Erfahrungen beim Einsatz eines Inhouse-Kommunikationssystems:

Doppelter Posteingang ist das größte Problem

04.11.1983

Ein steigender Bedarf nach Information und Kommunikation, wie ihn große Organisationen und Firmen haben, die immer komplexer werdende Entscheidungen verlangen, verändern die qualitativen Anforderungen an Kommunikationsmedien. Die Forderungen gehen in Richtung integrierter Büro- und Kommunikationsarbeitsplätze. "Die klassischen Kommunikationsmedien wie Telefon, gelbe Post, Telex/Teletex und Telefax", meint Uta Pankoke-Babatz, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der GMD und Autorin des folgenden Beitrags, "reichen nicht mehr aus."

Neue Technologien wie Bildschirmtext oder rechnergestützte Kommunikationssysteme (Computer Based Message Systems: CBMS) können Abhilfe schaffen. Dabei wird Bildschirmtext eher dem Informationsbedarf gerecht, hingegen kann der Kommunikationsbedarf durch rechnergestützte Kommunikationssysteme abgedeckt werden.

Zu derartigen rechnergestützten Kommunikationshilfen zählen die Computer-Konferenzsysteme, zu denen das in der GMD entwickelte und eingesetzte System Komex gehört. In der Praxis zeigt sich bei der Einführung der Kommunikationssysteme, daß trotz des vorhandenen Bedarfs große Akzeptanzprobleme bei den potentiellen Nutzern dieser neuen Medien auftreten. Technische, aber auch kommunikationsspezifische Faktoren verursachen diese Probleme.

Die technischen Faktoren sind vergleichbar mit denen, die bei der Einführung von Textautomaten auftreten. So sollte die Ausstattung jedes Arbeitsplatzes mit einem eigenen Datensichtgerät und einem Zugang zu einem Drucker, ebenso wie der 24-Stunden-Betrieb des Systems selbstverständlich sein. Die Zuverlässigkeit des Systems stellt hohe Anforderungen an die Entwickler, denn Nachrichten dürfen unter keinen Umständen verlorengehen oder eingeklemmt werden oder an die falsche Adresse zugestellt werden.

Die Bedienung eines Kommunikationssystems schließlich muß so einfach sein, daß sie auch von DV-Laien in kürzester Zeit erlernbar ist. Eine einfache Bedienung läßt sich mit Hilfe einer Menuetechnik realisieren, die den Benutzer jederzeit erkennen läßt, was er gerade tut und was er veranlassen kann.

Der Bearbeitungsaufwand von Texten und Nachrichten wird im Vergleich zur klassischen Bearbeitung im Büro stark vereinfacht. Es gibt folgende Dienste:

- Textbe- und verarbeitung einschließlich Texterstellung, -formatierung und -archivierung;

- Versand- und Empfangsfunktionen für Texte (Nachrichten) mit einfacher Adressierung (Familienname genügt), automatischer Absenderangabe und automatischer Ablage;

- Beantwortungsfunktion mit automatischer Adressierung und Bezugkettenbildung;

- automatische Archivierung ein- und ausgehender Nachrichten;

- Unterstützung bei eigener Aktenablage;

- Retrieval im eigenen Archiv;

- automatische Verteilung und Vervielfältigung von Nachrichten.

Darüber hinaus bietet Komex mit Hilfe von sogenannten Konferenzen die Möglichkeit, Kommunikationsflüsse zu strukturieren. Konferenzen sind im wesentlichen allgemein einsehbare Verteilerlisten, bei denen für jeden Teilnehmer spezifische Berechtigungen zum Lesen und Schreiben vergeben werden. Die Eigenständigkeit und der Privatbereich der Nutzer werden dadurch sichergestellt, daß jeder Benutzer sein eigenes nur ihm zugängliches Archiv hat.

