Grundsätze für eine ordnungsmäßige Datenverarbeitung, Teil 2:

Dokumentation: De-facto-Standards und gesetzliche Vorschriften

17.09.1982

In der kürzlich erschienenen CW-Serie "Dokumentation - eine lästige Angelegenheit" wurde an die praktische Vernunft und den guten Willen appelliert, eine geordnete DV-Dokumentation zu führen und dabei die bisher bekannten Dokumentationsstandards (HIPO, DIN etc.) zu berücksichtigen. So sehr dem zuzustimmen ist, stellt sich doch die Frage, ob das Argument der Vernunft allein reicht. Wo bleibt der Hinweis auf die bestehenden Gesetze? Die Sache ist viel brisanter. Ohne es zu wissen, verstoßen viele verantwortliche EDV-Fachleute gegen gesetzliche Vorschriften, wenn sie ihre DV-Dokumentation schlecht führen. Sie können dadurch ihrem Unternehmen großen Schaden zufügen - und sich selbst.

Fachliche Stellungnahmen

HGB und AO Sagen in wesentlichen Punkten etwa dasselbe aus. Sie sind aber zu pauschal und bedürfen deshalb für die praktische Anwendung einer Interpretation durch fachliche Stellungnahmen, die letztlich zu Grundsätzen ordnungsmäßiger Datenverarbeitung führen sollen. Als wesentliche Aussagen gehören

- der Erlaß "Grundsätze ordnungsmäßiger Speicherbuchführung (GoS)" und

- die FAMA-Stellungnahmen in den Mittelpunkt der Betrachtung; sie sind inhaltlich untereinander abgestimmt. Für den Teilbereich Dokumentation kann noch hinzugezogen werden

- der AWV-Leitfaden zur Erstellung von Verfahrensdokumentationen für DV-Buchführungen vom Juli 1979 und

- die Normen DIN 66230 bis 66232.

GoS-Erlaß

In dem Erlaß "Grundsätze ordnungsmäßiger Speicherbuchführung (GoS)" sind Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit des Systems der Buchführung aufgestellt. Er enthält Äußerungen zur

- Belegaufbereitung und Belegfunktion,

- Buchung,

- Kontrolle und Abstimmung,

- Datensicherung,

- Dokumentation und Prüfbarkeit,

- Aufbewahrung und Sicherung der Datenträger,

- Wiedergabe der auf Datenträger geführten Unterlagen.

Der Titel des Erlasses ist insofern irreführend, als er nicht nur die Speicherbuchführung, sondern jede Form von DV-Buchführung regelt. Die GoS beruhen auf Arbeitsergebnissen des AWV aus 1977; sie sind vom Finanzminister zunächst (ab 1978) in die Einkommensteuerrichtlinien unter Abschnitt 29 anstelle des alten Absatzes 5 Satz 6 und 7 und später in die AO als Anlage zu ° 146 übernommen worden. Bemerkenswert ist das Begleitschreiben zu diesem Steuererlaß, indem der Finanzminister klarstellt, daß die Anforderungen des Erlasses ihre Maßgeblichkeit auch nicht in dem Moment verlieren, wenn die Buchführung ausgedruckt zur Verfügung steht.

Zur Dokumentation und Prüfbarkeit sagt der Erlaß unter Textziffer 6. wörtlich:

6.0 Die Speicherführung muß wie jede Buchführung von einem sachverständigen Dritten hinsichtlich ihrer formellen und sachlichen Richtigkeit prüfbar sein; dies muß sowohl durch die Prüfbarkeit einzelner Geschäftsvorfälle (fallweise Prüfung) als auch durch die Prüfbarkeit des Abrechnungsverfahrens (Verfahrensprüfung) möglich sein.

6.1 Aus der dazu erforderlichen Verfahrensdokumentation müssen Aufbau und Ablauf des Abrechnungsverfahrens vollständig ersichtlich sein. Sie kann verbal, zum Beispiel durch

Arbeitsanweisungen, graphisch, zum Beispiel durch Ablaufpläne, und/oder tabellarisch, zum Beispiel durch Entscheidungstabellen, erfolgen.

