Microsoft und Oasis bündeln ihre Kräfte auf eigenen Web-Sites

Droht der XML-Gemeinde die Spaltung in gegnerische Interessengruppen?

04.06.1999
MÜNCHEN (CW) - Web-Vater Tim Berners-Lee läßt keine Gelegenheit aus, um für offene Standards bei der Extensible Markup Language (XML) zu werben. Er tut gut daran, wie die Formierung unterschiedlicher Lager in jüngster Zeit beweist.

Berners-Lee, Direktor des World Wide Web Consortium (W3C), nutzte auch seine Key- note-Rede auf der achten WWW-Konferenz in Toronto für ein klares Bekenntnis zur Extensible Markup Language (XML). Er sieht das Web auf dem Weg zu einem semantischen Informationsmedium und XML als Vehikel dazu.

Microsoft hat sich beim Thema XML weit aus dem Fenster gelehnt und mit "Biz Talk" die Initiative zu einem Technologie-Framework ergriffen, das Firmen mit unterschiedlichsten Computersystemen in die Lage versetzen soll, die beim E-Commerce anfallenden Daten auszutauschen. Die Gates-Company konnte schnell führende Software- und Dienstleistungsunternehmen wie SAP, Peoplesoft, Merill Lynch und Commerce One sowie Industriegrößen wie Boeing für sein Projekt gewinnen. Die Entwicklung wird über die Web-Site "Biztalk. org" vorangetrieben und mündete kürzlich in der Version 0.8 der Biz-Talk-Spezifikation. Die erste Vollversion wird im Juli erwartet und der erste Biz-Talk-Server aus dem Hause Microsoft im vierten Quartal 1999.

Nachdem das Unternehmen aus Redmond in der Vergangenheit nicht gerade eine Vorliebe für offene Standards an den Tag gelegt hatte, beobachteten W3C wie auch Marktforscher das XML-Engagement mit Argusaugen. Bislang ohne Beanstandung, alles wurde stets offengelegt. Ungemach droht nun von anderer Seite: Die Organization for the Advancement of Structured Information Standards (Oasis) hat mit der Web-Site "XML.org" ein eigenes Sammelbecken für die Entwicklung von XML-Spezifikationen und -Schemen ins Leben gerufen. Hinter Oasis verbergen sich Namen wie Poet, Datachannel, Bluestone und die Software AG. Mit XML.org konnten sie weitere Branchengrößen wie IBM, Oracle, Sun und Novell um sich scharen. Oracle war der einzige große ERP-Anbieter, der sich nicht für Microsofts Biz Talk begeistern konnte.

Beobachter von Zona Research halten die Entwicklung für sehr bedenklich. Die Bildung verschiedener Interessengruppen könnte die Entwicklung wirklich offener XML-Standards durch proprietäre Erweiterungen auf Jahre lähmen. Zona empfiehlt Microsoft, auch in dem sich abzeichnenden Grabenkrieg die Initiative zu ergreifen, Oasis beizutreten und so seinen Wissensvorsprung dort einzubringen.