Blick hinter die Kulissen der BASF-Magnetspeicher-Produktion:

Drehen, Läppen und Schleifen

16.01.1981

WILLSTÄTT - Je höher die Kapazität einer Magnetplatte und je kürzer die Zugriffszeiten, desto geringer sind die Positionierungstoleranzen und die Flughöhe des Schreib-/Lesekopfes. Zwischen der Flughöhe und der Schichtdicke der Magnetplatte besteht wiederum eine Abhängigkeit. 571,3 MB Kapazität, 20 ms Zugriffszeit, 0,5 um Flughöhe und weniger als 1 °Am Schichtdicke, bei diesen Grenzwerten sind inzwischen moderne Magnetplatten angelangt. Sie können nur mit extrem engen Toleranzen und hohen Qualitätsanforderungen gefertigt werden. Über 100 Kontrollen und Tests hat eine Magnetplatte hinter sich, bevor sie das Werk verläßt. Die COMPUTERWOCHE hat den Werdegang einer Magnetplatte bei der BASF verfolgt.

In Willstätt bei Kehl am Rhein, unweit der französischen Grenze, befindet sich eine der modernsten Fertigungsstätten der Welt für magnetische Speichermedien. Die BASF hat hier vor rund zwölf Jahren eine Produktionsstätte errichtet, die vorwiegend den europäischen Bedarf des Unternehmens deckt. Weitere " Medienfabriken" befinden sich in den USA und in Brasilien. Das Ludwigshafener Unternehmen zählt zu den führenden Herstellern von Magnetspeichern aller Art, die teils unter eigenem und teils unter fremdem Label vertrieben werden. Es gibt kaum ein Computermodell, zu dem nicht "irgendein" Datenträger der BASF kompatibel wäre. Die Badische Anilin- und Soda-Fabrik mischte von Anfang an auf diesem Sektor kräftig mit, ja sie legte in den frühen dreißiger Jahren mit einem Tonband auf der Basis eines magnetisch beschichteten Kunststoffträgers sogar den Grundstein für die heute dominierende Technologie der Datenspeicherung.

Die modernen Produktionsanlagen in Willstätt sind zum großen Teil Eigenentwicklungen, die in den Werkstätten der BASF in Ludwigshafen hergestellt wurden. Herz der Fabrik am Oberrhein ist die "Weiße Zone", die nicht nur gegen Betriebsfremde, sondern auch gegen Betriebsangehörige aus anderen Bereichen "abgeschüttet" wird. Das aus gutem Grund. Es geht nicht nur darum, die Fertigungsgeheimnisse zu schützen. Magnetplatten "gedeihen" nur in absoluter Sauberkeit. Schon ein Staubkorn von 3 °Am Größe (3/1000stel Millimeter) kann allerlei Unheil anrichten. Und bei der Beschichtung der Rohlinge besteht sogar Explosionsgefahr durch statische Aufladung.

In der "Weißen Zone" herrscht ein geringer Überdruck, der dem Staub den Eintritt verwehrt. Die Räume sind klimatisiert. Aus fertigungstechnischen Gründen dürfen während des ganzen Jahres nur Temperaturschwankungen von 2-3 Grad auftreten (im Schnitt steht das Thermometer bei 22 Grad). An den Arbeitsplätzen, bei denen ein Laserstrahl die Beschriftung der Servospuren für Magnetplatten in Winchester-Technologie kontrolliert, ist sogar nur eine Toleranz von 0,4 Grad statthaft. Alle Mitarbeiter tragen fuselfreie Kleidung (auch der Besucher bekommt einen entsprechenden weißen Kittel "verpaßt"), in der Beschichtungsabteilung muß sie zudem frei von synthetischen Stoffen sein. Dort gehören außerdem antistatische Sicherheitsschuhe zur "Ausstattung" der Mitarbeiter.

