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Dokumenten-Management: Ein Markt im Wandel

04.09.2000
Ein Streifzug durch die hiesige DMS-Szene

CW-Bericht von Beate Kneuse

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Wie die Maden im Speck könnten sich die Anbieter von Dokumenten-Management-Systemen (DMS) eigentlich fühlen. Doch der Schein trügt. Bisher gängige Stand-alone-Systeme verlieren an Bedeutung, der Trend hin zum E-Business erfordert unternehmensweite Lösungen sowie Offenheit für neue Themen. Gefragt ist zudem ein gewisses Maß an Internationalisierung. Der Markt ist im Umbruch.

Geht man vom traditionellen Geschäft der DMS-Anbieter aus, also dem Digitalisieren von Papierdokumenten, deren Archivierung in Datenbanken beziehungsweise Speichern auf optischen Speichermedien inklusive des Einrichtens eines "Workflows" zur flexiblen Weiterleitung, ist der Markt zu maximal 15 Prozent erschlossen. Das wird sich nach Ansicht vieler Marktforscher allerdings ändern: Nachdem Großprojekte wie die Euro- und Jahr-2000-Umstellung überwiegend abgeschlossen sind, werden wieder Mittel für das Dokumenten-Management frei. So erwartet die Gartner Group bis 2002 ein jährliches Wachstum des weltweiten DMS-Marktes auf 33,7 Milliarden. Dies bedeutet nahezu eine Verdoppelung des letztjährigen Volumens, das sich auf 17,8 Milliarden Dollar belief. Dabei wird der US-Markt weiterhin den Ton angeben. Dessen Anteil betrug im vergangenen Jahr 57 Prozent, was einem Volumen von knapp 10,4 Milliarden Dollar entspricht.

Die vermeintlich hervorragenden Perspektiven können indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf die etablierten Anbieter große Herausforderungen warten. "Das einst eigenständige DMS-Segment ist längst Bestandteil der allgemeinen IT-Landschaft geworden", erklärt Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der Project Consult Unternehmensberatung GmbH in Hamburg. Die Ursache hierfür ließe sich klar festmachen: "Nahezu alle Anwendungen erzeugen, verarbeiten, verteilen, verwalten und speichern heute Dokumente. Der Branche ist ihr Alleinstellungsmerkmal verloren gegangen." Zusätzlichen Druck übe das Internet aus. E-Business, Web-Portale und Content-Management erforderten nicht nur neue Lösungskonzepte, sondern brächten auch immer mehr Internet-Firmen hervor, die sich ebenfalls dem Thema Workflow und Dokumenten-Management widmen.

Kampflos werden die angestammten DMS-Unternehmen das Feld nicht räumen ­ in einem Markt, den sie zwar weitgehend bestimmen, der aber hierzulande mit rund 200 Anbietern zersplittert und wettbewerbsintensiv wie kaum ein anderer ist. So arbeiten alle an der Erweiterung ihres Produktportfolios (und dabei speziell an der Web-Fähigkeit), um den zu erwartenden Nachfrageschwund nach Stand-alone-Lösungen aufzufangen. Gleichzeitig sind einige seit geraumer Zeit mit hausgemachten Management-Problemen beschäftigt, so etwa Filenet und Ixos. Andere wie SER, CE Computer Equipment und Easy Software sind mit der Integration ihrer zuletzt zahlreichen Firmenakquisitionen beschäftigt, mit denen sie sich Internationalität und Technologie zugekauft haben.

Gerade in den USA treten Trends wie Web-Content-Management, also die dynamische Verwaltung strukturierter Web-Inhalte, HTML-Seiten, Datenbanken etc. zunehmend in den Vordergrund.

Eine Welle, die nach Deutschland überschwappt. Rudolf Gessinger, Chef der deutschen Filenet-Filiale, ist sich sicher: "Für alle Unternehmen wird es darum gehen, die Vielfalt von Dokumentenformaten, seien es normale Word-Dateien, E-Mails mit und ohne Attachments oder HTML-Seiten, zu verwalten sowie den Zugriff für alle Beteiligten zu jeder Zeit sicherzustellen ­ und ihre Kunden in die digitalen Prozesse einzubinden."

