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"Drei Prozent machen den Markt kaputt"

28.08.2001
Angesichts der immer noch die Schlagzeilen beherrschenden Skandale und Pleiten am Neuen Markt fristen die dort gelisteten Systemhäuser derzeit eher ein Schattendasein. Über steigenden Wettbewerbsdruck und mögliche Konsolidierung sprach die CW mit Bechtle-Chef Gerhard Schick.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Angesichts der immer noch die Schlagzeilen beherrschenden Skandale und Pleiten am Neuen Markt fristen die dort gelisteten Systemhäuser derzeit eher ein Schattendasein. Aber auch in diesem Segment nimmt der Wettbewerbsdruck zu; Branchenkenner rechnen mit einer Konsolidierung. CW-Redakteur Gerhard Holzwart sprach mit Gerhard Schick, Vorstandsvorsitzender der Bechtle AG, über aktuelle Markttrends.

CW: Unter den Systemhäusern am Neuen Markt ist Bewegung. Fast alle kehren mehr oder weniger dem klassischen Handelsgeschäft den Rücken und kehren den großen Dienstleister heraus. Nur Bechtle nicht. Warum?

SCHICK: Ihre Frage ist etwas pointiert formuliert, aber vom Grundsatz her haben Sie Recht. Viele unsere Wettbewerber drängen in den Markt mit so genannten höherwertigen Dienstleistungen, während wir sagen, wir liefern unseren Kunden auch in Zukunft alles aus einer Hand. Also Hardware und Software, produktnahen Service und spezielle IT-Dienstleistungen. Der Grund hierfür ist einfach: Man kann heute nur als Komplettanbieter überleben. Wir jedenfalls rennen nicht in eine modische Nische, wo sich alle anderen auch drängen.

CW: Die Begründung, die Ihre Wettbewerber für den Strategiewechsel liefern, klingt aber mindestens ebenso schlüssig. Demnach sind im IT-Handel heute keine vernünftigen Margen mehr zu erzielen.

SCHICK: Was auch stimmt, wenn man sich auf das viel zitierte Box Moving beschränkt. Ich habe vor einigen Monaten etwas salopp gesagt, dass wir uns über jeden freuen, der sich aus dem Handelsgeschäft zurückziehen möchte. Das ist leider vielfach so interpretiert worden, als ob wir Bechtle als reinen Großhändler positionieren wollten. Das Gegenteil ist der Fall, was Sie auch an der von uns in den letzten Jahren verfolgten Strategie ablesen können.

CW: Auf die kommen wir gleich noch zu sprechen. Für einen Schwenk zu höherwertigen Dienstleistungen sprechen aber auch die zuletzt größtenteils nicht berauschenden Ergebnisse Ihrer Konkurrenz.

SCHICK: Man kann das so sehen, muss es aber nicht. Ich denke, dass man die Schwierigkeiten einzelner Firmen nicht gleichsetzen sollte, sie haben zum Teil ganz spezifische Ursachen. Im Übrigen: Auch wir haben unsere Ergebnisziele im vergangenen Jahr nicht erreicht - zum einen wegen der bekannten allgemeinen Marktlage, aber natürlich auch, weil einige unserer Wettbewerber glaubten, mit einer Marge von drei Prozent profitabel arbeiten zu können.

CW: Und damit den Preisverfall im IT-Handel forciert haben.

SCHICK: Natürlich. Es ist doch eine Binsenweisheit, dass durch ruinöse Margen keine zusätzliche Nachfrage generiert wird.

CW: Heißt das, dass auch Bechtle im Handel rote Zahlen schreibt?

SCHICK: Eben nicht, was Sie auch unserer Segmentsberichterstattung entnehmen können. Wir verfügen insbesondere im Warengeschäft über effiziente Kostenstrukturen, wickeln allein im Bereich "Bechtle direkt" rund 30 Prozent aller Aufträge via Internet ab.

Trotzdem sage ich: Mit Margen von drei Prozent macht man den Markt kaputt! Noch dazu, wo es keine Notwendigkeit für eine solche Preisgestaltung gibt. Schließlich bieten wir den Kunden ein ganzes Paket an Mehrwert an.

CW: Um es zusammenzufassen: Einige Ihrer Wettbewerber haben die Preise im IT-Handel verdorben und flüchten nun in die Dienstleistungsecke, wo das Hauen und Stechen aber mindestens genauso groß ist.

SCHICK: Ich wiederhole meine Antwort von vorhin: Zugespitzt formuliert, aber vom Grundsatz her richtig. Wir indes bleiben bei unserer Auffassung, dass ein komplettes Angebot aus einer Hand die bessere Strategie ist.

CW: Sie sagen sinngemäß, was die anderen selbst ernannten Dienstleister ankündigen, machen wir bei Bechtle auch - im Zweifel schon längst. Wo ist denn Ihrer Ansicht nach für ein Unternehmen wie das Ihre quantitativ und qualitativ die Grenze im Dienstleistungsgeschäft erreicht? Einige Ihrer Wettbewerber nehmen ja selbstbewusst die Begriffe Outsourcing und Consulting in den Mund.

SCHICK: Mit solchen Einlassungen kann man Recht haben oder sich lächerlich machen. Das ist Definitionssache. Ich denke, dass wir uns mit Outsourcing à la IBM und EDS übernehmen würden, Gleiches gilt auch für das Angebot klassischer mittelständischer Dienstleister wie TDS. Andererseits brauchen wir uns im Bereich der so genannten höherwertigen Dienstleistungen nicht zu verstecken. Beispielsweise, wenn es um den Rollout Hunderter PCs samt Wartung, Softwareadministration und laufendem Support geht.

