Web

Dotcoms und klassischer Handel verschmelzen

21.01.2000
IDC: Was bringt das Internet im Jahr 2000?

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Das Jahr 2000 wird uns kostenlosen Internet-Zugang, Gratissoftware, die Renaissance klassischer Vertriebskanäle, eine Konsolidierung der E-Commerce-Companies und vieles mehr bescheren. Dies prognostiziert Frank Gens, Analyst bei der Marktforschungsgruppe International Data Corp. (IDC), in seiner aktuellen Studie "IDC Predictions 2000". Bereits zum fünftenmal in Folge kreisen die Voraussagen der Auguren vornehmlich um das Internet und wie es unser Leben und die IT-Landschaft verändert.

Der IDC-Studie zufolge wird die Internet-Nutzung erheblich zunehmen. Von einer Saturierung des Marktes könne keine Rede sein. In diesem Jahr sollen die Hälfte aller Amerikaner (137 Millionen) und mehr als 274 Millionen Menschen weltweit einen Zugang zum Netz haben.

Die Zahl der Nutzer soll deswegen drastisch steigen, weil laut IDC viele Firmen demnächst kostenlose Internet-Zugänge und Geräte wie Web-Telefone, PDAs (Personal Digital Assistants) und PCs herausbringen werden. Zu den Anbietern gehören alle im E-Commerce tätigen Unternehmen wie Broker, Banken, Einzelhändler, Reiseagenturen etc. In den USA bietet die Einzelhandelskette Kmart bereits zusammen mit Yahoo einen kostenlosen Web-Zugang an, in Großbritannien gilt Tesco als Vorreiter. Die Auguren prognostizieren, dass europäische E-Commerce-Händler in den nächsten 18 Monaten ihren Kunden den Internet-Zugang völlig kostenlos - also auch ohne Berechnung der Telefongebühren - zur Verfügung stellen werden.

In den zentralen Internet-Segmenten Online-Einzelhandel, Portale, Finanzdienstleistung und Tourismus wird laut IDC eine Konsolidierung stattfinden. So werden die etablierten Online-Unternehmen die kleineren hinter sich lassen; Akquisitionen, Fusionen und Joint-ventures dürften somit auch das Jahr 2000 bestimmen.

Reine Internet-Firmen werden sich künftig auch um nicht Web-basierte Kanäle und Präsenz in der "realen Welt" bemühen. Der Trend geht laut IDC hin zur "Bricks-and-Clicks"-Strategie: Durch Akquisitionen, Merger und Partnerschaften finden demnach die neuen Online-Companies und die alteingesessenen "Bricks-and-Mortar"-Firmen zueinander. Das Ergebnis werden "Multichannel Players" sein, die ihre Kunden überall erreichen, nicht nur im Web. Nicht zuletzt wird diese Entwicklung zur Folge haben, dass das derzeit beliebte Suffix ".com" für Firmennamen aus der Mode kommen wird, ja in einigen Jahren sogar antiquiert und albern klingen wird.

Eine neue Generation der virtuellen Einkaufszentren soll entstehen. Die Portale, die bereits mit Conten-Anbietern und Shopping-Malls kooperieren, werden künftig auch mit der neuen Generation von Online-Shops zusammenarbeiten, die vergleichendes Einkaufen (Shopbot-Technologie) ermöglichen. Dadurch werden Anbieter wie Lycos, Altavista und Yahoo zu Handelsmagneten.

In diesem Jahr feiert den Auguren zufolge das Internet als indirekter Vertriebskanal sein Comeback. Immer mehr Online-Händler werden ihre Waren über Dritte im Web feilbieten, ob auf den elektronischen Handelsplattformen für Unternehmen, den virtuellen Einkaufszentren oder bei Shopbot-Anbietern.

Die Business-to-Business-Transaktionen (B2B) werden heuer 77 Prozent des weltweiten E-Commerce-Marktes ausmachen. Zudem sollen IDC zufolge in diesem Jahr die Grenzen zwischen B2B und B2C (Business-to-Consumer) weiter abgebaut werden, da die bisherigen Schwergewichte im Verbrauchermarkt wie Yahoo, MSN und Lycos sich zunehmend auf den Firmenkundenhandel konzentrieren werden. Durch ihre starken Marken haben sie gute Chancen, andere B2B-Marktplätze an den Rand zu drängen.

Im Jahr 2000 werden sich die europäischen Dotcoms aufmachen, die Neue Welt zu erobern. Sie werden in den USA vermehrt Werbekampagnen und andere Marketing-Initiativen starten. Die Chancen im US-Markt sehen für paneuropäische Internet-Firmen nicht schlecht aus, da sie gegenüber den Amerikanern erheblich mehr Erfahrung mit globalen Handelsaspekten wie Fremdsprachen, verschiedene Währungen, Regulierungsfragen, Logistik und Kultur besitzen.

Technologien wie Breitband und private LANs (Local Area Networks) sind in diesem Jahr im Kommen. So sollen bis Jahresende über zehn Prozent der Online-Haushalte einen Hochgeschwindigkeits-Internet-Zugang besitzen. Das sind 2,5 mal mehr als noch 1999. Die meisten werden Kabelanschlüsse verwenden, aber auch die Nachfrage nach DSL (Digital Subscriber Line) wird steigen. Bis Ende 2000 sollen 20 Prozent aller Haushalte mit mehreren PCs ein LAN besitzen; das sind doppelt soviel wie 1999. In den USA werden laut IDC fast 38 Prozent der Haushalte ein oder mehr LANs aufweisen. Die Gründe für die Installation der privaten Netzwerke sind vor allem teuere DSL- und Kabelanschlüsse sowie die Möglichkeit, Drucker und Festplatten teilen zu können.

Allerdings soll der drahtlose Internet-Zugang sich in diesem Jahr als Stolperstein erweisen. Die Begeisterung für die neue Technologie ist zwar groß, dennoch bleibt sie zunächst ein technisches Spielzeug, da das Angebot von Schmalband-Content für PDAs und Handies noch zu dünn gesät ist. In den nächsten zwölf Monaten wollen die Anbieter hier jedoch aufholen. Daher könnte das Jahr 2001 der wirkliche Starttermin für WAP (Wireless Access Protocol) werden.

Des weiteren werden Internet-Firmen in diesem Jahr damit beginnen, Profitabilität anzustreben. Allerdings dürfte nur ein Anfang gemacht werden: In einer kürzlich durchgeführten IDC-Untersuchung gaben zwei Drittel der befragen Internet-Firmen an, sie wollten erst im Jahr 2001 schwarze Zahlen schreiben.

Gens wagt in seiner Studie auch Prognosen zu Microsoft und schillernden IT-Persönlichkeiten. So mutmaßt er, der Softwareriese werde sich freiwillig umstrukturieren oder das US-Justizministerium werde ihn zerschlagen. George Shaheen (Ex-Chef von Andersen Consulting) und Microsofts Ex-Finanzchef Greg Maffei haben seiner Meinung nach Vorbildcharakter: Andere werden es ihnen gleichtun und ihre Konzerne verlassen, um ihr Glück bei einer Dotcom-Startup-Company zu versuchen. Die Auguren tippen für dieses Jahr auf Sun-Chef Scott McNealy und Oracle-Boss Larry Ellison.