Filenet sieht sich hier gut gerüstet: Bereits im vergangenen Jahr erzielte das Unternehmen eigenen Angaben zufolge mit entsprechenden Lösungen Einnahmen von rund 30 Millionen Dollar (bei einem Gesamtumsatz von 347 Millionen Dollar); unlängst meldete die US-Company für die erste Jahreshälfte 2000 hier Umsätze von 34,4 Millionen Dollar. Dennoch dürften deutsche Kunden dazu bislang wenig beitragen. Zwar kam Filenet jüngst mit Discount-Broker Consors AG ins Geschäft, doch über solche publicityträchtigen Einzelabschlüsse kam Filenet bisher nicht hinaus. DMS-Experte Kampffmeyer glaubt zu wissen, warum: "In Deutschland verfügt das E-Business für sich noch über keine relevante Perspektive. Das große Potenzial für Filenet liegt im Ausbau seiner bestehenden Großkundenklientel, um dort aus den bestehenden DMS-Inseln unternehmensweite Lösung zu kreieren und dabei gleichzeitig die neuen Internet-Trends zu berücksichtigen."

Kunden wollen Kontinuität

Für den seit Januar 2000 amtierenden Gessinger gilt es überdies, den hierzulande ramponierten Ruf des Unternehmens wieder herzustellen. Zahlreiche Wechsel im Management und eine hohe Mitarbeiterfluktuation führten zu Instabilität und den Verlust von Kunden. Die Schwächeperiode des Unternehmens blieb Konkurrenten wie SER, CE oder Easy und Ixos nicht verborgen. Die Wettbewerber nutzten jede Gelegenheit, im Filenet-Revier zu wildern. Damit soll nun Schluss sein. "Großkunden wollen Kontinuität. Dafür werde ich sorgen", zeigt sich Gessinger optimistisch. Insider meinen zudem, dass Filenet die Integration akquirierter Firmen und eine technologische Neupositionierung schon hinter sich habe ­ eine Aufgabe, die einigen anderen deutschen Konkurrenten noch bevorsteht.

Mitten in diesem Chaos steckt zurzeit die Münchner Ixos Software AG. Das frühere deutsche Vorzeigeunternehmen der Branche, das sich mit seinen Produkten weitgehend auf die SAP-Welt konzentrierte und im Fahrwasser des Walldorfer Softwareriesen lange Zeit geruhsam vor sich hinschipperte, ist in schwere See geraten. Umsatz- und Ertragsziele wurden zuletzt mehrfach verfehlt, und zu allem Überfluss steht der Verdacht im Raum, Topmanager hätten ihr Insiderwissen missbraucht und vor der Bekanntgabe enttäuschender Quartalsergebnisse riesige Aktienpakete verkauft.

Das schlingernde Boot wieder auf Kurs bringen soll nun nach einem Austausch des Topmanagements der Ex-Fujitsu-Siemens-Geschäftsführer Robert Hoog. Seine Aufgabe ist es, Ixos zurück in die Gewinnzone zu führen und dabei die zu enge Bindung an SAP zu lockern. Mit einem Marktanteil von 65 Prozent im R/3-Umfeld ist Ixos zwar nach wie vor unumstrittener Marktführer bei Archivsystemen. Längst aber hat der Mitbewerb mobil gemacht ­ auch mit Schützenhilfe von SAP, die Ixos nicht mehr als alleinigen Partner in diesem Bereich sieht. Hinzu kommt: Die Abnabelungsversuche der technisch versierten Münchner DMS-Schmiede, die zuletzt aufgrund des dramatisch eingebrochenen Aktienkurses bereits als Übernahmekandidat gehandelt wurde, haben bisher nicht zum erwünschten Erfolg geführt. Dies gilt für das Web-basierte Dokumentenportal "Ixos-E-Con" ebenso wie für das auf der Microsoft-Plattform basierende Archivsystem "Exchange-Archive".

Während Ixos also nolens volens um Ordnung in den eigenen Reihen bemüht ist, stehen bei der deutschen Konkurrenz vor allem der Auf- und Ausbau der internationalen Aktivitäten im Vordergrund. Ganz oben auf der To-do-Liste findet sich der US-Markt ­ kein Wunder angesichts der Wachstumsprognosen. Schnelligkeit ist Trumpf, also sind Zukäufe angesagt. Am Geld mangelt es ihnen nicht. Aufgrund ihres Börsengangs an den Neuen Markt ist die Kasse in den meisten Fällen gut gefüllt.

