Vom Mainframe zu Unix-Systemen

Downsizing-Konzept: Portierte Daten und Neuprogrammierung

21.05.1993

Die Integration der linguistischen DV in fast jeden Arbeitsvorgang im IDS war eine der entscheidenden Vorgaben fuer das Downsizing. Sie erzwang eine Analyse der Funktion der DV an jedem einzelnen Arbeitsplatz des Instituts. Aus dieser Untersuchung erwuchs das Konzept, nach dem die Umstrukturierung und Modernisierung der DV im Hard- und Softwarebereich durchgefuehrt wurde.

Leistungsdruck stieg - Motivation sank

Ausgangspunkt fuer die Ueberlegungen des IDS waren problematische Entwicklungen: "Hinterland" und "Wirtschaftsraum" des Instituts stellen im wesentlichen die germanistischen Seminare der Universitaeten in aller Welt dar. Von diesem Umfeld hatte sich die DV isoliert. Aus verschiedenen Gruenden entwickelten sich dort die Rechnerplattformen vom Mainframe weg hin zu dezentralen, unmittelbar bei den forschenden Professoren angesiedelten kleinen Unix-Systemen. Dies hatte den Effekt, dass die IDS-DV zunehmend nicht mehr durch Software-Kauf und -Austausch an fremden Entwicklungen partizipieren konnte. Die Bereitschaft der Austauschpartner, umfaengliche Portierungsarbeiten fuer IDS-DV- Produkte durchzufuehren, schwand; gesunken war damit auch die Neigung, dem IDS eigene Produkte zu ueberlassen.

Die zunehmende Computerisierung des Umfelds erzeugte im Haus selbst enormen Bedarf an DV-Einsatz. Da dieser zunehmend nur durch Eigenprogrammierung gedeckt werden konnte, war es immer weniger moeglich, langfristige, das heisst strategische Systementwicklungen anzugehen. Die DV verlor einerseits Praesenz auf der internationalen Buehne und buesste andererseits Akzeptanz im eigenen Hause ein.

Dieser Negativbilanz stand bei den DV-Beschaeftigten selbst zunehmender Leistungsdruck gegenueber, der nicht mehr honoriert wurde. Dieses Missverhaeltnis fuehrte zu erheblichen Verzerrungen in der Personalentwicklung innerhalb der DV, was wiederum deren Leistungsmoeglichkeiten einschraenkte.

Das Wachstum der DV-Leistung - es waren zunehmend mehr Arbeitsplaetze zu versorgen - im Verbund mit dysfunktionalen und deshalb zu teuren Hardwareloesungen aus dem Mainframe-Bereich sorgte fuer eine Kostenexpansion. Dieser Sachverhalt machte die Vorstandschaft geneigt zu Umstrukturierungen der DV.

Die Analyse der Leistungen der DV im einzelnen ergab, dass die Daten, mit denen sie umging, weiterhin das Pfund ausmachten, mit dem die Benutzer des IDS in ihren wissenschaftlichen Arbeiten wuchern moechten. Die DV des IDS verfuegt ueber die groesste Sammlung deutschsprachiger Texte - eine beachtliche Ressource nicht nur zum Schreiben von Lexika und Grammatiken. Fuer die DV bedeutet dies: Es wird in den naechsten fuenf Jahren eine Vergroesserung der Datensammlung um den Faktor 50 erforderlich sein. Der benoetigte externe Speicher wird auf zirka 100 GB wachsen.

Die Bestaende der Mainframe-DV waren schlecht dokumentiert. Die Unterscheidung zwischen strategischen, durch die DV zu pflegenden Anwendungen, die allen Benutzern permanent zur Verfuegung stehen sollen, und solchen, die fuer Einzelnutzer realisiert und nach Beendigung in deren Verantwortlichkeit uebergeben wurden (Individualprogramme), war vielfach fliessend geworden. Die strategischen Programme, die die Datenbestaende fuer Online- Recherchen zur Verfuegung stellen, waren im Hinblick auf die Benutzeroberflaeche veraltet, die Strukturen im Hinblick auf die zu erwartenden Datenmengen nicht ausbaufaehig. Die historisch gewachsenen Softwaresysteme repraesentierten die Programmierstile der letzten zehn Jahre und vereinten insgesamt vier Programmiersprachen (Assembler, Fortran, Pascal, Cobol).

