Dokumentation für die Revision

17.10.1980

Dr. Rüdiger Martienß, Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH, Hamburg

Ein überproportionaler Anteil der betrieblichen Software-Aufwendungen muß zur Wartung bestehender Anwendungssysteme aufgebracht werden. Ein gewichtiger Grund für diese Entwicklung liegt unter anderem in der oftmals mangelhaften manuellen EDV-Dokumentation: Projekte stehen fast immer unter dem Zeitdruck der Einhaltung des Einführungstermins, wobei in der Regel die projektbegleitende Dokumentation vernachlässigt wird. Aber auch der nachträglichen System- und Programmdokumentation sowie der Dokumentation nach Systemänderungen wird nicht die nötige Bedeutung beigemessen, so daß es in der betrieblichen Praxis häufig als Regelfall anzusehen ist, daß Anwendungssysteme im Praxiseinsatz sich befinden, deren gesamte EDV-Dokumentation - unter Prüfungsgesichtspunkten - nicht den Ordnungsmäßigkeitserfordernissen entspricht.

Es soll deshalb die Frage untersucht werden, ob für Zwecke der EDV-Revision durch externe und interne Revisionsorgane maschinelle Dokumentationsverfahren eine Prüfungsgrundlage zur Verfügung stellen, deren Ausgestaltung und Beweiskraft die Durchführung einer System- und Programmprüfung mit hinreichender Genauigkeit erlaubt. Neben der Festlegung der Dokumentationserfordernisse und der globalen Klassifikation der Dokumentationssoftware besteht das Ziel der Analyse in der Beurteilungsmöglichkeit angebotener maschineller Dokumentationssysteme hinsichtlich ihrer Bedeutung für eine Prüfung des EDV-Rechnungswesens durch externe und interne Revisionsstellen.

Klassifikation maschineller Dokumentationsverfahren

Es ist nicht neu, den Computer als Dokumentationshilfsmittel zu benutzen. Eine Reihe von Dokumentationsunterlagen wie beispielsweise Umwandlungslisten Testergebnisse etc. sind auch Bestandteil jedes manuellen EDV-Dokumentationssystems. Die maschinelle Dokumentationssoftware bietet jedoch weiterreichende Möglichkeiten an, um (zumindest Teile) der Dokumentationserstellung zu automatisieren. Die Möglichkeiten der maschinellen Dokumentationserstellung lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien gliedern:

- Maschinelle Dokumentationssoftware

- nach dem Automatisierungsgrad

- automatische Dokumentation

- computergestützte Dokumentation

- nach dem Dokumentationsumfang

- EDV-Dokumentation

- Teilgebiete der System- und

- Programmdokumentation

- nach dem Dokumentationszeitpunkt

- Vorausdokumentation

- Simultandokumentation

- Rückwärtsdokumentation

- nach der Verfahrensaufgabe

- Programmierhilfen mit Dokumentationsfunktionen

- echte Dokumentationssysteme

- Data Dictionaries

Anforderungskriterien aus Revisionssicht

Im Rahmen der - bei einem EDV-Rechnungswesen adäquaten ursachenbezogenen Verfahrensprüfung - durchzuführenden Prüfungstätigkeiten werden die externen und internen Prüfungsorgane vorrangig auf die vorhandene Dokumentation zurückgreifen. Hieraus kann gefolgert werden, daß die Prüfungsintensität von der Qualität der vorgelegten EDV-Dokumentation abhängig ist; denn eine Systemrevision anhand der Dokumentationsunterlagen kann immer nur so exakt und detailliert sein, wie das System (in allen Phasen der Entwicklung) sowie die EDV-Programme dokumentiert sind. Da also die Qualität der EDV-Dokumentation die Prüfungsdurchführung der EDV-Revision wesentlich beeinflußt, sollen zunächst die formellen Anforderungen an die Ordnungsmässigkeit der EDV-Dokumentation, die sich aus den GoB ableiten lassen, aufgezeigt werden (nach Rausch):

- Formelle Anforderungen an die EDV-Dokumentation aus Revisionssicht

- Grundsatz der Verständlichkeit

- verbale Erläuterungen

- anschauliche Darstellungsform

- vereinheitlichte Darstellungstechnik

- schematische Darstellungsform

- Grundsatz der Aussagefähigkeit

- aktuelle Darstellung

- geringer Änderungsaufwand

- hoher Detaillierungsgrad

- anwendungsfreundliche Darstellungsform

- redundanzfreie Informationen

- systematische Darstellungstechnik

- Grundsatz der Zeitgerechtigkeit

- zentrale Aufbewahrung

- schnelle Zugriffsmöglichkeit

- gleichzeitige Darstellung

- Grundsatz der Sicherheit

- Richtlinien

- Verantwortungsabgrenzungen

- Dokumentationsfreigaben

- Kontrollmöglichkeiten

Neben den formellen Ordnungsmäßigkeitskriterien ist außerdem der Leistungsumfang, das heißt die inhaltliche Ausgestaltung der EDV-Dokumentation, von Bedeutung. Der abzuleitende Grundsatz der Vollständigkeit sollte sogar als das gewichtigste Kriterium unter Revisionsgesichtspunkten gelten.