6.2 Die Verfahrensdokumentation muß sich insbesondere erstrecken auf

6.2.1 sachlogische Beschreibung des EDV-Abrechnungsverfahrens im Sinne von Anweisungen an die EDV-Programmierung; diese muß folgende Problembereiche behandeln:

Aufgabenstellung

Beschreibung der Dateneingabe

Regelung der Datenerfassung

Verarbeitungsregeln einschließlich

Kontrollen und Abstimmverfahren

Fehlerbehandlung

Beschreibung der Datenausgabe

Datensicherung

Sicherung der ordnungsgemäßen

Programmanwendung.

6.2.2 Anweisungen zur Regelung der Kommunikation des EDV-Abrechnungsverfahrens mit dem Gesamtsystem der Buchführung, wie zum Beispiel die manuelle Vor- beziehungsweise Nachbehandlung von Daten an den Schnittstellen zu anderen Abrechnungsverfahren.

6.2.3 Beschreibung des Freigabeverfahrens, mit dem die Übereinstimmung der Anweisungen (siehe 6.2.1) mit den Funktionen der EDV-Programme festgestellt wurde.

6.3 Änderungen des Abrechnungsverfahrens sind in der Dokumentation so zu vermerken, daß die zeitliche Abgrenzung einzelner Verfahrensversionen ersichtlich ist.

6.4 Die Verfahrensdokumentation gehört zu den Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen im Sinne der °° 44 HGB beziehungsweise 147 AO, jeweils Absatz 1, Nummer 1.

6.5 Der Buchführungspflichtige hat zu gewährleisten, daß die gespeicherten Buchungen jederzeit innerhalb angemessener Frist lesbar gemacht werden können. Er muß die dafür erforderlichen Darstellungsprogramme sowie Maschinenzeiten und sonstigen Hilfsmittel, zum Beispiel Personal, Bildschirme, Lesegeräte, bereitstellen. Auf Verlangen hat er die gespeicherten Buchungen unverzüglich auszudrucken oder bei Ausgabe auf Bildträgern ohne Hilfsmittel lesbare Reproduktionen beizubringen.

FAMA-Stellungnahmen

Das Institut der Wirtschaftsprüfer hat in den Stellungnahmen FAMA 1/1975 "Zur Auslegung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beim Einsatz von DV-Anlagen im Rechnungswesen" und FAMA 1/1974 "Prüfung von DV-Buchführungen" die Anforderungen an die Buchführung und Datenverarbeitung mit ihren Nachweisfunktionen präzisiert. Zur Prüfung der Dokumentation sagt die Stellungnahme unter Abschnitt C.2. 1 in der Neufassung vom 30. Juni l977 wörtlich:

Wie für die manuell erstellte Buchführung gilt auch für die EDV-Buchführung die Forderung, daß sie für einen sachverständigen Dritten in angemessener Zeit überprüfbar sein muß. Die bei EDV-Buchführung überwiegend maschinenintern ablaufenden Arbeitsprozesse sind für einen Außenstehenden nur verständlich, wenn ihm neben den Eingabedaten und den Verarbeitungsergebnissen eine ausführliche Dokumentation über den Inhalt der Verarbeitung prozesse bereitgestellt wird. Der Aufbau und die Pflege der zum Verständnis der Buchführung erforderlichen Dokumentation werden damit zu einer zusätzlichen unabdingbaren Voraussetzung zur Erfüllung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bei EDV-Buchführung.

Die Nachprüfbarkeit der EDV-Buchführung wird in der Regel gegeben sein, wenn neben dem Kontenplan die folgenden Unterlagen vorliegen:

- Organisationsunterlagen (Problembeschreibungen, Aufgabenstellungen und Datenflußpläne);

- Verzeichnis sämtlicher Programme mit übersichtlicher Beschreibung der Programmabläufe, möglichst unter Kennzeichnung der Programmteile, die Buchungen selbst erzeugen;

- Regelung der Datenerfassung, Beschreibung der Dateneingabe, Formularmuster der Eingabebelege;

- Satzaufbau der Stamm- und Bewegungsdaten;

- Beschreibung und Muster der Datenausgabe;

