IT in der öffentlichen Verwaltung/Leichter Auftrieb bei Investitionen in Software

Dokumenten-Management und Workflow setzen sich durch

02.01.1998

Kostenoptimierung ist sicherlich eines der wichtigsten Schlagworte: Die Belastung der öffentlichen Haushalte hat ihren Höhepunkt erreicht; manche Bundesländer geben bereits 70 Prozent ihrer Einnahmen für ihre Be- schäftigten aus. Diese Situation ist auf Dauer nicht tragbar, so daß nun in allen Bereichen nach Einsparungsmöglichkeiten gesucht wird.

Im Widerspruch dazu scheint die gleichzeitige Forderung nach mehr Bürgernähe sowie einer Verbesserung des Bürgerservices zu stehen. Außerdem kommen zusätzliche Aufgaben durch Veränderungen in Europa auf die Bundesbehörden zu.

Das Zurückschrecken vor größeren Investitionen angesichts der angespannten Finanzlage trägt dazu bei, daß Dokumenten- Management- und Workflow-Lösungen nur allmählich ihren Weg in die Institutionen von Bund, Ländern und Kommunen finden.

Trotzdem zeigen einzelne Projekte, die sich derzeit in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden, einen Wandel. Der Hauptanteil der IT-Investitionen entfällt zwar auf den Hardwarebereich, doch entwickelt sich dieser rückläufig, während die Bereiche Software beziehungsweise externe IT-Dienstleistungen einen leichten Auftrieb erhalten. 1996 wurden 4,4 Milliarden Mark für Hardware und jeweils 2,5 Milliarden Mark für Software und Service ausgegeben. Dies hat das Marktforschungsunternehmen Tech Consult in Kassel ermittelt. 1998 gehen demzufolge die Hardware-Investitionen auf 4,2 Milliarden Mark zurück, während für Software 2,8 Milliarden und für den Service 2,6 Milliarden Mark vorgesehen sind.

Einen zunehmenden Anteil an den Software-Investitionen wird der Bereich DMS und Workflow beanspruchen. Eignet sich aber für Behörden der Einsatz solcher komplexen Anwendungen genauso wie für Wirtschaftsunternehmen?

Die Voraussetzungen sind unterschiedlich, vor allem aufgrund der personellen Strukturen und der grundverschiedenen Motivation der Mitarbeiter. Das bedeutet aber nicht, daß durch den Einsatz moderner Technologien bei Behörden nicht ähnliche Erfolge zu erzielen sind. Voraussetzung ist allerdings die Fähigkeit zum Umdenken.

Doch auch seitens der Softwarehersteller wurde Umdenken verlangt: "Bei der in letzter Zeit von den Herstellern diverser Workflow-Systeme propagierten und realisierten Einführung in Behörden wird häufig betont, daß gerade die öffentliche Verwaltung wegen ihrer stark strukturierten und standardisierten Verfahren und Abläufe der ideale Anwendungsbereich für solche Systeme ist", erklärt Michael Haischer, Leiter des Marktstrategie-Teams Öffentliche Dienstleister am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). "Interessanterweise hat sich für uns in verschiedenen Projekten im Verwaltungsbereich gezeigt, daß diese Annahme oft nicht korrekt ist - auch Verwaltungsprozesse weisen ein hohes Maß an Flexibilität und Variabilität auf, die mit einer standardisierten Workflow-Lösung nur schwer oder gar nicht unterstützt werden können", so Haischer weiter.

Zu derselben Feststellung kam man auch beim Poliflow-Projekt, das sich im Rahmen des Forschungsprogramms Polikom mit der Entwicklung eines Systems zur zuverlässigen und sicheren Vorgangsbearbeitung für verteilte Anwendungsumgebungen beschäftigt.

In einer Gemeinschaftsaktion entwickeln Hewlett-Packard, die beiden Stuttgarter Universitätsinstitute IAT (Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement) und IPVR (Institut für Parallele und Verteilte Höchst- leistungsrechner) sowie die Oberfinanzdirektion Berlin Werkzeuge und Methoden, um Verwaltungsabläufe innerhalb und zwischen Organisationen standortübergreifend auf möglichst effiziente Weise zu gestalten und zu unterstützen. Anlaß des Projekts ist der Regierungsumzug nach Berlin, der Telekooperation zwischen den in Bonn verbleibenden Institutionen und Berlin notwendig macht.

Auch andere überregionale Behörden befassen sich zur Zeit mit der Implementierung von Workflow-Lösungen. Beispielsweise führt das in Berlin ansässige Bundeszentralregister die Workflow-Lösung "In Concert" ein, um damit eine elektronische, ganzheitliche Sachbearbeitung zu erreichen. Dadurch sollen etwa zehn bis 15 Prozent der Administrationskosten eingespart werden. Pro Jahr gehen dort im Schnitt 6,8 Millionen Anfragen von Gerichten, Staatsanwaltschaften, Polizei oder Behörden zu polizeilichen Einträgen der Bürger ein. Neben der Senkung der Kosten ist hier auch die Zuverlässigkeit der gelieferten Daten ein ausschlaggebender Faktor. Das Projekt wurde in diesem Jahr mit dem "Giga Award" in Silber gekürt.

