Reorganisationsgroßprojekt mit 40 Teilprojekten

Drei kassenärztliche Vereinigungen - eine gemeinsame IT-Strategie

26.02.1999
Aus der Patsche mußte ein externer Berater drei kassenärztlichen Vereinigungen helfen, die bei der Migration von Altsystemen nicht so recht vorankamen. Robert Bauerdick, Berthold Müller und Heinz Jäkel beschreiben, wie man das Projekt wieder in den Griff bekam und wie es nun weitergehen soll.

Die Zusammenarbeit der Kassenärztlichen Vereinigungen Bayern (KVB), Nordrhein (KVNo) und Westfalen-Lippe (KVWL) entsprang der Erkenntnis, daß die Institutionen im allgemeinen ähnliche Aufgaben und Zielsetzungen haben, die im wesentlichen durch das Sozialgesetzbuch festgelegt sind. Auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl von Besonderheiten, die sich zum einen aus der Möglichkeit zur (weitgehend) freien Vertragsverhandlung mit den Krankenkassen und zum anderen aus der Eigenständigkeit einer selbstverwalteten Einrichtung ergeben. Es war daher von Beginn an klar, daß eine gemeinsame IT- und Anwendungsstrategie nur dann sinnvoll ist, wenn auch Verwaltungsprozesse harmonisiert werden. Auf der Basis dieser gemeinsamen strategischen Einsicht definierten die Vereinigungen drei wesentliche Ziele für die Kooperation:

-Reduktion der Kosten,

-Verbesserung und Beschleunigung von Verwaltungsprozessen sowie

-mehr Flexibilität bei der Anpassung geänderter Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen.

Vor dem Hintergrund, daß die Aufgabenstellungen nicht mit anderen Teilnehmern im Gesundheitswesen vergleichbar sind, war außerdem klar, daß eine Abhängigkeit von privaten Anbietern nicht zu groß werden sollte. Aus diesem Grund sollten wesentliche Teile der Umsetzung mit eigenen Kräften erfolgen.

Die Arbeit innerhalb der IT-Kooperation läßt sich in folgende Teilaspekte gliedern:

-Aufbau der Projektorganisation,

-Vereinheitlichung der Infrastruktur,

Konzeption und Entwicklung neuer Verfahren,

-Einführung der Verfahren.

Vorgehen und die Erfahrungen werden im folgenden jeweils kurz vorgestellt.

Von Anfang an stand fest, daß die Eigenständigkeit der Partner nicht angetastet werden sollte. Die Kooperation brauchte daher gemeinsame Gremien, die die strategische, operative und fachliche Führung dieses virtuellen Unternehmens übernehmen. Der IT-Lenkungsausschuß legt dabei die Strategie fest und ist mit dem Vorstandsvorsitzenden, den Hauptgeschäftsführern und den DV-Verantwortlichen besetzt, während der IT-Arbeitsausschuß die operativen Geschäfte führt. Dieser besteht aus den Hauptgeschäftsführern und DV-Verantwortlichen.

Die fachliche Konzeption und Umsetzung wird von sieben Centers of Competence übernommen, die jeweils in einer Partner-KV fest angesiedelt sind. Wichtige Themen sind die Kernaufgaben der KV, wie zum Beispiel Sicherstellung der ärztlichen Versorgung oder die Honorarabrechnung für die Vertragsärzte. Die Centers of Competence werden durch ebenfalls bei den Partnern angesiedelte "zentrale Dienste" in Fragen der Analyse, Entwicklung und Systemtechnik unterstützt. Die zentralen Dienste sind besonders für die Methodik und Qualitätssicherung der Teilprojekte zuständig.

Suche nach gemeinsamer Infrastruktur

Die Koordinierung der Aktivitäten zwischen den monatlichen IT-Arbeitsausschußsitzungen übernimmt ein Gesamtprojekt-Manager. Hier wurde ein kleines Team des Software- und Beratungshauses Dr. Materna GmbH verpflichtet, das die Planung, Moderation und Steuerung übernimmt.