- Schlüsselverzeichnisse;

- Beschreibung der Kontroll- und Abstimmverfahren;

- Anweisungen zur Vor- und Nachbehandlung von Daten durch die Fachabteilungen;

- Anweisungen zur Fehlerbehandlung, Verzeichnis der auszudruckenden Fehlernachrichten;

- Anweisungen zur und Nachweis der Datensicherung;

- Anweisung zur Sicherung und Nachweis der ordnungsgemäßen Programmanwendung;

- Nachweis der Testbeispiele und Testergebnisse;

- Angaben über die jeweilige Gültigkeitsdauer der vorstehenden Unterlagen.

Die Ausführlichkeit dieser Verfahrensdokumentation hängt von den Gegebenheiten im einzelnen Fall, insbesondere von der Komplexität des Systems, ab.

In jedem Fall muß das System der Buchführung anhand der vorgelegten Dokumentation schlüssig nachgewiesen werden. Bei unvollständiger Verfahrensdokumentation sind unter anderen Listen mit den von der EDV-Anlage bei der Umwandlung ausgedruckten Quellenprogramm (zum Beispiel Cobol, PL/1) bei der Systemprüfung heranzuziehen.

Die Dokumentation kann ihre Informationsfunktion nur erfüllen, wenn sie stets auf den neuesten Stand gebracht wird. Ein Nachweis der Programmänderungen ist daher erforderlich. Bei der Prüfung ist darauf zu achten, daß Änderungen der Programme, soweit diese die materielle Verarbeitung des Buchungsstoffes betreffen, nur bei Vorliegen eines autorisierten, schriftlich niedergelegten Änderungsauftrages der Fachabteilung erfolgen dürfen. Das gleiche gilt bei EDV-technisch bedingten Programmänderungen, soweit eine Fachabteilung betroffen ist.

Die Dokumentation, die zum Verständnis der Buchführung erforderlich ist, ist zehn Jahre aufzubewahren.

Prüfungspflicht

Dokumentationsanforderungen ergeben sich nicht zuletzt aus der Verpflichtung der Prüfungsorgane zur rationellen Prüfungsdurchführung. Wenn die Möglichkeit besteht, mit Hilfe der Datenverarbeitung und ihrer Dokumentation die Prüfungshandlungen zu vereinfachen, dann schließt das die Verpflichtung des Kaufmanns (und seiner Mitarbeiter) ein, die entsprechenden Voraussetzungen dafür zu schaffen (also beispielsweise eine ordnungsmäßige DV-Dokumentation).

AWV und DIN

Im AWV-"Leitfaden zur Erstellung von Verfahrensdokumentationen für EDV-Buchführungen" sind Verfahren zum Dokumentationsaufbau beschrieben, während in den Normen DIN 66230 bis 66232 versucht wird, möglichst präzise Definitionen zu einzelnen EDV-Dokumenten zu liefern. Insoweit sind diese Empfehlungen als weitere Erläuterung des GoS-Erlasses und der Stellungnahme FAMA 1/1974 zu verstehen.

Bedeutung der fachlichen Stellungnahmen

Die in den fachlichen Stellungnahmen aufgestellten Dokumentationsanforderungen dienen in Zweifelsfällen als Auslegung der gesetzlichen Vorschriften des HGB und der AO. Allerdings sind die in den fachlichen Stellungnahmen angesprochenen DV-Dokumente (abgesehen von DIN) regelmäßig als Informationsinhalte und nicht als körperliche Bestandteile zu verstehen. Das heißt, daß die DV-Dokumentation nicht nach einem vorgegebenen starren Schema angefertigt werden muß. Gleichwohl darf die DV-Dokumentation nicht ausschließlich an den Bedürfnissen der erstellenden Programmierer ausgerichtet werden, da diese sich häufig zu sehr auf das in ihrem Kopf gespeicherte Wissen verlassen. Darum muß das Ziel der Ordnungsmäßigkeit in einem übergeordneten Grundsatz festgelegt werden.

Fortsetzung folgt

*Rainer Schuppenhauer ist Leiter der EDV-Revisions- und -Beratungsabteilung einer großen deutschen

Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.