Droht ein Softwareboom?

21.05.1982

Wer noch vor zwei, drei Jahren meinte, die Hardware werde bald ein Anhängsel der Software sein, hat den Markt falsch eingeschätzt. Denn das Geschäft mit der Weichware entwickelt sich langsamer als erwartet. Droht jetzt ein Softwareboom? Werden sich die Auguren erneut irren? Es sieht nicht so aus. Vieles spricht vielmehr für eine beständige Softwarekrise.

Die Branchenführer in der Bundesrepublik, allen voran ADV/Orga, bevorzugen zwar die rosarote Brille ("Eine Softwarekrise gibt es nicht")-doch jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Mit 16 Prozent entfällt nach einer Untersuchung der International Data Corporation (IDC) nur ein Bruchteil der DV-Gesamtausgaben europäischer Anwender auf die Software (CW Nr. 20 vom 14. Mai 1982, Seite 4: "DV-Markt weiterhin auf Wachstum programmiert"). Die größten Etatposten sind nach wie vor "Personal" und "Hardware".

Interessante Schlußfolgerung: Wenn es um die Entwicklung von Anwendungssystemen geht, vertrauen viele DV-Chefs ihrem Fingerspitzengefühl-und der eigenen Mannschaft. Man kann es ihnen nicht verdenken: Bei dem Versuch, Software extern zu beschaffen, treffen sie auf unerfahrene Anbieter, die oftmals selbst nicht wissen, was ihre Produkte leisten. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Keine Frage, die Kauflust der Interessenten für vorgefertigte Programmpakete hält sich in Grenzen. Softwarefirmen, die auf Millionenumsätze im Produktgeschäft kommen, müssen schon ausgesprochene Renner im Stall haben, um die sie die Kollegen beneiden.

Vom Volumen her stützt sich das Geschäft der Softwarehäuser zu einem großen Teil auf die Vermietung von Manpower. Für das Bodyleasing gilt: Wer hat, der hat-möglichst vom Feinsten und Besten-; wer kann, der kann.

Was Wald-und-Wiesen-Programmierer erwartet, die lediglich auf die schnelle Umstellungsmark aus sind, ist kein Geheimnis. So sind mancherorts freischaffende Softwarekünstler wieder an den Fleischtöpfen der Anwender orientiert: Programmierdienst auf Lohnsteuerkarte erscheint auf einmal lukrativer als eine selbständige Beratertätigkeit. Merke: Siemens hat keine Sammelkarten mehr für SoftwareTrittbrettfahrer.

Doch der Wettbewerb auf dem DV-Personalmarkt ist hart. Auf jeden Fall laufen derzeit viele freie Softwareleute "frei" herum-wer eine Stelle ausschreibt, hat die Qual der Wahl.

Angesichts solcher Perspektiven wird es vielen Alleinunterhaltern im Softwarebusineß mulmig. Die Zeiten, in denen selbst mittelmäßigen Systementwicklern horrende Honorare gezahlt wurden, sind ein für alle Male vorbei. So sehr die meisten Einzelkämpfer diese Entwicklung bedauern mögen, für die Anwender - aber auch für die großen Softwarehäuser-bringt sie eigentlich nur Vorteile: Die Spreu wird vom Weizen getrennt.

Der DV-Markt braucht eine starke Softwarebranche. Die Interessenlage der Anwender ist klar. Aber auch kleinere und mittlere Hardwarehersteller kommen ohne die Unterstüzung von Software- und Systemhäusern nicht mehr aus. Den meisten Nicht-IBM-Anbietern fehlt das Anwendungs-Know-how, Lösungen in ausgewählten Bereichen, etwa CAD/CAM oder Local Area Networks, in eigener Regie zu realisieren. Auf allen DV-Gebieten fit zu sein, davon können die Data Generals oder Kienzles nur träumen. Im Verbund mit Softwarehäusern wären sie stark. In der derzeitigen Softwarekrise hilft wohl nur Daumendrücken.

Dieter Eckbauer