Drei Versicherungs-Manager fordern die DV-Branche heraus Informationstechnik muss die Unternehmensstruktur abbilden

01.10.1993

WIESBADEN (CW) - Die Wirtschaftskrise praegte auch die Podiumsdiskussion der Fachmesse der German Unix User Group (GUUG) in Wiesbaden. Anstelle technischer Innovationen wurde von den eingeladenen Wirtschaftsrepraesentanten vor allem die Einbindung von Client-Server-Umgebungen in neue Organisationsstrukturen gefordert.

Dafuer unverzichtbar seien weitverbreitete, anerkannte Standards sowie offene Schnittstellen.

Anlaesslich der Jahrestagung der GUUG, die vom 14. bis 16. September in Wiesbaden stattfand, waren drei Vertreter grosser grosser deutscher Versicherungsunternehmen zu einer Podiumsdisskusion angetreten, um nicht nur den Unix-Anbietern, sondern der gesamten DV-Branche die Fehler der Vergangenheit aufzeigen und die benoetigte Unterstuetzung einzuklagen: Robert Soran, Abteilungsleiter Zentrale Funktionen, Direktion, der Wiesbadener R + V Versicherung AG, Rolf Neumann, Prokurist bei der Muenchner Rueckversicherung, und Herrmann Hoss, Vorstandsmitglied des Gerling-Konzerns. Thematisiert wurden die Vor- und Nachteile von Client-Server-Systemen, offenen Technologien und Migrationsstrategien.

Schnell wurde klar, dass sich die Manager eine organische Anpassung der Informationstechnologien an die unternehmerischen Strukturen wuenschten anstelle aufgesetzter High-Tech-Systeme. "Ich moechte nicht wie ein Lemming irgendeiner neuen schoenen Idee nachlaufen und auch nicht irgendwelche Systeme fertigstellen, um anschliessend fragen zu muessen: Wo ist denn das Problem, fuer das wir hier die Loesung haben?", erlaeuterte Hoss. Er machte deutlich, dass die Unternehmensaufgabe nicht die DV sei und fuhr fort: "Vergessen Sie mal das Wort Datenverarbeitung. Wir wollen Geschaefte machen. Und das bedeutet, Geld verdienen".

Aufgrund des profitorientierten Ansatzes sei zu ueberpruefen, ob in einer ueberschaubaren Zukunft mit der gegenwaertigen Technologie noch die Kundenwuensche erfuellt werden koennen. In diesem Sinne muesse auch der Begriff Re-Engineering neu definiert werden, forderten die Diskutanten uebereinstimmend. Es koenne nicht um das Problem gehen, wie alte Systeme auf neue Plattformen portiert werden koennten, sondern um das Nachdenken ueber neue Organisationsstrukturen.

Den gesellschaftlichen Prozess umkehren

Im zweiten Schritt muesse die DV den geschaffenen Formen angepasst werden. Im Management und Organisationsbereich seien also als erstes Innovationen gefragt.

Heftig attakierte Gerling-Manager Hoss die seiner Ansicht nach negative Entwicklung der deutschen Wohlfartsgesellschaft. Der gegenwaertigen skandaloese Prozess, der die deutsche Gesellschaft insgesamt kennzeichne, muesse sich umkehren. Eine Nation, die sich die juengsten Rentner und die aeltesten Studenten leiste, sei im wirtschaftlichen Vergleich nicht mehr wettbewerbsfaehig. "Vor Montagnachmittag geht bei uns nichts, ab Freitagvormittag ist alles im Wochenende, und am Tage spielt sich auch nicht allzuviel ab", behauptet Hoss polemisch. Die Aufgabe sei, erneut praesent zu sein.

Dem gesellschaftlichen Umschwung habe die Informationstechnologie zu folgen. Hoss spezifiziert: "Ich verrate kein Geheimnis, das System, das es schafft, wird die Client-Server-Technologie sein". Dies sei die Umgebung, mit der sich sein Unternehmen fuer den Wechsel ins naechste Jahrtausend gewappnet sieht.

Mit Client-Server ins naechste Jahrtausend

Gefragt nach dem eigenen Verstaendnis dessen, was Client-Server- Technologie sei, antwortete Soran von der R + V: "Die Ameisen machen es besser als wir. Sie haben ein kooperatives System - eine hoehere Stufe von Client-Server." Die Kooperation in den Vordergrund stellend, formulierten die drei Teilnehmer, es fehle an standardisierten Schnittstellen, um Portierungen zu ermoeglichen oder zu vereinfachen. Software muesse auf moeglichst vielen Hardwareplattformen laufen und bausteinhaft zu ergaenzen oder auszutauschen sein.

Es muesse jederzeit die Moeglichkeit geben, den Hersteller zu wechseln. Standards duerften nicht nur geschaffen, sondern muessten auch eingehalten und moeglichst weit verbreitet werden. Ausserdem haetten Services bereitzustehen, beispielsweise Sicherheitsprozeduren, die aus der Mainframe-Welt bekannt seien, im Unix-Umfeld wohl aber noch entwickelt werden muessten.

Die Vorteile der Client-Server-Technologien sind nach Meinung der Teilnehmer jedoch unbestritten. Der Muenchner Rueck-Prokurist Neumann fuehrt aus: "Ausser dem Attribut konservativ, gibt es noch ein zweites, das den deutschen Versicherungsunternehmen nachgesagt wird: Sie sind sehr reich. Ich glaube, da sind wir uns alle einig und dennoch, der Einsatz von Client-Server bedeutet zunaecht einmal die Ersparnis von einer Menge Geld."

Darueber hinaus fuehre es zu einer Erhoehung des Integrationsgrades und zur Einbindung neuer Applikationsarten wie grafische sowie optimale Resourcenausnutzung durch verteilte Funktionalitaeten und Daten.

Organische Loesungen fuer Wirtschaftsgut DV

Auf die Frage, in welcher Weise Migration zu Client-Server- Strukturen oder auch zur Ob- jektorientierung stattfinden koenne, antwortetete Soran: "Auf keinen Fall als Revolution. Sie endet immer mit Toten." Hoss schaetzt die DV eines Unternehmens dieser Groesse - Gerling beschaeftigt zirka 8500 Mitarbeiter - auf einen Wert von 500 Millionen Mark ein. "Und wer geht mit einem Wirtschaftsgut dieser Groessenordnung schon leichtfertig um, es sei denn Regierungssstellen?"

Gefordert werden also organische Loesungen, die Bewaehrtes mit neuen Technologien jeglicher Provinienz verbinden.

In jedem Fall habe der Anwender heute, geprueft durch leidvolle Erfahrungen in der Vergangenheit, ein groesseres Sebstbewusstsein gegenueber den Technik-Gurus, die viel versprechen und Hilfreiches zum Funktionieren brachten.

"Anwender wissen immer mehr, selbst wie man "Windows" schreibt", fasste Soran nicht ganz ernst das neue Selbstbewusstsein der DV- Konsumenten zusammen.