Dies war der Hintergrund, auf dem ueber die Strategie des Downsizings entschieden wurde. Es ergab sich daraus das folgende Konzept: Keine Programme werden das Downsizing ueberleben - also keine Portierung, sondern Neuprogrammierung. Ihr muss ein neues Design der Software und der Benutzeroberflaeche vorausgehen. Individualprogramme werden in der zukuenftigen Rechnerlandschaft, wann immer es geeignete Produkte gibt, durch marktgaengige Standardsoftware ersetzt. Die zukuenftige strategische Software orientiert sich an Client-Server-Konfigurationen.

Dieser Ansatz verbindet die zentrale Aufbereitung, Strukturierung und Pflege der Textsammlungen des Instituts mit dem Zugriff auf diese Daten und ihrer Weiterverarbeitung vom Arbeitsplatz aus. Die einzelnen Komponenten der Softwie der Hardwarelandschaft muessen einzeln und unabhaengig im Hinblick auf Memory und externen Speicherbedarf dimensionierbar sein.

Des weiteren durfte auch nicht zeitweilig der Eindruck entstehen, dass die Umstrukturierung einer Abmagerung der DV-Unterstuetzung der Nutzer im IDS gleichkommen wuerde. Durch eine Erhebung unter Nutzern und Programmierern wurden daher alle Programme ermittelt, die in der alten DV existierten. Um das Ergebnis dieser Erhebung zu verbessern, wurde den Benutzern verdeutlicht, dass fuer Programme, die nicht angemeldet wurden, nach dem Downsizing kein Ersatz zur Verfuegung stehen wuerde.

Mit noch groesserer Sorgfalt wurden alle Datenbestaende ebenfalls sowohl bei den Benutzern als auch bei den Programmierern und im Rechenzentrum erhoben. Vor allem den Mitarbeitern der DV wurde klargemacht, dass der Verlust von Programmleistung zwar Haerten am betroffenen Arbeitsplatz hervorrufen, der Verlust von Daten aber einen Verlust an Substanz der DV insgesamt darstellen wuerde.

Ein besonderes Problem bildeten die Magnetbaender. Ein guter Teil der dort gespeicherten Datenbestaende war keinen verantwortlichen Nutzern mehr zugeordnet, was die Ermittlungsarbeiten erschwerte.

Des weiteren waren diese Daten, vor allem wenn sie aus der Gruenderzeit der DV stammten, in schlecht dokumentierten Spezialformaten gehalten, die gleichzeitig Strukturinformationen darstellten. Diese Informationen wurden mit den Daten zusammen portiert. Auch enge Varianten von Daten (ganze Datenfamilien) wurden uebertragen. Ein Teil der Magnetbaender wies Alterungsschaeden auf, die dann fuer die Portierung individuelle Behandlungen durch

Programmierer, das heisst Handarbeit, erforderten.

Die Portierung der Daten auf die Datentraeger der zukuenftigen Unix-Plattformen (Gigatapes, magneto-optische Datentraegermusste beendet sein, bevor die alte Mainframe-Maschine abgeschaltet wurde. Deshalb wurde der Unix-Computer, der als Server fuer die Datensammlungen dient, ueberlappend zirka drei Monate vor dem Abschalten des Mainframes installiert.

Die Programme wurden klassifiziert in solche, deren Leistung durch Standardsoftware abgedeckt werden konnte und in IDS- spezifische, die auf dem Markt nicht verfuegbar waren. Fuer Neuprogrammierungen kamen nur letztere in Betracht. Das Downsizing durfte keine Leistungsluecke hervorrufen.

Diese Festlegungen wurden folgendermassen konkretisiert: Zirka zwei Jahre vor dem Tag X, an dem der Mainframe-Computer stillgelegt werden sollte, begann die Installation kleiner mehrplatzfaehiger Unix-Plattformen. Sie sollten auch zukuenftig das Front-end des neuen Gesamtsystems zum Benutzer hin bleiben, also als Client-Plattform in einem zukuenftigen Client- Server-Konzept dienen. Auf diesen Rechnern wurden die Softwarepakete installiert, die die Ad-hoc-Programmierungen ersetzen sollten.

