlich rückt SAP allerdings vom Enterprise Support nicht ab. Die Softwarenutzer fordern jedoch flexible und optionale Wartungsmodelle statt einen Einheitssupport. Dass sich SAP darauf einlässt, halten die Anwendervertreter indes für nicht sehr wahrscheinlich. "Eher wird SAP den Leistungsumfang des Enterprise Support ausbauen und auf diese Weise den Softwarekunden etwas entgegenkommen", vermutet der stellvertretende DSAG-Vorstandsvorsitzende Andreas Oczko.

SAP habe bei der Einführung des Enterprise Support das Pferd von hinten aufgezäumt, meinen die Anwender: Erst hat der Hersteller die Wartungsgebühr erhöht, danach dann versucht, den Mehrwert der neuen Wartung aufzuzeigen. Wie eine Studie von RAAD Research belegt, können die ERP-Nutzer die Vorteile der SAP-Dienstleistung nicht erkennen. Mehr Aufschluss erhoffen sich die SAP-Kunden von Kennzahlen, die belegen sollen, wie sich der Enterprise Support auf die Softwarebetriebskosten auswirkt.

SAP und die Sugen (SAP User Group Executive Network), ein Zusammenschluss von zwölf SAP-Anwendervereinigungen aus verschiedenen Ländern, darunter die DSAG, haben sich auf ein Kennzahlensystem (Sugen KPI Index) festgelegt. Die Messgrößen sind in vier Kategorien unterteilt:

- Kontinuität im Geschäftsalltag,

- verbesserte Geschäftsprozesse,

- Investitionsschutz,

- Gesamtkosten der betrieblichen Abläufe.

Erhoben werden die Messwerte bei 100 von der Sugen ausgewählten SAP-Anwendern. Die Daten liefert der "SAP Solution Manager", der dazu bei den Anwendern installiert sein muss und die wichtigste Anwendung ist, um überhaupt Zugang zum Enterprise Support zu erhalten. Noch ist es zu früh für eine Bewertung.

Belege für Serviceleistung

Das Vorgehen der User Groups liegt voll im Trend: SAP-Kunden hinterfragen die Angaben des Herstellers und fordern Belege für Leistungsversprechen. So könnte das nun eingerichtete KPI-System für die Wartung nicht das letzte seiner Art sein. IT-Verantwortliche benötigen solche Leistungsbelege nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich gegenüber dem Management für Ausgaben rechtfertigen müssen. Bisher sehen sie sich kaum in der Lage, für den Enterprise Support einen Business Case darzustellen.

Was die SAP-Anwender neben der Preiserhöhung beim Support wurmt, sind die unvermeidlichen Vorleistungen. Firmen müssen den Solution Manager einrichten und ihre Prozesse in einem von SAP vorgeschriebenen Format dokumentieren. Die über den Solution Manager bereitgestellten Werkzeuge für automatisierte Softwaretests können laut DSAG durchaus Vorteile für Anwender bieten. Doch auch diese Mechanismen müssen die SAP-Kunden erst einrichten. Wenn ein Betrieb die von SAP geforderten Vorkehrungen nicht treffen kann, zahlt er zwar für den Enterprise Support, kann dessen Leistungen aber nicht ausschöpfen.

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Einfachere Software gefordert

Kritik üben die Anwender jedoch nicht nur an der Wartungspolitik: Nach wie vor ist ihnen die Software zu komplex. Beispielsweise weist die Business Suite Datenredundanzen und funktionale Überschneidungen zwischen Modulen auf: Die CRM-Komponente verfügt über eine Preisfindung, die in Java programmiert wurde, das ERP-Kernsystem hält einen ähnlichen in Abap codierten Baustein bereit. Ebenso verfügen Suite-Bestandteile für CRM und ERP über unterschiedliche Benutzeroberflächen. Das erhöht für Anwender den Schulungsaufwand. "Seit zwei Monaten reden wir mit der SAP ganz konkret darüber, wie sich die Komplexität der Business Suite reduzieren lässt", erläutert Waldemar Metz, der im DSAGVorstand das Ressort Anwendungen/Prozesse leitet und die Business Suite im Detail kennt. Die ersten Ansätze seien vielversprechend. SAP hat begonnen, modulübergreifende Prozesse zu vereinheitlichen. "SAP muss die Business Suite sanieren", appelliert Metz.