Start mit großer Teilnehmerzahl

Das grundsätzliche Problem der Akzeptanz bei der Neuinstallation eines Kommunikationssystems liegt darin, daß kein Benutzer allein die innovativen Vorteile dieses Systems, die über die Funktionen eines Textautomaten hinausgehen, herausfinden kann. Diese zeigen sich nur, wenn genügend Kommunikationspartner das System nutzen. Maßgebliche Voraussetzungen für die Akzeptanz sind daher:

- Kommunikationsbedarf und -volumen der Teilnehmer

- Erreichbarkeit der Teilnehmer

- Integration in den Arbeitsablauf der Teilnehmer

- Erfahrungen in der Systemnutzung und Einschätzung der Reaktion der Kommunikationspartner

- Organisation der Kommunikation.

Erreichbarkeit bedeutet hier, daß man möglichst viele Teilnehmer möglichst schnell erreichen kann. Besonders attraktiv wird das System, wenn man damit möglichst auch Korrespondenzpartner ansprechen kann, die mit anderen Medien nur schwer zu erreichen sind. Man sollte daher mit einer möglichst großen Teilnehmerzahl starten. Aus heutiger Sicht ist eine Mindestanzahl von 50 bis 60 Teilnehmern notwendig. Bei geringeren Teilnehmerzahlen ist das Kommunikationsvolumen meist zu gering (es sei denn, man hat wirklich einen geschlossenen Kommunikationszirkel herausgegriffen).

Auch passive Teilnehmer erreichen

Unter dem Aspekt der Erreichbarkeit ist außerdem wichtig, daß Empfänger von Nachrichten diese baldmöglichst ansehen. Probleme treten insbesondere bei Teilnehmern mit geringem Nachrichtenaufkommen auf, die im Sinne eines möglichst großen Teilnehmerkreises keinesfalls ausgeschlossen werden sollten. Ebenso sollten Personen, die weder Datensichtgeräte noch Rechner aktiv benutzen, als passive Teilnehmer erreicht werden können. Die Erreichbarkeit dieser Teilnehmer kann dadurch unterstützt werden, daß Nachrichten auf Wunsch des Empfängers automatisch ausgedruckt und innerhalb des Hauses auch per Botendienst zugestellt werden.

Die beiden nächst genannten Faktoren Erfahrungen in der Systemnutzung und "Organisation der Kommunikation" sind bei konventionellen Kommunikationsmedien Selbstverständlichkeiten, die man im Arbeitsalltag erlernt und annektiert hat. Beispiele dazu sind: Rednerlisten bei Sitzungen, Geschäftsordnungen in Gremien, Aktenzeichen bei Briefen oder Abnehmen des Hörers beim Telefonklingeln. Ebenso kann man einschätzen, wann man besser einen Brief schreibt oder lieber telefoniert, All diese "Selbstverständlichkeiten" sind jedoch bei der Einführung eines neuen Kommunikationsmediums nicht vorhanden. Vorhandene Regeln lassen sich nicht einfach auf das neue Medium übertragen.

Eine wichtige den Einsatz ständig begleitende Maßnahme ist die Beratung über die Einsatzmöglichkeiten. Die Benutzer müssen sich jederzeit bei der Bearbeitung neuer Aufgaben oder der Einbindung neuer Teilnehmer, durch qualifizierte Berater unterstützen lassen können. Außerdem ist es für die Akzeptanz sehr positiv, wenn interessante Teilnehmer über das System erreichbar sind.

Management nutzt intensiv

In der GMD lassen sich zur Zeit drei Benutzergruppen unterscheiden:

- Management (Vorstand, Instituts- und Abteilungsleiter)

- Verwaltung

- Forschungsbereich.

Der Forschungsbereich ist überwiegend so organisiert, daß Mitarbeiter eines Projektes den Schwerpunkt der Kommunikation innerhalb des Projektes haben und die Projektmitarbeiter räumlich nebeneinander sitzen. Die meiste Kommunikation erfolgt durch direkte Gespräche. Weitere wichtige Gesprächspartner sind häufig Mitarbeiter externer Organisationen. Der Bedarf nach neuen Kommunikationsmedien ist daher in diesem Bereich nur da vorhanden, wo auch externe Organisationen damit erreicht werden können. Komex wird deshalb bisher von diesen Mitarbeitern nur in geringem Umfang benutzt.