Besonders ins Zeug legte sich dabei die SER Systems AG, Neustadt/Wied. Mit Docsys, einem Value-Added Reseller für DMS und Workflow-Produkte, Macrosoft, einem Lieferanten von DMS-Systemen für den Finanzsektor, sowie EIS International, einem Anbieter von Web-basierten Call-Center-Lösungen, angelte sich SER-Chef Gert Reinhardt schon drei US-Companies. Lohn der Investitionen: Nach Ansicht von Analysten der BHF-Bank dürfte SER den Anteil des US-Geschäfts in diesem Jahr auf rund 42 Prozent beziehungsweise 92,4 Millionen Euro erhöhen ­ bei einem erwarteten Gesamtumsatz von 220 Millionen Euro. Auch in Bezug auf die neuen technologischen Anforderungen im DMS-Umfeld sehen die BHF-Marktbeobachter SER ganz vorn mitmischen. Mit "SER-Brainware" werde beispielsweise die bestehende DMS-Kompetenz um den Bereich Knowlegde-Management erweitert.

Um jedoch diese Produktstrategie in klingende Münze umsetzen und nach der vorerst abgeschlossenen Shoppingtour wieder organisch wachsen zu können, wird man bei SER nicht umhinkommen, verstärkt Vertriebspartnerschaften und Kooperationen mit Systemintegratoren einzugehen. In Fachkreisen wird SER derzeit nicht unbedingt das beste Zeugnis ausgestellt: Das Unternehmen habe sich übernommen, trage einen Bauchladen vor sich her (neben den USA kaufte SER auch in Großbritannien, Frankreich, Österreich und der Schweiz zu), heißt es hinter vorgehaltener Hand. Die erworbenen Produkte ließen sich nur schwer zu Lösungen integrieren.

Heimlich, still und leise hat sich unterdessen auch die CE Computer Equipment AG zu einem wichtigen Anbieter gemausert. Vor allem in puncto Aktienkurs und damit Marktkapitalisierung stehen die Bielefelder derzeit am besten da. 1984 als Systemintegrator gegründet, stellten sich die Westfalen Ende der 80er Jahre als Lieferant digitaler Archivsysteme und DMS-Lösungen auf und sind nach Auskunft von Vorstandsmitglied Jürgen Brintrup seit einigen Jahren ausschließlich in diesem Geschäft tätig. Der Fokus wurde zuletzt durch Zukäufe um Workflow- und Internet-Kompenenten, aber auch um Knowledge-Management erweitert.

Probleme bei Akquisitionen

CE lässt bei Übernahmen Vorsicht walten, will wie bisher auch künftig pro Jahr mindestens zu 50 Prozent aus eigener Kraft wachsen. Insgesamt peilen die Bielefelder für das laufende Geschäftsjahr Einnahmen von rund 145 Millionen Mark (1999:98,1) an. Darin enthalten sind noch nicht die Umsätze der US-Company Treev. Obwohl beide Unternehmen seit November 1999 fusionieren wollen, zieht sich der Deal hin. Der amerikanischen Börsenaufsicht bereitet anscheinend der Übernahmemodus in Form eines Aktientauschs mit einem ausländischen Unternehmen Kopfzerbrechen. Treev, Spezialist in Sachen DMS und Content-Management, würde CE nicht nur technologisch voranbringen, sondern verfügt laut Brintrup in den USA auch über eine gute Marktposition bei Banken, Versicherungen (der ureigenen CE-Klientel) sowie der Telekommunikation. Spätestens Ende September soll der Deal in trockenen Tüchern sein.

Daneben geht es aber auch bei CE darum, die Produktpalette zu konsolidieren. Allein die Übernahme der Siemens-Tochter Sidoc Ende 1998 bescherte den Bielefeldern drei zusätzliche Archivsysteme, die bis heute angeboten werden. Man darf auf die Reaktion der Kunden gespannt sein, wenn CE die längst überfällige Bereinigung des Produktportfolios vornimmt. Unruhe könnte in der nächsten Zeit auch bei den Vertriebspartnern aufkommen. Für die CE-Verantwortlichen ist der Schritt hin zum Application-Service-Providing-(ASP-)Geschäft beschlossene Sache. Die Freude der Partner dürfte sich in Grenzen halten. Derzeit entfallen im Rahmen des Lizenzgeschäfts, das auch künftig rund 65 Prozent zum Umsatz beitragen soll, an die 50 Prozent auf Partneraktivitäten.

