Schweizer Forschungsteam stellt neue Entwurfsmethode zur Diskussion:

Drei Stufen-Arbeitsplatz für Analytiker

01.06.1984

Software Engineering Environment ist seit mehreren Jahren das dominierende Schlagwort im Softwarebereich. Jedoch fehlen noch immer tragfähige Entwurfs- und Entwicklungskonzepte als Basis von rechnerunterstützten Werkzeugen. Folge: Wenige und vor allem nur die einfachsten Hilfen in diesem Bereich werden eingesetzt. Die Hochschule St. Gallen entwickelte unter der Leitung von Prof. Dr. Hübert Österle ein System zum Entwurf betrieblicher Informationssysteme ( Sebis), das hier zur Diskussion gestellt wird - den Arbeitsplatz für Systemanalytiker.

Das Sebis-Projekt verbindet Ansätze aus der Praxis, den heute eingesetzten Methoden und Werkzeugen, der derzeitigen Entwicklung und der Theorie (zum Beispiel abstrakte Datentypen). Die Methoden bilden den Rahmen des Entwicklungssystems (s. Abb. 1). Sie bestimmen das Vorgehen des Systemanalytikers. Dieses wiederum definert die Anforderung an die Rechnerunterstützung.

Kern ist eine redundanzfreie, alle Aspekte der Systementwicklung abdeckende Datenbank. Sie ist die einzige Ablage von Entwicklungsdaten, von der ersten Idec zu einem Informationssystem bis zu dessen Betrieb.

Die Werkzeuge sind die Mittler zwischen den Methoden und der Entwicklungsdatenbank. Den größten Teil bilden Struktureditoren; diese geben - im Gegensatz zu Texteditoren - dem Entwickler die Möglichkeit, Ergebnisse - der Bedarfserhebung, des Entwurfs und der Implementierung in der von den Methoden vorgeschriebenen Form direkt einzugeben. Der Systemanalytiker sieht das in der Entwicklungsdatenbank entstehende Informationssystem stets aus verschiedenen Sichtwinkeln wie etwa dem Datenfluß, der funktionalen Hierarchie oder der Dialoggestaltung. Der Selektor liefert dafür dies gewünschten Ausschnitte aus der Systembeschreibung.

Jedem Werkzeug ein Fenster

Im Dialogkonzept sind mehrere Darstellungen eines Teilsystems in verschiedenen Fenstern des Bildschirms für den Systemanalytiker gleichzeitig sichtbar. In jedem Fenster arbeitet ein Werkzeug (zum Beispiel drei Editoren). Jedes Fenster bietet eine bestimmte Sicht auf die Entwicklungsdatenbank.

Mit Tastatur, Maus und Spracheingabe (für Kommandos) wählt der Entwickler die jeweils günstigste Darstellungsform und erfaßt, verändert und analysiert darin die Systembeschreibung. Das Dialogkonzept wendet die Erkenntnisse von allgemeinen Büroautomationssystemen auf den speziellen Arbeitsplatz des Systemanalytikers an.

Eine derartige Dialogführung sowie die Leistungsfähigkeit der Werkzeuge erfordern für jeden Benutzer einen Arbeitsplatzcomputer mit folgender Basiskonfiguration:

- Mikroprozessor mit 32-Bit-Architektur und 1- bis 2 MB Internspeicher,

- Pixel-Display mit einer Million Punkten,

- Maus und Spracheingabe

- lokales Plattenlaufwerk mit minimal 50 MB,

- Anschluß an ein lokales Netzwerk mit Fileserver, Laserprinter und Kommunikation zur Test- und Produktionsmaschine.

Derartige Anlagen sind heute in ersten Versionen auf dem Markt und wohl auch bis zur Fertigstellung der Sebis-Software zu Preisen verfügbar, die eine Ausstattung von Systemanalytiker-Arbeitsplätzen mit dieser Basismaschine erlauben.

Die Methodik des Systems erstreckt sich derzeit auf die Erhebung den Entwurf und die Implementierung (Abb. 2). Der Test ist damit noch nicht abgedeckt. Ihre wichtigsten Merkmale:

- Sie versucht, von der dogmatischen Überbetonung eines einzelnen Ansatzes wegzuführen und zu einer Entwurfslehre überzuleiten.

- Daten- und Funktionsentwurf sind verbunden.

- Die Methodik deckt alle Phasen ab.

Geringe Strukturierung bringt nur Info-Verlust

Die Entwicklungsdatenbank hält sämtliche Informationen, die aus den verschiedenen Methoden resultieren, in redundanzfreier Form. Dies ist die Grundvoraussetzung für die Konsistenz in der Systembeschreibung. Entwicklungssysteme auf Basis des Entity-Relationship-Ansatzes verwalten zudem die Systembeschreibung in ihrer ganzen Strukturierungstiefe.

Heute eingesetzte Entwicklungssysteme benutzen überwiegend Textbibliotheken zur Ablage der Systembeschreibung - von der ersten Projektbeschreibung bis zum Sourcecode. Damit ist der Strukturierungsgrad wesentlich geringer als in den Dokumenten der Methodik; die Speicherung bringt einen Informationsverlust.