Mitarbeiter der Verwaltungsbereiche haben häufig Kontakte mit anderen Organisationseinheiten, insbesondere mit denen aus dem Management. Formularorientierte Vorgänge lassen sich jedoch bisher nicht mit Komex abwickeln, was den Nutzen in diesem Bereich wieder etwas einschränkt.

Die wichtigsten und intensivsten Nutzer von Komex sind die Mitarbeiter im Management. Häufig sind die Gesprächspartner nicht gleichzeitig anwesend (Dienstreisen, Besprechungen etc.). Die gesamte Komex-Korrespondenz wird von den Managern weitgehend sofort persönlich erledigt und wird dadurch wesentlich effizienter (in der GMD tippen auch die Vorstände die kurzen Antworten selbst).

Fünf Profile

Die möglichkeit, auf Nachrichten spontan persönlich zu antworten, wird von den Managern als angenehmer und unmittelbarer empfunden, als die vorherige Delegation an das Sekretariat. Die Manager der GMD bilden rund 10 Prozent der Komex-Benutzer und erzeugen etwa 50 Prozent der Nachrichten (ausgezählt für November 1982).

Eine Analyse der Nutzerdaten zeigt, daß es fünf unterschiedliche Nutzungsprofile gibt:

- Eine kleine Gruppe mit täglicher Nutzung und sehr hohem Nachrichtenaufkommen bilden vor allem die Personen des oberen Managements.

- In der Gruppe, die das System ebenfalls täglich rnit rund zwei bis fünf ein- und ausgehenden Nachrichten nutzt, finden sich hauptsächlich Personen des mittleren Managements und die Systementwickler und -betreuer.

- in der Gruppe der täglichen Nutzer, die viele Nachrichten täglich erhalten, aber nur wenige versenden, finden sich die Unterstützungskräfte. Diese erhalten Nachrichten ihrer Vorgesetzten, um über die laufende Kommunikation genauso wie bei der Briefpost informiert zu sein.

- Die dritte Gruppe der täglichen Nutzer erhält beziehungsweise versendet, nur wenige Nachrichten pro Monat und nutzt im wesentlichen die Textverarbeitungsmöglichkeiten.

- Die zahlenmäßig stärkste Gruppe der Nutzer geht durchschnittlich dreimal pro Woche an das System und erhält fünf bis zwanzig Nachrichten im Monat und versendet eine bis zehn Nachrichten. In dieser Gruppe befinden sich die meisten Mitarbeiter aus Forschung und Verwaltung.

Teilnehmer besser informiert

Die Vorteile rechnergestützter Kommunikationssysteme nur an den eventuell eingesparten Transportkosten zu messen, heißt diese Systeme unterschätzen. Ebenso sollte man diese Systeme nicht einfach als Ersatz für konventionelle Medien betrachten sondern sie müssen im Gesamtkomplex und als Ergänzung dieser Medien gesehen werden.

Der wesentliche Vorteil des Einsatzes eines rechnergestützten Kommunikationsmediums liegt in der Verbesserung des Informationsflusses und der einfacheren Verteilung und Archivierung von Information. Es ist immer dann besonders geeignet, wenn Informationen schnell an mehrere Personen verteilt werden müssen und ebenfalls eine schnelle Beantwortung erfolgen soll.

Die wichtigste Aussage der Teilnehmer: Sie fühlen sich besser informiert.

Im einzelnen nannten die Benutzer folgende Vorteile:

- breitere Verteilung von Information;

- keine Person wird versehentlich übergangen;

- Information geht nicht versehentlich verloren;

- zusätzliche Informationen werden verteilt (kleinere Randbemerkungen, Vorschläge oder Hinweise);

- Nachrichten werden schneller bearbeitet und häufiger persönlich beantwortet;

- keine Störung oder Unterbrechung, wie beim Telefon, daher auch größere Bereitschaft, Informationen weiterzugehen;

- es ist keine gleichzeitige Anwesenheit, erforderlich; Nachrichten können von jedem beliebigen Bildschirm zu beliebigen Zeitpunkten bearbeitet, werden (auch an Dienstreiseorten);

- Nachrichten sind spontaner, persönlicher formuliert als sonstige schriftliche Informationen;

- der Kopier-, Ablage-, Adressier- und Versandaufwand reduziert sich;