Die BASF verwendet je nach Fertigungsstufe 60 bis 80 Prozent der Produktionszeit für Prüfzwecke. Die Tendenz ist eher steigend, denn die Technologie ist in Grenzbereiche vorgestoßen, die vor einigen Jahren noch für undenkbar gehalten wurden. Einige Beispiele jeweils im Vergleich zu 1970: Vor zehn Jahren war die Beschichtung noch 5 °Am dick, jetzt geht es schon unter die 1 °Am-Grenze. Die Flughöhe ist von 2 Fm auf 0,5 °Am gesunken (ein Menschenhaar hat etwa 60 °Am), die Aufzeichnungsdichte dagegen von 1100 bpi auf 8128 bpi gestiegen und die Zahl der Umdrehungen pro Minute von 1500 auf 3600. Fertigungstoleranzen, die vor zehn Jahren noch "tolerabel" waren, machen heute einen Magnetspeicher zum wertlosen Ausschuß. Daher mußte die BASF die Qualitätsanforderungen erhöhen und die Verfahren für die Qualitätskontrolle und für Tests verfeinern.

Am Anfang steht der unbearbeitete Rohling, eine Metallplatte. Sie besteht aus einer besonderen Aluminiumlegierung, um eine "harmonische" Ausdehnung der Metallplatte mit den übrigen Bauteilen zu gewährleisten. Schon ungleichmäßige thermische Ausdehnungen von wenigen hundertstel Millimetern würden die mechanischen Eigenschaften eines Magnetplattenstapels ungünstig beeinflussen. Die Aluminiumplatte muß praktisch spannungsfrei sein. Durch Drehen, Läppen und Schleifen wird eine extrem glatte und planparallele Oberfläche geschaffen, die erste Voraussetzung, um stabile Flugbedingungen für die Magnetköpfe zu haben. Außerdem können sich auf den extrem glatten Oberflächen der in Spezialbädern gereinigten Metallplatten kaum Staubpartikel ablagern.

Die Kontrollen und Tests beginnen mit der Fertigung der Metallplatten, wobei die eingesetzten Methoden und Verfahren von der Sichtkontrolle, über mechanische Apparaturen, bis zu optischen und elektronischen Meßinstrumenten reichen. Computer analysieren die Meßergebnisse und werten sie aus. Ein besonderer Wartungsdienst kontrolliert täglich die Prüfgeräte, wobei BASF-Ingenieure spezielle Vorrichtungen entwickelt haben.

Die einwandfreien Rohlinge werden mit einer Magnetschicht beschichtet, die extrem glatt sein muß und die im Laufe der Jahre mit fortschreitender Technologie immer dünner und härter wurde. Die Dispersion besteht aus Eisenoxidpulver, Lackrohstoffen, Lösemitteln und kleinen Mengen von Zuschlagsstoffen. Sie wird im Mühlenraum homogen vermahlen. Die bei der Beschichtung freitretenden Lösungsmitteldämpfe werden abgesaugt und zu einer Regenerierungsanlage geführt. Die Magnetschicht glättet man nach einem besonderen Verfahren. Die "Rauhigkeit" der so vergüteten Platten beträgt maximal 25 millionstel Millimeter. Das entspricht einem Zehntel der Wellenlänge des ultravioletten Lichtes! Die homogene Beschichtung verhindert im Einsatz eine Amplituden-Modulation des Ausgangspegels.

Die beschichteten Magnetplatten werden gereinigt und einer "Sichtkontrolle" unterzogen. Die beteiligten Mitarbeiter haben den "besonderen Blick", wo der Besucher auch unter dem Mikroskop keine Unterschiede zwischen einer einwandfreien Platte und Ausschuß feststellen kann. Doch für alle weiteren Kontrollen und Tests ist der Mensch überfordert. Jetzt messen und testen nur noch elektronische Anlagen. So wird auf dem Flugtestgerät jede einzelne Magnetplatte auf das Flugverhalten der Magnetköpfe genau geprüft. Dabei erzwingt man eine extrem niedrige Flughöhe der Magnetköpfe, wie sie im Betrieb nie vorkommt. Kompromißlos scheidet Magnetplatten aus, die diesen Test nicht bestehen. Anschließend prüft man mit dem Einzelplattentester jede Seite einer Magnetplatte auf die elektrischen Eigenschaften, wobei die Prüfeinrichtungen die Betriebsverhältnisse der Magnetplatte unter extremen Bedingungen simulieren. Auf dem "Prüfstand" stehen als vier wesentliche Kenngrößen der Fehlimpuls der Extrapuls, der Lesespannungspegel und der Rauschspannungspegel.