Die neue SAP-Kultur

Seit Léo Apotheker den Softwarekonzern lenkt, steht der Vertrieb stärker im Vordergrund. Dennoch kann die DSAG der neuen SAP-Kultur auch Positives abgewinnen. Das erwähnte Customer-EngagementProgramm zähle dazu. Zudem begrüßen es die Anwender, mit Jim Hagemann Snabe einem Entwicklungsvorstand gegenüberzustehen, der auch etwas von Applikationen verstehe.

Sein Vorgänger Shai Agassi habe seinen Entwicklungsschwerpunkt eher in der technologischen Plattform gesehen. Kritisch beurteilen die ERP-Kunden dagegen das sklavische Festhalten an den Margenzielen und am Enterprise Support. Zudem befürchten sie, dass durch den Abbau von Personal langgediente und erfahrene Leute die SAP verlassen. Ein negativer Einfluss auf die Produktentwicklung sei nicht ausgeschlossen.

Zukäufe noch nicht integriert

Gerüchte, wonach SAP nach dem Business-Objects-Kauf weitere Firmen übernehmen will – von Teradata und Tibco ist in der Presse die Rede – nehmen die Anwender gelassen. Allerdings erwarten sie, dass SAP zunächst die Business-Objects-Integration abschließt. "Die Zusammenführung der beiden BI-Produktlinien Business Objects und Business Warehouse ist noch lange nicht vollzogen", so Liebstückel. Ferner müssen die unterschiedlichen Philosophien der beiden Firmen noch aufeinander abgestimmt werden. Zumindest habe SAP den Kunden aber mittlerweile oberflächlich vermitteln können, wie es mit den Produktlinien von SAP und Business Objects weitergehen werde.

SAPs Software-as-a-Service-Ambitionen rund um "Business ByDesign" waren bisher nicht von Erfolg gekrönt. Auch die DSAG sieht, dass SAP ihr Ziel, ein völlig neues Softwaresystem nebst Vermarktungskonzept zu entwickeln, bisher nicht erreicht hat. Dennoch zweifeln die ERP-Nutzer nicht daran, dass der Hersteller das Produkt auf den Markt bringen wird. Mit dem unlängst präsentierten Feature Pack 2.0 habe die Lösung einige neue Funktionen erhalten. Zudem sehen die DSAG-Mitglieder einen Bedarf für SaaS-Angebote, die für mittelständische Anwenderunternehmen taugen.

Die vor einigen Wochen angekündigte SaaS-Strategie für die Großkunden hat die DSAG wenig überrascht: Ex-SAP-Vorstand Henning Kagermann habe solche Ansätze bereits vor zwei Jahren in Aussicht gestellt. Nutzer der Business Suite sollen den Funktionsumfang erweitern können, indem sie SaaS-Angebote von SAP einbinden. Doch die SaaS-Technik löst nicht alle Probleme der Anwender. "Die Herausforderungen bei der Softwareeinführung resultieren weniger aus der von SAP zur Verfügung gestellten Technologie als aus der Umsetzung in die betriebliche Praxis", so Liebstückel. Daher sei es unerheblich, ob die Lösung beim Anwender oder in einem Rechenzentrum laufe. Zumindest biete SaaS die Chance, den Fachbereichen neue Funktionen in kürzerer Zeit zur Verfügung zu stellen.

Mehr Einfluss bei SAP

Die DSAG hat sich eigenen Angaben zufolge komplett neu aufgestellt, um bei SAP mehr Gehör zu finden. "Mittlerweile gibt es Vorstandsvertreter für Service und Support, Technologie, Branchen, die Business Suite, den Mittelstand sowie für Österreich und die Schweiz", so Mario Günter, Geschäftsführer der DSAG.

Die Interessen der Anwender sollen auf diese Weise in der DSAG-Vorstandsebene verdichtet werden, um die Themen dann bei den entsprechenden Verantwortlichen der SAP zu platzieren. Zudem will man die in der DSAG organisierten CIOs stärker in die Verbandsarbeit einbinden. Im Lauf dieses Jahres entsteht laut Günter ein CIO-Beirat, der den Belangen der IT-Leiter gegenüber SAP mehr Gewicht und auch dem DSAG-Vorstand in seinen Positionen gegenüber SAP mehr Rückhalt geben soll. Der Austausch mit SAP hat aus Sicht der DSAG deutlich zugenommen.

Stärker als bisher will die DSAG auch mit Wirtschaftsverbänden zusammenarbeiten. Deren Einbindung hat sich bereits bewährt: Als die Anwender sich gemeinsam mit den Verbänden gegen SAPs neues Wartungsmodell auflehnten, nahm der Konzern die Kündigung der alten Supportverträge zurück.