Diese Pakete waren ein relationales Datenbanksystem mit Komponenten zur Masken- und Dialoggestaltung (Formular- und Menuegeneratoren) und ein Textverarbeitungs-System. Die Loesung enthielt ueber die ueblichen Wordprocessing-Funktionen hinaus eine Datenverwaltungskomponente sowie eine leistungsstarke Komponente zum regelgeleiteten Bearbeiten von Texten. Nachdem zirka die Haelfte aller DV-Benutzer Zugang zu Unix-Arbeitsplaetzen hatte, startete ein Schulungsprogramm, das alle lernwilligen Computerbenutzer in Unix, das Textsystem und in die Welt der relationalen Datenbank einfuehrte. Auf diese Weise wurden bereits vor Abschalten des Mainframes fast alle Arbeitsvorgaenge, die zwar den Computer, aber nicht die strategischen Datenbanken des IDS benoetigten, auf die Unix-Plattformen gezogen.

Gleichzeitig wurde mit dem Neudesign und der Programmierung des Online-Recherche-Programmsystems begonnen, das die grossen Datenbestaende fuer die Nutzer zugaenglich macht.

Da die DV- Mannschaft nicht ueber die Unix-Erfahrungen verfuegte, die zur effizienten Programmierung eines grossen Systems noetig sind, wurde eine Entwicklungsgemeinschaft mit einer mittelstaendischen Softwarefirma, deren Marktsegmente in der Naehe der Produkte des IDS angesiedelt waren, gesucht und gefunden.

Zirka ein halbes Jahr vor dem Tag X wurde dieses System zusammen mit bescheidenen Datenbestaenden auf einem Unix-Mehrplatz-System in einer Aussenstelle installiert und dort zum Testbetrieb freigegeben, so dass insbesondere die Benutzeroberflaeche validiert und korrigiert werden konnte. Inzwischen wurde die Client-Server- Funktionalitaet dieses Systems auf zwei weiteren Unix-Plattformen im IDS selbst getestet. Etwa zwei Monate vor dem Abschalten des Mainframes wurde die Server-Maschine montiert. Die Server- Funktionalitaeten des Recherchesystems wurden nun auf dieser Maschine installiert und getestet.

Akzeptanz bei den Anwendern

Auf diese Weise gelang es, nach der Stillegung des Mainframes die einzelnen Komponenten des zentralen Programmsystems auf akzeptablem Qualitaetsniveau fuer den allgemeinen Betrieb freizugeben.

Waehrend der letzten sechs Monate vor dem Tag X stand die Portierung der Daten im Zentrum der Downsizing-Aktivitaeten. Zirka 1300 Magnetbaender wurden in den Mainframe-Computer eingelesen, geprueft und in Standardformaten auf Magnetband zurueckgeschrieben. Die "lebenden" Daten wurden waehrend der letzten vier Wochen kopiert, je nach Funktion auf den Server-Computer oder auf einen der Client-Computer.

Durch den zunehmenden Einsatz von Standardsoftware in der Verantwortlichkeit der Benutzer selbst wurde bereits in der Umstellungsphase Programmiererkapazitaet frei. Sie wurde in die Erschliessung weiterer Computerisierungen der Arbeitsvorgaenge im IDS eingebracht.

Diese Vorgehensweise ermoeglichte es, ein benutzerorientiertes Downsizing durchzufuehren, das auch aus der Benutzerperspektive als Fortentwicklung der DV und als Leistungsanpassung an die Entwicklungen des Hard- und Softwaremarktes akzeptiert wurde.

*Dr. Robert Neumann ist Leiter der Datenverarbeitung beim Institut fuer deutsche Sprache (IDS), Mannheim. Ein weiterer Artikel des Autors ueber die Abwicklung des IDS-Downsizing-Projektes ist in der CW-Extra Nr. 6 vom 11. Dezember 1992, Seite 12, erschienen.

Das Institut

fuer deutsche Sprache ist ein Non-profit-Unternehmen. Aufgabe der DV - derzeit eine Arbeitsstelle mit 15 wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern - ist die computative Bereitstellung, Durchdringung und Erschliessung grosser Textsammlungen, die noetig sind, um die Entwicklung des Deutschen beobachten und beschreiben zu koennen. Dafuer stehen insgesamt 110 Bildschirm-Arbeitsplaetze zur Verfuegung.