Gleich zu Beginn des Projekts war eindeutig, daß nur auf der Basis einer gemeinsamen Infrastruktur strategische Ziele erreicht werden können. Die zentralen Dienste sollen für ihre Teilbereiche die Vereinheitlichung fachlich vorbereiten. Die Mitarbeiter sind - bis auf wenige Ausnahmen - exklusiv für die Kooperation tätig. Da die bestehenden Strukturen nicht nur verschiedene Systeme (zum Beispiel Novell-Netze und AS/400-Systeme oder Unisys und IBM-Hosts) umfaßten, sondern auch unterschiedliche Philosophien (zum Beispiel Centura und Natural) in der Anwendungsentwicklung verfolgten, war die Suche nach einem gemeinsamen Nenner nicht immer leicht.

Heute ist dieser Prozeß im großen und ganzen abgeschlossen. Bei allen Partnern gibt es eine NT-Infrastruktur mit Unix-Systemen als Datenbank-Server. Unter Führung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns wird die Konzeption weiterentwickelt und umfaßt zum Beispiel Vorgaben für die (erst zum Teil umgesetzten) Bereiche Verkabelungen, die WAN-Vernetzung oder die Sicherheitstechnik.

Abgeschlossen ist schon seit zwei Jahren die Aufnahme der Ist- und die Definition der Soll-Konzeption. Methodisch wurde hier ein objektorientiertes Verfahren nach Jacobson verwendet. Der gesamte Bereich der Analyse wird federführend von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe bearbeitet.

Für die Entwicklungsmethodik ist die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein zuständig. Hier hat man sich ebenfalls für eine objektorientierte Methodik entschieden. Da die neuen Anwendungen für viele Jahre im Einsatz bleiben sollen, wurde C++ als Programmiersprache ausgewählt. Der etwas geringeren Produktivitätund den höheren Anlaufkosten (zum Beispiel Schulung, Klassenentwicklung) steht die langfristige herstellerunabhängige Verfügbarkeit gegenüber. Die (persistenten) Objekte werden über eine Datenzugriffsschicht auf eine Oracle-Datenbank abgebildet.

Die fachliche und inhaltliche Arbeit wird von den Centers of Competence übernommen. Jeder Partner hat hier fachliche Aufgaben maßgeblich übernommen. Die jeweils anderen Partner entsenden zeitweise Ansprechpartner in das Center of Competence, um so die Belange der anderen Kassenärztlichen Vereinigungen einzubringen.

Die Aufgabenstellung der Centers of Competence deckt alle relevanten Geschäftsprozesse der Kassenärztlichen Vereinigungen ab. Ursprünglich war vorgesehen, daß die Reorganisation und deren Umsetzung durch Anwendungssysteme parallel und nach rein fachlichen Aspekten erfolgen sollten. Die praktische Projektarbeit zeigte bald, daß dieses Vorgehen problematisch ist, da die Migration der Altsysteme unübersehbare Risiken mit sich gebracht hätte. So wäre durch einen längeren Parallelbetrieb der IT-Systeme eine bidirektionale Datenreplikation nötig geworden, die die Wahrscheinlichkeit für Inkonsistenzen wesentlich erhöht hätte. Aus diesem Grund steht jetzt die schnelle Migration der Datenbestände und die damit verbundene Ablösung der Host-Systeme im Vordergrund.

Die bisher eingeführten Projekte konzentrieren sich deshalb auf die Stammdatenverwaltung und die Bearbeitung der Abrechnungsdaten. Hier handelt es sich zum Beispiel um die KV-internen Teilprojekte Sicherstellung der sogenannten vertragsärztlichen Versorgung, Kostenträgerstamm und Eingangsbearbeitung. Das Teilprojekt Sicherstellung bedeutet in diesem Zusammenhang die ausreichende also vertragsärztlich vorgesehene Versorgung mit Ärzten in der Bevölkerung. Kostenträger stellen in der Regel die Krankenkassen dar, deren Stammdaten im neuen IT-System verwaltet werden.

Es zeigt sich - noch mehr als im Bereich der DV -, wie schwer es ist, auf eigene (organisatorische) Konzepte zu verzichten. Denn wenn auch der gesetzliche Auftrag überall gleich ist, so zeigt sich doch erst auf der Detailebene, wie unterschiedlich viele Dinge gelöst sind und aus vertraglichen Gründen auch nicht vereinheitlicht werden können.