Sie müssen sich auch unser Kundenprofil anschauen. Da wäre es vermessen, zu sagen, wir kämpfen um die Big Accounts bei den Top-500-Unternehmen. Unsere Zielgruppe ist doch eher der gehobene Mittelstand. Wo wir allerdings mit unserer regional ausgeprägten Systemhausorganisation vor Ort stark genug aufgestellt sind, bewerben wir uns auch um die ganz großen Projekte - wenn sie zu uns passen. Bechtle wird aber, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, nie ein SAP-Outsourcer werden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der eine oder andere unserer Wettbewerber - so er es denn vorhat - in diesem Geschäft glücklich würde.

CW: Einige Kritiker werfen Ihnen vor, Sie würden unzählige kleine Systemhäuser aufkaufen, statt mit einem großen Deal eine Marktkonsolidierung in Ihrem Sinne zu betreiben. Ganz zu schweigen von einer internationalen Expansion.

SCHICK: Warum sollten wir hektisch agieren? Die Entwicklung an der Börse in den vergangenen Monaten gibt uns doch Recht! Wir waren nie bereit, Phantasiepreise für irgendwelche vermeintlich interessanten Unternehmen zu bezahlen. Und wir haben uns auch bei unserem Börsengang ganz bewusst nicht durch entsprechende Ankündigungen selbst unter Druck gesetzt. Was den mancherorts belächelten Kauf kleinerer Systemhäuser angeht, gibt er für uns mehr Sinn als eine spektakulär eingefädelte Fusion, die nachher wie ein Kartenhaus zusammenbricht oder die Substanz des ganzen Unternehmens gefährdet.

Durch unsere Politik der, wenn Sie so wollen, kleinen Schritte sind wir dezentral, aber zunehmend flächendeckend aufgestellt und verfügen über unterschiedliche Kompetenzzentren. Wenn wir beispielsweise für ein bestimmtes Projekt Security-Spezialisten benötigen, haben wir die im Konzern und müssen sie allenfalls von A nach B beordern. Wir werden auch, um diesen Teil Ihrer Frage zu beantworten, bei der internationalen Expansion - die sich ja ohnehin auf den Bereich E-Business beschränkt - behutsam vorgehen und uns nur punktuell verstärken, beispielsweise wie vor kurzem durch die Übernahme des spanischen E-Commerce-Spezialisten Action Computer Supplies geschehen. Dies gilt erst recht, solange wir quasi vor der eigenen Haustüre noch genügend Marktvolumen sehen.

CW: Es gab ja auch Gerüchte über finanzielle Schwierigkeiten bei Bechtle.

SCHICK: Das sind bösartige Unterstellungen gewesen, die absolut ruf- und geschäftsschädigend waren. Wir hatten, um nur eine Kennziffer zu nennen, Ende März eine Netto-Cash-Position von 80 Millionen Mark. Fragen Sie mal bei unseren Lieferanten nach, ob wir auch nur eine Rechnung nicht pünktlich bezahlt haben. Vielleicht sollten sich die Urheber solcher Verleumdungen mal bei anderen vergleichbaren Firmen umsehen, die über eine weniger gute Kostenstruktur als wir verfügen und die - ich habe es vorhin schon angedeutet - statt auf eine akzeptable Marge zu achten die Ware zum Teil verschenken.

CW: Welche weitere Marktentwicklung prognostizieren Sie?

SCHICK: Darauf derzeit eine Antwort zu geben ist eine sehr undankbare Aufgabe. Wir spüren noch keine Flaute. Ich kann aber nur hoffen, dass sich die negative Stimmung und die von unseren Kollegen beklagte Kaufzurückhaltung der Kunden in absehbarer Zeit wandelt. Wir bei Bechtle wollen jedenfalls, das haben wir auch so angekündigt, mittelfristig stärker als der Markt zulegen. Und das nicht nur durch Zukäufe, sondern auch durch organisches Wachstum - und da sind wir nach wie vor auf einem guten Weg.

Bechtle AG

Mit ihrer mehr als 18-jährigen Firmengeschichte gehörte die im schwäbischen Gaildorf ansässige Bechtle AG bis dato nicht zu den Firmen, die in das Muster des durch das Internet-Fieber überhitzten Neuen Marktes passen wollte. Jetzt hat, um im Bild zu bleiben, die New Economy einen gehörigen Schnupfen bekommen - gefragt sind Substanz und Seriosität. Für beides steht Gründer und Vorstandschef Gerhard Schick, der seit Jahren einen behutsamen, aber nicht minder ehrgeizigen Wachstumskurs fährt.

Bechtle definiert sich als so genannter ganzheitlicher IT-Dienstleister für gewerbliche Kunden, der die serviceorientierten Tätigkeitsbereiche eines Systemhauses mit dem Direktvertrieb von IT-Komponenten (auch via Internet) verbindet. Größte Wettwerber der Schwaben sind GE Compunet, M+S Elektronik, Systematics (EDS) und Arxes. Einem Umsatz von 999,57 Millionen Mark stand im Geschäftsjahr 2000 ein Ergebnis vor Steuern von 16,62 Millionen Mark gegenüber - nicht sonderlich berauschend und nicht deckungsgleich mit den ursprünglichen Planungen, aber angesichts bekannt schwacher Margen im IT-Handel und des schwierigen Marktumfeldes alles in allem noch ordentliche Erträge. Im laufenden Geschäftsjahr 2001 soll mit Einnahmen in Höhe von rund 1,2 Milliarden Mark die Milliardengrenze deutlich übersprungen und ein Vorsteuergewinn von 32 Millionen Mark erzielt werden. Die Halbjahresumsatz lag mit 575 Millionen Mark (plus 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr) über Plan.