Die Funktion und Arbeitsweise der Werkzeuge können am besten an einem Beispiel dargestellt werden: Ein System zur Lagerhaltung soll vonständig überarbeitet und neu implementiert werden. Der Analytiker ermittelt zunächst in der Zielfindung Daten und Funktionen des neuen Systems und die damit verfolgten Ziele. Er erfaßt die Daten und Funktionen mit dem Baum-Editor. Soweit die hierarchische Ordnung noch nicht erkennbar ist, mißbrauchte er den Baum-Editor für bloße Aufzählungen. Die Ziele wie etwa eine zwanzigprozentige Reduktion der Kapitalbindung beschreibt er mit dem Attribut-Editor als Eigenschaft der Teilfunktion "Nachbevorratung".

Verbunden mit dem Funktionsund Datenentwurf entsteht eine Sammlung von Funktionen und Daten, zum Teil hierarchisch geordnet. Die Systemgrenze der Lagerbuchhaltung zur Auftragsabwicklung wird über den Attribut-Editor in den Ein- und Ausgabeschnittstellen der Funktionen definiert.

Laufende Restrukturierung

Die Präzedenz der Funktionen beschreibt der Analytiker im Datenflußplan-Editor. Dabei werden ihm die bereits vorhandenen funktionalen Zerlegungen angezeigt. Legt der Analytiker die Kontrollstruktur

(Steuerung) einer Funktion in Form von Pseudocode fest, bedient er sich dazu des Baum-Editors. Dieser ist bis auf die Ebene des Programmcodes einsetzbar.

Im Verlaufe dieses Entwicklungsprozesses kommt es laufend zu Restrukturierungen: Daten und Funktionen werden neu aufgenommen gelöscht oder verändert. Über welchen Editor dies geschieht, ist unerheblich. Die Folgen der Änderungen sind in allen Fenstern, die sie betreffen, sichtbar, da alle Editoren auf die gleiche Datenbank zugreifen.

Mit dem Selektor bildet der Analytiker Ausschnitte aus der Entwicklungsdatenbank. Mit Hilfe einer Abfragesprache sucht er beispielsweise alle Funktionen, die den Lagerbestand verändern oder alle Daten, die von außen in die Lagerhaltung kommen und innerhalb der Lagerhaltung fortgeschrieben werden. Strukturanalysen wie zum Beispiel auf funktionale Redundanzen werden ebenfalls über den Selektor ermöglicht.

Der Dokumentengenerator verbindet einzelne Beschreibungen, die mit den verschiedenen Editoren erstellt werden; nach einem vom Analytiker zu bestimmenden Rahmen zu einer geschlossenen Dokumentation wie etwa dem Bericht der Vorstudie, der Anwenderdokumentation oder der Operator-Anweisung.

Das Projektmanagement kommt weitgehend mit den bereits erwähnten Werkzeugen aus. Zeitaufwand oder Termine werden mit Hilft. des Attribut-Editors den Funktionen und Daten zugeordnet; Statusberichte liefert der Selektor. Lediglich weiterführende Unterstützungen wie etwa der Netzplan müssen zusätzlich entwickelt werden.

Praxiseinsatz noch weit entfernt

Ein wesentliches Merkmal des vorgestellten Konzeptes ist seine Offenheit, die auch im Stufenkonzept der Realisierung zum Ausdruck kommt. Stufe ist eine allgemeine Entwurfsmaschine, die außer für die Softwareentwicklung auch für andere Anwendungsbereiche, wie etwa für die Unternehmungsorganisation oder den technischen Entwurf, ein minimales Werkzeugangebot bereithält.

Stufe 2 ist das Softwarecntwicklungssystem, also die Arbeitsplatzmaschine für den Systemanalytiker mit Werkzeugen, die nur der Softwareentwickler benötigt. Es verwirklicht im wesentlichen die in APSE (ADA Programming Support Environment) formulierten Vorstellung.

Die dritte Stufe ist das unternehmensindividuelle Entwicklungssystem, das auf die konkrete betriebliche Umgebung angepaßt ist.

Die Umsetzung eines derart umfassenden Konzeptes in ein einsatzfähiges und praxisgerechtes System erfordert rund 25 Mannjahre für die Stufe 1 und etwa weitere 15 Mannjahre für die Stufe 2. Dies ist an einer wissenschaftlichen Hochschule allein nicht realisierbar. Die universitäre Forschung kann aber versuchen, der Praxis die Konzepte zur Verfügung zu stellen, deren Fehlen immer wieder bemängelt wird.

Eine ausführlichere Beschreibung des Konzeptes von Sebis liefert der Arbeitsbericht Nr. 4 der Betriebsinformatik an der Hochschule St. Gallen. Er ist erhältlich unter der Adresse: Hochschule St. Gallen, Prof. Dr. H. Österle, Projekt SEBIS, Dufourstraße 50, CH-9000 St. Gallen, Tel. (00 40 0 7 /22 24 60).