Bewertung der maschinellen Dokumentationssoftware

Zur exakten Beurteilung jedes einzelnen Dokumentationssoftware-Produktes hinsichtlich der Leistungsunterstützungsfunktion für EDV-Revisionsaufgaben muß anhand der Kriterien der Verständlichkeit, Aussagefähigkeit, Zeitgerechtigkeit, Sicherheit und Vollständigkeit eine detaillierte Analyse mittels eines Bewertungskonzeptes erfolgen. Für eine grobe Betrachtung nach Dokumentationsmöglichkeiten reicht folgende Globalanalyse aus:

(1) Der Grundsatz der Verständlichkeit kann - zumindest in großen Teilbereichen - befriedigend erfüllt werden, um dem sachverständigen Dritten (dem Revisionsorgan) eine Verfahrensprüfung zu ermöglichen. Einen Schwachpunkt stellen zum Teil die verbalen Erläuterungen dar, die häufig aufgrund einer hohen Schematisierung vernachlässigt werden.

(2) Zum Grundsatz der Aussagefähigkeit fällt ins Gewicht, daß dem Aspekt der Aktualität (im Gegensatz manuellen Dokumentation) allgemein Rechnung getragen werden kann. Der Detaillierungsgrad ist nicht immer aussagekräftig (gute Dateibeschreibung, schlechte Ablaufbeschreibung beziehungsweise umgekehrt); dagegen sind Möglichkeiten der redundanzfreien Speicherung sowie die Möglichkeiten der Auswahl des Detaillierugsgrades der Darstellungsform zumeist vorhanden.

(3) Der Grundsatz der Zeitgerechtigkeit, das heißt die Prüfbarkeit in angemessener Zeit, wird in der Regel durch die maschinellen Dokumentationsverfahren gewährleistet

(4) Hinsichtlich des Grundsatzes der Sicherheit läßt sich die maschinelle Dokumentationsqualität an der computermässigen Kontrolltätigkeit messen. Diese ist nicht immer ausreichend so daß organisatorische Kontrollmechanismen ergänzend erfolgen

müssen

(5) In der Beurteilung des sehr wichtigen Grundsatzes der Vollständigkeit zeigt sich jedoch, daß kein maschinelles Dokumentationssystem die Mindestanforderungen an die EDV-Dokumentation aus Revisionssicht erfüllen kann. Insbesondere die Benutzerdokumentation wird nicht unterstützt.

Für Revisionszwecke günstig zu werten sind die Tatbestände, daß bei maschinellen Dokumentationssoftware als konstruktive Maßnahme zur Erhöhung der Korrektheit und Zuverlässigkeit der Systeme und Programme in allen Phasen der Entwicklung eine erhebliche

Bedeutung zukommt und aus einer unvollständigen manuellen EDV-Dokumentation zumindest Teilbereiche von Dokumentationsunterlagen auch nachträglich maschinell erstellt werden können.

Ergebnis und Ausblick

Das Ergebnis der Grobanalyse läßt sich wie folgt zusammenfassen:

Maschinelle Dokumentationsverfahren werde den formellen Anforderungen der

Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung weitgehend gerecht; erfüllen unter Revisionsgesichtspunkten die inhaltlichen Mindestanforderungen an eine ordnungsmäßige EDV-Dokumentation jedoch nur unzureichend.

Trotzdem sind maschinelle Dokumentationsysteme in der inhaltlichen Ausgestaltung den - häufig völlig unzulänglichen - manuelle EDV-Dokumentationssystemen in der Praxis überlegen. Dies insbesondere aus Wirtschaftlichkeits- und Aktualitätsüberlegungen. Auch wenn im Regelfall keine umfassende System- und Programmprüfung durch die EDV-Revision vorgenommen werden kann, so bieten die maschinellen Dokumentationsysteme die Möglichkeit, bestimmte Prüfungshandlungen zu intensivieren beziehungsweise zu vernachlässigen (beispielsweise das Problem der Programmidentität). Die maschinellen Dokumentationsverfahren können damit die Arbeit interner und externer Revisionsstellen wirkungsvoll unterstützen und die Prüfungsintensität der Revisionsorgane beeinflüssen.

Als Resümee ist festzuhalten, daß zum einen die Softwarehersteller bei der Entwicklung von Dokumentationssystemen mehr als bislang Revisionsaspekte berücksichtigen müssen.

Dieser Gastkommentar ist die gekürzte Fassung eines Vertrages mit dem Titel "Die Bedeutung maschineller Dokumentationssoftware für Zwecke der EDV-Revision externer und interner Revisionsstellen". Er würde kürtzlich auf dem Internationalen Kongreß für Datenverarbeitung, IKD, in Berlin gehalten.