Hier gibt es lange und zum Teil kontroverse Diskussionen. Auf deranderen Seite verdeutlicht die Erfahrung in diesem Projekt, daß nur durch eine Vereinheitlichung der Abläufe eine kostengünstige Anwendungsentwicklung möglich ist. Das eigentliche Problem liegt in einem Zielkonflikt. Je mehr man versucht, eine gemeinsame Position zu entwickeln, um so höher wird der Abstimmungsaufwand. Gleichzeitig gibt es eine Tendenz zum faulen Kompromiß, der sich später nicht durchhalten läßt oder zu einer allgemeinen Verschlechterung des Projektklimas führt. Auf der Suche nach einem vernünftigen Weg haben die Kassenärztlichen Vereinigungen noch kein Patentrezept gefunden. Der Schlüssel liegt aber in einem ehrlichen Umgang miteinander und im festen Willen der Führungsebene, ein gemeinsames Ziel - allen Detailproblemen zum Trotz - zu erreichen.

Ursprünglich war geplant, alle Verwaltungsprozesse (wie die Sicherstellung der vertragsärztlich vorgesehenen Versorgung mit Ärzten in der Bevölkerung, die Abrechnung und Wirtschaftlichkeitsprüfung) im Jahr 2000 umzustellen. Aufgrund einer Risikoanalyse des externen Beraters wurde dieses Konzept frühzeitig durch ein Phasenkonzept ersetzt. Die Einführung wichtiger Teilsysteme wie zum Beispiel zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung oder zur Verwaltung der Kostenträgerstammdaten konnte so bei einigen Partnern schon im Jahr 1998 erfolgen.

Neue Herausforderungen für 1999

In diesem Jahr soll eine Bearbeitungssoftware für die sachlich rechnerische Richtigstellung der Abrechnung eingeführt werden, die die Arbeit von zirka 60 Prozent aller Anwender betrifft und eine der wichtigsten operativen Tätigkeiten nachhaltig optimieren wird. Die frühe Einführung bedeutet, daß die Aufwände für die Migration signifikant steigen. Damit dieser Effekt nicht zu stark wird, gibt es derzeit Überlegungen, die Einführungseinheiten größer zu wählen als im bisherigen Phasenplan vorgesehen.

Diese Überlegungen zeigen schon, daß mit jeder neuen Phase auch neue Herausforderungen entstehen. Die Erfahrungen aus den vorherigen Phasen (Analyse, Entwicklung) geben aber das notwendige Selbstvertrauen. Klar ist, daß mit der Einführung wieder Probleme auftreten werden und Fehler der Vergangenheit offen zutage treten. So entwickelten die Kassenärztlichen Vereinigungen zu Beginn ein umfangreiches Regelwerk für die Projektabwicklung, das sich in der Praxis als wenig effizient herausstellte. Die Mitarbeiter empfanden es eher als demotivierend. Das Regelwerk wurde daraufhin wesentlich verschlankt. Darüber hinaus war die Abstimmung zwischen den Partnern zu Beginn sehr zeitaufwendig. Hier entstand erst mühsam ein Wir-Gefühl. Auch wenn vieles erreicht wurde, bis zu einem endgültigen Erfolg ist es noch ein längerer Weg.

Angeklickt

Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) übernehmen unter anderem die Zulassung, Qualitätssicherung und Abrechnung der deutschen Kassenärzte. Die große Zahl der Geschäftsvorfälle - allein 40 Millionen bei den drei größten KV - stellt hohe Anforderungen an die IT-Strukturen. Neben dem quartalsweise auftretenden hohen Geschäftsvolumen liegt heute die eigentliche Herausforderung in dem ständig wachsenden Kostendruck und den sich häufig ändernden gesetzlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen. Vor diesem Hintergrund hat sich schon vor drei Jahren eine Kooperation der drei großen Kassenärztlichen Vereinigungen Bayern (KVB), Nordrhein (KVNo) und Westfalen-Lippe (KVWL) formiert, die eine umfassende Vereinheitlichung der Geschäftsprozesse und der IT-Infrastruktur zum Ziel hat. Der vorliegende Artikel stellt die bisher erzielten Ergebnisse und Erfahrungen aus einem Reorganisationsgroßprojekt vor, das aus zirka 40 Teilprojekten besteht, an dem mehr als 100 Mitarbeiter beteiligt sind.

Robert Bauerdick ist Geschäftsbereichsleiter IT der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe in Dortmund; Berthold Müller ist Geschäftsführer Zentrale EDV bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern in München, und Heinz Jäkel ist Abteilungsleiter der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein in Düsseldorf.