Unter dem Namen "Domena" startete 1996 ein Pilotprojekt bei der Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung (KBSt). Domena steht für "Dokumenten-Management und elektronische Archivierung im IT-gestützten Geschäftsgang" und hat die vollständige elektronische Akte als Ziel. Die von CSE Solutions gelieferte Lösung besteht aus mehreren Modulen; so kommt neben den wesentlichen auf der Vorgangsbearbeitung CSE/Workflow-basierenden Komponenten das Archiv "Arcis" zum Einsatz.

Doch auch für kleine Verwaltungen und Gemeinden ist das Thema elektronische Vorgangsbearbeitung von Interesse. Eine Vorreiterrolle übernahm hier die Verwaltungsgemeinschaft Offingen, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt hatte, um die auch in kleinen Gemeinden aufwendigen Vorgänge zu optimieren. Die Software "Easy-Workflow", eine Produktkombination aus elektronischer Archivierung und Vorgangsbearbeitung schafft hier Abhilfe. Sie wird zur Zeit noch intern eingesetzt, soll aber in ihrer Endkonfiguration auch die Einbindung externer Stellen ermöglichen. Dann lassen sich beispielsweise Buchungsbelege elektronisch zur Kontrolle und Abzeichnung an die Feuerwehr, einen Kindergarten oder ähnliches leiten. Kürzere Liegezeiten und eine erhöhte Sicherheit vor Dokumentenverlust sind angestrebte Ziele. Das in diesem Projekt erarbeitete Modell läßt sich auch von anderen Gemeinden übernehmen: "Das Interesse ist beachtlich", meint Rainer Groß, geschäftsleitender Beamter, Kämmerer und DV-Administrator der VG Offingen.

Langfristig zeichnet sich der Trend ab, das Selbstverständnis von Verwaltungen in Richtung Dienstleistungsunternehmen zu entwickeln. Damit einher geht eine gravierende Veränderung des "klassischen" Behördenarbeitsplatzes. Dazu Eckart Werthebach, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern: "Datenverarbeitung, die Verkürzung der Informationswege, der PC am Arbeitsplatz und auch das papierlose Büro verändern die traditionellen Arbeitsplätze."

Anlaß dieser Äußerung Werthebachs ist ein Pilotprojekt des Bundesverwaltungsamts in Köln, das im Juni 1997 in Betrieb genommen wurde. Statt Darlehen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög) in Form von Akten und Mikrofilmen zu bearbeiten, unterstützt nun das integrierte Dokumenten- und Workflow-Management-System "COI-Businessflow" die Mitarbeiter der Bafög-Abteilung. Heute sind die Zugriffszeiten auf Dokumente reduziert, außerdem wurde eine bessere Prozeßtransparenz erreicht.

Die Arbeit an sich wurde anspruchsvoller

Den Investitionskosten in Höhe von 5,4 Millionen Mark stehen Einsparungen beim Personal in Höhe von 9,6 Millionen Mark in den ersten vier Jahren gegenüber. Damit haben sich bereits im dritten Jahr nach abteilungsweitem Einsatz des DMS die gesamten Kosten amortisiert. Der positive Kapitalwert für das Jahr 2005 wird auf mehr als 4,8 Millionen Mark berechnet.

Auch das Projekt beim LSV Oberbayern (Landwirtschaftlicher Sozialversicherungsträger) kann mit konkreten Zahlen belegen, wie sich die Workflow-Software "Visual Workflo" auf die Geschäftsprozesse ausgewirkt hat: Die Produktivität der Arbeitsabläufe ließ sich um bis zu 30 Prozent steigern, die Durchlaufzeiten wurden um rund 90 Prozent schneller. Man rechnet mit einer Amortisationszeit von etwa zwei Jahren. Aber nicht nur Zahlen verraten etwas über den Nutzen: Durch die elektronische Verfügbarkeit können Mitarbeiter Vorgänge schneller und parallel erledigen. Die Arbeit an sich ist anspruchsvoller geworden. Zudem erreichte der LSV Oberbayern durch die Workflow-Lösung die komplette Integration aller vorhandenen elektronischen Systeme, was zu einem erhöhten Bedienkomfort führte. "Die dahinterliegenden Systeme berühren den Sachbearbeiter somit gar nicht mehr, und er muß auch nicht wissen, auf welchem System er sich befindet", erläutert Helmut Bartels, Referatsleiter Organisation und Qualitätsmanagement beim LSV und gleichzeitig Verantwortlicher für das Projekt.

Für Behörden gilt also ebenso wie für Unternehmen: Der Einsatz komplexer IT-Anwendungen sorgt für Kostenreduktion, Effektivität und Flexibilität, und der "Kunde" erhält schneller und besser, was er braucht.

ANGEKLICKT

Nicht immer ist es gleich der Regierungsumzug von Bonn nach Berlin, der Investitionen in innovative IT-Anwendungen zwingend macht. Trotz der Einsparmöglichkeiten, die in allen Bereichen gesucht werden - Stichwort "schlanker Staat" - wird auch immer häufiger der Forderung nach mehr Bürgernähe gehorcht, denn beides, Sparen und "Kundenorientierung", ist durchaus unter einen Hut zu bringen. So machen Dokumenten-Management und Workflow langsam, aber sicher ihren Weg in die öffentlichen Verwaltungen. Unterschiedliche Systeme sind im Einsatz und können sehr wohl vorgezeigt werden. Der "klassische" Behördenarbeitsplatz und das Mitarbeiterprofil ändern sich parallel dazu erheblich.

*Dr. Martina Reetz ist freie Journalistin aus Stockelsdorf bei Lübeck.