- Besprechungen werden besser vorbereitet, Tagesordnungen und Protokolle werden außerhalb der Sitzungen abgestimmt;

- die Zettelwirtschaft. auf dem Schreibtisch wird reduziert, da kleinere Anfragen sofort per System gestellt, beantwortet, und archiviert werden und jeder zeit wieder auffindbar sind;

- für regional getrennte Arbeitsgruppen erleichtert es ein Konferenzsystem, den persönlichen Kontakt zu halten. Gemeinsame Sitzungen können sich auf die Inhalte beschränken. Die wichtigen Ideen, die man bekanntlich immer erst nach der Sitzung hat, kann man mittels Kommunikationsmedium jederzeit weitergeben.

Spontaneität und die Direktheit der Kommunikation machen Komex eher mit dem Telefon als mit der Briefpost vergleichbar. Es wird manchmal als Ersatz für Telefonate eingesetzt, wenn man den Partner nach mehreren Versuchen nicht erreicht.

Informationsüberflutung nicht aufgetreten

Die befragten Nutzer gaben an, daß sie das System nicht als Ersatz für persönliche Gespräche (von Angesicht zu Angesicht) einsetzen würden. Dies zeigt, daß die Gefahr der Verarmung der persönlichen Kontakte zumindest bei dieser speziellen Anwendung nicht sehr groß ist. Die Befürchtung, daß Dienstwege umgangen werden, hat sich bisher als unbegründet erwiesen,

Probleme der Informationsüberflutung, wie sie zum Teil von Nutzern amerikanischer rechnergestützter Kommunikationssysteme berichtet werden, sind bisher nicht aufgetreten. Hier ist anzunehmen, daß die Möglichkeit, eigene geschlossene Kommunikationszirkel in Form von geschlossenen Konferenzen bilden zu können, und nicht zuletzt auch die Kommunikationsdisziplin der Teilnehmer dazu beigetragen haben, die erteilten Informationen auf wirklich relevante zu beschränken.

Das größte Problem bei der Nutzung von Komex ist das der doppelten Buchführung: Außer dem Posteingangskörbchen mit der Brief- oder Hauspost ist zusätzlich noch der Posteingang im System regelmäßig zu prüfen. Darüber hinaus gibt es zwei Ablagesysteme: das der Papierakten und das in Komex. Vor allem in der Anfangsphase erfolgt die alternative Nutzung der Ablagen weniger nach den vom Benutzer für geeignet gehaltenen Verfahren, sondern ist mehr durch die Rahmenbedingungen definiert, zum Beispiel dadurch, daß nur ein Teil der Korrespondenzpartner eines Vorgangs Komex-Teilnehmer sind.

Die Komex-Teilnehmer wünschen sich daher, daß alle Mitarbeiter und externe Kooperationspartner per Kommunikationssystem erreichbar sind.

Vor allem diese letzte Forderung ist für die weitere Entwicklung sehr wichtig. Gerade im Wissenschaftsbereich werden häufig auch Projekte gemeinsam mit externen Partnern durchgeführt. Es ist daher schwierig, zwischen gemeinsamen Sitzungen den Informationsfluß im notwendigen Maße aufrechtzuerhalten. Dies ist ein Grund, weshalb seit Sommer diesen Jahres zusätzlich die Möglichkeit besteht, unter geringfügigem Komfortverzicht von einem beliebigen Bildschirmgerät oder Schreibmaschinenterminal über X.29 das System zu bedienen (über eine zeilenorientierte Schnittstelle).

Im nationalen, europäischen und internationalen Rahmen gibt es seit einiger Zeit Bestrebungen, Protokolle zu definieren, die es erlauben, Nachrichten zwischen verschiedenartigen Systemen auszutauschen. Internationale Standards werden von der CCITT entwickelt (Consultative Committee for International Telegraphy and Telephony). Da die endgültige Verabschiedung dieser Protokolle noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, gibt es schon im Vorfeld Projekte, die für den Zusammenschluß einiger spezieller Systeme Protokolle entwickeln oder bereits entwickelt haben; etwa das von der Europäischen Gemeinschaft geförderte Projekt GILT (Get Interconnection of Local Textsystems).