Mit dem ASP-Geschäft liebäugelt auch die Easy Software AG. Mit "Web-@rchiving" bieten sie über ihre eigens gegründete Tochter MyEasy@de.AG neuerdings in Zusammenarbeit mit dem Rechenzentrum Eurodata diesen Outsourcing-Service an. Er soll den weltweiten Zugriff auf persönliche Web-Archive rund um die Uhr gewährleisten. Die Offerte gilt vorerst allerdings nur für Deutschland. Easy wurde 1990 als Archivierungsspezialist gegründet und brachte 1993 mit "Easy-Archiv" ihr Hauptprodukt auf den Markt. 1996 erhielt man die Zertifizierungsweihen von SAP.

Obwohl viele Experten das Unternehmen gern in einem Atemzug mit SER, CE und Ixos nennen, spielen die Mühlheimer noch in einer anderen Liga: Seit jeher setzt Easy auf Massengeschäft und Partnervertrieb. Rund 75 Prozent der Geschäfte laufen über den indirekten Vertrieb, der über derzeit rund 450 Distributoren und Vertriebspartner in rund 30 Ländern erfolgt. Stammklientel sind der Mittelstand und kleinere Unternehmen. In Großunternehmen tauchen Easy-Systeme daher, wenn überhaupt, nur als Abteilungslösungen auf.

Schwachpunkt ist daher zwangsläufig das Dienstleistungsgeschäft, Großprojekte waren bislang Mangelware. Entsprechend abhängig, monieren Marktbeobachter, ist das Unternehmen von den Lizenzerlösen, die im vergangenen Jahr 66 Prozent des Gesamtumsatzes (95 Millionen Dollar) ausmachten. Bei Easy selbst sieht man dies nicht als Problem an: "Angesichts der geringen Marktsättigung kann man mit den Lizenzen gute Umsätze erwirtschaften", erklärt Unternehmenssprecher Jörg Pläsker gelassen. Dennoch haben auch die Mühlheimer die Zeichen der Zeit erkannt, arbeiten an der Verbesserung der Web-Fähigkeit ihrer Lösungen und nehmen neue Marktsegmente wie Portallösungen, Content- und Knowledge-Management ins Visier.

Nicht unbedingt in der Champions League spielt Easy auch in Sachen Internationalisierung. Mit 15 Prozent ist der Auslandsanteil des Geschäfts ausgesprochen bescheiden. Er soll deshalb in den kommenden zwei, drei Jahren auf 50 Prozent aufgestockt werden. Besonderes Augenmerk richtet man dabei auf die USA. Dort ist man zwar seit Mitte 1999 in Philadelphia mit einer eigenen Tochtergesellschaft vertreten, ein Übernahmekandidat, der den Marktzutritt erleichtert, scheint bislang aber noch nicht in Sicht.

Die Karten wurden

neu gemischt

Einen Multiplikationseffekt ­ ähnlich wie in Deutschland und Europa ­ erhofft sich Easy deshalb vor allem von Kontakten zu Beratungsgesellschaften. Tatsächlich kann das Unternehmen im SAP-Umfeld eine ansehnliche Liste an Partnern aufweisen. Dazu zählt seit Januar auch die CSC Ploenzke AG. Auf das SAP-Geschäft allein aber will sich das Unternehmen nicht verlassen. Seit 1998 ist es auch mit Microsoft im Rahmen einer internationalen Partnerschaft verbandelt. Und mit der letztjährigen Mehrheitsbeteiligung an der Solsys-Gruppe in Österreich, Frankreich und Tschechien versucht man sich nun auch im AS/400-Markt von IBM. Ob die Rechnung aufgeht, bleibt abzuwarten.

An Spannung in der dynamischen DMS-Szene dürfte es somit auch in Zukunft nicht fehlen. Und mehr denn je wird es für die etablierten Anbieter darum gehen, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Denn außer den direkten Konkurrenten werden sich andere IT-Größen für das lukrative Geschäft interessieren. "Da DMS-Basisfunktionalitäten in Anwendungen der Oracles und Microsofts dieser Welt angekündigt sind, werden die Karten im DMS-Geschehen neu gemischt werden", ist sich Filenet-Deutschland-Chef Gessinger sicher. "Das sind die Wettbewerber von morgen", glaubt auch DMS-Experte Kampffmeyer.